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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 01.12.2003
Aktenzeichen: OVG 1 A 351/03
Rechtsgebiete: BremMeldeG, MRRG


Vorschriften:

BremMeldeG § 10
BremMeldeG § 16
BremMeldeG § 21
MRRG § 12
1. Besteht zwischen Einwohner und Meldebehörde Streit über das Vorhandensein einer Hauptwohnung, ist hierüber durch Verwaltungsakt zu entscheiden.

2. Die Meldebehörde hat die Angaben eines Einwohners zu seinem Wohnungsstatus regelmäßig nur darauf zu überprüfen, ob diese in sich schlüssig und glaubhaft sind.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

OVG 1 A 351/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat- durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 01.12.2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 2. Kammer - vom 19.06.2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag bleibt erfolglos. Die von der Beklagten geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.

1.

Ernstliche Zweifel i. S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Ein darauf gestützter Antrag muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifeln begegnen und warum diese Zweifel eine andere Entscheidung wahrscheinlich machen. Dazu reicht es, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, B. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - NordÖR 2000, S. 453).

Die Richtigkeit des Urteils vom 19.06.2003 begegnet nach diesem Maßstab keinen ernstlichen Zweifeln.

In diesem Urteil wird ausgeführt, dass die Klage, mit der der Kläger sich gegen die behördliche Bestimmung seiner Hauptwohnung wehrt, als Anfechtungsklage zulässig sei.

Denn bei der behördlichen Festlegung des Wohnungsstatus handele es sich, auch wenn dies nach der Rechtsprechung des OVG Bremen zweifelhaft sei, um einen Verwaltungsakt. Die Klage sei auch begründet, da die vorwiegend benutzte Wohnung des Klägers sich in Lübeck und nicht in Bremerhaven befinde.

Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Rechtsnatur der hier in Streit stehenden behördlichen Maßnahme geben Anlass zu folgendem Hinweis: Dass eine gegen den Willen des Wohnungsinhabers erfolgte behördliche Bestimmung der Hauptwohnung einen Verwaltungsakt darstellt, liegt auf der Hand. Zutreffend sind deshalb im vorliegenden Fall auch Bescheide ergangen (Bescheid der Stadt Bremerhaven vom 24.05.2002 und Widerspruchsbescheid des Senators für Inneres, Kultur und Sport vom 07.08.2002). § 10 BremMeldeG, der für die Änderung und Berichtigung gespeicherter Meldedaten die Form des Verwaltungsakts vorsieht, kommt gerade dann zur Anwendung, wenn, wie im vorliegenden Fall, zwischen dem Betroffenen und der Behörde über die Richtigkeit des Melderegisters Streit besteht. Das in dieser Vorschrift genannte Antragserfordernis besagt nichts anderes, als dass dem Betroffenen die subjektive Position eingeräumt wird, in dieser Hinsicht eine verbindliche - gerichtlich überprüfbare - behördliche Feststellung zu erlangen. Dies gilt erst Recht für den Fall, dass die Behörde eine vom Bürger als unrichtig angebebene Änderung des Melderegisters von Amts wegen vornimmt. Hiervon zu unterscheiden ist die Fortschreibung des Melderegisters von Amts wegen. Bei dieser Fortschreibung, die sich auf § 21 Abs. 1 BremMeldeG stützt, handelt es sich um keinen Verwaltungsakt, sondern um ein bloßes tatsächliches Verwaltungshandeln (OVG Bremen, B. v. 21.08.2002 - 1 B 143/02 - NordÖR 02, S. 420). Erfasst sind alle melderechtlich relevanten Daten, die aufgrund einer Änderung der persönlichen Verhältnisse des Betreffenden unrichtig oder unvollständig geworden sind (zum Umfang der Meldedatei vgl. § 3 BremMeldeG). Die Fortschreibung nach § 21 Abs. 1 BremMeldeG wird i. d. R. unproblematisch sein. Erst wenn Streit über den Inhalt des Melderegisters entsteht, ist Raum für eine verbindliche Feststellung nach § 10 BremMeldeG.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die genannten Bescheide aufgehoben. Denn in ihnen wurde die Hauptwohnung des Klägers unrichtig bestimmt. Bremerhaven war zu keinem Zeitpunkt Hauptwohnung des Klägers.

Hat ein Einwohner mehrere Wohnungen, ist die vorwiegend benutzte Wohnung die Hauptwohnung (§ 16 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BremMeldeG = §12 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 MRRG). Welche Wohnung vorwiegend benutzt wird, bestimmt sich anhand einer quantitativen Betrachtung. Die quantitative Betrachtung wurde vom Gesetzgeber gewählt, um die Meldebehörden von der aufwendigen Feststellung zu entlasten, wo im Einzelfall der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Meldepflichtigen liegt (BVerwG, U. v. 20.03.2002 - 6 C 12/01 - NJW 2002, S. 2579). Auf den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen kommt es deshalb - hilfsweise - nur dann an, wenn die quantitative Betrachtung zu keinen zweifelsfreien Ergebnissen führt (§ 16 Abs. 2 S. 4 BremMeldeG = § 12 Abs. 2 S. 5 MRRG).

Bei quantitativer Betrachtung ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, Lübeck die vorwiegend benutzte Wohnung des Klägers. Der im Juli 1980 geborene Kläger ist Lokführer bei der Deutschen Bahn AG. Er steht im Schichtdienst, den er jeweils in Bremerhaven antritt und beendet. Die Wohnung in Bremerhaven hat der Kläger im April 2002 angemietet, um dort solche Zeiten zwischen zwei Schichten zu überbrücken, in denen sich eine Fahrt nach Lübeck nicht lohnt. In Lübeck ist der Kläger geboren, dort lebt seine Lebensgefährtin ebenso wie seine Familie. Er hat einen Dienstplan vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass er teils relativ kurze Ruhezeiten zwischen den Schichten hat, teils aber auch längere. Seine Behauptung, aufgrund seiner persönlichen Bindungen nutze er die dienstfreien Zeiten nach Möglichkeit für Fahrten nach Lübeck, ist danach ohne weiteres plausibel.

Soweit die Beklagte die vom Kläger geltend gemachten häufigen Fahrten nach Lübeck in Zweifel zieht und hierfür Belege verlangt (Tankquittungen, Kilometerstände des Kfz), kann dem nicht gefolgt werden. Der Standpunkt der Beklagten erscheint überzogen. Der Kläger hat unter Hinweis auf seine persönlichen Bindungen eine schlüssige Begründung für diese Fahrten gegeben. Anhaltspunkte, die diese Begründung in Zweifel ziehen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte darüber hinaus für einzelne Tage wegen der Kürze des Schichtwechsels aus ihrer Sicht eine Fahrt nach Lübeck für fraglich hält, berührt dies nicht die hier maßgebliche Tatsache, dass die Wohnung in Bremerhaven nur Überbrückungsfunktion besitzt, d. h. nur für solche dienstfreien Zeiten genutzt wird, in denen eine Heimreise nicht in Betracht kommt. Dass eine derartige Wohnung keine Hauptwohnung darstellt, leuchtet unmittelbar ein.

Unabhängig hiervon ist folgendes zu berücksichtigen: Stellte man sich auf den Standpunkt, dass sich aufgrund einer quantitativen Betrachtung keine zweifelsfreien Ergebnisse erzielen ließen, käme es für die Bestimmung der Hauptwohnung auf den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Klägers an. Nach dem Vortrag des Klägers ist dies schwerlich Bremerhaven. Der Kläger hat, wie soeben erwähnt, schlüssig dargelegt, über welche Bindungen er in Lübeck verfügt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ließe sich deshalb die von der Beklagten eingenommene Position rechtlich nicht halten.

2.

Die Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gerechtfertigt. Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn die durch die Rechtssache aufgeworfenen Tatsachen oder Rechtsfragen so komplex sind, dass sich eine Prognose über den wahrscheinlichen Ausgang des Berufungsverfahrens im Zulassungsverfahren nicht treffen lässt. Derartige Fragen weist der vorliegende Fall aber nicht auf. Um eine hinreichend sichere Beurteilung vornehmen zu können, bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Auf vorstehende Ausführungen wird verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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