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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 28.03.2007
Aktenzeichen: 2 M 162/06
Rechtsgebiete: EnWG, BTOElt


Vorschriften:

EnWG § 6
EnWG § 36
BTOElt § 1
BTOElt § 12
BTOElt § 14
Zur - hier verneinten - Frage der Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Aufsichtsbehörde, durch die einem Energieversorgungsunternehmen aufgegeben wird, Haushaltskunden die Stromversorgung zu bestimmten Tarifen anzubieten.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

2 M 162/06

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Energierecht

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern

am 28. März 2007

in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin - 1. Kammer - vom 24.10.2006 wird geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 31.03.2006 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 50.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, ein Energieversorgungsunternehmen, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Anordnung des Antragsgegners, durch die dieser ihr aufgegeben hat, Haushaltskunden die Stromversorgung zu bestimmten Tarifen anzubieten.

Gegen den Bescheid vom 31.03.2006 hat die Antragstellerin Klage erhoben, die beim Verwaltungsgericht - 1 A 572/06 - anhängig ist.

Um die mit dem Bescheid erlassene Vollzugsanordnung geht es im vorliegenden Verfahren.

Das Verwaltungsgericht hat den in erster Linie auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Antrag durch Beschluss vom 24.10.2006 abgelehnt und zur Begründung u.a. folgendes ausgeführt: Ob sich die streitige Anordnung als rechtmäßig oder rechtswidrig darstelle, müsse im Hinblick auf die Schwierigkeiten der energierechtlichen Streitfragen der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die gebotene Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an einer Strompreiserhöhung und dem der Endverbraucher an der Beibehaltung der bisherigen Tarife falle zu Lasten der Antragstellerin aus. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr bei einer Fortgeltung der bisherigen Tarife wesentliche Nachteile drohen würden.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.

Zu Recht wird mit der Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geltend gemacht, dass die im Rahmen des hier einschlägigen § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens abzustellen hat und dass der von der Antragstellerin erhobenen Klage voraussichtlich stattzugeben sein wird, weil es an einer Ermächtigungsgrundlage für die streitige Anordnung fehlt.

Diese lässt sich entgegen der vom Antragsgegner vertretenen Auffassung nicht auf § 14 Satz 2 Nr. 1 BTOElt stützen. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde eine bestimmte Maßnahme verfügen, wenn das Energieversorgungsunternehmen auf eine Aufforderung nach Satz 1 keine geeignete Maßnahme zur Beseitigung des Verstoßes (gegen die Vorschriften dieser Verordnung) trifft.

Die Regelung stellt eine Ermächtigungsgrundlage für Aufsichtsmaßnahmen dar. Voraussetzung hierfür ist ein Verstoß des Energieversorgungsunternehmens gegen eine Vorschrift der Verordnung. Insbesondere zielt die Regelung darauf ab, sicherzustellen, dass die Energieversorgungsunternehmen die ihnen in der Verordnung auferlegten Pflichten erfüllen. Geschieht dies auch nach einer Aufforderung gemäß § 14 Satz 1 BTOElt nicht, kann die Behörde eine Maßnahme nach Satz 2 verfügen. Beispielhaft seien hier die in § 10 Abs. 1 BTOElt geregelten Mitteilungspflichten genannt.

Der Antragsgegner hält die von ihm getroffene Anordnung für gerechtfertigt, weil die Antragstellerin gegen §§ 1 Abs. 1 und 12 Abs. 1 BTOElt verstoßen habe. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. § 1 Abs. 1 BTOElt regelt, welchen Erfordernissen allgemeine Tarife zu genügen haben, die Energieversorgungsunternehmen "mit allgemeiner Anschluss- und Versorgungspflicht nach § 6 des Energiewirtschaftsgesetzes" für die Versorgung in Niederspannung anzubieten haben. Mit § 6 EnWG ist ersichtlich die bereits zum 28.04.1998 außer Kraft getretene Fassung des Gesetzes gemeint, deren Absatz 1 folgendermaßen lautete:

Versorgt ein Energieversorgungsunternehmen ein bestimmtes Gebiet, so ist es verpflichtet, allgemeine Bedingungen und allgemeine Tarifpreise öffentlich bekanntzugeben und zu diesen Bedingungen und Tarifpreisen jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen (allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht).

Demgegenüber hat die aktuelle Fassung des § 6 EnWG einen anderen Regelungsgegenstand. Es geht nicht um die allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht, sondern um die Entflechtung des Netzbetriebs von anderen Geschäftsbereichen vertikal integrierter Versorgungsunternehmen, letztlich um die Pflicht des Netzbetreibers, den Zugang zum Versorgungsnetz zu ermöglichen. Ein damit im Zusammenhang stehender Verstoß der Antragstellerin steht hier aber nicht in Rede.

Der angefochtene Bescheid enthält folgerichtig auch keinen Hinweis auf § 6 EnWG, sondern stattdessen auf § 36 EnWG, der eine Regelung zur Grundversorgungspflicht enthält und sich damit als Nachfolgenorm zu § 6 EnWG a.F. darstellt. Ob ein Verstoß gegen § 36 EnWG eine Maßnahme nach § 14 BTOElt rechtfertigen kann, ist bereits deshalb in Zweifel zu ziehen, weil es in § 14 BTOElt nur um Verstöße gegen diese Verordnung geht und sich in der Verordnung kein Hinweis auf § 36 EnWG findet. Auch mag zweifelhaft sein, ob bei Verstößen gegen § 36 EnWG nicht die Bundesagentur zuständig ist und nicht der Antragsgegner (vgl. § 54 EnWG). Darüber zu befinden ist der Senat aber bereits deshalb gehindert, weil es an einer entsprechenden Rüge in der Beschwerdebegründung fehlt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Zu Recht macht die Antragstellerin aber geltend, dass sie auch durch die Regelungen des § 36 EnWG über die Grundversorgungspflicht nicht gehindert ist, eine Sparte ihres Betriebs einzustellen. Die Einstellung muss auch nicht auf Endgültigkeit angelegt sein; sie kann auch auf Zeit gedacht sein, nämlich bis - etwa nach (derzeit nicht absehbarem) Abschluss eines Preisgenehmigungsverfahrens - aus Sicht des Unternehmens wieder mit tragfähigen Preisen gearbeitet werden kann.

§ 36 EnWG begründet keine Anbietungspflicht für solche Unternehmen, die eine Grundversorgung nicht oder nicht mehr durchführen wollen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG haben Energieversorgungsunternehmen für Netzgebiete, "in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen", Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung ... bekanntzugeben ... und zu diesen Bedingungen jeden Haushaltskunden zu versorgen. Die Regelung ist nicht so zu verstehen, dass ein Energieversorgungsunternehmen, das in einem bestimmten Netzgebiet einmal Grundversorger (vgl. §§ 36 Abs. 2 Satz 1, 118 Abs. 3 EnWG) geworden ist, dort immer Grundversorger bleiben muss. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesetz unmittelbar, dass die darin geregelte Grundversorgungspflicht das Energieversorgungsunternehmen nicht hindert, seine Geschäftstätigkeit einzustellen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 4 EnWG). Dabei geht es um eine unternehmerische Entscheidung. Auf eine anzuerkennende Motivation wie etwa bei Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz kommt es dagegen nicht an. Auch § 36 Abs. 1 EnWG ist zu entnehmen, dass ein die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführendes Energieversorgungsunternehmen vorausgesetzt wird.

Nur dieses ist verpflichtet, "jeden Haushaltskunden zu versorgen" und zwar zu den "Allgemeinen Preisen".

Angesichts der Entwicklung des Energiemarktes in den vergangenen Jahren wäre auch ein Kontrahierungszwang, wie ihn die angefochtene Anordnung des Antragsgegners auferlegt, nicht gerechtfertigt. Im Schriftsatz vom 12.02.2007 hat der Antragsgegner selbst bestätigt, "dass es genügend Drittanbieter im Versorgungsgebiet gibt und es dem Stromkunden freisteht, seinen Anbieter zu wählen". Daraus ist zu schließen, dass die Antragstellerin im Versorgungsgebiet keine Monopolstellung einnimmt, aus der heraus sie verpflichtet sein könnte, ihre (bisherigen) Haushaltskunden weiter zu versorgen.

Sofern die Antragstellerin, wie der Antragsgegner offenbar meint, gegen eine Reihe von Bestimmungen des § 12 BTOElt verstoßen haben sollte, ließe sich damit die angefochtene Maßnahme nicht rechtfertigen. Die Vorschrift regelt das Preisgenehmigungsverfahren und dient dem Zweck, die Kunden durch eine präventive Kontrolle vor unberechtigten Preiserhöhungen zu schützen. Eine Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens, Kunden zu bestimmten Preisen zu beliefern, ist der Regelung dagegen nicht zu entnehmen. Wenn es in § 12 Abs. 4 Satz 2 BTOElt etwa heißt, dass unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen bis zur Entscheidung über den Antrag die zuletzt genehmigten Tarife beibehalten werden "können", so kann dies nur so verstanden werden, dass es der unternehmerischen Entscheidung des Energieversorgungsunternehmens überlassen bleibt, ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht oder nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung basiert auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 3, 52 Abs. 1 GKG. Da die Angaben der Beteiligten über die aus der umstrittenen Verfügung resultierenden wirtschaftlichen Nachteile für die Antragstellerin erheblich voneinander abweichen (siehe z.B. die Schriftsätze vom 29.01.2006, Seite 4 und vom 15.01.2007, Seite 2), sieht sich der Senat zu einer vermittelnden Schätzung veranlasst.

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und §§68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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