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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 24.08.2007
Aktenzeichen: S1 B 246/07
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 85 Abs. 2
Die Finanzierung des letzten Drittels der Ausbildung nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III kann auch individuell für einen Leistungsempfänger gesichert werden, wenn durch die Form der Sicherung verläßlich gewährleistet wird, dass die Mittel im dritten Ausbildungsabschnitt tatsächlich zur Verfügung stehen (hier durch Hinterlegung auf einem Notaranderkonto mit der Anweisung der monatlichen Auszahlung in der erforderlichen Höhe).
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S1 B 246/07

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat für Sozialgerichtssachen - durch die Richter Stauch, Göbel und Dr. Grundmann am 24.08.2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts - 3. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 13.6.2007 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren sind erstattungsfähig.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme zur Logopädin als Leistung zur Eingliederung (§§ 16 Abs. 1 SGB II, 77 ff. SGB III) für zwei Jahre zu übernehmen.

Unter dem 2.4.2007 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen Bildungsgutschein nach § 77 Abs. 3 SGB III für diese Weiterbildungsmaßnahme. Die Ausbildung dauert nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 das Gesetz über den Beruf des Logopäden vom 07.05.1980 (BGBl. I, S. 529, im folgenden: Logopädengesetz) drei Jahre. Nach § 85 Abs. 2 SGB III ist die Dauer der Maßnahme angemessen, wenn sie als Weiterbildung gegenüber einer Vollzeitmaßnahme einer entsprechenden Berufsausbildung um ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt ist. Satz 3 dieser Vorschrift bestimmt, dass auch dann, wenn eine Verkürzung der Ausbildungszeit aufgrund gesetzlicher Regelungen nicht zulässig ist, die Förderung einer Maßnahme bis zu zwei Dritteln ihrer Dauer nicht ausgeschlossen ist, wenn zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist. Die Maßnahme begann für die Antragstellerin am 1.7.2007.

Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung unter der Voraussetzung statt, dass für die Antragstellerin auf einem Anderkonto ihres Rechtsanwalts 18.120 Euro mit der Anweisung eingezahlt werden, von diesem Geld ab dem 2.7.2009 bis zum 1.7.2010 monatlich 715 Euro Schulgeld, 150 Euro für Krankenversicherung sowie 645 Euro für Miete und Lebensunterhalt an die Antragstellerin zu zahlen. Der Verfahrensbevollmächtigte legte am 25.6. einen Kontoauszug des Notaranderkontos vom 20.6.2007 vor, der einen Kontostand von 18.482,40 Euro (362,40 Euro davon Hebegebühren für den Anwalt) ausweist. Die Mutter der Antragstellerin hatte diesen Betrag eingezahlt. Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts verwiesen. Dagegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde erhoben.

Die Verfahrensbeteiligten streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob die Finanzierung für das letzte Jahr der Weiterbildung zur Logopädin im Fall der Antragstellerin im Sinne des Gesetzes gesichert ist. Die Antragstellerin hält die getroffene Sicherung für ausreichend. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, eine Eigenfinanzierung scheide als Sicherungsmittel aus. Sie entspreche nicht den Intentionen des Gesetzgebers; eine Finanzierung sei im Sinne des § 85 Abs. 2 SGB III nur dann gesichert, wenn sie allen Teilnehmern einer Maßnahme gleichermaßen offen stehe. § 85 Abs. 2 SGB III regele die an die Maßnahme zu stellenden Anforderungen im Allgemeinen. Eine Eigenfinanzierung sei aber nicht allen Teilnehmern möglich. Eigenfinanzierungen begründeten auch die Gefahr eines Abbruchs der Maßnahme. Das sei etwa bei der Gewährung öffentlicher Leistungen nicht der Fall.

Das Hauptsacheverfahren des vorliegenden Rechtsstreits ist beim Verwaltungsgericht anhängig (S 3 K 1529/07). Gegen den Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 31.5.2007 hat die Antragstellerin rechtzeitig am 14.6.2007 Klage erhoben.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor (vgl. § 86 b Abs. 2 SGG). Der Antragstellerin steht ein Anordnungsanspruch auf die begehrte vorläufige Leistung zu. Der Rechtsanspruch auf die Förderung der ersten beiden Ausbildungsjahre der Logopädieschule in Berlin beruht auf §§ 16 Abs. 1 SGB II, 77 ff. SGB III.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass durch den der Antragstellerin von der Antragsgegnerin erteilten Bildungsgutschein feststeht, dass die Antragstellerin die persönlichen Fördervoraussetzungen nach § 77 SGB III erfüllt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr nachzuprüfen. Der Bildungsgutschein ist eine Leistungsbewilligung dem Grunde nach (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, Rn. 127 zu § 77 m.w.N.). Er dokumentiert als Verwaltungsakt nicht nur, dass die persönlichen Fördervoraussetzungen erfüllt sind, sondern auch, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen dahin ausgeübt hat, die Teilnahme der Antragstellerin an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung durch die gesetzlichen Leistungen zu fördern (Sächsisches Landessozialgericht, Beschl. v. 31.1.2005 - L 2 B 192/04 AL-ER, Rn. 35, zitiert nach juris). Im Rahmen der Vorgaben des Bildungsgutscheins kann der Arbeitslose selbst entscheiden, in welcher Maßnahme er sich fördern lassen möchte (Gesetzesbegründung zu § 77 SGB III: BT-Drucksache 15/25, S. 29).

In dem Bescheid vom 2.4.2007, mit dem der Bildungsgutschein übersandt wurde, wurde entschieden, dass die Kosten übernommen werden,

a) solange die Hilfedürftigkeit nach § 9 SGB II besteht,

b) wenn die Weiterbildung nach § 85 SGB III zugelassen ist

c) und mit regionaler Beschränkung des Bildungsgutscheins auf den Tagespendelbereich.

Der Bildungsgutschein wurde damit u.a. an die zusätzliche Voraussetzung gebunden, dass die Voraussetzungen des § 85 SGB III vorliegen. § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III steht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin dem Förderungsanspruch des Antragstellerin für die gewünschte Maßnahme nicht entgegen. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit um ein Drittel ist - wie es die Vorschrift fordert - aufgrund bundesgesetzlicher Regelung ausgeschlossen, denn § 2 Abs. 1 Nr. 1 Logopädengesetz schreibt die dreijährige Ausbildungszeit verbindlich fest. § 4 des Logopädengesetzes enthält lediglich persönliche Anrechnungsmöglichkeiten, wenn andere verwandte Ausbildungen zuvor abgeschlossen wurden, jedoch keine Möglichkeit einer Kürzung der Ausbildung zu einer beruflichen Weiterbildung, die die gesetzliche Bestimmung meint (siehe auch: SG Berlin, Beschl. v. 12.1.2007 - S 22 AL 4250/06, Rn. 29, zitiert nach juris).

§ 85 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist gerade im Hinblick auf die vorgeschriebenen Ausbildungszeiten in den Gesundheitsfachberufen geschaffen worden, die eine Verkürzung im Rahmen eines beruflichen Weiterbildungsganges nicht zulassen. Eine Förderungsmöglichkeit sollte durch die Sonderregelung auch für diese Berufe geschaffen werden (BT-Drucksache 14/6944, S. 35 zu Nr. 37). Dies gilt u.a. für die Logopädenausbildung.

Die beanspruchte Förderung des Maßnahmeteils zu zwei Dritteln der Dauer ist deshalb nach § 85 Abs. 2 Satz 3 nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für ihre gesamte Dauer gesichert ist. Diese Voraussetzung liegt vor, denn vor dem 1.7.2007 war auch die Finanzierung des dritten Jahres der Ausbildung zur Logopädin i.S. der gesetzlichen Regelung gesichert. Die Hinterlegung des gesamten erforderlichen Betrages für die Lehrgangskosten und den Lebensunterhalt im dritten Ausbildungsjahr mit der im Tenor des Beschlusses des Verwaltungsgerichts für die Hinterlegung aufgegebenen Zweckbestimmung für die monatliche Verwendung sichert - entsprechend den Anforderungen des SGB III - die vollständige Durchführung der Ausbildung durch die Antragstellerin. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Betrag im Lauf der dreijährigen Ausbildung dem Verwendungszweck entzogen werden könnte. Wenn solche Anhaltspunkte entgegen dem bisherigen Sachstand dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin oder der Antragsgegnerin bekannt werden sollten, käme nach Mitteilung an das Gericht im Übrigen auch eine Aufhebung oder Änderung der einstweiligen Anordnung auf Antrag oder von Amts wegen in Betracht. Der Sicherungszweck wird durch die Hinterlegung des Betrages auf einem Notaranderkonto uneingeschränkt erreicht. Dafür dass § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III einschränkend dahin auszulegen wäre, dass Eigensicherungen durch das Gesetz ausgeschlossen werden sollten, besteht kein Anhalt (offengelassen durch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.11.2006 - LGB 388/06 AL ER, Rn. 23, zitiert nach juris). Eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Formen der Sicherung enthält die Bestimmung ihrem Wortlaut nach nicht. Auch der Zweck des Gesetzes wird nicht verfehlt, denn er richtet sich auf die sichere Durchführung der gesamten Ausbildung, obwohl von der Antragsgegnerin nur zwei Drittel der Kosten getragen werden. Eine zusätzliche Sicherung besteht darin, dass die verlässliche Finanzierung bereits vor Beginn der Ausbildung gewährleistet sein muss. Auch die Gesetzesbegründung enthält keinen Anhalt für eine einschränkende Auslegung. Zu § 85 heißt es dort: "Im Interesse größtmöglicher Flexibilität wird jedoch von Detailregelungen zu denkbaren Unterrichtsformen und konkreten Maßnahmeausgestaltungen abgesehen und die Anforderungen an die Maßnahmen werden zur Ermöglichung von Gestaltungsspielräumen offener gefasst."(BT-Drucksache 15/25, Seite 30 zu § 85). Zur Vorläuferregelung heißt es: Die Finanzierung kann z.B. durch Leistungen Dritter gesichert sein." (BT-Drucksache 14/6944, Seite 35 zu Nr. 37).

Die regionale Beschränkung im Bildungsgutschein auf den Tagespendelbereich steht dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen. Wie die Antragsgegnerin im Verfahren selbst dargelegt hat, wird dadurch nach ihrem Verständnis allein die Kostenerstattung begrenzt.

Ein Anordnungsgrund besteht, da die Antragstellerin die Ausbildung inzwischen tatsächlich aufgenommen hat und für sie nach den übernommenen vertraglichen Verpflichtungen erhebliche Kostenrisiken durch deren Weiterführung bestehen. Dazu muss eine einstweilige Regelung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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