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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 01.06.2005
Aktenzeichen: 2 A 261/03
Rechtsgebiete: BAföG


Vorschriften:

BAföG § 28 Abs. 2
BAföG § 28 Abs. 3
BAföG § 28 Abs. 4
BAföG § 29 Abs. 3
Zur Frage, ob ein Grundstück an dem der Auszubildende aufgrund eines (nur) im schuldrechtlichem Teil nichtigen notariellen Vertrags Eigentum erlangt hat, als Vermögen des Auszubildenden anzurechnen ist.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 2 A 261/03

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Vorsitzende Richterin Dreger, Richter Nokel und Richter Dr. Grundmann sowie die ehrenamtlichen Richter U. Gottwald und O. Krietemeyer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 17.12.2002 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides des Landesamts für Ausbildungsförderung vom 30.01.2002 und des Widerspruchsbescheids des Senators für Bildung und Wissenschaft vom 28.06.2002 verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum August 2001 bis Juni 2002 ohne Anrechnung eigenen Vermögens zu gewähren.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Ausbildungsförderung ohne Anrechnung von Vermögen.

Die 1982 geborene Klägerin schloß eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten im Januar 2001 ab.

Mit notariellem Vertrag vom 27.06.2000 erwarb die Klägerin von der im Jahre 1908 geborenen Frau Gesine Anna B. das Hausgrundstück K. Straße , Bremen. Ende 2000 wurde die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Vom 13.08.2001 bis Juni 2002 besuchte sie die Klasse 12 der Fachoberschule in der Fachrichtung Wirtschaft mit dem Schwerpunkt Wirtschaftslehre am Schulzentrum des Sekundarbereichs II Utbremen in Bremen.

Am 28.08.2001 beantragte die Klägerin für ihre Ausbildung an der Fachoberschule Ausbildungsförderung. Der Senator für Bildung und Wissenschaft lehnte den Antrag mit Bescheid vom 31.01.2002 ab, weil der Gesamtbetrag des angerechneten Einkommens und Vermögens den Gesamtbedarf decke. Als Vermögen wurde der Wert des Hausgrundstücks K. Straße , Bremen, berücksichtigt.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 05.02.2002 Widerspruch ein. Sie habe ein renovierungsbedürftige Haus für 40.000,00 DM gekauft. Den Hauskauf habe sie durch ein zweckgebundenes Darlehen beim BHW in Höhe von 60.000,00 DM vorfinanziert. Ein Verkauf des Hauses sei mit erheblichen Kosten - wie z. B. Spekulationssteuer - verbunden und sei auch wegen der im Kaufvertrag übernommenen Verpflichtung, der Verkäuferin - im Falle der Wohnungslosigkeit - eine angemessene Wohnung zur Verfügung zu stellen, nicht zu machen. Da sie kein eigenes Einkommen habe, sei sie auf Ausbildungsförderung angewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2002 wies der Senator für Bildung und Wissenschaft den Widerspruch als unbegründet zurück. Der angefochtene Bescheid sei im Ergebnis rechtmäßig. Nach den Angaben der Klägerin betrage der (tatsächliche) Wert des Hausgrundstückes 147.000,00 DM. Daraus ergebe sich bei Berücksichtigung des sonstigen Guthabens (DM 2.500,-) und der abzugsfähigen Beträge ein monatlich anzurechnendes Vermögen von 3.860,30 Euro. Ein Grund, einen (weiteren) Teil des Vermögens nach § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei zu lassen, bestehe nicht, da die Klägerin das Haus in der K. Straße nicht selbst bewohne. Da das anzurechnende Vermögen den Gesamtbedarf übersteige, könnten Förderungsleistungen nicht gewährt werden.

Nachdem das Amtsgericht Bremen (Vormundschaftsgericht) im Januar 2001 für Frau B. eine Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und Sorge um die Gesundheit bestellt hatte, verlangte Frau B. , vertreten durch ihre Betreuerin von der Klägerin die Rückauflassung des Grundstücks. Da die Klägerin dazu nicht bereit war, erhob Frau B. im März 2001 Klage vor dem Landgericht Bremen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 09.07.2002 (Az.: 8-O-370/01) verurteilte das Landgericht Bremen die Klägerin, die Auflassung zur (Rück-) Übertragung des Grundstücks auf die Verkäuferin zu erklären und deren Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch zu bewilligen. Nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Andreas B. vom 12.08.2001 betrug der Verkehrswert des Hausgrundstücks K. Straße , Bremen am 27.06.2000 DM 147.000,-. Unter Berücksichtigung dieses Gutachtens gelangte das Landgericht zu der Feststellung, dass der notarielle Kaufvertrag vom 27.06.2000 nach § 138 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig sei. Es bestehe ein grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, weil der Grundstückswert mehr als das Doppelte des Kaufpreises ausmache. Ob die Klägerin (des vorliegenden Verfahrens) sich beim Vertragsschluss des krassen Wertunterschiedes zwischen den wechselseitigen Leistungen bewusst gewesen sei, sei unerheblich. Nach der Rechtsprechung des BGH bilde das objektive Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung für sich genommen bereits die Grundlage für den Schluss auf die verwerfliche Gesinnung. Die Nichtigkeit erfasse jedoch nur den schuldrechtlichen Teil des notariellen Vertrages. Die Klägerin schulde daher der Verkäuferin "Herausgabe" der erlangten Rechtsstellung nach Bereicherungsrecht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen.

Zuvor hatte das Landgericht der Klägerin durch Beschluss vom 02.10.2001 (Az.: 8-O-1978/01) im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, das Grundstück K. Straße , Bremen, weiterzuveräußern.

Am 26.07.2002 hat die Klägerin Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, die Anrechnung des Hausgrundstücks K. Straße als Vermögen sei rechtsfehlerhaft. Das ergebe sich aus den Entscheidungen des Landgerichts.

Wegen der (ex tunc-) Nichtigkeit des schuldrechtlichen Teils des notariellen Vertrages sei die Klägerin aus rechtlichen Gründen gehindert gewesen, das Grundstück zu verwerten. Das Grundstück sei mit dem sich aus der Nichtigkeit ergebenden Rückauflassungsanspruch dinglich belastet gewesen. Jedenfalls müsse die Anrechnung des Grundstücks als Vermögen nach § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten unterbleiben.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides des Landesamtes für Ausbildungsförderung vom 31.01.2002 und des Widerspruchsbescheides des Senators für Bildung und Wissenschaft vom 28.06.2002 zu verpflichten, der Klägerin Ausbildungsföderung für den Bewilligungszeitraum August 2001 bis Juni 2002 ohne Anrechnung eigenen Vermögens zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Entscheidungen des Landgerichts Bremen stünden einer Anrechnung des Hausgrundstückes als Vermögen nicht entgegen. Nach § 28 Abs. 2 BAföG sei der Wert des Grundstücks im Zeitpunkt der Antragstellung festzustellen und nach § 28 Abs. 4 BAföG blieben Veränderungen zwischen Antragstellung und Ende des Bewilligungszeitraums unberücksichtigt. Demnach sei von den Vermögensverhältnissen der Klägerin am Tag der Antragstellung, dem 28.08.2001, auszugehen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin Eigentümerin des Grundstücks K. Straße , Bremen, gewesen. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts sei erst danach, nämlich am 02.10.2001, ergangen und müsse unberücksichtigt bleiben. Auch das Urteil des Landgerichts vom 09.07.2002 sei insoweit nicht beachtlich. Denn danach sei der notarielle Kaufvertrag nicht im vollem Umfang ex tunc nichtig. Vielmehr habe das Landgericht festgestellt, dass die Nichtigkeit nur den schuldrechtlichen Teil des notariellen Kaufvertrages erfasse.

Der Klägerin sei kein Freibetrag nach § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten zuzusprechen. Mit der Gewährung eines Härtefreibetrages würde die Stichtagsregelung unterlaufen. Zudem liege auch deshalb keine unbillige Härte vor, weil die Auswirkungen der Berücksichtigung des Hausgrundstücks als Vermögen sich im Falle der Klägerin nur auf den ersten Bewilligungszeitraum auswirkten. Die Ausbildung der Klägerin werde durch die Versagung eines Härtefreibetrages nicht gefährdet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 11.12.2002 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die von der Klägerin gegen die Vermögensanrechnung erhobenen Einwendungen griffen nicht durch. Aus den Regelungen des § 28 Abs. 2 und Abs. 4 BAföG folge, dass von den Vermögensverhältnissen der Klägerin am Tage der Antragstellung, also am 28.08.2001, auszugehen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin Eigentümerin des Grundstücks K. Straße , Bremen, gewesen.

Dieser Annahme stehe das Urteil des Landgerichts vom 09.07.2002 nicht entgegen. Das Landgericht habe ausgeführt, dass nur der schuldrechtliche Teil des notariellen Kaufvertrages nichtig sei, das Erfüllungsgeschäft hingegen wirksam. Die Klägerin sei im Zeitpunkt der Antragstellung auch nicht an der Verwertung des Hausgrundstücks aus rechtlichen Gründen gehindert gewesen (§ 27 Abs. 1 S. 2 BAföG). Die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 02.10.2001 stelle zwar ein rechtliches Verwertungshindernis dar, sie könne jedoch vorliegend aufgrund der Stichtagsregelung des § 28 Abs. 2 BAföG und der Regelung des § 28 Abs. 4 BAföG nicht berücksichtigt werden. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich, dass die Berücksichtigung von Veränderungen, die nach dem Tag der Antragstellung eingetreten seien, schlechterdings ausgeschlossen sei.

Die Vermögensanrechnung stelle im vorliegenden Fall keine unbillige Härte nach § 29 Abs. 3 BAföG dar. Die Härteklausel sei eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen sei. Eine unbillige Härte könne insbesondere vorliegen, wenn wirtschaftliche Verwertungshindernisse bestünden. Allerdings sei dabei zu fordern, dass die wirtschaftlichen Verwertungshindernisse bereits im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Eine andere Praxis würde zur Wirkungslosigkeit der Stichtagsregelungen führen, die der Gesetzgeber gerade bei der Vermögensanrechnung zahlreich verwendet habe, um einen verwaltungsökonomischen Vollzug zu sichern. Die Anwendung eines strengen Maßstabes erscheine auch nicht unangemessen, da sich die streitige Vermögensanrechnung nur auf den in Rede stehenden Bewilligungszeitraum auswirke und Anhaltspunkte dafür, dass die Ausbildung der Klägerin infolge der Vermögensanrechnung gefährdet gewesen sei, weder ersichtlich noch vorgetragen seien.

Der Senat hat die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil durch Beschluss vom 25.06.2003 zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, der Bescheid vom 31.01.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 28.06.2002 seien rechtswidrig. Das Hausgrundstück sei nicht als Vermögen der Klägerin anzurechnen. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Wechselwirkung zwischen dem von Anfang an nichtigen schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft und dem dinglichen Erfüllungsgeschäft unberücksichtigt gelassen. Diese Wechselwirkung führe zu einem rechtlichen Verwertungshindernis (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG). Auch sei der Rückübertragungsanspruch eine mit dem Vermögen verbundene Schuld oder Last, die bei der Feststellung des Vermögenswertes nach § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG zu berücksichtigen sei.

In jedem Fall habe ein wirtschaftliches Verwertungshindernis bestanden. Dies folge auch daraus, dass zum Zeitpunkt der Stellung des BAföG-Antrages der Rechtsstreit vor dem Landgericht Bremen bereits anhängig gewesen sei. Liege ein wirtschaftliches Verwertungshindernis vor, so rechtfertige dies nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 13.06.1991 - 5 C 33.87 -) die Annahme einer unbilligen Härte i.S.v. § 29 Abs. 3 BAföG.

Es sei für die Klägerin im übrigen nicht zumutbar gewesen, das Grundstück zu belasten und sich damit Schadensersatzansprüchen der Verkäuferin auszusetzen.

Wegen des Klägervorbringens im übrigen wird auf die von der Klägerin im Berufungsverfahren (einschließlich des Zulassungsverfahrens) eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 11.12.2002 und unter Abänderung des Bescheides des Landesamts für Ausbildungsförderung vom 31.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Senators für Bildung und Wissenschaft vom 28.06.2002 zu verpflichten, der Klägerin Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum August 2001 bis Juni 2002 ohne Anrechnung eigenen Vermögens zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht festgestellt, dass das Vermögen der Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend sei und Veränderungen zwischen der Antragstellung und dem Ende des Bewilligungszeitraums unberücksichtigt bleiben müßten.

Es bestehe auch keine Notwendigkeit, im Rahmen des § 29 Abs. 3 BAföG einen zusätzlichen Teil des Vermögens anrechnungsfrei zu lassen. Bei Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles könne nicht festgestellt werden, dass der Vermögenseinsatz zu unbilligen Härten führe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 03.04.2003 und 15.08.2003 Bezug genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte - einschließlich der Sitzungsniederschrift vom 01.06.2005 - verwiesen. Die dieses Verfahren betreffende Verwaltungsakte und die Akten des Landgerichts Bremen Az.: 8-O-370/2001 und 8-O-1978/01 haben dem Senat vorgelegen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung, soweit er im Urteil verwertet worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Ausbildungsförderung.

Die Parteien streiten (lediglich) darüber, ob der Klägerin für die Zeit von August 2001 bis Juni 2002 Ausbildungsförderung ohne Anrechnung von Vermögen zu bewilligen ist.

1.

Auszugehen ist von § 11 Abs. 2 S. 1 BAföG. Danach sind auf den Bedarf nach Maßgabe der folgenden Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie Einkommen seines Ehegatten und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen.

Als Vermögen gelten nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 BAföG u. a. unbewegliche Sachen.

Einer Anrechnung des Grundstücks als Vermögen steht § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht entgegen. Danach sind Gegenstände vom Vermögen ausgenommen, "soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann". Es kommt allein darauf an, ob ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff rechtlich und tatsächlich - ganz oder teilweise - objektiv möglich ist oder nicht. Vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht rechtfertigen (vgl. BVerwG, B. v. 16.02.2000 - 5 B 182/99 -).

Nach dem rechtskräftigen landgerichtlichen Urteil vom 09.07.2002 war nur der schuldrechtliche Teil des notariellen Vertrages vom 27.06.2000 über das Hausgrundstück K. Straße , Bremen, wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Das dingliche Erfüllungsgeschäft wurde davon nicht erfasst. Demnach ist die Klägerin Eigentümerin dieses Grundstücks geworden und es war ihr am maßgeblichen Stichtag, dem Zeitpunkt der Antragstellung am 28.08.2001, objektiv möglich über das Hausgrundstück zu verfügen und es zu verwerten.

Die einstweilige Verfügung, mit der der Klägerin untersagt wurde, das Grundstück weiterzuveräußern, ist erst nach dem Stichtag, nämlich am 02.10.2001, erlassen worden.

2.

In welcher Weise die Wertbestimmung des einzusetzenden Vermögens zu erfolgen hat, regelt § 28 BAföG. Nach § 28 Abs. 2 BAföG ist maßgebend der Wert im Zeitpunkt der Antragstellung. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG sind von dem nach den Absätzen 1 und 2 ermittelten Betrag die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen.

Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass bereits § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG der Berücksichtigung des Grundstücks als Vermögen entgegensteht. Die Verpflichtung der Klägerin zur Rückauflassung des Grundstücks bestand schon im Zeitpunkt der Antragstellung (28.08.2001). Nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bremen vom 09.07.2002 war der notarielle Kaufvertrag vom 27.06.2000 von Anfang an (ex tunc) nichtig und schuldete die Klägerin, die Ende 2000 als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen worden war, der Frau B. die "Herausgabe" der erlangten Rechtsstellung nach Bereicherungsrecht (vgl. S. 3 des landgerichtlichen Urteils). Diese im Zeitpunkt der Antragstellung "bestehende Schuld" der Klägerin ist im Rahmen von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG bei der Wertbestimmung des Vermögens zu berücksichtigen.

Dass das Urteil des Landgerichts am Stichtag (28.08.2001) noch nicht vorlag, steht nicht entgegen. Dafür, dass eine Forderung als Schuld berücksichtigt wird, genügt es, dass der oder die Auszubildende ernstlich mit der Geltendmachung der Forderung rechnen muss (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, Kommentar, § 28 Rdnr. 10; Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 3. Aufl., § 28 Rdnr. 8; OVG Münster, U. v. 12.03.1984 - Az.: 16 A 434/83 - = FamRZ 1985, 222). Das war hier der Fall. Frau B. hatte durch ihre Betreuerin den Rückauflassungsanspruch geraume Zeit vor dem Stichtag, nämlich im März 2001, eingeklagt (Klagezustellung an die Gegenpartei 02.03.2001) und auch das für Frau B. günstige Sachverständigengutachten lag schon vor dem Stichtag vor (Zustellung an die Anwältin der Klägerin am 27.08.2001). Die Klägerin musste somit am Stichtag ernstlich damit rechnen, dass Frau B. ihren Herausgabeanspruch durchsetzen wird.

3.

Selbst wenn man die Verpflichtung der Klägerin zur "Herausgabe" des Grundstücks nicht als eine im Rahmen von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG zu berücksichtigende Schuld ansähe, wäre der Klage stattzugeben. Denn in diesem Fall stünde der Anrechnung des Hausgrundstücks als verwertbares Vermögen § 29 Abs. 3 BAföG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann "zur Vermeidung unbilliger Härten" ein weiterer Teil des Vermögens anrechnungsfrei bleiben.

Nach Zweck und Stellung des § 29 Abs. 3 BAföG im System der Vorschriften über die Vermögensanrechnung dient die Norm dazu, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können (BVerwG, U. v. 13.06.1991 - 5 C 33/87 - = BVerwGE 88, 303). Die Härteklausel des § 29 Abs. 3 BAföG ist keine beschränkt kontrollierbare Ermessensvorschrift, sondern ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt (vgl. OVG Bremen, U. v. 20.04.1982 - 2 BA 31/82 - = FamRZ 1982, 1249).

Hier hat die Klägerin Eigentum an dem Grundstück K. Straße , Bremen, in Erfüllung eines notariellen Vertrages erlangt, der nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bremen vom 09.07.2002 in seinem schuldrechtlichen Teil wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (28.08.2001) war die Klägerin zwar Eigentümerin des Grundstücks, die Verkäuferin hatte jedoch - wie erwähnt - den Anspruch auf Rückauflassung bereits im März 2001 eingeklagt und es lag auch schon ein für die Verkäuferin günstiges Sachverständigengutachten vor. Es gab somit schon zum Zeitpunkt der Antragstellung gewichtige Gründe dafür, dass die Klägerin das Hausgrundstück (lastenfrei) werde zurückübertragen müssen. Dann aber kann der Klägerin nicht zugemutet werden, das Grundstück als eigenes Vermögen zu Ausbildungszwecken zu verwerten und sich u. U. Schadensersatzansprüchen der Verkäuferin auszusetzen.

Das gilt erst recht, wenn (auch) das später ergangene landgerichtliche Urteil vom 09.07.2002 berücksichtigt wird, wonach der Kaufvertrag ex tunc nichtig ist. Der Klägerin würde letztlich zugemutet, aus dem sittenwidrigen Verhalten, das zur Übertragung des Eigentums am Grundstück auf die Klägerin geführt hat, weiteren Nutzen - zu Lasten der ursprünglichen Eigentümerin und zum Vorteil der Beklagten - zu ziehen. Das kann von der Rechtsordnung nicht gewollt sein. Die Anrechnung des Hausgrundstücks als Vermögen muss deshalb nach § 29 Abs. 3 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten unterbleiben.

Hinzu kommt - selbständig tragend - noch folgendes: Zu den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Typisierungen gehört auch diejenige, dass der Gesetzgeber für den Regelfall davon ausgeht, dass das anrechenbare Vermögen für den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist. Trifft dies (ausnahmsweise) nicht zu, so kann der Ausbildungsbedarf aus dem gleichwohl angerechneten Vermögen nicht gedeckt werden. Die Vermögensanrechnung ist dann eine unbillige Härte, weil sie den Auszubildenden auf Vermögen verweist, das einem Verwertungszugriff gar nicht zugänglich ist. Unter diesem Gesichtspunkt kommt wirtschaftlichen Verwertungshindernissen eine tatbestandliche Relevanz für den Begriff der unbilligen Härte zu (vgl. BVerwG, U. v. 13.06.1991, a. a. O.).

Ein wirtschaftliches Verwertungshindernis ist hier anzunehmen. Zum maßgeblichen Stichtag (28.08.2001) konnte die Klägerin zwar objektiv über das Hausgrundstück verfügen. Der Anspruch auf Rückübertragung war jedoch bereits im März 2001 vor dem Landgericht Bremen eingeklagt worden und es lag auch schon ein für die Verkäuferin günstiges Sachverständigengutachten vor. Mögliche Vertragspartner, zu deren Gunsten eine Belastung des Grundstücks in Frage gekommen wäre, hätte die Klägerin bei Beachtung ihrer (rechtlichen) Verpflichtung zu redlichem Verhalten (§ 242 BGB) schon zum maßgeblichen Stichtag auf das anhängige Verfahren vor dem Landgericht und dessen Stand (u. a. Vorliegen eines Gutachtens) hinweisen müssen. Dass die Klägerin das Grundstück danach noch als ihr Vermögen hätte einsetzen können, hält der Senat für ganz unwahrscheinlich.

Sonstiges Vermögen, das die Freibetragsgrenze überstieg und für den hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum anzurechnen ist, hatte die Klägerin nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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