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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 07.07.2008
Aktenzeichen: S2 B 231/08
Rechtsgebiete: SGB II


Vorschriften:

SGB II § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6
1. Die Verwertung einer Lebensversicherung ist dann nicht unwirtschaftlich im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II, wenn der Rückkaufswert (Verkehrswert) die Summe der eingezahlten Beiträge (Substanzwert) übersteigt (Anschluss an BSG, Urteile vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 66/06 R - und 15.04.2008 - B 14/7b AS 6/07 R).

2. Die Verwertung stellt dann eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II für den Betroffenen dar, wenn außergewöhnliche, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände vorliegen, die nicht bereits durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden. Dabei ist insbesondere auf die künftige Verwendung des Vermögens abzustellen (Anschluss an BSG, Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R -, NZS 2008, 263).


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S2 B 231/08

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat für Sozialgerichtssachen - durch Richter Dr. Grundmann, Richterin Dr. Jörgensen und Richter Dr. Lohmann am 07.07.2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 3. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 21.04.2008 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, ohne dass sein Vermögen berücksichtigt wird. Der 52 Jahre alte Antragsteller ist Eigentümer einer Eigentumswohnung. Diese besteht aus zwei Wohnungen mit getrennten Eingängen, von denen eine durch den Antragsteller, die andere durch seine Mutter bewohnt wird. Die Küche der einen Wohnung wird gemeinsam benutzt. Er erwarb die Eigentumswohnung im Jahre 1989 für DM 240.000 von seiner Mutter. In Höhe von DM 167.757,08 trug er den Kaufpreis durch Übernahme der zu dem Zeitpunkt in dieser Höhe valutierenden Darlehen. Der verbleibende Restbetrag des Kaufpreises von DM 72.242,92 wird durch Verrechnung mit der von der Mutter geschuldeten Miete von DM 400 monatlich getilgt.

Der Antragsteller und seine Mutter schlossen als Darlehensnehmer am 17.08.1979 mit der Staatlichen Kreditanstalt ... als Darlehensgeberin zwei Verträge über Darlehen in Höhe von DM 70.000 und DM 118.000 für den Erwerb der Wohnung durch die Mutter des Antragstellers. Diese Darlehen valutierten am 31.12.2006 mit insgesamt € 52.146,94.

Am 25.05.2007 bewilligte der Antragsteller seiner Mutter ein Wohnrecht für die im 3. Obergeschoss gelegene Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad, Diele und Balkon (Bl. 46 Leistungsakten).

Er verfügt über eine im Jahre 1981 abgeschlossene Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von € 52.792, die am 01.09.2011 fällig wird. Der Rückkaufswert der Versicherung betrug zum 01.09.2007 € 37.448,35 und zum 01.07.2008 € 40.677,21. Ein Ausschluss der Verwertung ist nicht vereinbart. Der monatliche Beitrag betrug bei Abschluss der Versicherung DM 100, ab dem 01.09.2006 € 238,36. Der Antragsteller zahlte in der Zeit vom 01.09.1981 bis 01.07.2008 insgesamt Beiträge in Höhe von € 33.335,48.

Die Antragsgegnerin lehnte seinen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab 01.05.2007 mit Bescheid vom 05.07.2007 ab, da der Antragsteller nicht hilfebedürftig sei. Sein Vermögen von insgesamt € 37.685,78 überschreite den ihm zustehenden Freibetrag von € 8.400.

Der Antragsteller erhob am 26.07.2007 Widerspruch. Die Lebensversicherung solle zur Deckung des noch offenen Darlehens seiner Mutter dienen. Auch sei die gegenwärtige Verwertung der Versicherung unwirtschaftlich, da sie zu einem Verlust von € 15.343,65 führen würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2007 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Vermögen von insgesamt € 37.685,78 übersteige den mit € 8.400 berechneten Freibetrag. Die Lebensversicherung könne nicht als Anlage im Rahmen der Altersvorsorge anerkannt werden, da der erforderliche Verwertungsausschluss bis zum 60. Lebensjahr nicht vorhanden sei. Die Verwertung sei nicht unwirtschaftlich, da nicht die Ablaufleistung, sondern die eingezahlten Beiträge ins Verhältnis zum Rückkaufwert zu stellen seien.

Zur Begründung seiner am 02.11.2007 erhobenen Klage trug der Antragsteller vor, dass er auf die Auszahlung der vereinbarten Versicherungssumme angewiesen sei, um die auf der Eigentumswohnung lastenden Bankdarlehen jemals abzulösen. Dies stelle eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II dar, da seine Alterssicherungsplanung zerstört wäre. Dem Antragsteller könnten Leistungen unter Anrechnung der Mieteinnahmen als Darlehen gewährt werden. Der Rückzahlungsanspruch könne grundbuchlich gesichert werden.

Am 09.12.2007 hat der Antragsteller die Bezugsberechtigung der Lebensversicherung dahin geändert, dass nun seine Mutter bezugsberechtigt für Leistungen und Überschussanteile ist.

Am 02.04.2008 hat der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Die Versicherung sei an seine Mutter abgetreten, so dass er nicht mehr über sie verfügen könne. Die Abtretung sei zur Sicherung der Verbindlichkeiten des Antragstellers gegenüber seiner Mutter erfolgt. Es sei zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten, dem Antragsteller Leistungen als Darlehen zu zahlen, um ihm die Ablösung der auf der Wohnung lastenden Bankdarlehen zu ermöglichen.

Der Antragsteller hat beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Darlehen zu zahlen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt aus, dass der Antragsteller über den Rückkaufwert verfügen könne, da er die Bezugsberechtigung nach § 13 der dem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen jederzeit widerrufen könne. Er könne die Versicherung auch beleihen.

Mit Beschluss vom 21.04.2008 hat das Verwaltungsgericht Bremen - 3. Kammer für Sozialgerichtssachen - den Antrag abgelehnt. Die Verwertung der Lebensversicherung scheide nicht aus. Denn der Rückkaufswert von mehr als 37.000 Euro überschreite die eingezahlten Beiträge in Höhe von € 15.952,31. Der monatliche Beitrag von DM 100 sei mit 319 Beitragsmonaten seit dem 01.10.1981 zu multiplizieren. Auch die Änderung des Bezugsrechts schließe die Verwertung nicht aus.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind nicht erfüllt.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist erforderlich, dass mit dem Antrag sowohl ein Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch ein Grund für eine vorläufige Regelung durch das Gericht (Anordnungsgrund) i. S. des § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht werden.

Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

...

Er ist nicht hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 9, 11, 12 SGB II.

Leistungen nach dem SGB II erhalten nur Personen, die hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II). Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II ist nicht hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 2. Alt. SGB II sind als Vermögen Sachen und Rechte nicht zu berücksichtigen, soweit ihre Verwertung unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

Eine Verwertung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II dann unwirtschaftlich, wenn der bei der Veräußerung eines Vermögensgegenstandes zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht. Der gegenwärtige Verkehrswert des Vermögensgegenstandes ist dem Substanzwert gegenüberzustellen. Der Substanzwert ergibt sich bei einer Lebensversicherung grundsätzlich aus den auf den Lebensversicherungsvertrag eingezahlten Beiträgen. Diese sind dem Verkehrswert in Form des Rückkaufwerts gegenüberzustellen. Die Verwertung einer Lebensversicherung ist nicht unwirtschaftlich, wenn der Rückkaufswert (Verkehrswert) die Summe der eingezahlten Beiträge (Substanzwert) übersteigt (vgl. BSG, Urteile vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 66/06 R - und 15.04.2008 - B 14/7b AS 6/07 -).

Die Verwertung der Lebensversicherung des Antragstellers ist hiernach nicht unwirtschaftlich. Der Rückkaufswert seiner Lebensversicherung in Höhe von € 40.677,21 übersteigt selbst nach Vornahme einer Vorauszahlung in Höhe von € 15.000 noch die Summe der eingezahlten Beiträge in Höhe von € 33.335,48.

Für den Antragsteller würde die Verwertung der Lebensversicherung auch keine besondere Härte bedeuten.

Das Vorliegen einer "besonderen Härte" im Sinne des § 12 III 1 Nr. 6 SGB II ist nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen, wobei maßgebend nur außergewöhnliche Umstände sein können, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen und die Absetzungsbeträge nach § 12 II SGB II erfasst werden. Es sind nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R -, NZS 2008, 263). Dabei ist insbesondere auf die künftige Verwendung des Vermögens abzustellen (Brühl in LPK-SGB II, § 12 Rn. 54). Eine solche Härte kann etwa dann vorliegen, wenn eine Lebensversicherung eingesetzt werden soll, obwohl Lücken beim Aufbau der Versorgungsanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen (vgl. Senatsbeschluss vom 04.02.2008 - S2 S 11/08 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25.05.2005, B 11a/11 AL 73/04 R, SozR 4-4220 § 6 Nr 3).

Soweit der Antragsteller geltend macht, eine besondere Härte liege darin, dass ihm die Möglichkeit genommen würde, die auf seiner Eigentumswohnung lastenden Bankverbindlichkeiten im Jahre 2011 abzulösen, sind damit keine zu einer besonderen Härte im Sinne des § 12 III 1 Nr. 6 SGB II führenden außergewöhnlichen Umstände dargelegt. Vielmehr handelt es sich bei dem beabsichtigten Einsatz der Auszahlungssumme einer Lebensversicherung zur Tilgung von Bankverbindlichkeiten, die für den Erwerb von Immobilien eingegangen worden sind, um eine typische Verwendung.

Im Übrigen dürfte es sich bei der Eigentumswohnung des Klägers nicht um Schonvermögen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II handeln. Danach ist eine selbst genutzte Eigentumswohnung angemessener Größe als Vermögen nicht zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist bei einem Haushalt, der zwei Personen umfasst, eine Wohnungsgröße bis 80 qm nicht unangemessen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 -B 7b AS 2/05 R -, NZS 2007, 428). Die Fläche der Eigentumswohnung des Antragstellers beträgt demgegenüber etwa 130 qm.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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