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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: 3 L 156/01
Rechtsgebiete: LBauO M-V


Vorschriften:

LBauO M-V § 6 Abs. 5
LBauO M-V § 6 Abs. 6
LBauO M-V § 7 Abs. 1
LBauO M-V § 72 Abs. 1
LBauO M-V § 83
1. Die Inanspruchnahme des 16-Meter-Privilegs an zwei Außenwänden setzt voraus, dass an allen anderen Außenwänden die Abstandsfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V eingehalten wird.

2. Der Nachbar hat einen Anspruch darauf, dass ihm gegenüber die Regelmindestabstandsfläche nur dann nach § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V unterschritten wird, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vollumfanglich vorliegen.

3. Die Eintragung einer Baulast genießt keinen öffentlichen Glauben.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

AZ: 3 L 156/01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auf Grund der mündlichen Verhandlung am 26.10.2005 in Grevesmühlen

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 05. April 2001 wird geändert.

Die Baugenehmigung des Beklagten vom 19. Februar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1997 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vom Gericht festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung, die der Beklagte der Rechtsvorgängerin des Beigeladenen erteilt hat.

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Bürogebäude bebauten Flurstücks 56/4 der Flur Y der Gemarkung I.. Dieses Flurstück war ursprünglich mit dem Nachbarflurstück 56/5 vereint und wurde im Zuge der Veräußerung des Flurstücks 56/4 an den Kläger im Wege der Teilung zu einem selbstständigen Flurstück.

Die Rechtsvorgängerin des Beigeladenen beantragte am 16.10.1996 die Genehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit sechs Wohneinheiten auf dem Flurstück 56/5 beim Beklagten. In den Verwaltungsvorgängen befindet sich zu den Abstandflächen eine Zeichnung, aus der sich ergibt, dass der geplante Neubau zum Grundstück des Klägers einen Abstand von 4, 50 m einhält. Die Höhe der hier 12, 27 m langen Seitenwand des Neubaus beträgt 8, 73 m. Nach den Erkenntnissen des Beklagten ist auf Grund der Konstruktion des Daches eine Einbeziehung des Daches in die Berechnung der Abstandfläche nicht erforderlich. Zum Nachbarflurstück 53 hält die geplante Bebauung einen Grenzabstand von ebenfalls 4, 50 m ein. Die zu diesem Flurstück zeigende Gebäudewand ist geringfügig kürzer als 7, 7 m. Zum Flurstück 55 hat das Flurstück 56/5 eine diagonal laufende Grundstücksgrenze. Die nach Nordosten zeigende Gebäudeseite hält die Abstandflächen zum Flurstück 55 nicht ein. Die damalige Eigentümerin des Flurstücks 55, die Stadt I., räumte der Rechtsvorgängerin des Beigeladenen eine Baulast ein. Die Baulast hat folgenden Inhalt:

"Der jeweilige Grundstückseigentümer gestattet, dass von seinem Grundstück eine Teilfläche dem Nachbargrundstück Flurstück 56/5 der Flur Y der Gemarkung I. bei der Bemessung des Grenzabstandes zugerechnet wird. Er ist verpflichtet, mit seinen baulichen Anlagen von dieser Teilfläche den vorgeschriebenen Grenzabstand zu halten."

Bestandteil der Baulasterklärung ist ein Lageplan im Maßstab 1:500, auf dem die eingeräumte Baulast farblich markiert ist. Daraus ergibt sich, dass auf dem Flurstück 55 drei Flächen liegen, die von der Baulast erfasst werden. Das Flurstück 55 ist mit einem Erbbaurecht zu Gunsten der Le. GmbH belastet. Diese hat mit einem Schreiben vom 03.07.1996 an die Stadt I. mitgeteilt, "dass unsererseits keine Bedenken gegen die Eintragung einer Baulast bestehen, da wir eine Anmietung des Gebäudes anstreben". Die Eintragung der Baulast erfolgte am 08.11.1996. Der Kläger, der am Verfahren der Eintragung der Baulast nicht beteiligt worden war, legte am 11.07.1997 gegen die Eintragung der Baulast Widerspruch ein. In einem Anhörungsschreiben vom 16.07.1997 wies der Beklagte darauf hin, der Widerspruch dürfte unzulässig sein, weil eine Rechtsverletzung des Klägers nicht erkennbar sei. Die vom Kläger angeführten Gründe seien im Baugenehmigungsverfahren zu klären. Das Widerspruchsverfahren ist zwischenzeitlich bis zur Entscheidung des Rechtsstreits in dieser Streitsache ausgesetzt.

Am Baugenehmigungsverfahren wurde der Kläger nicht beteiligt. Der Beklagte erteilte die streitbefangene Baugenehmigung am 19.02.1997. Bestandteil der Baugenehmigung ist als Auflage die beurkundete Baulasterklärung.

Der Kläger erhob am 12.03.1997 Widerspruch gegen die Baugenehmigung. Mit Schreiben vom 04.04.1997 beantragte er die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Im April 1997 suchte er gegen die Baugenehmigung um einstweiligen Rechtsschutz nach. Mit Beschluss vom 09.10.1997 (3 M 88/97) lehnte das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers gegen den den Eilrechtsschutz versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Beklagte habe eine Überdeckung der Abstandflächen auf dem Flurstück 55 in einem Umfang von 0, 25 qm festgestellt. Lege man die Baulasterklärung getreu dem Wortlaut aus, so verstoße nicht die Baugenehmigung gegen das Abstandflächenrecht, sondern die auf dem Flurstück 55 errichteten Gebäude ständen im Widerspruch zur Baulasterklärung. Lege man "die durch die Baulast erfolgte Übernahme der Abstandflächen auf das Flurstück 55 im wohlverstandenen Interesse des Baulastgebers und des Baulastbegünstigten dahingehend aus, dass eine Übernahme der Abstandflächen auf das Flurstück 55 nur soweit erfolgen sollte, als dies nicht zu einer Überdeckung mit den für das vorhandene Gebäude bestehenden Abstandsflächen auf dem Flurstück 55 führen würde" schließe die Geringfügigkeit der Überdeckung im Umfang von 0, 25 qm die Annahme einer Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers aus, weil die geringfügige Unterschreitung des Grenzabstandes nicht mit dem Grundstück des Antragstellers erfolge, sondern gegenüber einem anderen Nachbargrundstück. "Bei einer lebensnahen Betrachtungsweise kann bei dieser geringfügigen Überdeckung der Abstandflächen an einer eng begrenzten Stelle der Gebäudeseite wie hier nicht von einer dadurch verursachten dritten Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs im Sinne des § 6 Abs. 6 LBauO gesprochen werden. Mithin bleibt Raum dafür, dass die Abstandfläche gegenüber dem Grundstück des Antragstellers nur 0, 5 H tief zu sein braucht".

Mit Datum vom 21.04.1997 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Dagegen richtete sich die Klage des Klägers zum Verwaltungsgericht Schwerin, die er am 29.04.1997 erhoben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 05.04.2001 beantragt,

die der X- GmbH erteilte Baugenehmigung vom 19. Februar 1997 zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohneinheiten auf dem Grundstück in L, Ba.straße, Flur Y, Flurstück 56/5 und der Widerspruchsbescheid des Landrates des Landkreises Ludwigslust vom 21. April 1997 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Nichteinhaltung der Abstandfläche gegenüber dem Flurstück des Klägers und dem Flurstück 53 durch die Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs nach § 6 Abs. 6 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) rechtmäßig sei. Gegenüber dem Flurstück 55 habe das Bauvorhaben nicht das Schmalseitenprivileg in Anspruch nehmen, sondern durch Baulasten die Einhaltung der Abstandflächen von 1 H erreichen wollen. Dies sei nicht erreicht worden, da auf einer Fläche von mindestens 0, 98 qm eine Überschneidung der Abstandflächen des genehmigten Vorhabens auf dem Flurstück 56/5 mit der vorhandenen Bebauung auf dem Flurstück 55 vorliege. Darauf könne sich der Kläger aber nicht berufen, da die Baulast nur im Verhältnis zwischen dem Bauwilligen und seinem Nachbarn, der die Baulast bewilligt habe, gelte. Nur wenn an mehr als zwei Seiten vom Schmalseitenprivileg Gebrauch gemacht werden solle, könne sich jeder der davon betroffenen Nachbarn auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen des Schmalseitenprivilegs berufen. So liege der Fall hier aber nicht. Auch die übrigen vom Kläger geltend gemachten Gründe führten nicht zu einer Rechtsverletzung bei ihm. Das Verwaltungsgericht hat sich der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts angeschlossen, dass eine Außenwand im Sinne des § 6 Abs. 6 LBauO M-V von nicht mehr als 16 m Länge das Schmalseitenprivileg auch dann nur einmal in Ansprach nimmt, wenn die Abstandfläche gegenüber zwei Grundstücksgrenzen liegt. Dies sei hinsichtlich der nordöstlichen Außenwand der Fall. Die Verletzung der fiktiven Bebauungslinie zur Ba.straße hin stelle keine Rechtsverletzung des Klägers dar. Eine vordere Baugrenze sei in der Regel nicht nachbarschützend. Eine Ausnahmesituation sei nicht erkennbar. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes sei ebenfalls nicht erkennbar. Die Lage der erforderlichen sechs Stellplätze ergebe ebenfalls keine Rechtsverletzung des Klägers. Diese seien unmittelbar auf die Ba.straße ausgerichtet und nicht zur Grundstücksseite des Klägers. Die durch die Bebauung ermöglichte Einblickmöglichkeit müsse der Kläger hinnehmen.

Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 08.12.2003 zugelassen. Innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger die Berufung begründet. Er trägt im Wesentlichen vor, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft § 7 Abs. 1 LBauO M-V als Ausnahmeregelung zu § 6 Abs. 3 LBauO M-V verstanden habe. Darum gehe es aber nicht. Die Rechtsverletzung des Klägers liege darin, dass entgegen § 6 Abs. 5 LBauO M-V das Gebäude des Beigeladenen von mehr als zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge den Mindestabstand von 1 H nicht einhalte. Unstreitig überschreite das Bauvorhaben des Beigeladenen auch gegenüber dem Flurstück 55 den Mindestabstand von 1 H, da auf diesem Flurstück eine Überdeckung der Abstandflächen vorliege. Des Weiteren sei die Baulast nicht wirksam begründet worden, da die erforderliche formgerechte Zustimmung der Erbbauberechtigten nicht vorliege. § 83 LBauO M-V sei so auszulegen, dass bei Bestellung eines Erbbaurechts die Bewilligung der Baulast durch den Erbbauberechtigten erfolgen müsse. Diese liege nicht vor, so dass dann auch gegen das Schriftformerfordernis gemäß § 83 Abs. 2 LBauO M-V verstoßen sei. Zudem sei die Baulast zu unbestimmt. Sie lasse sich erst dadurch bestimmen, dass auch das auf dem Flurstück 55 errichtete Gebäude in den Blick genommen werde. Die überlappte Fläche sei auch nicht im Sinne der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts im Eilverfahren "geringfügig". Eine solche Geringfügigkeit sei allenfalls bei extremen Ausnahmefällen anzunehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 05. April 2001 wird abgeändert. Die Baugenehmigung des Landrates des Landkreises Ludwigslust vom 19. Februar 1997 zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohneinheiten auf dem Grundstück Ba.straße, Flur Y, Flurstück 56/5 in I. sowie der Widerspruchsbescheid des Landrates des Landkreises Ludwigslust vom 21. April 1997 werden aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte tritt der Rechtsauffassung entgegen, der Erbbauberechtigte müsse die Eintragung einer Baulast bewilligen. Dies sei in § 83 LBauO M-V im Gegensatz zur Landesbauordnung anderer Bundesländer gerade nicht bestimmt. Das Verhältnis zwischen Grundeigentümer und Erbbauberechtigtern sei eine zivilrechtliche Frage. Die Bauaufsichtsbehörde sei nicht verpflichtet gewesen, die Zustimmung eines Erbbauberechtigten einzuholen. Im Übrigen habe auch die Erbbauberechtigte selbst der Baulasteintragung zugestimmt. Eine Verletzung des Klägers in seinen Nachbarrechten durch die Überschneidung der Abstandflächen zum Flurstück 55 hin sei nicht erkennbar. Im Übrigen sei nach dem Wortlaut der Baulast der Eigentümer des Flurstücks 55 verpflichtet, seinerseits die Abstandflächen seiner Bebauung auf dem Flurstück 56/5 zu beachten. Auch das führe dazu, dass der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt sei.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er ist, da seine ladungsfähige Anschrift nicht ermittelt werden konnte, durch öffentliche Zustellung geladen worden.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Gerichtsakte OVG M-V - 3 M 88/97 -, die in Fotokopie vorgelegte Baugenehmigungsakte und die beigezogene Originalbaulastakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 05.04.2001 ist begründet. Die Baugenehmigung des Beklagten vom 19.02.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1997 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Baugenehmigung ist nach § 72 Abs. 1 LBauO M-V zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Stehen dem Vorhaben solche öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen, ist die Baugenehmigung zu versagen. Wird sie trotzdem erteilt, erweist sie sich als rechtswidrig. So liegt der Fall hier.

Dem Vorhaben der - genehmigten - Bebauung des Flurstücks 56/5 stehen die Vorschriften der §§ 6 Abs. 1, 2 Satz 1, 5 Satz 1 und 6, 7 Abs. 1 Sätze 1 und 3 LBauO M-V entgegen. Diese Bestimmungen, die abstandflächenrechtliche Fragen regeln, sind im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass grundsätzlich die Abstandfläche 1 H beträgt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V) und vollständig auf dem Grundstück selbst liegen muss (§ 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V), wenn nicht die Einhaltung der Abstandfläche durch die Eintragung einer Baulast unter Nutzung eines anderen Grundstücks öffentlich-rechtlich gesichert ist (§ 7 Abs. 1 Sätze 1 und 3 LBauO M-V). Ausnahmsweise genügt vor zwei Außenwänden als Tiefe der Abstandfläche 0, 5 H, mindestens aber 3 m, wenn diese Abstandflächen vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m liegen (§ 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V). Aus dem systematischen Zusammenhang der Absätze 5 Satz 1 und 6 Satz 1 des § 6 LBauO M-V folgt, dass die Unterschreitung der Abstandfläche von 1 H bis zu 0, 5 H nur erlaubt ist, wenn dies vor nicht mehr als zwei Außenwänden von nicht mehr als jeweils 16 m Länge geschieht. Denn das sogenannte 16-Meter-Privileg des § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V ist eine Ausnahmebestimmung zu § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V. Dies ergibt sich nicht nur bei einer systematischen Auslegung, sondern bereits aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V. Zudem folgt dies auch aus der inneren Systematik des § 6 Abs. 6 LBauO M-V. In dem dortigen Satz 3 sind Sonderfälle der geschlossenen bzw. Grenzbebauung geregelt. Diese Sonderfälle schränken den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V ein: Das 16-Meter-Privileg gilt nur noch für eine Außenwand, wenn eine andere Außenwand an ein anderes Gebäude oder die Grundstücksgrenze gebaut wird; es entfällt ganz, wenn zwei andere Außenwände in dieser Weise errichtet sind. Deutlich wird daraus, dass das geltende Abstandflächenrecht bestimmt, dass eine Unterschreitung des Regelmindestabstandes von 1 H nur an maximal zwei Außenwänden erlaubt ist. Anders ausgedrückt: Die Inanspruchnahme des 16-Meter-Privilegs an zwei Außenwänden setzt voraus, dass an allen anderen Außenwänden die Abstandfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V eingehalten wird. Anderenfalls liegt eine Inanspruchnahme des 16-Meter-Privilegs an mehr als zwei Außenwänden vor, was wiederum vom Gesetz nicht gedeckt ist. Auf den subjektiven Planungswillen des Bauherrn kommt es insoweit nicht an.

Im hier zu entscheidenden Fall hält das - genehmigte - Vorhaben zum Flurstück 56/4 und dem Flurstück 53 die Abstandfläche von jeweils 1 H nicht ein. Weil die tatsächliche Abstandfläche größer ist als 0, 5 H und die jeweiligen Außenwände nicht länger als 16 m sind, genügt - für sich betrachtet - das Vorhaben der Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V. Bei dieser Betrachtungsweise kann aber nicht stehengeblieben werden. Auch zum Flurstück 55 hält das Vorhaben die Abstandfläche von 1 H nicht ein. Da dafür die Inanspruchnahme des 16-Meter-Privilegs nicht mehr möglich ist, ist eine Baulast eingetragen worden, durch die die Einhaltung der Abstandfläche gesichert werden soll. Auch der Beklagte räumt zwischenzeitlich ein, dass sich die durch die Baulast gesicherte Abstandfläche des Vorhabens auf dem Flurstück 56/4 und die von der Bebauung auf dem Flurstück 55 ausgelöste Abstandfläche in einem Umfang von 0, 98 qm überschneiden. Damit verstößt die Baulast gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V, wonach die auf dem belasteten Grundstück erforderlichen Abstände und Abstandflächen nicht auf die gesicherte Abstandfläche angerechnet werden dürfen, es daher keine Überschneidungen der Abstandflächen geben darf. Bereits aus diesem Grund erweist sich die Baulast als rechtswidrig. Eine rechtswidrige Baulast ist nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 7 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V auszulösen. Das Vorhaben hält daher an drei Seiten nicht die Regelmindestabstandfläche von 1 H ein. Es verstößt damit gegen geltendes Abstandflächenrecht und ist rechtswidrig.

Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Eintragung der Baulast im Baulastverzeichnis sei ein Verwaltungsakt und dieser sei bestandskräftig. Unabhängig von der Frage, ob die Eintragung rechtlich als Verwaltungsakt zu betrachten oder zu behandeln ist, hat der Kläger dagegen Widerspruch eingelegt. Sollte die Eintragung einen Verwaltungsakt darstellen oder als solcher behandelt werden müssen, würde der - ansonsten zulässige - Widerspruch den Eintritt der Bestandskraft hindern und zudem die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO auslösen.

Auf die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Baulast auch durch den Erbbauberechtigten nach § 83 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V bewilligt werden muss und ob die eingetragene Baulast im konkreten Einzelfall bestimmt genug ist, kommt es entscheidungserheblich nicht an. Der Senat neigt allerdings dazu, beide Fragen zu bejahen.

Die rechtswidrige Baugenehmigung verletzt den Kläger auch in seinen subjektiven Rechten. Die Vorschriften über das Abstandflächenrecht sind grundsätzlich drittschützend. Dies gilt insbesondere für § 6 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V. Durch die Regelungen soll jedenfalls auch der Grundstücksnachbar in seinem rechtlich geschützten Interesse auf ausreichende Belichtung, Belüftung und Wahrung des nachbarlichen Friedens geschützt werden. Insbesondere § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V ist drittschützend. Wird er in seinem objektiv-rechtlichen Gehalt verletzt, weil die Voraussetzung des 16-Meter-Privilegs, die Einhaltung der Regelmindestabstandfläche von 1 H nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V an allen anderen Außenwänden, nicht vorliegt, wird zugleich der Nachbar, dem gegenüber das 16-Meter-Privileg in Anspruch genommen wird, in seinen Rechten verletzt. Dieser Nachbar hat einen Anspruch darauf, dass ihm gegenüber die Regelmindestabstandfläche nur dann im Rahmen der gesetzlichen Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V unterschritten wird, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vollumfänglich vorliegen (vgl. Domning/Möller/Suttkus, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 3. Aufl. Stand 1996 § 89 Rn 62 und Große-Suchsdorf/Linndorf/Schmaltz/Wiedert, Niedersächsische Bauordnung, 7. Aufl. 2002 § 7 a Rn 13 unter Hinweis aus OVG Weimar, B. v. 05.10.1999 -1 EO 968/99 -, BRS 62, Nr. 136, Baurecht 2000, 869; BayVGH, B. v. 17.04.2000 - Gr.S. 1/99 -14 B 97.2901, BayVBl. 2000, 562 mit ablehnender Anmerkung von Hauth, BayVBl. 2000, 545). Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des Senats, wonach nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist, an welchen Seiten die erforderlichen Abstandflächen nach § 6 Abs. 6 LBauO M-V eingehalten werden (OVG M-V, B. v. 16.01.1998 - 3 M 169/97 -, NordÖR 1998, 123, LKV 1998, 364). Denn es kann nicht im Belieben des Bauherrn stehen, welchem Nachbarn gegenüber er das Schmalseitenprivileg in Anspruch nimmt und dabei den Rechtsschutz des Nachbarn auch dann ausschließt, wenn er zu anderen Seiten des Bauvorhabens trotz Verbrauch des Schmalseitenprivilegs nach § 6 Abs. 6 Satz 1 LBauO M-V die Mindestabstandfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V nicht einhält. Soweit dem Beschluss des erkennenden Senats vom 27.01.1998 (3 M 163/97 - BRS 60, 430) Gegenteiliges entnommen werden könnte, hält der Senat nicht daran fest.

Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, die Eintragung der Baulast im Baulastenverzeichnis verleihe der Baulast unabhängig von ihrer Rechtswidrigkeit eine Wirksamkeit, die der Kläger nicht angreifen könne. Insoweit fehlt der Eintragung der Baulast eine dem öffentlichen Glauben an das Grundbuch entsprechende Wirkung (vgl. Domning/Möller/Suttkus, a.a.O., § 89 Rn. 62). Das heißt, dass die einmal eingetragene Baulast nicht allein wegen ihrer Eintragung gegenüber Dritten wirkt, sondern dass die Eintragung von Dritten auch hinsichtlich der sonstigen Voraussetzungen der Baulast überprüft werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die erst- bzw. zweitinstanzlich Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt, sodass es billigem Ermessen entspricht, ihre außergerichtlichen Kosten nicht für erstattungsfähig zu erklären.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 ff. ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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