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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 05.03.2008
Aktenzeichen: 2 A 298/04.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
1. Bei der nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzustellenden Gefahrenprognose steht Ausländern, die bereits einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten haben, der günstigere Wahrscheinlichkeitsmaßstab nach Art. 4 der Richtlinie 2004/83/EG zu.

2. Beherrschbare Übergangsprobleme bei der Fortführung einer laufenden Behandlung im Zielland der Abschiebung bilden kein Abschiebungshindernis, sondern sind von der Ausländerbehörde bei der konkreten Durchführung der Abschiebung zu berücksichtigen.

3. Die Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen in der Türkei stehen der Abschiebung eines mittellosen nicht traumatisierten Ausländers grundsätzlich nicht entgegen.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 2 A 298/04.A

Niedergelegt in abgekürzter Fassung auf der Geschäftsstelle am 06.03.2008 gez. Bothe U. d. G.

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Bauer und Richter Dr. Grundmann sowie die ehrenamtlichen Richter G. Bleil und E. Jochmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05.03.2008 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 30.04.2004 wird aufgehoben, soweit die Beklagte darin unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01.08.2002 verpflichtet worden ist festzustellen, dass im Falle des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Ausländergesetz vorliegt.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt der Kläger; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Abschiebungshindernisses.

Er meldete sich am 23.01.2002 als minderjähriger Asylbewerber bei der zentralen Anlaufstelle in Bremen. Mit Beschluss vom 05.02.2002 übertrug das Amtsgericht Bremen-Blumenthal das Sorgerecht für den Kläger auf das Amt für Soziale Dienste Bremen, Jugendamt, das für ihn politisches Asyl beantragte. Der Kläger wurde dazu am 22.03.2002 angehört. Er sei am 13.10.1987 als Kurde in Okcular in der Provinz Elazig geboren und ledig. Er habe die Schule 1998 in der fünften Klasse verlassen und keinen Beruf erlernt. Er habe Probleme in der Schule gehabt und sei geschlagen worden, weil sein Vater politisch für die HADEP aktiv gewesen sei. Deshalb hätten bei ihnen zu Hause ständig Razzien der Sicherheitskräfte stattgefunden. Sein Vater sei des Öfteren nach Elazig zur Wache gebracht und dort auch gefoltert worden. Wegen der Verletzungen habe er nicht mehr aufstehen können. Darum habe der Kläger die Tiere der Familie gehütet. Dabei habe er Kontakt zu Guerillas bekommen und sie unterstützt, indem er Flugblätter verteilt oder für sie Medikamente gekauft habe. Die Guerillas seien auch zu ihnen nach Hause gekommen und hätten dort zu Essen bekommen. Deshalb habe es Konflikte mit seinem älteren Bruder gegeben, der der Hisbollah angehört habe. Er habe den Kläger aufgefordert, in die Moschee zu gehen und ihm mit einer Anzeige gedroht. Eines Tages habe er den Kläger mit einem Paket mit Medikamenten und Ähnlichem für die Guerillas erwischt und es ihm weggenommen. Nach einigen Tagen, am 3. oder 4. Januar 2002, hätten dann Polizisten ihr Haus durchsucht und den Kläger zur Wache mitgenommen. Sie hätten ihn mit Strom und Wasser gefoltert, bis er bewusstlos geworden sei. Er sei im Krankenhaus in Elazig aufgewacht und habe zwei Tage dort bleiben müssen. Als er drei Tage später wieder mit den Schafen vom Feld nach Hause gekommen sei, seien Polizisten dort gewesen und hätten vier seiner Schafe getötet. Sie hätten gedroht, auch alle anderen Schafe und zuletzt den Kläger selbst zu töten. Danach sei er nach Hause gegangen. Sein Vater sei zur Wache gegangen, habe telefoniert und danach gesagt, der Kläger könne nicht bleiben. Er sei von seinem Onkel abgeholt worden und habe die Türkei am 22. oder 23.01.2002 in einem LKW verlassen. Seine Eltern und sechs Geschwister lebten noch in ihrem Heimatort bzw. in Elazig.

Das Bundesamt lehnte das Asylbegehren mit Bescheid vom 01.08.2002 ab, stellte fest, dass auch weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bestünden und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Seine Angaben erschienen unsubstantiiert und seien nicht glaubhaft, weil Polizeihaft für Minderjährige in der Türkei illegal sei. Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sei der Kläger keiner relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt.

Gegen diesen am 06.08.2002 an ihn abgesandten Bescheid hat der Kläger am 23.08.2002 Klage erhoben. Er benötige wegen der Folgen der erlittenen Misshandlungen psychologische Hilfe.

Dazu hat er eine Bescheinigung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie P. vom 25.02.2003 beigebracht. Danach litt der Kläger unter einer heftigen depressiven Verstimmung bis hin zu suizidalen Gedanken, Schlafstörungen, Unruhe- und Angstzuständen, körperlichen Verspannungszuständen, Nervosität, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen in Zusammenhang mit erlittenen Verfolgungs-, Folter- und Fluchttraumata. Nach dem ersten Eindruck handele es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Kläger benötige für mehr als ein Jahr psychologische und psychotherapeutische Behandlung.

Eine bei R. tätige Psychotherapeutin sowie eine Kunsttherapeutin haben unter dem 09.02.2004 bestätigt, dass der Kläger sich seit dem 10.06.2003 in Behandlung befinde. Seit dem 07.11.2003 nehme er regelmäßig an einer Einzeltherapie teil. Die Diagnose laute: posttraumatische Belastungsstörung, ausgelöst durch traumatische Haft- und sonstige Verfolgungserlebnisse in seinem Herkunftsland.

Unter dem 20.04.2004 hat R. weiter ausgeführt, die Symptomatik deute auf eine posttraumatische Belastungsstörung hin. Sie hänge wohl mit den traumatischen Fluchtbedingungen und den davor liegenden Folterereignissen während einer kurzzeitigen Haft im Alter von 13 Jahren zusammen. Der Kläger habe nach seinen Angaben die Flucht eingepfercht im tagelang verschlossenen LKW unter extremen Hygienebedingungen lebend überstanden und während dieser Zeit Todesängste ausgestanden, die ihn heute nachts immer wieder heimsuchten. Zusätzlich belasteten ihn die Erinnerungen an die während der Verhöre erlittenen Folterungen und nachfolgenden Todesdrohungen.

In der mündlichen Verhandlung am 30.04.2004 hat der Kläger erklärt, nachdem die Polizei mehrere ihrer Tiere getötet habe, habe er zu den Guerilleros engeren Kontakt bekommen. Etwa 5 - 6 Monate vor seiner Ausreise hätten Polizisten ihn zu Hause bei einer Durchsuchung gefunden. Sie hätten ihn auf die Wache mitgenommen und zwei Nächte lang gefoltert, weil man von ihm die Namen von PKK-Kämpfern erfahren wollte. Nachdem er bewusstlos geworden sei, hätten die Polizisten seine Familie benachrichtigt, die seine Aufnahme ins Krankenhaus veranlasst habe. Der Kläger hat seine Klage auf Asyl und hinsichtlich der Anerkennung als politischer Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG zurückgenommen.

Er hat beantragt,

unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01.08.2002 die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 30.04.2004 hat das Verwaltungsgericht - Einzelrichter der 7. Kammer - der Klage bezüglich der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG stattgegeben. Der detaillierte Vortrag des Klägers erscheine glaubhaft. Im Falle einer Abschiebung bestünde aufgrund seiner Traumatisierung Suizidgefahr. Als 16jähriger ohne Ausbildung könne er sich kaum selbst unterhalten und habe darum praktisch keine inländische Fluchtalternative.

Gegen dieses Urteil hat das Oberverwaltungsgericht Bremen auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 14.09.2004 die Berufung zugelassen, soweit die Beklagte darin verpflichtet worden ist, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG festzustellen.

Nachdem ihr dieser Beschluss am 17.09.2004 zugestellt worden war, hat die Beklagte die Berufung am 29.09.2004 begründet. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei in der Türkei grundsätzlich behandelbar. Zudem bestünde auch für Minderjährige generell eine Fluchtalternative in der Westtürkei.

Die Beklagte beantragt,

das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass im Falle des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt und die Abschiebungsandrohung aufgehoben wird.

Er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage, außerhalb seines Heimatortes eine menschenwürdige Grundversorgung sicherzustellen und würde durch eine Rückkehr in die Türkei psychisch schwer geschädigt oder gar den Freitod wählen. Aufgrund seines Zustandes sei er als Ungelernter jedenfalls nicht in der Lage, in einem fremden Ort seine weitere Behandlung zu organisieren. Weder er selbst noch seine Eltern könnten eine Behandlung finanzieren. Auch die Türkische Menschenrechtsstiftung könne nach telefonischer Auskunft seine Behandlung nicht garantieren, weil ihre Ärzte ihn nicht unmittelbar nach seinen Foltererlebnissen untersucht hätten. In den staatlichen Einrichtungen könne er die bisher durchgeführte traumaspezifische Kunsttherapie mit zusätzlichen Gesprächen nicht fortsetzen. Selbst wenn es entsprechende Therapieeinrichtungen geben sollte, könne er dort wegen der engen Verbindung seines Traumas mit seinem Heimatland nicht Erfolg versprechend behandelt werden. Ihm drohe zudem die Einberufung zum Militärdienst. Dadurch werde seine Behandlung zusätzlich gefährdet und sei zu erwarten, dass er bald nach der Einreise kurzfristig festgehalten und dabei mit den Sicherheitskräften konfrontiert werde, auf die sein Trauma zurückgehe. Die von ihm behauptete Vorverfolgung sei angesichts der zahlreichen Atteste glaubhaft, sodass ihm der herabgestufte Prognosemaßstab zuerkannt werden müsse. Er habe seine Klage nur deshalb teilweise zurückgenommen, weil ihm die Feststellung eines Abschiebungshindernisses in Aussicht gestellt worden sei.

Dazu hat der Kläger eine weitere Stellungnahme Herrn P. vom 04.05.2005 beigebracht. Darin heißt es, der Kläger befinde sich seit dem 25.02.2003 in ambulanter Behandlung durch ausführliche Gespräche und auch sedierende Medikamente. Er leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, verursacht durch seine Erlebnisse in der Heimat. Nach seinen Angaben seien mehrere Familienmitglieder gefoltert worden. Auch der Kläger selbst sei zweimal gefoltert worden. Aufgrund der zögernden Art seines Vortrages mit spürbarer und körperlicher Betroffenheit bestünden an seiner Glaubwürdigkeit keine vernünftigen Zweifel. Das Beschwerdebild habe sich relativ stabilisiert; es komme jedoch wiederholt zu Krisen, so auch in den letzten Monaten, in denen auch eine kurzfristige stationäre Aufnahme erforderlich gewesen sei. Der Kläger leide unter schweren depressiven Verstimmungen, Ängsten, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Stressbeschwerden, Albträumen und nächtlichen Flash-Back-Erlebnissen, Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität und Verzweiflung mit suizidalen Gedanken. Auch sein unsicherer Aufenthaltsstatus belaste ihn. Dieser Druck müsse von ihm genommen werden, damit die langfristig erforderliche psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung erfolgreich sein könne. Im Fall einer Abschiebung sei der Kläger eindeutig reiseunfähig. Ihm drohe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Verlust der Affektsteuerung und eine Tendenz zu selbstschädigenden -einschließlich suzidalen- Handlungen. In seiner Heimat drohe ihm aufgrund der ihn bestimmenden subjektiven Sichtweise unabhängig von den objektiven Gegebenheiten unweigerlich eine Retraumatisierung. Die notwendige Behandlung wäre aufgrund der dortigen Bedingungen nicht möglich.

Auf die Aufforderung des Gerichts, die konkreten Behandlungstermine seit dem 01.05.2007 mitzuteilen, hat R. am 18.09.2007 erklärt, der Kläger nehme nach früher wöchentlichen Terminen derzeit monatlich an einer traumaspezifischen Kunsttherapie teil. Sein Beschwerdebild habe sich verbessert. Er leide jedoch unter einem Gefühl der Entfremdung, starken Versagensgefühlen und einer eingeschränkten Zukunftssicht. Durch eine kurzzeitige Inhaftierung seines hier lebenden minderjährigen Bruders sei es zu einer Verstärkung der Symptome gekommen. Diagnostisch handele es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung auf dem Hintergrund von Foltererlebnissen im Alter von 13 Jahren und anschließenden traumatischen Fluchtbedingungen. Die Behandlung sei über eine schwer zu prognostizierende Dauer weiter erforderlich, um eine nachhaltige Stabilisierung seines noch relativ fragilen psychischen Zustandes zu erreichen. Zusätzliche Belastungen wie eine zwangsweise Rückführung in die Türkei mit erneuter Konfrontation mit türkischen Sicherheitskräften könnten zu einer Reaktualisierung der in der Türkei erlittenen Traumata und damit einhergehend zu einer psychischen Dekompensation inklusive Suizidgefährdung führen.

Zudem hat der Kläger eine Bescheinigung Herrn P. vom 26.09.2007 vorgelegt, die keine konkreten Behandlungstermine nennt, die erstellte Diagnose jedoch aufrechterhält. Der Kläger erhalte derzeit keine Medikamente. Er leide unter seinem unsicheren Aufenthaltsstatus. Im Fall einer Abschiebung würde die bei ihm latent vorhandene Suizidalität vitalisiert. Es würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer lebensbedrohlichen Reaktualisierung der erlittenen Traumatisierung kommen. Bei einer zwangsweisen Rückführung würde der Kläger sich aufgrund der nicht ausreichenden Verarbeitung früherer Vorerfahrungen subjektiv bedroht sehen. Dadurch wäre die notwendige Fortführung der Therapie nicht mit Erfolg möglich.

Der Senat hat den Kläger in einer mündlichen Verhandlung am 24.10.2007 angehört. Dabei hat er erklärt, nach der erlittenen Folter habe er sich abgehärtet gefühlt und für die kurdische Sache einsetzen wollen. Er habe seinen Vater gebeten, für ihn Kontakte zur Partei herzustellen. Der habe sich aber geweigert. Auch die Guerillas hätten von ihm keine Hilfe mehr gewollt. Er habe 4 bis 5 Monate weiter für die Familie in der Landwirtschaft gearbeitet. Im Januar 2002 sei er dann auf dem Nachhauseweg mit den Schafen, etwa eine Stunde vom Dorf entfernt, Polizisten begegnet. Sie hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Als er sich geweigert habe, habe einer der Polizisten vier seiner Schafe erschossen. Auf Vorhalt seiner Angaben vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger erklärt, es seien nur einmal von der Polizei in seiner Anwesenheit Schafe erschossen worden. Am nächsten Tag habe sein Onkel ihn nach Elazig geholt und einen Tag später nach Istanbul gebracht. Nach zwei Tagen Aufenthalt sei er nach Deutschland gekommen.

Der Senat hat ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Nervenheilkunde und Forensische Psychiatrie Prof. Dr. H. zum Gesundheitszustand des Klägers und den möglichen Auswirkungen darauf bei einer Rückkehr in die Türkei eingeholt. Nach dem Gutachten vom 12.01.2008 sind die bei dem Kläger beobachteten Befindlichkeits- und Verhaltensstörungen am ehesten als Ausdruck einer emotional instabilen Persönlichkeit in Verbindung mit einer so genannten Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.2) an schwierige Lebensbedingungen einzuordnen. Für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung fänden sich zum Untersuchungszeitpunkt nicht (mehr) die erforderlichen Kriterien. Bei der Rückkehr in die Türkei sei mit einer in ihrem Ausprägungsgrad schwer abschätzbaren Verschlechterung der Symptomatik zu rechnen. Zumindest sei eine solche nicht auszuschließen. Insgesamt wirke der Kläger jedoch hinreichend stabil, um sich in seinem Heimatdorf oder auch anderen Orten in der Türkei zurecht zu finden und sich aus eigener Kraft, ggf. mit Unterstützung der Familie, mit den beschriebenen Problemen auseinanderzusetzen und bei Bedarf auch vor Ort in der Türkei Hilfe zu finden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Der Kläger tritt dem Gutachten entgegen. Der Gutachter habe mit ihm nur einmal etwa eineinhalb Stunden gesprochen. Das sei zu oberflächlich und zu kurz, um die Schlussfolgerungen des Gutachters zu stützen. Das Gutachten gehe der Frage, ob es sich bei den Beschwerden des Klägers um dissoziative Phänomene handele, nicht nach und wäge die diagnostizierte Anpassungsstörung nicht nachvollziehbar gegen die Möglichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung ab. Es ordne den Geburtsort des Klägers fälschlich im Westen der Türkei ein. Die vom Gutachter geäußerten Zweifel an einer angemessenen Anstrengung und Mühegabe des Klägers entbehrten angesichts der von ihm trotz seiner problembeladenen Vita erzielten Erfolge bei der Integration einer Grundlage und würfen Zweifel am Gutachten auf. Die Prognose des Gutachters zu den Folgen einer Rückkehr des Klägers in die Türkei beruhe auf Mutmaßungen.

Zudem hat der Kläger eine Stellungnahme seiner Kunsttherapeutin bei R., Frau K., vom 11.02.2008 zur Ergänzung des Gutachtens beigebracht. Der Kläger habe in Deutschland trotz mehrerer schwerwiegender Erlebnisse in der Kindheit dank starker eigener Bemühungen und der Unterstützung durch Therapeuten und Betreuer beachtliche Integrationserfolge erzielt. Er leide aktuell unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Alpträumen. Er äußere ein Gefühl der Entfremdung und Zweifel an seinem Geisteszustand und damit häufige Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch zeige der Kläger Vermeidungsverhalten bezüglich des Kontaktes zu Kabeln und Autobussen, um nicht an die erlebte Folter und die Fluchtbedingungen erinnert zu werden. In jüngerer Zeit sei er vermehrt antriebs- und interesselos und ziehe sich zurück. Verzweiflung und depressive Phasen seien deutlich spürbar. Eine Rückkehr in die Türkei könne der Kläger sich in keinem Fall vorstellen. Bei der dadurch drohenden Konfrontation mit türkischen Sicherheitskräften und dem Verlust der Kontaktpersonen in Deutschland drohe eine dramatische Verschlechterung seines psychischen Zustandes.

Der Senat hat den Gutachter Prof. Dr. H. in der Verhandlung vom 05.03.2008 angehört. Zum Inhalt dieser Anhörung wird auf das Protokoll dieser Verhandlung Bezug genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 24.10.2007 und 05.03.2008, und der den Kläger betreffenden Akte der Beklagten verwiesen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Verhandlung, soweit er im Urteil verwertet worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung, zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis festzustellen, kann keinen Bestand haben.

Maßgeblich dafür ist nach § 77 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Der Anspruch des Klägers ist an § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zu messen, der mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes mit Wirkung vom 01.01.2005 ersetzt hat.

1.

§ 60 Abs. 7 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008, BGBl I S. 162) bestimmt: Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat ist abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Gefahren nach Satz 1 oder Satz 2, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen § 60 Abs. 11 AufenthG legt dazu fest:

Für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach den Absätzen 2, 3 und 7 Satz 2 gelten Artikel 4 Abs. 4, Artikel 5 Abs. 1 und 2 und die Artikel 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12).

Nach Art. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, (...) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Als ernsthafter Schaden gilt nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG:

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG kann grundsätzlich nur anerkannt werden, wenn der Betroffene vor ihr auch im Fall einer freiwilligen Rückkehr nirgendwo in seinem Heimatland Sicherheit finden kann (BVerwG, B.v. 29.09.2005, 1 B 54/05, juris m.w.N.; dazu auch Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG). Bezieht sich die Gefahr auf die Bevölkerung insgesamt oder eine größere Bevölkerungsgruppe, tritt die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein, sodass gerichtlicher Schutz nur noch gewährt werden kann, wenn anderenfalls ein Verstoß gegen das Grundgesetz drohte (BVerwG, U.v. 17.10.1995, 9 C 9/95, BVerwGE 99, 324; U.v. 19.11.1996, 1 C 6/95, juris und 12.07.2001, 1 C 5/01, BVerwGE 115, 1; B.v. 15.05.2007, 1 B 217/06, juris zur Rechtslage nach der Richtlinie 2004/83/EG). Ebenso wie der frühere § 53 Abs. 6 AuslG erfasst § 60 Abs. 7 AufenthG nur Gefahren, die sich aus den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung ergeben und keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse, die einer Abschiebung davon unabhängig -in welchen Staat auch immer- entgegenstehen (BVerwG, U.v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322; U.v. 21.09.1999, 9 C 8/99, NVwZ 2000, 206).

Die Prüfung eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird von der Frage beeinflusst, ob der Ausländer bereits einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat. Ein solcher Schaden ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Die anzustellende Prognose unterscheidet ebenso wie die deutsche Rechtsprechung zum Schutz vor politischer Verfolgung bei der Prognose für die Zukunft anhand des bereits erlittenen Schicksals zwischen zwei verschiedenen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben (vgl. OVG Saarland, U.v. 26.06.2007, 1 A 222/07 juris Rn. 36 ff.; Bayerischer VGH, U.v. 31.08.2007, 11 B 02.31724, juris Rn. 29; zu diesen Maßstäben BVerwG, U. v. 25.09.1984 - 9 C 17/84 - BVerwGE 70, 169 und U. v. 18.02.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97, juris Rn. 12 ff.).

2.

Die Gefährdungsprognose bezüglich des Klägers ist anhand des ungünstigeren Wahrscheinlichkeitsmaßstabes für solche Ausländer anzustellen, die ihre Heimat nicht aufgrund eines bereits erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens verlassen haben. Es kann dahinstehen, ob die von ihm behauptete mehrstündige Misshandlung durch Polizeikräfte als Minderjähriger bis zur Bewusstlosigkeit, um Informationen über die PKK zu erhalten, als Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland im Sinne von Art. 15 Lit b) der Richtlinie 2004/83/EG oder als ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG anzusehen wäre, weil diese Behauptung nicht glaubhaft ist.

Es ist Sache des Schutzsuchenden, die Gründe und Umstände seiner Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm Verfolgung droht. Die Verpflichtung zur Anerkennung eines Flüchtlings setzt voraus, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat (vgl. BVerwG, U. v. 16.04.1985, 9 C 109/84, BVerwGE 71, 180). Dabei kann es die besonderen Schwierigkeiten von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen bei der Sachverhaltsschilderung in Rechnung stellen (BVerwG, B. v. 21.07.1989, 9 B 239/89, NVwZ 1990, 171). Ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen kann jedoch auch unbeachtet bleiben (BVerfG, B. v. 29.11.1990, 2 BvR 1095/90, InfAuslR 1991, 94).

Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Klägers nicht gerecht. Er hat bei seiner Anhörung und in den gerichtlichen Verhandlungen jeweils eine Verhaftung geschildert, bei der er, nachdem sein Bruder ein Paket mit Sachen für die Guerillas bei ihm gefunden habe, bei einer Hausdurchsuchung verhaftet, zur Wache gebracht und bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert worden sei. Deshalb habe er etwa zwei Tage im Krankenhaus bleiben müssen. Für die Vorkommnisse wurden jedoch unterschiedliche Daten angegeben: Bei der Anhörung durch das Bundesamt der 3. oder 4. Januar 2002, in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht fünf bis sechs Monate vor der Ausreise, die nach den Angaben gegenüber dem Bundesamt und vor dem Oberverwaltungsgericht etwa Ende Januar 2002 erfolgte. In der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Kläger erklärt, vor der Verhaftung, die etwa 6 Monate vor seiner Abreise aus dem Heimatdorf stattgefunden habe, habe er selbst keine Probleme mit der Polizei gehabt, und hat die weiteren Ereignisse im Einzelnen geschildert. Danach kann ausgeschlossen werden, dass der Kläger zweimal verhaftet und gefoltert worden wäre. Der Kläger konnte die zwischen Juli 2001 und Januar 2002 variierenden Zeitangaben zu der Verhaftung auf Vorhalt vor dem Oberverwaltungsgericht nicht ausräumen. Sein dazu angebrachter Hinweis auf seinen kulturellen Hintergrund kann nicht überzeugen. Gerade von einem Hirten kann erwartet werden, dass er Sommer und Winter nicht in dieser Weise vermengt. Die differierenden Zeitangaben stellen auch keine isolierten Details dar, bezüglich derer ein Irrtum möglich erscheint, sondern stehen in Zusammenhang mit weiteren und ebenfalls unterschiedlichen Angaben des Klägers zu der Zeit zwischen der Verhaftung und seiner Flucht. Beim Bundesamt hat er auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, etwa 3 Tage, nachdem er das Krankenhaus verlassen habe, in das er aufgrund der Folter gebracht worden sei, hätten Polizisten Schafe der Familie erschossen und auch ihn selbst bedroht. Daraufhin sei sein Vater zur Wache gegangen und erst einige Stunden später wiedergekommen. Er habe telefoniert. Dann sei sein Onkel gekommen und habe den Kläger von zu Hause weg und über Elazig nach Istanbul gebracht. Demnach hätten zwischen seiner Verhaftung und der Flucht nur wenige Tage gelegen. Vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Kläger dagegen erklärt, er habe sich nach der Verhaftung abgehärtet gefühlt und für die kurdische Sache einsetzen wollen. Er habe seinen Vater gebeten, für ihn Kontakte zur Partei herzustellen. Der habe sich aber geweigert. Auch die Guerillas hätten von ihm keine Hilfe mehr gewollt. Er habe 4 bis 5 Monate weiter für die Familie in der Landwirtschaft gearbeitet.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt hat der Kläger erklärt, etwa 3 Tage nach dem Verlassen des Krankenhauses seien, als er mit den Schafen nach Hause gekommen sei, die Polizisten dort gewesen. Sie hätten vier Schafe getötet und ihn bedroht. Aus seinem weiteren Vortrag ergab sich, dass er sein Heimatdorf wenige Stunden oder Tage danach verlassen habe. In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger dagegen angegeben, er habe, nachdem die Polizei mehrere ihrer Tiere getötet habe, Kontakt zu den Guerilleros der PKK bekommen und hin und wieder Besorgungen für sie erledigt. Etwa fünf bis sechs Monate vor seiner Ausreise sei er dann verhaftet worden. Auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt hat der Kläger vor dem Oberverwaltungsgericht klargestellt, dass nur einmal, und zwar im Januar 2002, in seiner Anwesenheit Schafe erschossen worden seien. Auch die Tötung der Schafe hat der Kläger demnach zu verschiedenen Zeiten, beim Bundesamt und vor dem Oberverwaltungsgericht wenige Tage oder Stunden vor seiner Flucht aus dem Heimatdorf im Januar 2002, vor dem Verwaltungsgericht jedoch mehrere Monate vor seiner Ausreise beschrieben.

Schließlich hat der Senat in der Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Schilderungen des Klägers in wesentlichen Punkten nicht auf tatsächlichen Erlebnissen beruhen. Der Kläger wirkte bei der Schilderung des Foltergeschehens emotional wenig beteiligt. Entsprechendes ist auch in dem Gutachten vom 12.01.2008 festgestellt worden (S. 14).

Die vorgelegten Atteste ergeben entgegen der Argumentation des Klägers keinen ausreichenden Beleg für das behauptete Verfolgungsgeschehen. Der vom Gericht hinzugezogene Gutachter lässt die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers offen. Herr P. und R. haben zwar erklärt, dass sie den Kläger als glaubwürdig ansehen, wobei der Senat nicht verkennt, dass die Bescheinigungen R. auf eine langjährige Behandlung des Klägers zurückgehen. Letztlich beruhen die Angaben zur Glaubwürdigkeit jedoch auf Wertungen. Der Senat ist nach der ausführlichen Anhörung des Klägers unter Berücksichtigung der Aktenlage zu anderen Schlussfolgerungen gekommen und ist daran durch die erwähnten Bescheinigungen nicht gehindert.

3.

Dem Kläger droht in der Türkei keine beachtliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG. Für ihn besteht weder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit noch ist er als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt.

Angesichts des unglaubhaften Vortrages des Klägers sind für seine Gefährdung durch Nachstellungen der Sicherheitsbehörden aus individuellen Gründen keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Kläger hat auch keine fortdauernden Probleme seiner Familie berichtet, zu der er in telefonischem Kontakt steht. Als Angehöriger der Volksgruppe der Kurden ist der Kläger keiner relevanten Gefahr ausgesetzt. Eine allgemeine beachtliche Gefahr von Nachstellungen aus politischen Gründen für Kurden in der Türkei wurde vom Senat in ständiger Rechtsprechung, zuletzt im Urteil vom 22.03.2006 (2 A 303/04.A, juris), verneint. Er stimmt darin mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte überein (z. B. HessVGH, U.v. 18.01.2006, 6 UE 2777/03.A, juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 09.02.2006, A 12 S 1505/04, juris; OVG Niedersachsen, U.v. 18.07.2006, 11 LB 264/05, juris). Die neuere Auskunftslage (z. B. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Zur aktuellen Situation - Oktober 2007, Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25.10.2007) enthält keine Hinweise auf eine maßgebliche negative Veränderung der Verhältnisse.

Auch aus einer psychischen Erkrankung ergibt sich für den Kläger keine relevante Gefährdung.

Aus einer Krankheit kann sich ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG ergeben, wenn zu erwarten ist, dass eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr, also einer Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität führt. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, B.v. 24.05.2006, 1 B 118/05, InfAuslR 06, 485 m.w.N.). Diese Gefahr kann sich auch daraus ergeben, dass im Zielstaat der Abschiebung Behandlungsmöglichkeiten nicht existieren oder der Betroffene sie aus finanziellen oder anderen Gründen tatsächlich nicht ergreifen kann (BVerwG, U.v. 25.11.1997, 9 C 58/96, BVerwGE 105, 383; U.v. 29.10.2002, 1 C 1/02, DVBl 03, 463).

Konkret ist eine Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland einträte (BVerwG, B.v 24.05.2006, 1 B 118/05, InfAuslR 06, 485, juris Rn. 4 m.w.N.). Beherrschbare Übergangsprobleme, wie die Gefahr, dass es bei der Umstellung einer laufenden Behandlung zu Verzögerungen kommt, oder Schwierigkeiten des Patienten, erforderliche und tatsächlich erreichbare Hilfen rechtzeitig in Anspruch zu nehmen, bilden insofern kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, sondern sind von der Ausländerbehörde bei der konkreten Durchführung der Abschiebung zu berücksichtigen und zu minimieren (BVerwG, U.v. 29.10.2002, 1 C 1/02, DVBl 2003, 463, juris Rn. 10).

Diese Rechtsprechung wird auch durch einen Blick auf § 23 Abs. 3 Satz 2 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) bestätigt, nach dem Ausländer die zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sind, Hilfe bei Krankheit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden soll. Die Vorschrift soll die Sozialhilfe von Ansprüchen auf humanitäre Hilfen freihalten (BT-Drs. 12/4451, S. 11 zum früheren § 120 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz). Sie differenziert nicht danach, ob die Behandlung im Heimatland eines Ausländers realisiert werden kann; Gesundheitsbeeinträchtigungen, die nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII nicht versorgt werden sollen, bleiben also potentiell unversorgt. § 60 Abs. 7 AuslG kann schwerlich so ausgelegt werden, dass die gesetzliche Anweisung an die Sozialbehörde, insofern regelmäßig keine Hilfe zu leisten, zu einem Bleiberecht für die Betroffenen führen kann. Vielmehr spricht viel dafür, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen, die nach § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII nicht versorgt werden sollen, auch kein Abschiebungshindernis darstellen können.

Der Kläger erhält derzeit keine Medikamente und wird nicht regelmäßig psychiatrisch behandelt. Er nimmt monatlich an einer Kunsttherapie bei R. teil. Schon diese geringe Behandlungsintensität belegt, dass der Kläger derzeit nicht psychisch schwer krank ist. Darum bedarf es besonderer Anhaltspunkte, um davon ausgehen zu müssen, dass eine Rückkehr in die Türkei für ihn aus gesundheitlichen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führen könnte.

Auf der Grundlage des vom Senat eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. H. lassen sich solche besonderen Anhaltspunkte, die eine beachtliche Rückkehrgefährdung auslösen könnten, nicht feststellen. Es erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern könnte. Die bei dem Kläger beschriebenen und beobachteten Befindlichkeits- und Verhaltensstörungen sind nach dem Gutachten am ehesten als Ausdruck einer emotional instabilen Persönlichkeit in Verbindung mit einer so genannten Anpassungsstörung an schwierige Lebensbedingungen einzuordnen. Es sei davon auszugehen, dass sein Befinden sich bei einer erzwungenen Rückkehr in die Türkei verschlechtere, weil sie sich als Scheitern seiner Bemühungen in Deutschland Fuß zu fassen darstelle und vermutlich auch von seiner Familie so wahrgenommen werde. Deshalb sei mit einer deutlichen Zunahme einer ängstlich depressiven Symptomatik, Schlafstörungen und weiteren psychosomatischen Beschwerden wie Schmerzen zu rechnen. Der Kläger wirke angesichts des eher als leicht einzuschätzenden Ausprägungsgrades der jetzt feststellbaren psychischen Störungen aber durchaus in der Lage, sich mit schwierigen und fremden Lebenssituationen auseinanderzusetzen und sich darin zurechtzufinden. Insofern sei nicht von Bedeutung, ob er in sein Heimatdorf oder einen anderen Ort in der Türkei zieht. Er sei auch in der Lage, psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Dieses Gutachten ist nachvollziehbar und überzeugt auch angesichts der vom Kläger daran geäußerten Kritik. Der Gutachter hat seine Feststellungen in der mündlichen Verhandlung am 05.03.2008 nachvollziehbar und überzeugend erläutert und sich auch mit den Einwänden des Klägers auseinandergesetzt. Dabei hat er dargelegt, dass er über umfangreiche Erfahrung in dem angesprochenen Wissensgebiet verfügt, sein Gutachten auf einer belastbaren Befunderhebung beruht und aus welchen Gründen er die Diagnose einer posttraumatische Belastungsstörung abgelehnt hat. Der Diskrepanz zwischen dem Gutachten und den vom Kläger zuvor beigebrachten Attesten und Stellungnahmen Herrn P. und von R. wurde im schriftlichen Gutachten überzeugend nachgegangen (S. 16 ff.). Die fehlerhafte Zuordnung des Geburtsortes des Klägers zur Westtürkei hatte ersichtlich keinen Einfluss auf das Gutachtenergebnis. Die vom Gutachter aufgeworfene Frage nach einer angemessenen Anstrengung und Mühegabe des Klägers ist angesichts der Dokumentation seines früheren Betreuers und der Angaben des Klägers zu seiner beruflichen Situation in der Verhandlung am 24.10.2007 nachvollziehbar.

Die Stellungnahme der Kunsttherapeutin K. von R. vom 11.02.2008 zu dem Gutachten ist nicht geeignet, dieses in Zweifel zu ziehen, auch wenn die Kunsttherapeutin den Kläger über einen längeren Zeitraum therapiert haben mag. Der vom Gericht beauftragte Gutachter hat seine Diagnose angesichts der nachgereichten Stellungnahme der Therapeutin des Klägers aufrechterhalten und betont, dass darin beschriebene Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung der Kriteriengruppen B (Wiedererleben) und D (Erregung) des diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM IV) zum Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers durch ihn selbst nicht feststellbar waren. Der vom Gericht hinzugezogene Gutachter verfügt nach seinen Ausführungen in der Verhandlung über umfangreiche Erfahrung auf dem Gebiet der Psychologie und Psychotherapie im Allgemeinen und der posttraumatischen Belastungsstörungen im Besonderen. Er ist an der Medizinischen Hochschule Hannover von einem der Pioniere der Erforschung posttraumatischer Belastungsstörungen in Deutschland ausgebildet worden. Der Gutachter leitet heute das Zentrum für Psychologie und Psychotherapie einer dem Gericht bekannten großen und renommierten Klinik. Der Gutachter verantwortet nach seinen Angaben persönlich laufend zahlreiche Gutachten, insbesondere auch zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Der Senat misst darum der Aussage des Gutachters, er habe bestimmte Symptome bei dem Kläger nicht feststellen können, größeres Gewicht zu als der daraufhin schriftlich aufgestellten Behauptung der Kunsttherapeutin des Klägers, sie habe diese Symptome beobachtet, die die Therapeutin in früheren Stellungnahmen gar nicht erwähnt hatte.

Wegen des überzeugenden Gutachtens von Prof. Dr. H. hat der Senat keine Veranlassung, den Beweisanträgen Nr. 1., 2. oder 6. des Klägers nachzukommen. Die Krankheit des Klägers und ihre Ursachen, die Auswirkungen einer Rückkehr des Klägers in den Sprach- und Kulturraum Türkei und seine Möglichkeiten, sich dort behandeln zu lassen, sind durch das Gutachten Prof. Dr. H. hinreichend geklärt worden und bedürfen keiner weiteren Nachforschungen. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die vom Kläger vorgeschlagene Gutachtenstelle insofern über weitergehende Erkenntnismöglichkeiten verfügte. Hinsichtlich des Beweisantrages Nr. 6 fehlt es an jedem Hinweis darauf, dass der Kläger gerade die von ihm monatlich besuchte Kunsttherapie fortführen müsste, um eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu verhindern. Das eingeholte Gutachten basiert ersichtlich nicht auf der Annahme, dass dem Kläger in der Türkei diese Therapieform zur Verfügung stünde, sondern lediglich auf der vom Gericht im Schreiben vom 14.11.2007 herausgestellten Möglichkeit, psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Auch hinsichtlich der im Beweisantrag Nr. 2 angesprochenen Konfrontation des Klägers mit türkischen Sicherheitskräften besteht für den Senat kein weiterer Aufklärungsbedarf. Wie bereits dargelegt, hat der Kläger den Senat nicht davon zu überzeugen vermocht, dass er die Türkei aufgrund einer solchen Konfrontation verlassen hat. Er hat auch nicht etwa über anhaltende Beeinträchtigungen seiner Familie durch die Sicherheitskräfte berichtet, obwohl er in telefonischem Kontakt zu ihr steht. Nach den Erläuterungen des Gutachters in der Verhandlung sieht dieser keine Hinweise auf krankheitswerte Reaktionen des Klägers auf Konflikte mit den türkischen Sicherheitskräften oder eine besondere krankhafte Empfindlichkeit bei ihm.

Bei Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere der geringen Intensität der Behandlung des Klägers in Deutschland und der Feststellung des Gutachters, dass er an keiner posttraumatischen Belastungsstörung leidet, sondern am ehesten eine emotional instabile Persönlichkeit in Verbindung mit einer so genannten Anpassungsstörung an schwierige Lebensbedingungen zum Ausdruck bringt, ist nicht erkennbar, dass eine Rückkehr in die Türkei für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen und konkreten Gesundheitsgefährdung führen könnte. Nach dem Gutachten ist bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei mit einer in ihrem Ausprägungsgrad schwer abschätzbaren Verschlechterung der Symptomatik zu rechnen, zumindest sei eine solche nicht auszuschließen. Insgesamt wirke der Kläger jedoch hinreichend stabil, sich aus eigener Kraft und eventuell mit Unterstützung der Familie mit seinen Problemen auseinanderzusetzen und gegebenenfalls auch in der Türkei Hilfe zu finden. Diese Prognose ergibt schon keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach seiner Rückkehr in die Türkei wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtert und er deshalb einer Behandlung bedarf, sodass es auf die Behandlungsmöglichkeiten des Klägers in der Türkei nicht ankommt.

4.

Unabhängig davon steht dem Kläger die von dem Gutachter angeführte Möglichkeit, in der Türkei psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können, ausweislich der in das Verfahren eingeführten Gutachten und Stellungnahmen faktisch zur Verfügung.

Der 20 Jahre alte Kläger hat bis 2002 in der Provinz Elazig, Kreis Kovancilar in der Gemeinde Okcular gelebt. Dort und in Elazig wohnen seine Eltern und Geschwister. Die Familie betreibt Landwirtschaft. Nach dem eingeholten Gutachten ist der Kläger von seiner psychischen Konstitution her auch in der Lage, sich an einem anderen Ort in der Türkei zurechtzufinden.

Zur Gesundheitsversorgung in der Türkei sind folgende Auskünfte relevant:

Dr. P von der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) hat in einer Stellungnahme vom 11.11.2001 erklärt, zwar könnten in der Türkei alle Krankheiten adäquat diagnostiziert und behandelt werden, die gute Medizin sei jedoch für kurdische Flüchtlinge unerreichbar. An staatlichen Krankenhäusern könne bestenfalls eine stationäre Behandlung bzw. Krisenintervention durch Ruhigstellen durchgeführt werden. Personen ohne Einkommen und Vermögen hingen vom Erhalt der Grünen Karte ab, die viele nicht erhielten, weil sie sich nicht zu den zuständigen Behörden trauten.

Nach einer Stellungnahme des Generalkonsulats der Deutschen Botschaft in Istanbul vom 16.07.2003 sind keine Dauereinrichtungen für psychisch kranke Erwachsene wie offene oder geschlossene Psychiatrien, Wohnheime im geschützten Raum oder betreute Wohneinheiten vorhanden. Soweit kein Daueraufenthalt in einer psychiatrischen Klinik notwendig ist, sei die Betreuung psychisch kranker Menschen in den Groß- und Provinzstädten der Türkei anscheinend sichergestellt, nicht jedoch ihre persönliche, sozialpädagogische oder psychosoziale Betreuung und/oder Rehabilitation bzw. Unterstützung ihrer Familien. Psychisch Kranke ohne ausreichende Privatversicherung seien von den Zentraleinrichtungen des staatlichen Gesundheitswesens oder des Sozialversicherungssystems abhängig. Auch das Gesundheitsministerium bestätige, dass die rein medizinische Versorgung von Behinderten und psychisch Kranken gesichert sei, weiterführende Therapien aus fachlichen und finanziellen Gründen im Allgemeinen jedoch nicht angeboten werden könnten. Anschlusstherapien von aus Deutschland zurückkehrenden Patienten müssten -schon aufgrund der unterschiedlichen Behandlungskonzepte- ausgeschlossen werden. Die Zentralkrankenhäuser, deren Anzahl je Provinz variiere, müssten als Gründungsvoraussetzung eine neurologische und psychiatrische Abteilung führen. Landesweit unterhalte das Gesundheitsministerium fünf Fachkliniken für Psychiatrie. 137 Krankenhäuser in 68 Städten seien berechtigt, Gesundheitszeugnisse über Behinderte auszustellen, sodass davon auszugehen sei, dass nicht in allen Provinzen des Landes (nach dem Lagebericht des AA vom 25.10.2007, S. 9 gibt es 81) fachärztliche Kompetenz zur Verfügung stehe.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beschreibt in ihrer Stellungnahme "Die medizinische Versorgungslage in der Türkei" vom 13.08.2003 große regionale Unterschiede in der Qualität der medizinischen Versorgung. In den Großstädten der Westtürkei befänden sich gut ausgerüstete Spitäler. Hier seien Gesundheitseinrichtungen auf allen Ebenen, teilweise auch auf westlichem Niveau vorhanden. Die südöstlichen Landesteile seien schlechter versorgt. In Elazig befinde sich eine der landesweit fünf auf psychische Erkrankungen spezialisierten Kliniken des Gesundheitsministeriums. Eine rein medikamentöse Versorgung psychisch kranker Menschen gelte als gesichert. Weiterführende Psychotherapien könnten aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht angeboten werden. Für die Vergabe der Grünen Karte gebe es keine eindeutigen Kriterien. Es komme zu Benachteiligungen aus politischen Gründen. Die Karte berechtige zur Behandlung in Gesundheitszentren und an staatlichen Krankenhäusern. Diese böten jedoch nur eine unzureichende Basisversorgung. Mehrere Universitätskliniken lehnten Patienten mit einer Grünen Karte ab.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen A O vom 23.05.2005 berechtigt die Grüne Karte zu stationärer und sonstiger Behandlung, Untersuchung, Diagnose, und Versorgung auch mit Medikamenten in den Krankenhäusern in der Türkei. Anträge würden öfters nur aus politischen Gründen abgelehnt. Mit einer Grünen Karte könne man auch eine psychologische Behandlung erhalten. In Elazig gäbe es ein auf die Behandlung psychischer Leiden spezialisiertes Krankenhaus.

Der Sachverständige S K erklärt in seiner Stellungnahme vom 29.05.2005, es gebe in der Südosttürkei nur sehr wenige Ärzte mit Zusatzausbildung in Psychotherapie, eine Psychotherapie sei beispielsweise an den Universitätskliniken in Malatya und Diyarbakir möglich. Am Krankenhaus in Elazig seien Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie tätig. Eine Grüne Karte könne erhalten, wer über kein Vermögen und Einkommen in Höhe von weniger als einem Drittel des Mindestlohnes verfügt. Über 8,5 Millionen Türken hätten eine solche Karte, es komme aber immer wieder zu Beschwerden über willkürliche Zuteilungsentscheidungen. Der Gesundheits- und Sozialhilfefonds übernehme die von der Grünen Karte generell nicht abgedeckten Medikamentenkosten nur in Notfällen und nicht auf Dauer.

Nach den "Erkenntnissen des Bundesamtes" vom November 2005 berechtigt die Grüne Karte ab dem 01.01.2005 auch zum kostenlosen Bezug notwendiger Medikamente. Aufgrund der dadurch ausgelösten Kostensteigerung sei im Mai 2005 eine 20%ige Eigenbeteiligung der Patienten eingeführt worden.

Die IPPNW gibt in einem Statement zu den Behandlungsmöglichkeiten für Gefolterte und Traumatisierte und den Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Türkei vom Januar 2006 Angaben des Vorsitzenden der Türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV sowie eines an deren Zentrum in Izmir tätigen Psychiaters wieder. Die Grüne Karte berechtige zur Behandlung in Gesundheitsstationen, staatlichen Krankenhäusern und bei Überweisung auch den meisten Universitätskliniken. Seit einem Jahr decke sie auch die Medikamentenkosten. Im Südosten erhielten jedoch etwa 70% der Antragsteller unter bürokratischen Vorwänden keine Karte, ohne dass das wie gesetzlich vorgeschrieben begründet werde.

Amnesty international erklärt in einer Stellungnahme vom 04.04.2006, die Grüne Karte berechtige zu kostenloser ambulanter und stationärer Behandlung in staatlichen Krankenhäusern und Kostenübernahme für lebensnotwendige Medikamente. Da die Regelungen über die Grüne Karte psychische Behandlungen nicht erwähnten und generell auf eine Minimalversorgung ausgerichtet seien, sei davon auszugehen, dass sie wohl eine medikamentöse Behandlung in schweren psychotischen Krisen, jedoch keine längere psychotherapeutische Behandlung abdeckten. Der Erhalt der Grünen Karte setze Nachweise über die Mittellosigkeit voraus, die von den Gendarmerie- und Polizeistationen am Geburtsort erstellt werden müssten, was den Betroffenen aufgrund deren negativer Erfahrungen und bürokratischer Hindernisse oft nicht möglich sei. Es lägen auch verschiedene Berichte über Ablehnungen aus politischen Gründen vor.

Der Sachverständige H O stellt unter dem 10.01.2007 fest, die Grüne Karte werde verbreitet ausgestellt, nach mehreren Presseberichten werde sie Antragstellern im Einzelfall jedoch aus politischen Gründen verweigert. Anfang 2007 habe ein Gesetz zur Reform des Gesundheitswesens in Kraft treten sollen, nach dem Inhaber der Grünen Karte Versicherten gleichgestellt und auch von Medikamentenkosten freigestellt werden sollten. Viele Teile dieses Gesetzes seien jedoch vom Verfassungsgericht aufgehoben worden, sodass es insgesamt überarbeitet werden müsse, bevor es in Kraft treten könne. Darum herrsche bezüglich der Übernahme von Medikamentenkosten derzeit Rechtsunsicherheit.

Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 25.10.2007 (S. 36 f., Anlage) erklärt, psychische Erkrankungen könnten grundsätzlich türkeiweit medizinisch versorgt und behandelt werden. Das Gesundheitssystem der Türkei eröffne psychisch kranken Menschen umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Psychische Erkrankungen könnten in der Türkei in allen Krankenhäusern, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen, behandelt werden. Es dominiere eine krankenhausorientierte Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter (Tageskliniken und/oder -stätten) und komplementärer Versorgungsangebote (z. B. Beratungsstellen, Kontaktbüros, betreutes Wohnen etc). Weiterführende Therapien könnten aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Zu den Behandlungskonzepten zählten Therapien, wie sie auch in Westeuropa üblich seien, u. a. Psychotherapie. Der staatlichen Aufsicht unterstünden 444 private Rehabilitationszentren für psychisch Kranke. Während private Einrichtungen in jeder Hinsicht EU- Standards entsprächen, gelte das nicht immer für öffentliche Krankenhäuser. Vor allem auf dem Land seien erhebliche Defizite festzustellen. Bei der Behandlung psychischer Erkrankungen sei ein ständig steigender Standard festzustellen. Mittellose Patienten könnten eine Grüne Karte beantragen, die sie aufgrund eines neu geregelten Prüfungsverfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen heute erheblich schneller erhielten als zuvor. Notfallbehandlungen würden auch vor der Erteilung übernommen. Auch bestehe die Möglichkeit einer Kostenübernahmeerklärung deutscher Stellen. Die Karte eröffne seit 2004 grundsätzlich Zugang zu allen Formen medizinischer Versorgung und ermögliche den Bezug von Medikamenten in allen Apotheken. Nicht abgedeckte Kosten würden teils von örtlichen Solidaritätsfonds übernommen. Inhaber der Grünen Karte hätten grundsätzlich Zugang zu allen Formen der Versorgung psychisch Kranker.

Nach der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 29.01.2008 können sich mittellose Patienten in der Türkei auch an Universitätskliniken und staatlichen Lehrkrankenhäusern behandeln lassen.

Sollte der Kläger sich zu einer Rückkehr zu seinen Eltern entschließen, könnte er demnach in etwa 90 km Entfernung (überwiegend auf einer Fernstraße) in Elazig ein auf psychische Erkrankungen spezialisiertes staatliches Krankenhaus erreichen. Eine psychotherapeutische Behandlung könnte der Kläger im etwa 200 km von seinem Heimatort entfernten Malatya oder im 260 km entfernten Diyarbakir durchführen. Beide Behandlungsformen könnte er auch in vielen anderen Orten, insbesondere in der Westtürkei wahrnehmen.

Diese Möglichkeiten bestünden auch im Fall seiner Mittellosigkeit. Diese eröffnete dem Kläger einen Anspruch auf eine Grüne Karte. Die Auskunftslage ergibt keine allgemeine beachtliche Gefahr, dass einem Berechtigten eine Grüne Karte trotz bestehender Voraussetzungen dauerhaft verweigert würde. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (13.08.2003), amnesty international (04.04.2006) sowie die Sachverständigen K (29.05.2005) und O (10.01.2007) berichten einerseits über mehrere Millionen erteilter Grüner Karten, andererseits über Einzelfälle einer unberechtigten Verweigerung aus politischen Gründen. Eine verbreitete Praxis der Ablehnung von Anträgen auf Grüne Karten berichtet allein der Vorsitzende der TIHV (IPPNW, Januar 2006), der für die Osttürkei eine Ablehnungsquote von 70% nennt. Auch daraus ergibt sich indes keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass einem eigentlich Berechtigten eine Grüne Karte verweigert wird. Der Vorsitzende gibt als Gründe für Ablehnungen nicht nur politische Motive an, sondern auch bürokratische Hemmnisse wie fehlende Registrierungen im Personenstandsregister und ungeklärte Grundeigentumsverhältnisse. Darum kann aus der genannten hohen Quote an Ablehnungen nicht abgeleitet werden, dass diese überwiegend zu Unrecht ausgesprochen würden. Die im Vergleich zu anderen Krankenversicherungssystemen attraktiven Konditionen führen nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (November 2005) zu Fälschungen und Missbrauch von Grünen Karten; es kann also auch berechtigter Anlass zur Kontrolle bestehen. Hinsichtlich des Einwandes der bürokratischen Hemmnisse ist das nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.10.2007 nunmehr stark vereinfachte Erteilungsverfahren zu beachten. Eine Notfallbehandlung wäre schließlich auch vor der Erteilung einer Grünen Karte möglich, gegebenenfalls auch aufgrund einer Kostenübernahmeerklärung deutscher Behörden. Angesichts dieser Auskunftslage besteht kein Anlass, dem Beweisantrag Nr. 4. des Klägers nachzukommen und zu seinen Möglichkeiten, eine Grüne Karte zu erhalten, ein weiteres Gutachten einzuholen.

Es ist auch nichts dafür erkennbar, dass der Kläger aus individuellen Gründen besondere Schwierigkeiten hätte, eine Grüne Karte zu erhalten. Er ist nicht als Regimegegner hervorgetreten und hat nichts über aktuelle Probleme seiner Familie mit staatlichen Behörden berichtet. Nach dem eingeholten Gutachten ist auch nicht erkennbar, dass er die bürokratischen Hürden vor der Erteilung einer Grünen Karte aufgrund seiner psychischen Konstitution nicht überwinden könnte.

Eine Grüne Karte würde eine Behandlung in einer staatlichen psychiatrischen Klinik abdecken, wie sie in Elazig besteht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, 13.08.2003; Osman, 23.05.2005; IPPNW, Januar 2006). Seit Januar 2007 ermöglicht sie auch eine Behandlung an einer der seither dem Gesundheitsministerium unterstellten Universitätskliniken (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.01.2007, S. 51; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29.01.2008), wie sie in Malatya und Diyarbakir auch psychotherapeutische Behandlungen anbieten (K, 29.05.2005). Auf die im Beweisantrag Nr. 3 des Klägers angesprochene Behandlungsmöglichkeit in einer Privatklinik kommt es darum nicht an. Zu den im Beweisantrag Nr. 5. angesprochenen von der Grünen Karte abgedeckten Behandlungsformen liegen genügend Auskünfte, auch von amnesty international, vor. Nach dem in diesem Verfahren eingeholten Gutachten spricht nichts dafür, dass der Kläger auf darüber hinaus gehende Therapien angewiesen sein könnte. Auf die im Beweisantrag Nr. 7 angesprochenen Behandlungsmöglichkeiten der Menschenrechtsstiftung der Türkei TIHV für Folteropfer kommt es nicht an, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger ein solches Opfer ist.

Die Feststellung des Senats, dass psychische Erkrankungen in der Türkei grundsätzlich behandelt werden können und eine notwendige Behandlung auch von mittellosen Patienten realisiert werden kann, stimmt mit der jüngeren Rechtsprechung anderer Obergerichte überein (OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 18.01.2005, 8 A 1242/03.A; Bayerischer VGH, U.v. 07.06.2005, 11 B 02.31096, beide juris; OVG Saarland, U.v. 01.09.2005, 2 R 1/05).

Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine erforderliche Behandlung des Klägers durch eine anstehende Einziehung zum Militärdienst gefährdet würde, da er seine Krankheit bei der in der Türkei bei Wehrpflichtigen durchgeführten Musterung (vgl. K, Gutachten vom 20.07.2004) geltend machen könnte. Die Militärführung beschäftigt Psychologen und ist bemüht, Folgeprobleme psychischer Erkrankungen zu vermeiden. Soldaten mit psychischen Auffälligkeiten werden nach Mitteilung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sofort behandelt (Türkei - Zur aktuellen Situation Juni 2003, S. 39). Angesichts dieser Auskünfte besteht kein Anlass, dem Beweisantrag Nr. 8. zu den Behandlungsmöglichkeiten des Klägers während eines Militärdienstes nachzukommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

Der Gegenstandswert wird für das Berufungsverfahren auf 1.500,- € festgesetzt (§ 30 Satz 1 RVG).

Ende der Entscheidung

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