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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: OVG 1 A 251/01
Rechtsgebiete: BauGB, BremLBO, BGB


Vorschriften:

BauGB § 30 Abs 1 520
BremLBO § 4 Abs. 1
BremLBO § 72
BGB § 917 Abs. 1
Ein Notwegerecht ist grundsätzlich nicht geeignet, das bauplanungsrechtliche Erfordernis einer gesicherten Erschließung zu erfüllen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann sich nur in besonders gelagerten Einzelfällen unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ergeben.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

OVG 1 A 251/01

Im Namen des Volkes! Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy sowie die ehrenamtlichen Richter und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 31.01.2001 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Bauordnungsamts vom 17.07.1996 und des Widerspruchsbescheids des Senators für Bau und Umwelt vom 09.05.2000 verpflichtet, den Bauantrag des Klägers unter Beachtung der

Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beigeladenen und die Beklagte tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die übrigen Kosten tragen die Beigeladenen als Gesamtschuldner und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Beigeladenen und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Baugenehmigung.

Der Kläger möchte auf dem Grundstück am L Deich in Bremen-Borgfeld ein Doppelhaus errichten. Er ist Miteigentümer des 1.389 m2 großen Grundstücks (Flur VR 327, Flurstück 219/1), an dem nach Maßgabe des Wohneigentumsgesetzes Wohnungseigentum begründet worden ist. Ein vorhandenes Wohngebäude wird als Sondereigentum von drei Wohnungseigentümern genutzt. Die noch unbebaute Fläche, auf der das Doppelhaus errichtet werden soll, steht im Sondereigentum des Klägers.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 544 vom 17.02.1965.

Die für die Bebauung vorgesehene Fläche liegt in der Bauzone.

Das Grundstück ist aus der Teilung eines ehemals 14.176 m2 großen Gärtnereigrundstücks hervorgegangen, die Ende der 70er Jahre erfolgte. Auf der größeren Teilungsfläche (Flur VR 327, Flurstück 219/2) wurden nach der Teilung unter Anwendung des Wohneigentumsgesetzes 37 Wohnungseinheiten in Reihen- und Doppelhausform errichtet (In der P ); die Beigeladenen sind Miteigentümer dieses Grundstücks.

Das ungeteilte Grundstück grenzte mit einer Länge von ca. 10 m an die Straße Am L Deich. Dieser Grundstücksteil liegt nach der Teilung auf dem Grundstück In der P; dort mündet jetzt die zur Erschließung der 37 Wohneinheiten angelegte Privatstraße in die Straße Am L Deich. Die Privatstraße verläuft in einem Bogen entlang des Grundstücks Am L Deich , das selbst in einem spitzen Winkel auf den L Deich stößt. Zugunsten dieses Grundstücks, auf dem sich zur Zeit der Teilung bereits ein Wohngebäude befand, wurde ein Wegerecht als Grunddienstbarkeit an dem Grundstück In der P in das Grundbuch eingetragen.

1984 wurden zwei Miteigentumsanteile an dem Grundstück In der P zwangsversteigert. Das Grundbuchamt löschte daraufhin zunächst die Grunddienstbarkeit an dem von der Zwangsversteigerung betroffenen Eigentumsanteilen und sodann auch an den übrigen Eigentumsanteilen. Der damalige Eigentümer des Grundstücks Am L Deich legte dagegen Widerspruch ein, der erfolglos blieb (Beschluss des LG Bremen vom 07.01.1985; Beschluss des OLG Bremen vom 31.05.1985). Das OLG führte aus, dass das Wegerecht an dem zwangsversteigerten Miteigentumsanteil erloschen sei, weil das Recht des beitreibenden Gläubigers dem Wegerecht im Range vorgegangen sei. Damit sei die Eintragung des Wegerechts auf den übrigen nicht zwangsversteigerten Miteigentumsanteil inhaltlich unzulässig geworden; auch diese Eintragungen seien zu löschen gewesen. Denn ein Wegerecht könne nur an einem Grundstück insgesamt, nicht jedoch an ideellen Miteigentumsanteilen begründet werden.

Im Dezember 1994 beantragte die H Wohnbau GmbH die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Doppelhaus auf dem Grundstück Am L Deich . Den Antrag lehnte das Bauordnungsamt mit Bescheid vom 17.07.1996 ab, weil das Grundstück keinen rechtlich gesicherten Zugang zur Straße besitze.

Dagegen legte der Kläger, der im Folgenden den Bauherrenwechsel anzeigte, Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, dass die Bebaubarkeit des Grundstücks nicht an dem Fortfall der Grunddienstbarkeit scheitern könne. Um zum L Deich zu gelangen, müsse die vorhandene Privaterschließungsstraße nur minimal genutzt werden.

Er habe sich darum bemüht, die Grunddienstbarkeit wieder aufleben zu lassen, die Eintragung sei letztlich am Widerstand einiger weniger Miteigentümer gescheitert. Er habe sich auch bemüht, ein Überwegungsrecht an dem nördlich angrenzenden Grundstück Am L Deich zu erlangen; der Eigentümer sei damit aber nicht einverstanden gewesen. Er habe daraufhin gegenüber dem Verwalter des Grundstücks In der P einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB geltend gemacht.

Der Senator für Bau und Umwelt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2000 als unbegründet zurück. Das Baugrundstück verfüge weder über eine gesicherte Erschließung i. S. von § 30 Abs. 1 BauGB noch über die in § 4 Abs. 1 Nr. 2 BremLBO geforderte öffentlich-rechtliche Sicherung des Zugangs zu einer Straße. Das Notwegerecht, auf das der Kläger sich berufe, reiche hierfür nicht aus. Eine Befreiung von diesen rechtlichen Voraussetzungen für die Bebauung des Grundstücks komme nicht in Betracht.

Der Kläger hat am 05.06.2000 Klage mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zu verpflichten, den Bauantrag nicht wegen mangelnder Erschließung abzulehnen. Er hat u. a. geltend gemacht, dass die Privatstraße, die er nutzen wolle, praktisch dem öffentlichen Verkehr gewidmet sei. Sie werde zudem seit dem Fortfall der Grunddienstbarkeit von den drei Wohnungseigentümern des Grundstücks Am L Deich im Rahmen eines Notwegerechts genutzt. Zu irgendwelchen Konflikten sei es in den ganzen Jahren nicht gekommen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ein Notwegerecht nach § 917 BGB genüge weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht dem Erschließungserfordernis.

Das Verwaltungsgericht - 1. Kammer - hat die Klage mit Urteil vom 31.01.2001 abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob im vorliegenden Fall überhaupt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Notwegerechts nach § 917 BGB gegeben seien. Denn ein Notwegerecht schaffe stets nur eine vorübergehende Lösung zivilrechtlicher Natur. Das reiche nicht aus, um die Voraussetzungen, die das öffentliche Baurecht für die Bebaubarkeit von Grundstücken formuliere, zu erfüllen. Zu Recht habe die Beklagte auch die Erteilung einer Befreiung abgelehnt.

Der Kläger hat die vom Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.06.2001 zugelassene Berufung wie folgt begründet:

Das Verwaltungsgericht habe die besonderen Umstände des Falles nicht ausreichend berücksichtigt. Die vorhandene Zuwegung, die geringfügig genutzt werden solle, diene der Erschließung von 37 Wohneinheiten. Diese Wohneinheiten seien auf die Zuwegung angewiesen, an ihrer Dauerhaftigkeit könne deshalb kein Zweifel bestehen. Zumindest seien die Voraussetzungen einer Befreiung gegeben. Denn die Versagung der Baugenehmigung begründe eine vom Gesetz nicht beabsichtigte Härte. Die Versagung habe für den Kläger erhebliche wirtschaftliche Nachteile zur Folge. Die erstrebte Überfahrt belaste die Beigeladenen minimal. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Weigerung auf einige Eigentümer zurückgehe, die befürchteten, durch das Bauvorhaben in ihrer Aussicht beschränkt zu werden. Das könne aber die Versagung einer Baugenehmigung nicht rechtfertigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 06.02.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Bauordnungsamts vom 17.07.1996 und des Widerspruchsbescheids des Senators für Bau und Umwelt vom 09.05.2000 zu verpflichten, den Bauantrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ein privater Notweg stelle keine ausreichende Erschließung für ein Baugrundstück dar.

Die Beigeladenen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Es sei bereits die Aktivlegitimation des Klägers zu rügen. Denn der Bauantrag sei nicht von ihm, sondern von der " Wohnbau GmbH" gestellt worden. Mithin sei die Berufung aus formellen Gründen zurückzuweisen. Abgesehen davon sei der Bauantrag auch zu Recht abgelehnt worden. Der Kläger habe zwar mit der Eigentümergemeinschaft des Grundstücks In der P über die Gewährung einess Überfahrtsrechts verhandelt, diese Verhandlungen hätten aber gerade nicht zum Erfolg geführt. Solange es an dem Einverständnis der Eigentümergemeinschaft fehle, sei ein Neubauvorhaben auf dem Grundstück Am L Deich unzulässig. Verschiedene Mitglieder der Eigentümergemeinschaft würden dem Kläger ein etwaiges Notwegerecht über die Privatstraße streitig machen; der Umstand, dass hierüber möglicherweise noch jahrelang Prozesse zu führen seien, stehe ebenfalls der Annahme einer gesicherten Erschließung entgegen. Aus gutem Grund lasse die Rechtsprechung deshalb ein bloßes Notwegerecht für die Erschließung eines Baugrundstücks nicht ausreichen. Die wirtschaftlichen Nachteile, die dem Kläger aus der fehlenden Bebaubarkeit des Grundstücks entstünden, müsse er sich selbst zurechnen. Als er Miteigentumsanteile an dem Grundstück Am L Deich erworben habe, sei die fehlende gesicherte Zuwegung bekannt gewesen. Der Kläger müsse es sich zurechnen lassen, diesbezüglich keine ausreichenden Erkundigungen eingezogen zu haben.

Die Behördenvorgänge haben vorgelegen. Sie waren, soweit in dieser Entscheidung verwertet, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, mit der der Kläger die Neubescheidung seines Bauantrags erstrebt, zu Unrecht abgewiesen.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht stehen weder das bauplanungsrechtliche noch das bauordnungsrechtliche Erschließungserfordernis der Erteilung einer Baugenehmigung entgegen.

1.

Der im Vorverfahren erfolgte Bauherrenwechsel berührt nicht die Aktivlegitimation des Klägers. Eine Baugenehmigung ist ein dinglicher Verwaltungsakt, der für und gegen den Rechtsnachfolger gilt (§ 74 Abs. 1 Satz 2 BremLBO). Erfolgt im Laufe des Genehmigungsverfahrens ein Wechsel des Bauherrn, kann der neue Bauherr das Verfahren fortführen.

2.

Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nur zulässig, wenn die Erschließung gesichert ist. Das bauplanungsrechtliche Erschließungserfordernis ist zu unterscheiden von dem bauordnungsrechtlichen Erfordernis einer ausreichenden Zufahrt zu dem Grundstück, das sich hier aus § 4 Abs. 1 Nr. 2 BremLBO ergibt. Zwischen der gesicherten Erschließung des Bauplanungsrechts und der ausreichenden Zugänglichkeit des Bauordnungsrechts besteht ein sachlicher Zusammenhang; die Begriffe sind aber nicht gleichzusetzen (BVerwG, U. v. 03.05.1988 - 4 C 54/85 - NVwZ 1989, S. 353).

Das bundesrechtliche Erfordernis einer gesicherten Erschließung in § 30 Abs. 1 BauGB soll eine geordnete städtebauliche Entwicklung sicherstellen. Es verlangt, dass das Baugrundstück verkehrsmäßig an das öffentliche Wegenetz angebunden ist und Versorgungs- und Entsorgungsleitungen für Elektrizität, Wasser und Abwasser verlegt werden können (vgl. Söfker, in: Ernst Zinkahn-Bielenberg, BauGB § 30 Rdnr. 42).

2.1

Bei im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegenden Grundstücken, die an eine fertiggestellte öffentliche Straße grenzen, sind diese Voraussetzungen regelmäßig erfüllt.

Das Grundstück Am L Deich , auf dem der Kläger ein Doppelhaus errichten möchte, grenzt an eine öffentliche Straße; aufgrund seines spitzwinkligen Zuschnitts allerdings nur in einem geometrischen Punkt. Dieses nur punktuelle Angrenzen reicht für die Annahme einer gesicherten Erschließung nicht aus. Zwar kann an das Grundstück herangefahren werden, was regelmäßig zu den Mindestvoraussetzungen der wegemäßigen Erschließung gehört (BVerwG, B. v. 23.01.1992 - 4 NB 2/90 - NVwZ 1992, S. 974). Das Betreten selbst ist aber aufgrund des Zuschnitts ohne Inanspruchnahme eines der Nachbargrundstücke praktisch unmöglich. Das gilt erst recht für die Verlegung von Versorgungs- und Entsorgungsleitungen. Aus diesem Grund muss das Grundstück im Hinblick auf seine Erschließung als Hinterliegergrundstück angesehen werden.

2.2

Die Erschließung von Hinterliegergrundstücken, d. h. von Grundstücken, die nicht an eine öffentliche Straße grenzen, ist nur dann gesichert, wenn auf einem Verbindungsgrundstück eine Zuwegung zum öffentlichen Straßennetz vorhanden ist und diese Verbindung rechtlich auf Dauer abgesichert ist. Die Absicherung kann öffentlichrechtlich durch eine Baulast erfolgen, sie kann aber auch sachenrechtlich durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit erreicht werden (BVerwG, U. v. 03.05.1988, a.a.O.; B. v. 27.09.1990 - 4 B 34 und 35/90 - UPR 1991, S. 72).

Bezüglich des Grundstücks Am L Deich ist in Gestalt der Privatstraße In der P eine Verbindung zum öffentlichen Verkehrsnetz vorhanden. Diese Straße, die im Miteigentum von 64 Personen steht (Stand März 2002), muss im vorderen Bereich wenige Meter überfahren werden, um auf das Grundstück zu gelangen.

Die Benutzung dieser Privatstraße war ursprünglich auch durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit abgesichert. Seit der von Amts wegen erfolgten Löschung der Grunddienstbarkeit im Jahre 1984 fehlt es aber an einer rechtlichen Sicherung. Die Erschließung des auf dem Grundstück Am L Deich vorhandenen Wohngebäudes, in dem drei Eigentumswohnungen eingerichtet sind, ist seitdem nur im Rahmen eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB gewährleistet. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer eines Grundstücks, dem die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, von dem Nachbarn verlangen, dass er bis zur Hebung des Mangels die Benutzung seines Grundstücks zur Herstellung der erforderlichen Verbindung duldet. Dass die Bewohner dieses in den fünfziger Jahren genehmigt errichteten Wohngebäudes sich insoweit auf ein Notwegerecht stützen können, kann nicht zweifelhaft sein; anderenfalls ließe sich das Gebäude nicht mehr nutzen. Aufgrund der besonders gelagerten Verhältnisse des vorliegenden Einzelfalls ist das Notwegerecht aber auch eine ausreichende Grundlage für eine weitere - bauplanungsrechtlich im übrigen zulässige - Bebauung des Grundstücks.

(1) Die in § 917 Abs. 1 BGB begründete Duldungspflicht stellt für das Verbindungsgrundstück eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung dar (Bassenge, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 917 Rdnr. 1). In der Rechtsprechung ist grundsätzlich geklärt, dass sich über einen derartigen Notweg eine gesicherte Erschließung i. S. von § 30 Abs. 1 BauGB nicht herstellen lässt. Eine Baugenehmigung, die dem Nachbarn ein Notwegerecht aufzwingt, greift in dessen durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentumsrecht ein und verleiht ihm einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch. Der Nachbar braucht die durch die Baugenehmigung bewirkte unmittelbare Rechtsverschlechterung nicht hinzunehmen (BVerwG, U. v. 26.03.1976 - IV C 7/74 - NJW 1976, S. 1987 = BVerwGE 50, S. 282; U. v. 04.06.1996 - 4 C 15/95 - NVwZ RR 1997, S. 271; B. v. 11.05.1998 - 4 B 45/98 - NJW RR 1999, S. 165; ebenso BGH, U. v. 22.06.1990 - V ZR 59/89 - NJW 1991, S. 176). Ein Hinterliegergrundstück lässt sich danach nicht durch einen einseitigen Akt gegenüber dem Nachbarn, dessen Grundstück überwegt werden soll, einer Bebauung zuführen. Grundsätzlich ist die Zustimmung des Nachbarn erforderlich.

(2) Allerdings können sich in dieser Hinsicht in besonders gelagerten Fällen unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses Ausnahmen ergeben. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis stellt eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) für den besonderen Bereich des notwendigen Zusammenlebens von Grundstücksnachbarn dar, aus dem eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme entspringt (BGH, U. v. 31.01.2003 - V ZR 143/02 - m. w. N. in: juris; Bassenge, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 903 Rdnr. 13). Unter seinem Blickwinkel kann auch ein Notwegerecht eine eigene, zusätzliche Rechtfertigung erlangen, die dazu führt, dass eine erteilte Baugenehmigung die Eingriffsqualität für den Nachbarn verliert.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dies ausdrücklich für den Fall in Erwägung gezogen, dass die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks nur unwesentlich ist (BVerwG, U. v. 26.03.1976, a.a.O.). In diesem Fall zeichnet das Notwegerecht lediglich die ohnehin schon bestehenden nachbarlichen Pflichten nach. Die erteilte Baugenehmigung bewirkt keine Rechtsverschlechterung des Nachbarn; ihr fehlt die Eingriffsqualität. In derartigen besonders gelagerten Einzelfällen kann von einer gesicherten Erschließung i. S. von § 30 Abs. 1 BauGB ausgegangen werden. Aus einer nur unwesentlichen, praktisch nicht spürbaren Beeinträchtigung eine Sperrposition für die ansonsten zulässige Bebauung des Nachbargrundstücks abzuleiten, widerspräche dem durch das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis konkretisierten Grundsatz von Treu und Glauben.

Im vorliegenden Fall nimmt das Notwegerecht, das duurch eine weitere Bebauung de Grundstücks Am L Deich ausgelöst wird, das Grundstück der Beigeladenen nur unwesentlich in Anspruch. Betroffen ist die bereits vorhandene Privatstraße, die 37 Wohneinheiten auf dem Nachbargrundstück erschließt. Nach den konkreten örtlichen Verhältnissen ist eine andere Trassierung dieser Privatstraße nicht möglich, es kann also von einer dauerhaft angelegten Straße ausgegangen werden. Die Nutzung der Straße durch die Bewohner des Grundstücks Am L Deich ist darüber hinaus nur minimal; sie beträgt nur wenige Meter. Das Oberverwaltungsgericht hat Art und Umfang etwaiger Beeinträchtigungen in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2003 mit den anwesenden Miteigentümern des Grundstücks In der P eingehend erörtert. Diese Erörterungen haben bestätigt, dass von der Überfahrt nur ganz geringe Belastungen ausgehen.

(3) Unabhängig hiervon ist das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis aber auch im Hinblick auf die Vorgeschichte, die die beiden Grundstücke verbindet und die zu den gegenwärtigen Grundstücksverhältnissen geführt hat, berührt. Die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen sind aus einer im Jahre 1979 durchgeführten Grundstücksteilung hervorgegangen. Die Einräumung einer Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks Am L Deich war seinerzeit Voraussetzung für die Teilung. Ohne sie wäre die Teilung (und die nachfolgende Bebauung des Grundstücks mit 37 Wohneinheiten) nicht nur in tatsächlicher Hinsicht nicht zustandegekommen, sondern rechtlich nicht möglich gewesen. Denn eine Teilung, die eine - wie hier - vorhandene, bisher zulässige Bebauung vom öffentlichen Verkehrsnetz abschneidet, darf nicht genehmigt werden (BVerwG, U. v. 24.10.1980 - 4 C 3/78 - NJW 1981, S. 2436; U. v. 09.10.1981 - 4 C 47/78 - NJW 1982, S. 1061). Aufgrund der besonderen Lage des ehemaligen Gärtnereigrundstücks, aus dem die beiden Grundstücke hervorgegangen sind - das nur mit einer Länge von ca. 10 Metern an den öffentlichen Verkehrsweg grenzte, - konnte auch nur für eines der beiden Grundstücke eine direkte Zuwegung erhalten bleiben, dem anderen musste, sollte es nicht seine Erschließung verlieren, ein Wegerecht eingeräumt werden. Gerade aufgrund einer Grundstücksteilung können aber nachbarliche Verhältnisse entstehen, die eine besondere Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme begründen (vgl. BGH, U. v. 11.07.2003 - V ZR 199/02 - in: juris).

Der Wegfall der Grunddienstbarkeit im Jahre 1984 hat nachhaltig in die durch den Teilungsvorgang geschaffenen Rechtsverhältnisse eingegriffen. Er hat das nachbarliche Austauschverhältnis intensiv und einseitig gestört.

Verursacht worden ist die Löschung aufgrund von Bestimmungen des Zwangsversteigerungsrechts, ohne Mitwirkung oder auch nur Einflussmöglichkeit der Eigentümer des Grundstücks Am L Deich . Die Zwangsversteigerung von Miteigentumsanteilen am Grundstück der Beigeladenen hat seinerzeit dazu geführt, dass das Wegerecht an diesen Miteigentumsanteilen erlosch. Dies zog, weil ein Wegerecht nur an einem Grundstück insgesamt und nicht an ideellen Miteigentumsanteilen begründet werden kann, den Wegfall der Grunddienstbarkeit auch an den von der Zwangsversteigerung nicht betroffenen Miteigentumsanteilen nach sich.

Ausschlaggebend hierfür war letztlich, dass das Recht des seinerzeit die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers dem Wegerecht im Range vorging.

Aufgrund dieses Rangverhältnisses war das Wegerecht, wie das OLG Bremen in dem vom damaligen Eigentümer des Grundstücks geführten Rechtsbehelfsverfahren hervorgehoben hat (Beschluss v. 31.05.1985), von vornherein mit der Gefahr des Erlöschens behaftet.

Der Umstand, dass diese Gefahr sich durch eine anders gestaltete rechtliche Sicherung - etwa der Eintragung einer Baulast - hätte vermeiden lassen, ändert nichts daran, dass der Wegfall nachhaltig in die Grundlage des durch die Grundstücksteilung geschaffenen nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses eingegriffen hat. Nicht nur das Bauvorhaben, das der Kläger realisieren möchte, sondern auch die vorhandenen genehmigten Baulichkeiten sind davon berührt. Es wäre unangemessen, die Risiken der gewählten rechtlichen Konstruktion einseitig den Eigentümern des Grundstücks Am L Deich aufzubürden. Zum Zeitpunkt der Grundstücksteilung gingen die Beteiligten erkennbar davon aus, eine dauerhafte Regelung getroffen zu haben. Die Beigeladenen berufen sich jetzt auf einen Vorteil, den sie im nachherein zufällig und ohne Leistung erlangt haben.

Damit ist eine objektive Störung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses eingetreten, die Auswirkungen auf das Notwegerecht hat. Dieses ist im vorliegenden Fall kein Mittel, um die Bebauung eines Hinterliegergrundstücks auf Kosten des Verbindungsgrundstückes zu erzwingen. Vielmehr wird der gestörte nachbarliche Ausgleich durch das gesetzliche Wegerecht überhaupt erst wieder hergestellt; das gesetzliche Wegerecht substituiert die Grunddienstbarkeit. Von einer infolge des Wegerecht eingetretenen Rechtsverschlechterung kann deshalb keine Rede sein.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat nicht ausgeschlossen, dass in besonders gelagerten Fällen unbeschadet des Fehlens einer förmlichen Sicherung des Zugangs durch eine Grunddienstbarkeit oder eine Baulast aufgrund vorangegangenen Verhaltens der Beteiligten Bindungen entstanden sein können, die die Annahme einer gesicherten Erschließung rechtfertigen können (U. v. 31.10.1990 - 4 C 55/88 - NVwZ 1991, S. 1076).

So liegt der Fall hier. Das Notwegerecht, das die Erschließung des Grundstücks Am L Deich sichert, hat seine Grundlage in dem auf die Teilung zurückgehenden Gemeinschaftsverhältnis zwischen den beiden Grundstücken.

(4) Gegenständlich erfasst das Notwegerecht die Zufahrt zum Grundstück des Klägers, darüber hinaus aber auch ein Notleitungsrecht (BGH, U. v. 22.06.1990 - V ZR 58/89 - NJW 1991, S. 176). Im vorliegenden Fall ist beabsichtigt, dieses Notleitungsrecht in Anspruch zu nehmen.

(5) Die Ausübung des Notwegerechts bedarf im vorliegenden Fall keiner zusätzlichen - vor den Zivilgerichten zu erstreitenden - Gestattung durch die Beigeladenen. Teilweise wird insoweit die Auffassung vertreten, dass es bei verweigerter Gestattung erforderlich sei, Klage auf Duldung der Benutzung zu erheben (Bassenge, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., § 917 Rdnr. 12, 13). Das kann aber nicht gelten, wenn mit Rechtskraftbindung gegenüber den Eigentümern des Verbindungsstücks entschieden ist, dass an ihrem Grundstück zur Gewährleistung einer gesicherten Erschließung i. S. von § 30 Abs. 1 BauGB ein Notwegerecht besteht. Das ist hier der Fall.

Dass damit im Rahmen des § 30 Abs. 1 BauGB zugleich über die zivilrechtliche Frage des Bestehens eines Notwegerechts entschieden wird, ist unschädlich. Sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt, sind die Gerichte der einzelnen Gerichtszweige befugt, rechtswegübergreifend alle Fragen, die für den geltend gemachten Anspruch präjudiziell sind, selbständig und eigenverantwortlich zu beurteilen (BVerwG, B. v. 11.05.1998, a.a.O., m. w. N.).

Davon unberührt ist, dass die Beigeladenen gem. § 917 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf eine Notwegerente haben. Dieser Anspruch ist, falls sich die Beteiligten insoweit nicht einigen sollten, vor den Zivilgerichten geltend zu machen.

3.

Auch Bauordnungsrecht steht dem Begehren des Klägers nicht entgegen.

(1) Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 BremLBO dürfen bauliche Anlagen nur errichtet werden, wenn das Baugrundstück so an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt, oder eine solche öffentlich-rechtliche gesicherte Zufahrt zu ihr hat, dass der von der baulichen Anlage ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten ohne Schwierigkeiten möglich ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Insbesondere fehlt es am Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Zugangs- und Zufahrtssicherung. Die Sicherung lässt sich durch Eintragung einer Baulast erreichen (§ 85 BremLBO), die hier aber nicht vorliegt.

(2) Gem. § 72 Abs. 2 BremLBO kann die Bauordnungsbehörde von zwingenden Vorschriften der Bauordnung befreien. Die Befreiung kommt u. a. in Betracht, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die Möglichkeit einer Befreiung erstreckt sich auch auf das bauordnungsrechtliche Erfordernis der Zugangs- und Zufahrtssicherung (vgl. BGH, U. v. 21.05.1992 - III ZR 14/91 - BauR 1992, S. 595).

Im vorliegenden Fall sind diese tatbestandlichen Voraussetzungen einer Befreiung erfüllt und ist überdies das Befreiungsermessen der Behörde soweit reduziert, dass als rechtmäßige Entscheidung allein eine Befreiung in Betracht kommt. Der Fall weist in mehrfacher Hinsicht atypische Züge auf: Um vom Baugrundstück, das spitzwinklig auf die öffentliche Verkehrsfläche stößt, auf die Straße zu gelangen, ist nur ein minimales Überfahren des Nachbargrundstücks erforderlich; dieses Überfahren ist, wie dargelegt, durch ein Notwegerecht abgesichert; bei der überfahrenen Fläche handelt es sich um eine ohnehin vorhandene - und zur Erschließung von 37 Wohneinheiten auch notwendig an dieser Stelle verlaufende - Privatstraße. Das Festhalten an dem Erfordernis der öffentlich-rechtlichen Zugangs- und Zufahrtssicherung würde unter diesen Umständen zur einer nicht beabsichtigten Härte führen würde. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beklagte durch Genehmigung der Grundstücksteilung an der Entstehung der derzeitigen Grundstücksverhältnisse mitgewirkt hat. Ordnungsrechtliche Gesichtspunkte, die einer Befreiung entgegenstehen könnten, sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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