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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 13.11.2003
Aktenzeichen: 1 M 170/03
Rechtsgebiete: KAG MV, BauGB


Vorschriften:

KAG MV § 8
BauGB § 127
BauGB § 131
Ist nur ein Teil einer Verkehrsanlage eine Anbaustraße und verläuft ein anderer Teil im Außenbereich, kann es sich um zwei verschiedene öffentliche Verkehrsanlagen handeln. Der rechtliche Gesichtspunkt der natürlichen Betrachtungsweise kann in einem solchen Fall zurücktreten.

Die Bestimmung der örtlichen Ausbaugepflogenheiten und die genaue Grenzziehung zwischen einer Anbaustraße und einer Außenbereichsstraße bleiben dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten.

Die Herstellung einer Außenbereichsstraße kann eine beitragspflichtige Maßnahme im Sinne des § 8 KAG M-V darstellen.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

Az.: 1 M 170/03

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Ausbaubeiträge

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 13. November 2003 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 19. August 2003 - 8 B 748/02 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.819,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstücke 57/5 und 58/2 der Flur 4 in der Gemarkung Wü. mit der straßenmäßigen Bezeichnung "Ne. 5". Das Grundstück ist 17.539 m2 groß, an einen Kleingartenverein verpachtet (jährliche Pacht 511,29 Euro) und wird im Wesentlichen als Dauerkleingarten genutzt. Es ist ausweislich der Luftbildaufnahme, die sich bei den Verwaltungsvorgängen befindet, im Wesentlichen mit Gartenlauben bebaut.

Im Zeitpunkt der Wende (03. Oktober 1990) war das Grundstück über eine Straße mit sandgeschlemmter Schotterdecke wegemäßig erreichbar. Die Straße wies eine Breite von 4 bis 5 Metern auf und verfügte über einen einseitig angelegten Straßengraben. Die Fahrbahnoberfläche hatte starke Unebenheiten und Schlaglöcher. Gehwege waren nicht vorhanden. Die Beleuchtungsanlage wies Schäden auf.

Im Jahre 1997 beschloss der Antragsgegner, den Bauzustand der Straße zu verändern. Die diesbezüglichen Maßnahmen wurden im selben Jahre abgeschlossen. Die Straßenoberfläche wurde mit Betonsteinpflastern in einer Breite von 4,75 m befestigt. Eine Straßenentwässerung durch einen Regenwasserkanal wurde erstellt. Die Beleuchtungsanlage wurde komplett erneuert. Im Jahre 2001 tätigte die Landeshauptstadt Schwerin den letzten Grunderwerb für die Straße.

Durch Bescheid vom 18. April 2002 zog der Antragsgegner die Antragstellerin zu einem Straßenbaubeitrag für die Ausbaumaßnahme "Ne. (Anlage B)" in Höhe von 27.191,98 Euro heran. Der Antragsgegner legte dabei die gesamte Grundstücksfläche von 17.539 m2 zugrunde und multiplizierte diese Fläche mit dem Nutzungsfaktor 0,5, den § 5 Abs. 5b der Satzung der Landeshauptstadt Schwerin über die Erhebung von Ausbaubeiträgen (Ausbaubeitragssatzung) - ABS - vom 14. Februar 2002 vorsieht; diese Satzung trat rückwirkend zum 01. Januar 1997 in Kraft.

Mit Schreiben vom 30. April 2002 erhob die Antragstellerin Widerspruch, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen vortrug, dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, auf welcher Grundlage eine Berechnung des Straßenbaubeitrages erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2002 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung: Es bestünden, so führte die Antragstellerin aus, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Darüber hinaus stelle die Vollziehung des Abgabenbescheides eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar. Ergänzend zur Widerspruchsbegründung trug die Antragstellerin vor, der Nutzungsfaktor von 0,5 sei rechtswidrig. Sie - die Antragstellerin - sei Rentnerin. Ihr einziges Einkommen beschränke sich auf eine monatliche Rente von gut 600,00 Euro. Es sei ihr nicht möglich, den Beitrag zu zahlen.

Durch Bescheid vom 18. Juni 2002 lehnte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ab.

Am 31. Juli 2002 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung hat sie sich auf die Rechtswidrigkeit des Heranziehungsbescheides berufen sowie darauf, dass die Abgabenerhebung eine unbillige Härte darstelle.

Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2002 hat der Antragsgegner die Abgabenfestsetzung geändert und den zu zahlenden Straßenbaubeitrag auf nunmehr 27.276,25 Euro erhöht.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Antragstellerin am 24. Oktober 2002 zugestellt. Am Montag, den 25. November 2002 hat sie Klage erhoben.

Durch Beschluss vom 19. August 2003 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei zulässig und begründet. An dem angefochtenen Bescheid bestünden ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO.

Rechtswidrigkeitszweifel bestünden jedoch nicht auf Grund der von der Antragstellerin vorgetragenen Argumente. Der Nutzungsfaktor von 0,5 für Kleingartengrundstücke sei bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Insoweit liege auch kein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot nach § 2 Abs. 5 Satz 4 KAG M-V vor, weil bereits die Vorgängersatzung aus dem Jahre 1997 denselben Nutzungsfaktor enthalten habe. Die Antragstellerin könne sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Berechnung des Straßenbaubeitrages sich nicht in allen Einzelheiten aus den angefochtenen Bescheiden ergebe.

Das Verwaltungsgericht könne sich jedoch Rechtmäßigkeitszweifeln nicht verschließen, die in der im vorliegenden Zusammenhang nicht abschließend zu beantwortenden Frage begründet seien, ob die Straße Ne. (Anlage B) erst durch die streitige Ausbaumaßnahme erstmals im Sinne der erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschriften hergestellt worden sei, oder ob das bereits vor Oktober 1990 geschehen sei. Letzteres hätte zur Folge, dass die Antragstellerin grundsätzlich zu Straßenbaubeiträgen herangezogen werden könne. Im ersteren Falle könnte sie allenfalls nach erschließungsbeitragsrechtlichen Bestimmungen belastet werden. Da ihr Grundstück im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht als Dauerkleingärten genutzt werde, könnte sie dann beitragsfrei bleiben.

Wäre die Straße nicht bereits im Zeitpunkt der Wende hergestellt, so könnte das Grundstück der Antragstellerin erschließungsbeitragspflichtig sein. Als Dauerkleingärten im nicht beplanten Bereich genutzte Grundstücke gehörten grundsätzlich nicht zu den erschlossenen Grundstücken im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB. Das gelte auch für das Grundstück der Antragstellerin. Es dürfte insbesondere, was auch dem Vortrag des Antragsgegners entspreche, im Außenbereich liegen und unterfalle auch nicht der Außenbereichssatzung der Landeshauptstadt Schwerin vom 24. September 1996.

Die Entscheidung der Frage, ob die Straße Ne. mit ihrer sandgeschlemmten (Fahrbahn-)Schotterdecke und ihrer bereits 1995 errichteten Straßenbeleuchtung den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprochen und somit als bereits vor dem 03. Oktober 1990 hergestellt gelte, sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die vorstehend genannten Unsicherheiten oder Unentschiedenheiten in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachenfragen bewirkten, dass die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in Zweifel zu ziehen sei und somit ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO vorlägen.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist dem Antragsgegner am 01. September 2003 zugestellt worden.

Mit seiner am 12. September 2003 erhobenen und am 29. September 2003 begründeten Beschwerde macht der Antragsgegner im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass auch Dauerkleingartengrundstücke, die mit Wochenendhäusern bebaut seien, gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossene Grundstücke seien. Sie würden in einer der baulichen oder gewerblichen Nutzung vergleichbaren Weise genutzt und verursachten damit Verkehr.

Die Straße Ne. Anlage B sei im Oktober 1990 entsprechend den ortsüblichen Ausbaugepflogenheiten hergestellt gewesen. Die Ortslage Ne. sei eine am Rande der Stadt liegende Siedlung, die noch bis 1970 zur Gemeinde Ne. gehört habe. Derartige Ortsrandlagen seien im gesamten Stadtrandgebiet von Sch. vorhanden. Gerade die in diesem Bereich verlaufenden Straßen, die die letzte Bebauung vor dem Übergang in den Außenbereich erschlossen, vorliegend sogar im Außenbereich verliefen, seien überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass der Ausbau weit hinter dem heutigen Standard zurückgeblieben sei. Die Fahrbahnen seien überwiegend nur sandgeschlemmt, die Gehwege ebenso bzw. gar nicht vorhanden. Auch die Beleuchtung habe weitgehend gefehlt.

Folgte man der Auffassung des Verwaltungsgerichts - so trägt der Antragsgegner weiter vor -, dass es sich bei der Anlage möglicherweise um eine erstmalig hergestellte Erschließungsanlage handele, richte sich das Beitragsverfahren (gleichfalls) nach § 8 KAG M-V, da es sich bei der Satzung der Landeshauptstadt Schwerin über die Bestimmung von Vorhaben in dem bebauten Bereich Ne. im Außenbereich vom 24. September 1996 um eine Satzung gemäß § 4 Abs. 4 BauGB-MaßnahmeG handele. Die Grundstücke blieben damit Außenbereichsgrundstücke, für die weiterhin § 35 BauGB gelte. Im Ergebnis sei auch für den Fall, dass die Erschließungsanlage erstmalig hergestellt worden sei, eine Beitragserhebung nach den Verteilungsregelungen der ABS 2002 zulässig, bei der das streitige Grundstück zum Abrechnungsgebiet gehöre.

Die Antragstellerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber in der Sache unbegründet.

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren nur die dargelegten Gründe.

Diese sind nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis in Zweifel zu ziehen (siehe Ziffern 1 ff.). Rechtlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Senat seine Entscheidung in Teilen anders begründet als das Verwaltungsgericht.

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Vollziehung der streitigen Bescheide ausgesetzt, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abgabenerhebung im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO bestehen.

Aus diesem Grunde kann der Senat es im vorliegenden Fall offen lassen, ob eine Aussetzung auch deshalb hätte erfolgen müssen, weil (zusätzlich) die Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO unter dem rechtlichen Gesichtspunkt vorliegen, dass die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Eine eingehende Prüfung dieses rechtlichen Gesichtspunktes erscheint im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin, die Höhe des Beitrages und die bei realistischer Betrachtung wohl geringen Möglichkeiten der Belastung oder Verwertung des Grundstücks mit seiner Nutzung als Dauerkleingärten nicht fernliegend.

1. Der Hinweis der Beschwerde auf § 133 Abs. 1 BauGB vermag ihr nicht zum Erfolg zu verhelfen. Nach dieser Vorschrift, die den Gegenstand und das Entstehen der Beitragspflicht regelt, unterliegen Grundstücke der Beitragspflicht, für die eine baulich oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen. Erschlossene Grundstücke, für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, unterliegen der Beitragspflicht, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung anstehen.

Die Anwendung des § 133 Abs. 1 BauGB setzt aber voraus, dass das betreffende Grundstück überhaupt erschlossen ist im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB und mithin in den Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke einzubeziehen ist. Nach § 131 Abs. 1 BauGB ist der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand für die Erschließungsanlage auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen.

Wie auch die Beschwerde einräumt, ist das streitige Grundstück der Antragstellerin im Außenbereich (§ 35 BauGB) belegen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, unterliegen Außenbereichsgrundstücke nicht der Erschließungsbeitragspflicht im Sinne der §§ 127 ff. BauGB. Die Straße Ne. (Anlage B) stellt, jedenfalls soweit sie vor dem Grundstück der Antragstellerin verläuft, keine Anbaustraße dar, die dem Regime des Erschließungsbeitragsrechts unterliegt, siehe unten.

2. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss wesentlich auf die Tatsache gestützt, dass bei summarischer Prüfung sich im vorliegenden Eilverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt, ob die Straße Ne. (Anlage B) am 03. Oktober 1990 bereits entsprechend den ortsüblichen Ausbaugepflogenheiten hergestellt gewesen ist oder nicht. Diese Fragestellung führt zu der weiteren in der Rechtsprechung und Literatur streitigen Problematik, wie im Einzelnen die örtlichen Ausbaugepflogenheiten zu bestimmen sind (grundlegend OVG Greifswald, Beschluss vom 3. Juni 1996 - 6 M 20/95 -, RAnB 1996, 273 = LKV 1997, 225 = GemH 1997, 276 = SächsVBl 1998, 38 = DVBl. 1997, 501 = ZKF 1996, 254 = NJ 1996, 672 = NVwZ 1997, 820 = Überblick 1996, 489; Holz in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 8 Erl. 3.2.2; einen anderen Ansatz verfolgend z.B. Driehaus in Erschließungs- und Straßenbaubeiträge, 6. Aufl., § 2 Rn. 42 m.w.N.). Damit bleibt im vorliegenden Fall offen, ob hier das Regime des Erschließungsbeitragsrechts oder des Straßenbaubeitragsrechts eingreift (siehe § 242 Abs. 9 BauGB).

Der Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichtes an, dass die abschließende Entscheidung dieser Frage dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben muss. Insbesondere wird das Verwaltungsgericht - wie es in seinem Beschluss zutreffend festgestellt hat - gegebenenfalls eine Beweisaufnahme durchzuführen haben. Die Ausführungen, die die Beschwerde zu dem Ausbauzustand von am Ortsrand von Sch. gelegenen Straßen im Zeitpunkt der Wende macht, sind im Ergebnis nicht ausreichend, den Inhalt der örtlichen Ausbaugepflogenheiten mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen.

3. Die Beschwerde hat auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg, dass sich die Beitragsfestsetzung für das Grundstück der Antragstellerin in jedem Falle nach Landesrecht (§ 8 KAG M-V) zu richten habe, das heißt auch dann, wenn die Straße Ne. (Anlage B) am 03. Oktober 1990 nicht bereits hergestellt gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht geht zwar davon aus, das Grundstück der Antragstellerin bleibe beitragsfrei, wenn das Erschließungsbeitragsrecht Anwendung finde. Dieser Aussage folgt der Senat nicht. Gleichwohl bestehen die ernstlichen Zweifel an der Abgabenfestsetzung fort, wenn auch aus anderen Gründen.

Ausweislich des sich bei den Akten befindenden Luftbildes und der Karte, die das Abrechnungsgebiet darstellt, ist bei summarischer Prüfung für den Fall, dass die Straße im Zeitpunkt der Wende noch nicht erstmalig hergestellt gewesen ist, von Folgendem auszugehen: Der nordöstliche Straßenabschnitt der Straße Ne. (Anlage B) könnte sich durchaus als Anbaustraße darstellen, weil er im unbeplanten Innenbereich gelegen ist. Der südwestliche Straßenabschnitt, an dem das Grundstück der Antragstellerin liegt, wird, soweit überhaupt bebaute Grundstücke angrenzen, im Wesentlichen durch die Kleingartennutzung geprägt. Damit ist die Auffassung des Antragsgegners, das Grundstück der Antragstellerin liege im Außenbereich (§ 35 BauGB), zutreffend.

Bei einer derartigen Sachlage - ein Teil einer Verkehrsanlage ist eine Anbaustraße, ein anderer Teil verläuft im Außenbereich - kann es sich um zwei verschiedene öffentliche Verkehrsanlagen handeln. Der rechtliche Gesichtspunkt der natürlichen Betrachtungsweise (vgl. hierzu z.B. OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Oktober 2001 - 1 M 52/01 -, NordÖR 2001, 503 = NVwZ-RR 2002, 304 = KStZ 2002, 239 = Überblick 2002, 40 m.w.N., sowie OVG Greifswald, Beschluss vom 29. Juli 1997 - 6 M 93/97 -, a.a.O.) kann in einem solchen Fall zurücktreten.

Straßen im Außenbereich sind nicht zum Anbau bestimmt. Deshalb kann eine Straße im Außenbereich weder als solche noch als Verlängerung einer Straße, die bereits im Innenbereich liegt, eine zum Anbau bestimmte Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB sein. Das gilt auch für Straßen in bebauten Bereichen des Außenbereichs, für die die Gemeinde - wie hier - eine Satzung nach § 35 Abs. 6 BauGB (vormals § 4 Abs. 4 BauGB-MaßnahmeG) erlassen hat (Driehaus in Erschließungs- und Straßenbaubeitragsrecht, 6. Aufl., § 12 Rn. 34, m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt im Einzelnen: Geht eine zum Anbau bestimmte Teilstrecke einer einheitlichen öffentlichen Verkehrsanlage in eine beidseitig nicht zum Anbau bestimmte Teilstrecke über, verliert diese Straße von da an ihre Qualität als beitragsfähige Anbaustraße, wenn die beidseitig nicht zum Anbau bestimmte Teilstrecke - erstens - den Eindruck einer gewissen erschließungsrechtlichen Selbstständigkeit vermittelt und - zweitens - im Verhältnis zu der Verkehrsanlage insgesamt nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung ist. Eine beidseitig nicht zum Anbau bestimmte Teilstrecke einer bei natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Straße vermittelt den Eindruck einer gewissen erschließungsrechtlichen Selbstständigkeit, wenn sie mehr als 100 m lang ist, und sie ist im Verhältnis zu der Verkehrsanlage insgesamt nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung, wenn ihre Ausdehnung jedenfalls ein Fünftel der Ausdehnung der gesamten Verkehrsanlage ausmacht (BVerwG, Urt. vom 6. Dezember 1996 - 8 C 32/95 -, BVerwGE 102, 294 = DVBl. 1997, 499).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zum Beispiel Urteil vom 7. Juni 1996 - BVerwG 8 C 30.94 -, DVBl. 1996, 1325 m.w.N.; Urteil vom 6. Dezember 1996 a.a.O.) ist für die Beantwortung der Frage, ob ein Straßenzug eine einzelne beitragsfähige Erschließungsanlage ist oder aus mehreren Anlagen besteht, - ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise - auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Erschließungsbeitragspflichten geprägte Erscheinungsbild abzustellen. Das bezeichnet indes lediglich die Regel und lässt Raum für eine abweichende Beurteilung im Einzelfall. Eine solche abweichende Beurteilung kann mit Rücksicht auf das Merkmal "zum Anbau bestimmt" geboten sein und - sofern das zutrifft - dazu führen, dass eine bei natürlicher Betrachtungsweise einheitliche Straße in erschließungsbeitragsrechtlich unterschiedlich zu beurteilende Einzelanlagen zerfällt. Das ist etwa der Fall, wenn eine nach den tatsächlichen Verhältnissen einheitliche Straße zunächst im unbeplanten Innenbereich und sodann durch unbebaubares (bzw. nur nach Maßgabe des § 35 BauGB bebaubares) Gelände des Außenbereichs verläuft. Denn eine Straße ist nur "zum Anbau bestimmt" im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit an sie angebaut werden darf, d.h. wenn und soweit sie die an sie angrenzenden Grundstücke nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar (oder sonst wie in nach § 133 Abs. 1 BauGB beachtlicher Weise nutzbar) macht. Folglich endet die Anbaubestimmung einer Straße und damit ihre Eigenschaft als beitragsfähige Erschließungsanlage u.a., wenn sie nicht nur für eine unter dem Blickwinkel des Erschließungsbeitragsrechts nicht ins Gewicht fallende Teilstrecke in den Außenbereich einmündet, und sie endet überdies dann, wenn sie mit einer solchen Teilstrecke durch ein aufgrund entsprechender Festsetzung beidseitig der Bebauung entzogenes Bebauungsplangebiet verläuft (BVerwG, Urt. vom 6. Dezember 1996 - 8 C 32/95 -, BVerwGE 102, 294 = DVBl. 1997, 499, m.w.N.).

Die Anwendung der vorstehend genannten Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis: Bei summarischer Prüfung endete die Bestimmung der Straße Ne. (Anlage B) zum Anbau und damit ihre Eigenschaft einer beitragsfähigen Erschließungsanlage an der Stelle, wo die genannte Straße in den Außenbereich übergeht (vgl. auch Driehaus, a.a.O., Rn. 35); die genaue Grenzziehung wird dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben müssen. Bei der Abrechnung ist von zwei Anlagen auszugehen. Der voraussichtlich wesentlich kürzere nordöstliche Teil der Straße Ne. (Anlage B) wäre als erstmalig hergestellte Anbaustraße nach Erschließungsbeitragsrecht abzurechnen, und zwar mit dem geringeren Gemeindeanteil. Der wohl über 100 Meter lange südwestliche Teil der Straße, der sich dann als reine Außenbereichsstraße darstellen würde, unterfiele dem Straßenbaubeitragsrecht.

Der Senat folgt der Auffassung des Antragsgegners, dass auch die Herstellung einer Außenbereichsstraße eine beitragspflichtige Maßnahme im Sinne des § 8 KAG M-V darstellen kann. Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des VGH Kassel (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1994 - 5 UE 327/90 - und 5 UE 328/90) - und des OVG Lüneburg (vgl. 27. Februar 1980 - 9 C 2/79 -; vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Straßenbaubeiträge, 6. Aufl., § 28 Rn. 3, zu so genannten Wirtschaftswegen; ferner OVG Münster, vom 19. Januar 1998 - 15 A 2989/95 -, für die Erstellung eines Radweges im Außenbereich). Generell gilt für das Verhältnis zwischen Erschließungs- und Straßenbaubeitragsrecht, dass die Regelungen der Straßenbaubeiträge "Auffang"-Normen zur Erhebung von Beiträgen für die Ausbaumaßnahmen an nicht leitungsgebundenen öffentlichen Anlagen sind, die keine Erschließungsbeitragspflichten auslösen (Driehaus, a.a.O., § 2 Rn. 5).

Der Antragsgegner wird - unter der oben genannten Prämisse, dass die Straße im Zeitpunkt der Wende noch nicht endgültig hergestellt gewesen ist - eine Kostenzuordnung auf die beiden im beitragsrechtlichen Sinne gesondert abzurechnende Verkehrsanlagen vorzunehmen, zwei Abrechnungsgebiete zu bilden und alsdann die auf die jeweiligen Grundstücke entfallenden Beiträge neu zu ermitteln haben. Da die Grundstücksanlieger in dem nach Erschließungsbeitragsrecht abzurechnenden Straßenteil einen höheren Anteil durch Beiträge abzudecken haben, erscheint es nahe liegend, dass die Grundstückseigentümer, die lediglich zu Straßenbaubeiträgen herangezogen werden, mit einer geringeren Summe belastet werden. Dies allein reicht aus, ernstliche Zweifel an der Abgabenfestsetzung in der Höhe, wie sie jetzt erfolgt ist, zu bejahen.

Es ist nicht Aufgabe eines Beschwerdeverfahrens, eine Neuberechnung des Beitrages durch das Gericht vorzunehmen. Dies wird gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu erfolgen haben. Da sich nicht absehen lässt, in welcher Höhe gegebenenfalls ein Beitrag auf das Grundstück der Antragstellerin entfällt, ist die Abgabenfestsetzung insgesamt und nicht nur teilweise auszusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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