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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: S3 S 355/08
Rechtsgebiete: SGG, ZPO, GG


Vorschriften:

SGG § 172
SGG § 73a
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 19 Abs. 4
Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten ist nach § 172 Abs. 1 SGG auch dann statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes die Wertgrenze in Höhe von € 750 gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S3 S 355/08

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 3. Senat für Sozialgerichtssachen - durch die Richter Dr. Grundmann und Dr. Lohmann und Richterin Dr. Jörgensen am 17.09.2008 beschlossen:

Tenor:

Dem Kläger wird unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 21.07.2008 für das Verfahren S4 K 1027/08 Prozesskostenhilfe ohne Anordnung einer Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin V. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts bewilligt.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Kühlschranks nach dem SGB XII.

Der 48 Jahre alte Kläger erhält Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Er ist verheiratet und lebt von seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern getrennt. Er bezog zum 01.07.2005 eine eigene Wohnung in Hamburg. Mit Bescheid vom 05.07.2005 wurde dem Kläger für die Anschaffung eines Kühlschranks eine Leistung in Höhe von € 154 bewilligt. Am 19.12.2006 beantragte der Kläger Leistungen für die Anschaffung einer Waschmaschine, da sein altes Gerät defekt sei. Mit Bescheid vom selben Tag wurde ihm ein Darlehen nach § 37 SGB XII in Höhe von € 256 für die Anschaffung von Elektrogeräten bewilligt.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 20.08.2007 die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Kühlschranks, da sein alter Kühlschrank defekt sei. Er müsse den gegenwärtig von ihm leihweise genutzten Kühlschrank zurückgeben.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat er am 18.01.2008 Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er habe von den ihm bewilligten Leistungen eine gebrauchte Kühl- und Gefrierkombination zum Preis von € 80 und für den Restbetrag ein neues Fernsehgerät erworben. Der Kühlschrank sei allerdings defekt.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 21.07.2008 abgelehnt, da der Kläger die begehrte Leistung bereits erhalten habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde.

II. Die Beschwerde des Klägers hat Erfolg.

1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage ist nach § 172 Abs. 1 SGG zulässig, auch wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes die Wertgrenze gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von € 750 nicht erreicht (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.06.2008 - L 5 B 163/08 AS; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.05.2008 - L 6 B 48/08 AS; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2008 - L 29 B 1004/08 AS; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.04.2007 - L 19 B 42/06 AL; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 73a Rn. 12c; Hdb SGB - Udsching, VI Rn. 72; a. A.: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.07.2008 - L 7 SO 3120/08; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.07.2008 - L 12 B 18/07 AL -; Knittel, in Henning, SGG, § 73a Rn. 72).

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte oder besonderen Spruchkörper der Verwaltungsgerichte für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (§ 50a SGG) mit Ausnahme der Urteile und Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statthaft, soweit nicht im SGG etwas anderes bestimmt ist.

Die Anwendung der die Beschwerde einschränkenden Regelung des § 172 Abs. 3 SGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung führt nicht zu ihrem Ausschluss. Denn ausdrücklich ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG nur ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt.

Die Beschwerde ist auch nicht gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für das sozialgerichtliche Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechend. Die Anwendung der Sonderregelung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, nach der die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht zulässig ist, wenn die Hauptsache nicht rechtsmittelfähig ist, scheidet für das sozialgerichtliche Verfahren aus, da es insoweit an einer planwidrigen gesetzgeberischen Lücke im SGG fehlt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.05.2007 - L 10 B 217/07 AS PKH -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 08. und 19.04.2007 - L 19 B 42/06 AL und L 16 B 9/07 KR -, Breithaupt 2007, 812; LSG Baden-Württemberg vom 02.01.2007 - L 13 AS4100/06 PKH-B -).

Die Zulässigkeit der Beschwerde kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass dies zur Folge hätte, dass der Rechtsmittelzug im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter reicht als in der Hauptsache. Zwar ist zuzugeben, dass die Zulassung der Beschwerde in solchen Fällen nicht im Einklang mit dem Ziel der "nachhaltigen Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit durch Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens" (vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes, BT-Drs. 16/7716, S. 10) steht. Jedoch hat durch § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ein allgemeiner Rechtsgedanke, wonach der Beschwerderechtszug im Prozesskostenhilfeverfahren nicht weiter als der Rechtszug der Hauptsache reichen darf, seinen Ausdruck für das sozialgerichtliche Verfahren gefunden (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.September 2007 - L 13 B 7/07 SF - Nds Rpfl 2008, 62; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.07.2008 - L 7 SO 3120/08). Es ist bereits zweifelhaft, ob ein solcher Grundsatz angenommen werden kann (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 17.03.1988 - 2 BvR 233/84 -, BVerfGE 78, 88). Zudem verkennt diese Auffassung, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe der Sicherung der durch Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit dient. Dem hat auch das Prozesskostenhilfeverfahren Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2036/07 -, FamRZ 2008, 581). Auch wenn das zugehörige Hauptsacheverfahren nicht mehr fortgeführt werden kann, bleiben weniger Bemittelte mit den Kosten der abgeschlossenen Instanz belastet, wenn ihnen die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht versagt worden ist (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 13.09.1988 - 1 B 38/88 -, NVwZ-RR 1989, 585). Die Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss ermöglicht die Prüfung der ordnungsgemäßen Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. Hdb SGB - Udsching, VI Rn. 72). Im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung kann die Beschwerde gegen die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnende Beschlüsse nicht eingeschränkt werden. Denn es ist zu beachten, dass Art. 19 Abs. 4 GG einer Beschränkung der von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Rechtsmittel durch die Gerichte entgegensteht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.07.2008 - L 29 B 1004/08 AS-). Wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit obliegt dies allein dem Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.03.1988 - 2 BvR 233/84 -, BVerfGE 78, 88).

Eine gesetzgeberische Entscheidung, die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht auszuschließen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes die Wertgrenze gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von € 750 nicht erreicht, liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat vielmehr trotz der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Ablehnung der Einschränkung der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe auf die Fälle, in denen in der Hauptsache die Berufung ohne Zulassung statthaft wäre, davon abgesehen, die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen der fehlenden Erfolgsaussichten der Klage ausdrücklich auszuschließen. Er hat darauf auch bei dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (-SGGArbGGÄndG-, BGBl. I 2008, S. 444), das mit § 173 Abs. 3 Nr. 2 SGG eine ausdrückliche, die Beschwerdemöglichkeiten gegen PKH-Beschlüsse einschränkende Regelung vorsieht, verzichtet (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.05.2008 - L 6 B 48/08 AS).

2. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO).

Im Unterschied zur Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wird gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII als Leistung der Grundsicherung im Grundsatz der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts mit dem Regelsatz erbracht. Zu diesem Bedarf gehört auch die Ausstattung der Wohnung mit Haushaltsgeräten. Besondere Leistungen für Haushaltsgeräte sind gemäß §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII nur noch für die Erstausstattung einer Wohnung möglich, nicht dagegen für den Ersatz abgenutzter oder defekter Geräte. Dem Kläger wurde mit Bescheid der Beklagten vom 05.07.2005 (Bl. 271 - 275 Leistungsakten) eine Leistung von € 154 ausdrücklich für die Anschaffung eines Kühlschranks bewilligt. Die Zweckbindung der Leistung wurde dem Kläger auch offenbart, da in dem Bescheid die Leistungsposition mit "Kühlschrank" bezeichnet wird. Der von der Beschwerde angeführte Leistungsbescheid vom 19.12.2006 (Bl. 236 - 240), dessen Leistungsposition "Elektrogeräte" lautet, erging - wie bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt - auf den Antrag des Klägers wegen des Defekts seiner Waschmaschine.

Das Verwaltungsgericht hat allerdings nicht beachtet, dass ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift sollen dann, wenn im Einzelfall ein von den Regelsätzen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden kann, auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden. Ein Kühlschrank zählt als Haushaltsgerät zu dem von der Regelleistung umfassten Bedarf. Es ist im Hauptsacheverfahren zu klären, ob der Bedarf des Klägers nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Unabweisbar geboten ist ein Bedarf nur dann, wenn die Leistung nicht aufschiebbar ist und der Bedarf nicht auf andere Weise gedeckt werden kann. Es muss eine außerordentliche Notlage eingetreten sein (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 37 Rn. 8). Dass der Kläger sich in einer solchen Notlage befand, erscheint möglich und bedarf eingehender Prüfung, für die im Prozesskostenhilfeverfahren kein Raum ist. Das vom Kläger zunächst zum Preis von € 80 angeschaffte Gerät war nach seinem Vortrag defekt. Sein Bedarf habe nur vorläufig durch ein geliehenes Gerät gedeckt werden können.

3. Soweit der Antragsteller Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wegen der Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht begehrt, ist eine Gewährung grundsätzlich nicht möglich, denn gemäß § 114 ZPO kann Prozesskostenhilfe nur für die Prozessführung im eigentlichen Streitverfahren, nicht aber für das Bewilligungsverfahren gewährt werden (vgl. BGH, Urteil vom Beschluss vom 30.05.1984 - VIII ZR 298/83 -, BGHZ 91, 311; Hk-SGG/Littmann, 2. Aufl. 2006, § 73a Rn. 1).

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