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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: 2 A 341/03
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 35 Abs. 1
Zur Erforderlichkeit der Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens im Dienstunfallrecht (Einzelfall).
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen OVG: 2 A 341/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Nokel und Richter Dr. Grundmann am 11.02.2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 03.07.2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 2. Kammer - wird abgelehnt.

Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Unfallausgleich.

Sie ist beim Finanzamt Bremen-Ost der Freien Hansestadt Bremen als Obersteuersekretärin tätig.

Am ....1998 wollte sie nach Dienstschluss die Tür ihres Personenkraftwagens öffnen. Sie rutschte dabei mit dem Daumen der rechten Hand ab und der Daumen knickte mehrfach um. Die Beklagte erkannte den Unfall als Dienstunfall an.

Im Oktober 1998 beantragte die Klägerin die Gewährung von Unfallausgleich. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 30.10.1998 ab und wies den gegen diese Entscheidung eingelegten Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26.10.1999 als unbegründet zurück.

Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben.

Außerdem hat die Klägerin vor dem Landgericht Bremen im Dezember 2000 eine Klage gegen ... und einen sie nach dem Unfall behandelnden Arzt erhoben und Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Behandlung der Unfallfolgen geltend gemacht. Dieser Rechtsstreit wurde im Juli 2003 durch Vergleich - wonach die Beklagten als Gesamtschuldner an die Klägerin 4.500,00 Euro zu zahlen haben - beendet (vgl. LG Bremen, Az. 3-O-2652/00).

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 03.07.2003 abgewiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin und beantragt die Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

1.

Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, daß die Entscheidung des Verwaltungsgerichts einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Ein darauf gestützter Antrag muß sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifel begegnen und warum diese Zweifel eine andere Entscheidung wahrscheinlich machen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28.02.2002 - 2 A 413/01 -, 12.12.2002 - 2 A 357/02 - und 19.12.2002 - 2 A 362/03 -; ebenso die Rechtsprechung des 1. Senats OVG Bremen, vgl. u. a. B. v. 14.12.2000 - 1 A 341/99 -).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne zeigt der Kläger in der Zulassungsschrift nicht auf.

a)

Die Klägerin wendet sich zunächst dagegen, dass das Verwaltungsgericht - unter Hinweis auf das Verfahren vor dem Landgericht - ausgeführt habe, es sei bereits zweifelhaft, ob der Unfall vom ....1998 kausal für die Gesundheitsschäden der Klägerin sei. Die Klägerin habe vor dem Landgericht geltend gemacht, die noch vorliegenden Beschwerden seien durch eine ärztliche Fehlbehandlung verursacht.

Das diesbezügliche Vorbringen im Zulassungsantrag kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil die Frage, ob eine Fehlbehandlung vorgelegen hat, ausdrücklich offen gelassen hat. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, auch wenn eine fachgerechte Behandlung der Klägerin unterstellt werde, gebe es keine Anhaltspunkte für eine dienstunfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 20 % und damit für einen Anspruch auf Unfallausgleich (Seite 8 des Urteils).

b)

Auch soweit die Klägerin ausführt, dass und weshalb nach ihrer Auffassung die vorhandenen Beschwerden eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) rechtfertigten, die über 25 % liege, sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht dargelegt.

Im Fall der Klägerin ist eine Vielzahl von ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen eingeholt worden. In mehreren dieser Gutachten wird zum Grad der MdE ausdrücklich Stellung genommen. So hat das Gesundheitsamt Bremen nach fachorthopädischer Untersuchung der Klägerin in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 21.10.1998 (Dr. ...) u. a. ausgeführt, die unfallbedingte MdE werde aufgrund der Unfallfolgen auf 20 % geschätzt.

Am 25.05.1999 ist die Klägerin - im Rahmen des Widerspruchsverfahrens - beim Gesundheitsamt erneut fachärztlich orthopädisch untersucht worden. Nach der darüber gefertigten amtsärztlichen Stellungnahme vom 12.08.1999 (Dr. ...) ist im Vergleich zur Voruntersuchung am 20.10.1998 keine wesentliche Änderung eingetreten.

Das Verwaltungsgericht hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Beschluss vom 13.09.2001 Beweis erhoben zu der Frage, ob das bei der Klägerin bestehende HWS- und Schulter-Arm-Syndrom als Folge des Dienstunfalls vom 09.04.1998 anzusehen ist und wie sich der auf diesen Dienstunfall zurückzuführende Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der Schmerzen der Klägerin bemisst durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen und Facharztes für Orthopädie Dr. ...

Dr. ... kommt in seinem daraufhin erstellten Gutachten vom 28.12.2001 zu dem Ergebnis, dass sich ein HWS- und Schulter-Arm-Syndrom bei der vorgenommenen Untersuchung nicht habe feststellen lassen, so dass sich die Frage eines Zusammenhangs mit den Unfallfolgen nicht stelle (Seite 12 des Gutachtens).

Eine Änderung der MdE in der bisher anerkannten Höhe von 20 % könne aufgrund des jetzt festgestellten Befundes der Unfallfolgen nicht vorgenommen werden.

Das von Herrn Dr. ... zum zivilgerichtlichen Verfahren gefertigte Gutachten vom 21.06.2002, auf das die Klägerin in der Zulassungsschrift ausdrücklich Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht Herrn Dr. ... vor dessen Anhörung zugeleitet. Dr. ... ist auch unter Berücksichtigung dieses Gutachtens bei seinen Bewertungen geblieben.

Darüber hinaus ist - nach dem Vorbringen im Zulassungsverfahren - auch nicht zu erkennen, dass bei einer Zugrundelegung der Bewertungen von Dr. ... an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel bestehen. Das Verwaltungsgericht hat selbst in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2002 darauf hingewiesen, dass es zu einem für die Klägerin positiven Ergebnis auch nicht kommen würde, wenn von den Bewertungen des Gutachters Dr. ... uneingeschränkt auszugehen wäre. Dr. ... lasse es (nämlich) offen, welches die Ursache für die von ihm angenommene Reflexdystrophie sei (vgl. Seite 5 des Protokolls der Sitzung vom 19.09.2002; Reflexdystrophie ist eine schmerzhafte Erkrankung einer Gliedmaße infolge Verletzungen, operativen Eingriffen oder Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems). Das entspricht dem Inhalt des Gutachtens des Dr. ... vom 21.06.2002. Im Übrigen hat Dr. ... seine Einschätzung - worauf das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend hinweist (vgl. Seite 9 des Urteils) - in einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.03.2003 relativiert. Dort heißt es abschließend, ob einmal eine Reflexdystrophie vorgelegen hat, ist m. E. nicht mehr zweifelsfrei zu belegen oder zu widerlegen, jedoch ist eine klassische Reflexdystrophie "nach Durchsicht aller nun vorliegenden Befunde wohl eher unwahrscheinlich" (Seite 9 der Stellungnahme vom 17.03.2003).

Das Verwaltungsgericht ist unter Berücksichtigung aller ihm vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen zu der Schlussfolgerung gekommen, dass keine dienstunfallbedingten Gesundheitsstörungen vorliegen, die über den Bereich des rechten Daumens hinausgehen. Auch dem Gutachten des Dr. ... vom 21.06.2002 sei nicht zu entnehmen, dass dieser von einer Ursächlichkeit des Dienstunfalls für ein bei der Klägerin bestehendes HWS- und Schulter-Arm-Syndrom ausgehe. Kein Gutachter vertrete die Meinung, bei der Klägerin liege derzeit eine chronische Reflexdystrophie vor.

Dass diese vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auswertung der Gutachten rechtsfehlerhaft und die Einholung eines weiteren Gutachtens, ggf. eines Neurochirurgen geboten ist, zeigt die Klägerin nicht substantiiert auf und dies auch sonst nicht zu erkennen. Der pauschale Angriff, Dr. ... sei "offensichtlich nicht in der Lage, die Beschwerden zu erkennen bzw. zu beurteilen", wird dem von Herrn Dr. ... gefertigten Gutachten vom 28.12.2001 nicht gerecht, in dem auch von der Klägerin angegebene starke Schmerzen festgehalten und bewertet worden sind (vgl. Seite 3 und 12 des Gutachtens). Bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht hat Dr. ... auch (schon) zu der Frage Stellung genommen, ob das Krankheitsbild der Klägerin nicht eher von Neurologen zu beurteilen sei. Er hat dies verneint und erklärt, es handele sich um eine Krankheit, die jedem Chirurgen und jedem Orthopäden geläufig sei. Die Orthopädie befasse sich gerade mit den Erkrankungen der Bewegungsorgane und müsse sich deswegen notwendigerweise mit der Symptomatik der Reflexdystrophie auseinandersetzen (vgl. Seite 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2002). Dagegen hat die Klägerin substantiiert nichts vorgebracht.

Bezüglich der Höhe der MdE ist das Verwaltungsgericht der Einschätzung der Amtsärztin und des Dr. ... gefolgt. Es hat dazu ausgeführt, Dr. ... habe ausdrücklich auch die von der Klägerin geklagten Schmerzen in seine Beurteilung einbezogen. Ärztliche Stellungnahmen, denen zufolge eine höhere MdE anzusetzen wäre, lägen nicht vor (Seite 9 f. des Urteils). In der Zulassungsschrift werden substantiiert keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die diese Wertung des Verwaltungsgerichts als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen könnten. Soweit auf das Gutachten des Dr. ... vom 21.06.2002 verwiesen wird, bleibt außer acht, dass dieser seine Einschätzung durch die Stellungnahme vom 17.03.2003 relativiert hat und nach dieser Stellungnahme nicht mit der erforderlichen Gewissheit angenommen werden kann, dass die Klägerin nach Einschätzung von Dr. ... dienstunfallbedingt Beschwerden hat, die über den Bereich des rechten Daumens hinausgehen. In der Stellungnahme vom 17.03.2003 heißt es u. a.: "Ob es sich um eine klassische Reflexdystrophie, die auch als klassisches Sudeck-Syndrom bezeichnet wird, handelt, ist eher auszuschließen, da es sich um Beschwerden allein im Bereich des Daumenstrahls handelt".

Die in der Zulassungsschrift dargestellten, nicht unerheblichen Schmerzen der Klägerin im Daumenbereich sind bei der Festlegung einer MdE in Höhe von 20 % nicht unberücksichtigt geblieben, wie das Verwaltungsgericht am Ende der Entscheidungsgründe nachvollziehbar ausgeführt hat.

2.

Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Für den Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nach der Rechtsprechung des Senats erforderlich, dass die Rechtssache hinsichtlich der aufgeworfenen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen signifikant vom Spektrum der verwaltungsgerichtlichen Verfahren abweicht (vgl. Senatsbeschluss vom 12.12.2002 - 2 A 357/02 - m.w.N.).

Dass tatsächliche Schwierigkeiten in entscheidungserheblichen Punkten auch bei Berücksichtigung der vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen fortbestehen, zeigt die Zulassungsschrift nicht auf.

Der Senat beschränkt sich auf diese Begründung (§ 124 a Abs. 5 S. 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.



Ende der Entscheidung

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