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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 27.07.2007
Aktenzeichen: S2 B 299/07
Rechtsgebiete: SGB II, SGG


Vorschriften:

SGB II § 22 Abs. 2 a
SGG § 86 b Abs. 2
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Zusicherung im Wege des Eilrechtsschutzes für eine Hilfsbedürftige unter 25 Jahren mit einem Kleinkind zum Umzug in eine eigene Unterkunft.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S2 B 299/07 OVG: S2 S 301/07

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat für Sozialgerichtssachen - durch Richterin Dreger, Richter Göbel und Richter Alexy am 27.07.2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen -8. Kammer für Sozialgerichtsachen- vom 25.07.2007 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für einen Umzug der Antragsteller in die Wohnung Nr. 1153/7/37, R. Straße , 28779 Bremen, zuzusichern.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind zu erstatten. Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren und für die Beschwerdeinstanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T. bewilligt.

Gründe:

Die 1987 geborene unverheiratete Antragstellerin zu 1. und ihr am 06.10.2006 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2, begehren die Zusicherung der Antragsgegnerin zum Umzug in eine eigene Unterkunft.

Die Eltern der Antragstellerin zu 1. sind geschieden. Die Antragsteller leben gemeinsam mit der Mutter bzw. Großmutter und deren zweitem Ehemann in einer von beiden Eheleuten gemieteten 90 m2 großen 4-Zimmer-Wohnung.

Die Antragstellerin zu 1. beabsichtigt einen Dauernutzungsvertrag mit der GEWOSIE über die 56,18 m2 großen Wohnung in Bremen, R. Straße zu schließen, deren Gesamtmiete 380,90 € beträgt (Kaltmiete 280,90 € zuzügl. Vorauszahlungen für Heizkosten i. H. v. 45,- € und Betriebskosten i. H. v. 55,- €). Zusätzlich ist der Erwerb eines Genossenschaftsanteils i. H. v. 750,- € zuzügl. einer einmaligen Beitrittsgebühr i. H. v. 15,- € erforderlich.

Die Antragstellerin zu 1. sprach mit diesem Wohnungsangebot bei der Antragsgegnerin vor. Die Antragsgegnerin verweigerte die Zustimmung. Dagegen legte die Antragstellerin zu 1. Widerspruch ein. Zugleich hat sie beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung und Prozesskostenhilfe beantragt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 25.07.2007 beide Anträge abgelehnt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde, zu deren Durchführung die Antragsteller zugleich Prozesskostenhilfe begehren.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

1.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 S. SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) sind erfüllt.

Für den Anordnungsanspruch gilt Folgendes:

Nach § 22 Abs. 2 a S. 1 SGB II werden den Antragstellern zu 1. und 2., die Grundsicherungsleistungen beziehen, Leistungen für Unterkunft und Heizung nach einem Umzug in eine eigene Unterkunft nur gewährt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages zusichert. Nach § 22 Abs. 2 a S. 2 SGB II ist der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann (Nr. 1), der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist (Nr. 2) oder ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt (Nr. 3).

Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles liegen jedenfalls die Antragsgegnerin zur Abgabe einer Zusicherung verpflichtende sonstige ähnlich schwerwiegende Gründe i. S. des § 22 Abs. 2 a S. 2 Nr. 3 SGB II vor, denen ein ähnliches Gewicht beikommt wie den in § 22 Abs. 2 a S. 2 Nr. 1 genannten Gründen.

Denn die konkreten Wohn- und Lebensbedingungen der Antragsteller in der Wohnung ihrer Mutter bzw. Großmutter und ihres Stiefvaters bzw. Großstiefvaters lassen den weiteren Verbleib der Antragsteller in der bisherigen Unterkunft für alle Beteiligten auf Dauer nicht länger zumutbar erscheinen. Dies gilt namentlich dann, wenn wie hier der in Wechselschicht als Berufskraftfahrer tätige Ehepartner der Mutter/Großmutter sich durch das Zusammenleben auf engstem Raum mit deren Enkelkind in seinem berechtigten Ruhebedürfnis beeinträchtigt sieht und deshalb mit dem weiteren Verbleib der Antragsteller in seiner Wohnung nicht einverstanden ist.

Die Wohnung ist als typische Familienwohnung für Eltern mit 2 oder 3 Kindern für die Lebens- und Wohnbedürfnisse von 3 Generationen nicht geeignet. Sie ist 90 m2 groß, verfügt neben Küche und Bad über ein 24 m2 großes Wohnzimmer, ein 20 m2 großes Elternschlafzimmer und 2 kleinere Kinderzimmer. Das eine Kinderzimmer (15 m2) ist bestimmt für die Unterbringung der Antragstellerin zu 1. Das andere Kinderzimmer ist bestimmt für die Unterbringung der 16 und 18 Jahre alten Söhne aus der ersten Ehe des Ehemannes der Mutter bzw. Großmutter, die in Moers leben und ihren Vater regelmäßig besuchen. Über weiteren Raum für die Unterbringung des Antragstellers zu 2. verfügt die elterliche Wohnung der Antragstellerin zu 1. nicht. Er schläft deshalb zusammen mit der Antragstellerin zu 1. in deren Kinderzimmer. Dem Wohnbedürfnis der Antragsteller zu 1. und 2. genügt die gemeinsame Unterbringung in dem 15 m2 großen Kinderzimmer nicht. Insoweit sind die bisherigen Wohnverhältnisse der Antragsteller für sie unzumutbar. Davon gehen auch die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Beschluss aus, indem sie die Antragsteller auf die Nutzung des weiteren, für die beiden Söhne bestimmten Kinderzimmers, verweisen.

Indessen ist festzustellen, dass jedenfalls der Ehepartner der Mutter/Großmutter der Antragsteller offenbar nicht bereit ist, sein berechtigtes Interesse an einem jederzeitigen ungestörten Besuch seiner beiden Söhne für den Wohnbedarf des Enkelkindes seiner Ehefrau aufzugeben und die bisherige Aufteilung der Kinderzimmer jeweils auf die Kinder aus erster Ehe zugunsten des hinzugekommenen Enkelkindes seiner Partnerin abzuändern. Dass die Mutter/Großmutter in einem früheren Behördenverfahren die Auffassung geäußert haben mag, das für die Söhne ihre Mannes vorbehaltene Zimmer könne dem Enkel überlassen werden, vermag nichts an der gegenwärtigen Tatsache zu ändern, dass ihr Ehemann dazu nicht bereit ist. Sein Bestreben für seine Söhne ebenso wie für die Antragstellerin zu 1. jederzeit Raum in seiner Wohnung zur Verfügung zu stellen, ist im Rahmen von § 22 Abs. 2 a S. 2 SGB II hinzunehmen und zu respektieren mit der Folge, dass die Wohnbedürfnisse der Antragsteller durch ihre gemeinsame Unterbringung in dem nur 15 m2 großen Kinderzimmer in ihrer bisherigen Unterkunft aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann.

Schon deshalb besteht ein schwerwiegender Grund, der die Antragsgegnerin verpflichtet, ihre Zustimmung nach § 22 Abs. 2 a S. 2 Nr. 3 SGB II zu erteilen.

Hinzu kommt, dass das Zusammenleben des Antragstellers zu 2. in der Wohnung mit dem Ehemann seiner Großmutter auch deshalb zu Unzuträglichkeiten führt, weil Letzterer sich in seinem Ruhebedürfnis als Schichtarbeiter beeinträchtigt sieht. Das darin liegende Konfliktpotenzial ist auf Dauer geeignet, ein ungestörtes Zusammenleben der verschiedenen Beteiligten in einer Wohnung auf Dauer schwer zu belasten und macht ein Verbleiben der Antragsteller in der bisherigen Unterkunft ebenfalls unzumutbar.

Das Schließen der Zimmertüren unter Verwendung eines Babyfons, wie vom Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Beschluss erwogen, mag zur Minimierung von Schlafbeeinträchtigungen durch nächtliches Schreien des Antragstellers zu 2. geeignet und zumutbar sein, nicht jedoch, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht, soweit es um das morgendliche Ruhebedürfnis des in Wechselschicht arbeitenden (Stief)Großvaters bei Schichtende um 3.00 Uhr geht. Es erscheint nicht realistisch und entspricht auch nicht den normalen Lebensgewohnheiten im Umgang mit einem Kleinkind und insbesondere auch nicht dessen natürlichen Lebensbedürfnissen, das Kind des Morgens hinter geschlossenen Zimmertüren permanent ruhig zu stellen.

Vielmehr ist festzustellen, dass die Wohnung nicht geeignet ist, die legitimen gegensätzlichen Lebensbedürfnisse der beteiligten 3 Generationen zu vereinbaren.

Kein Streit besteht zwischen den Antragstellern und der Antragsgegnerin darüber, dass die Kosten für die beabsichtigte eigene Unterkunft der Antragsteller in der R. Straße für einen 2-Personen-Haushalt angemessen i. S. des § 22 Abs. 1 SGB II sind (vgl. insoweit auch den Beschluss des 1. Senats vom 09.07.2007 - OVG S1 B 183/07, auch zur (darlehensweisen) Übernahme einer Mietkaution, wobei im vorliegenden Fall dem zu erwerbenden Genossenschaftsanteil eine entsprechende Funktion beikommt).

Nachdem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren spricht, ist auch ein Anordnungsgrund, d. h. die Erforderlichkeit einer Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile zu bejahen. Dies gilt auch für die im Eilverfahren grundsätzlich nicht mögliche Vorwegnahme der Hauptsache, da nach der Natur des geltend gemachten Anordnungsanspruchs auf Erteilung einer Zusicherung vorläufige Regelungen ausscheiden müssen.

Der Regelung in § 22 Abs. 2 a SGB II ist zu entnehmen, dass eine Zusicherung grundsätzlich vor Abschluss des beabsichtigten Mietvertrages erteilt werden muss, um eine Kostenübernahmepflicht zu begründen. Die Antragsteller haben vorgetragen, dass die Wohnung für die sie die Zusicherung der Antragsgegnerin begehren, nur noch bis zum 27.07.2007 für sie freigehalten wird. Der Zugang zur einstweiligen Klärung ihres Anspruchs würde den Antragstellern prinzipiell verwehrt, was mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG schwerlich vereinbar wäre, wenn die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt werden würde.

2.

Da die Rechtsverfolgung aus den ausgeführten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, sind auch die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für beide Instanzen gegeben (§ 73 a SGG i. V. m. §§ 114, 119, 121 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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