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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 02.06.2009
Aktenzeichen: 3 M 54/09
Rechtsgebiete: BauGB, LBauO M-V


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 3 Satz 1
BauGB § 36 Abs. 2 S. 3
BauGB § 172
BauGB § 173 Abs. 1
LBauO M-V § 71
1. Es bleibt offen, ob die Grundsätze, nach denen ein Bebauungsplan funktionslos werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5; BVerwG, B. v. 09.10.2003 - 4 B 85.03), auf Erhaltungssatzungen im Sinne von § 172 BauGB anwendbar sind.

2. Ein fehlendes Einvernehmen der Gemeinde nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB kann nicht in entsprechender Anwendung der § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB oder § 71 LBauO M-V ersetzt werden.

3. Ein Bauvorbescheid, der die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens feststellt (Bebauungsgenehmigung), verliert seine Bindungswirkung, wenn das Bauvorhaben im Vergleich zum Vorbescheidsverfahren derart verändert wird, dass die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher Hinsicht erneut aufgeworfen wird.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

3 M 54/09

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baurecht

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 02.06.2009 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 26.02.2009 geändert:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen unter dem 14.04.2008 erteilten Baugenehmigung wird angeordnet.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen Antragstellerin, Antragsgegnerin und Beigeladene je zu 1/3.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die Stadt Waren, wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die unter Ersetzung ihres Einvernehmens erteilte Baugenehmigung für die Überbauung eines Parkplatzes mit einer aufgeständerten Gastronomieterrasse auf dem Grundstück A.-straße 7b und begehrt ferner, der Beigeladenen die weitere Bautätigkeit auf diesem Flurstück zu untersagen.

Der Standort des Vorhabens liegt im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung aus dem Jahre 1991. Unter dem 13.06.2005 beantragte Herr B. die Erteilung eines Vorbescheids. Eine nähere Fragestellung wird in dem Antrag nicht unterbreitet. In der ergänzend beigefügten Baubeschreibung der Dipl.-Ing. ... wird ausgeführt, dass eine Bewirtschaftung der Terrasse mit Eis, Kuchen und Getränken beabsichtigt sei. Die Antragstellerin erteilte unter dem 07.07.2005 in dem darin vorgesehenen Formular das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB. Die Spalte 13.2 des Formulars, in dem die Frage zu beantworten ist, ob das Einvernehmen gemäß § 173 Abs. 1 BauGB erteilt wird, und das die Kästchen "ja" und "nein" vorsieht, ist nicht ausgefüllt. Die Erhaltungssatzung soll nach der Begründung der Beschlussvorlage vom 05.12.1990 der Erhaltung der Stadtgestalt und des sogenannten Milieuschutzes dienen.

Mit Bescheid vom 16.03.2006 erteilte die Antragsgegnerin den Bauvorbescheid. Darin heißt es unter Hinweisen: Die Lösungsvariante zur Terrassenbewirtschaftung sei mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales abzustimmen. Von Seiten des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamts werde der Terrassenbewirtschaftung nur zugestimmt, wenn der Bewirtschaftungsteil mit Theke, Eisverkauf, Rückbüfet, Waschbecken und Geschirrablage überdacht und allseitig umschlossen werde.

Am 18.04.2006 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Aussichtsterrasse. Mit Schreiben vom 16.05.2006 wurde eine Planunterlage für die geänderte Lage der Terrasse eingereicht, die dadurch entstanden sei, dass mit dem Eigentümer des Flurstücks 6/5 keine kurzfristige Regelung zustande gekommen sei.

Mit Schreiben vom 02.05.2006 bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um Stellungnahme dazu, ob das Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 3 BauGB erteilt werde. Es ist weiter ausgeführt: Sollte der geplante Standort im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung liegen, sei die Genehmigung im Einvernehmen mit der Antragstellerin zu erteilen. Insoweit werde sie gebeten, die Antragsunterlagen zu prüfen und das Einvernehmen gemäß § 173 Abs. 1 BauGB auf dem beigefügten Vordruck zu bekunden. Weiter heißt es: "Sollte die Gemeinde/Stadt bei den im Einvernehmensvordruck aufgeführten Fragen bzw. planungsrechtlichen Aussagen eine Entscheidung übersehen haben (vergessen), so gehe ich bei abschließender Einvernehmenserteilung davon aus, dass auch in diesen Punkten im Sinne des Vorhabens eine positive Entscheidung getroffen worden ist".

In der Erklärung vom 18.05.2006 ist die Frage nach der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB mit dem Nein-Feld angekreuzt, die Frage nach dem Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 BauGB ist wiederum nicht beantwortet. In der Begründung führt die Antragstellerin aus: Das Vorhaben entspreche nicht der in dem Bauvorbescheid eingereichten Größe. Unter dem 20.06.2006 findet sich eine erneute Stellungnahme der Antragstellerin. Wiederum wird das Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt, und es findet sich keine Stellungnahme zu § 173 Abs. 1 BauGB. Zur Begründung ist in diesem Falle ausgeführt: In der Bauvoranfrage sei eine Aussichtsterrasse von 10 x 13 m beantragt worden. Dazu sei das Einvernehmen erteilt worden. Zu dem vorliegenden Antrag werde das Einvernehmen versagt.

Mit Schreiben vom 29.06.2006 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, die versagten Einvernehmen vom 18.05. und 20.06.2006 würden mit heutiger Wirkung zurückgezogen werden. Eine fristwahrende Äußerung erfolge in Kürze. Unter dem 03.08.2006 gab die Antragstellerin eine erneute Stellungnahme ab. Es sind weder die Felder betreffend Einvernehmen nach § 36 BauGB noch nach § 173 BauGB ausgefüllt. Es wird auf ein beigefügtes Schreiben verwiesen, in dem es heißt: Die Stadtvertretung habe am 05.07.2006 die Aufstellung eines Bebauungsplanes und eine Veränderungssperre beschlossen. Die Bekanntmachung erfolgten am 07.08.2006 im Warener Wochenblatt.

Mit Schreiben vom 11.09.2006 teilte die Antragstellerin der Beigeladene mit, eine Bindungswirkung des Bauvorbescheides scheide aus, da sich der Bauantrag in wesentlichen Teilen vom Inhalt der Bauvoranfrage unterscheide. Aus diesem Grunde sei der Bauantrag im vollen Umfang zu prüfen. Ihm stehe nunmehr die Veränderungssperre entgegen. Die Beigeladene legte daraufhin dar, aus welchen Gründen es sich um das gleiche Vorhaben handele.

Mit Schreiben vom 16.10.2006 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut mit Formblatt zur Stellungnahme zu dem Vorhaben sowohl unter Hinweis auf § 36 wie auf § 173 BauGB auf. Nachdem in dieser Stellungnahme die Felder für § 173 BauGB nicht ausgefüllt waren, wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin hierauf hin und bat um ergänzende Stellungnahme. Mit Schreiben vom 24.01.2007 hat die Antragstellerin ausgeführt: Eine Bindungswirkung für den ursprünglichen Bauvorbescheid und das dafür erteilte Einvernehmen mit dem jetzigen Vorhaben bestehe nicht. Es sei eine Veränderungssperre erlassen. Das Vorhaben sei auch nicht mit den Zielen der Erhaltungssatzung vereinbar. Die Antragstellerin erteile das Einvernehmen nicht.

Mit Bescheid vom 21.08.2007 lehnte die Antragsgegnerin den Bauantrag ab. Sie führte aus: Zwar sei zulässigerweise ein Bauherrenwechsel vorgenommen worden. Da aber zugleich die Eigenart des Betriebes von einer zusätzlichen Bewirtschaftung der Fläche durch die Gastronomie "S." in einen selbstständigen gastronomischen Betrieb geändert worden sei, was planungsrechtlich relevant sei, bestehe die Bindungswirkung des Bauvorbescheides nicht. Der Erteilung der Baugenehmigung stehe nunmehr die Veränderungssperre entgegen.

Hiergegen legte die Beigeladene Widerspruch ein. Ergänzend teilte sie mit: Für die Nutzung der Terrasse sei ein Mietvertrag mit den Mietern des Restaurants "C." geschlossen worden. Damit sei das Hauptargument., dass der Betreiber des Restaurants nicht Betreiber der Terrasse sei, weggefallen.

Mit Formblatt forderte die Antragsgegnerin daraufhin die Antragstellerin erneut zur Stellungnahme über die Erteilung eines Einvernehmens nach §§ 36 und 173 BauGB auf. Die Antragstellerin lehnte auch dies mit Schreiben vom 22.01.2008 unter Berufung auf die unterschiedlichen Bauvorhaben ab.

Mit Schreiben vom 28.02.2008 kündigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Ersetzung des Einvernehmens nach § 71 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern - LBauO M-V - an. Sie führte unter anderem aus: Gründe für die Versagung des Einvernehmens nach § 36 BauGB bestünden nicht. Zu dem Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 BauGB habe die Antragstellerin keine Angaben gemacht. Da die Antragstellerin nach § 36 das Einvernehmen nicht erteilt habe, sei davon auszugehen, dass sie auch das Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 BauGB nicht erteilt habe. Es sei daher beabsichtigt, auch dieses fehlende Einvernehmen zu ersetzen. Rechtsgrundlage sei § 71 LBauO M-V.

Mit Schreiben vom 14.03.2008 teilte die Antragstellerin mit: "Grundsätzlich möchte ich hier noch einmal klarstellen, dass das Einvernehmen zur eine mit der Beteiligung zur Bauvoranfrage identischen Vorhaben erteilt wird" und führte aus: Das seinerzeitige Einvernehmen sei zu der Bauvoranfrage mit dem Inhalt "Überbauung Parkplatz mit Aussichtsterrasse" erteilt worden. Erst danach sei die Bauvoranfrage ohne weitere Beteiligung der Antragstellerin in eine Nutzung "Überbauung Parkplatz mit Aussichtsterrasse zur Bewirtschaftung Gastronomie" geändert worden.

Mit Bescheid vom 14.04.2008 wurde die Baugenehmigung erteilt. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage wurde das gemeindliche Einvernehmen ersetzt.

Die Antragstellerin legte gegen diese Entscheidungen Widerspruch (Schreiben vom 22.04. und 28.04.2008) ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung.

Am 04.05.2008 stellte die Antragstellerin den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie beantragte zugleich der Beigeladenen vorläufig jegliche weitere Bautätigkeit auf dem Flurstück 6/7 zu untersagen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 26.02.2009 abgelehnt. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Antragsgegenstand sei die am 14.04.2008 erteilte Baugenehmigung. Der Bebauungsplan Nr. 62 stehe der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht entgegen, obwohl er zum Zeitpunkt ihrer Erteilung bereits in Kraft getreten und für den fraglichen Bereich eine Parkplatznutzung vorsehe. Er könne nämlich wegen der Bindungswirkung des Bauvorbescheids der Baugenehmigung nicht mehr entgegengehalten werden. Das Vorhaben sei im Bauvorbescheid als "Überbauung Parkplatz mit einer Aussichtsterrasse zur Bewirtschaftung Gastronomie" bezeichnet. Zwar sei das Vorhaben nicht in allen Einzelheiten identisch mit demjenigen, das Gegenstand des Bauvorbescheids war. Die Änderungen seien jedoch nicht so wesentlich, dass dadurch die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen würde. Allerdings habe die Antragsgegnerin nicht die Befugnis, das fehlende Einvernehmen gemäß § 173 Abs. 1 BauGB zu ersetzen. Ein solches Einvernehmen sei jedoch nicht erforderlich, da die Erhaltungssatzung funktionslos geworden sei, nachdem sich an dem fraglichen Standort im Bereich des Müritzufers bei Erlass der Erhaltungssatzung noch das Gaswerk befunden habe, das zwischenzeitlich abgerissen sei. Das Ziel, eine erst nach Erlass der Erhaltungssatzung durch den Abriss des Gaswerks entstandene Freifläche zu erhalten, um eine freie Sicht auf die Altstadt von Waren zu ermöglichen, könne der Satzung nicht nachträglich "unterschoben" werden.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde hat nach Maßgabe des gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Erhaltungssatzung der Antragsgegnerin ganz oder teilweise funktionslos geworden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine bauplanerische Festsetzung funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass dem in der Fortgeltung der Festsetzung gesetzte Vertrauen keinen Schutz verdient. Dabei kommt es bereits im Rahmen von Bauleitplänen nicht auf die Verhältnisse eines einzelnen Grundstücks an. Vielmehr ist entscheidend, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplanes einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Plankonzeption, die einer Festsetzung zu Grunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie sich nicht mehr überall im Plangebiet umsetzen lässt. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Plangebiet so massiv und offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit einer städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit gesprochen werden. Dies setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern (vgl. BVerwG, U. v. 29.04.1977 - 4 C 39,75 - BVerwGE 54, 5: B. v. 09.10.2003 - 4 B 85.03).

Es ist schon fraglich, ob diese Grundsätze überhaupt auf Erhaltungssatzungen im Sinne von § 172 BauGB anwendbar sind. Es könnte Überwiegendes dafür sprechen, dass bei maßgebender Änderung der Verhältnisse jedenfalls hinsichtlich der Erhaltungsziele des § 172 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BauGB von einer zeitlichen Befristung nicht ausgegangen werden kann und bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse die Satzung geändert oder aufgehoben werden müsste (vgl. Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB 11. Aufl. 2009, § 172 Rn. 32). Selbst wenn man diese Grundsätze anwenden würde, ergibt sich aus ihnen zunächst, dass eine Gesamtbetrachtung des Satzungsgebiets geboten ist. Damit scheidet grundsätzlich die Herauslösung eines einzelnen Grundstücks wegen vermeintlicher Funktionslosigkeit der Festsetzung aus. Diese Betrachtung ist im vorliegenden Zusammenhang des Erhaltungsrechtes in besonderer Weise geboten: Die Erhaltungssatzung der Antragsgegnerin hat sich zum Ziel gesetzt, das Stadtbild zu schützen. Hierbei handelt es sich um die bauliche Ansicht der Stadt oder eines Teils der Stadt bei einer Betrachtung sowohl von innen wie von außen einschließlich der Ortssilhouette. Hierzu gehört auch das Straßenbild. Die Stadtgestalt schließt auch die Baustruktur der Stadt ein, also den Grundriss und damit die Baustruktur und die Freiräume (vgl. Krautzberger, a.a.O. Rn. 18). Ob dieser Belang im jeweiligen Einzelfall betroffen ist, betrifft nicht die Frage der Funktionslosigkeit der Erhaltungssatzung, sondern der Genehmigungsfähigkeit des jeweilig betroffenen Vorhabens im Sinne von § 173 Abs. 1 BauGB.

Soweit die Beigeladene dem entgegenhält, durch den Abriss des Gaswerkes werde die Erhaltungssatzung ad absurdum gestellt, trifft dies bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls nicht offensichtlich zu. Erste Voraussetzung für diese Annahme wäre nämlich, dass das Gaswerk Teil der schützenswerten städtebaulichen Eigenart war. Möglich erscheint auch die Wertung, dass das Gaswerk als solches einen Fremdkörper darstellte und durch die Erhaltungssatzung im Übrigen das oben näher beschriebene Stadtbild geschützt werden soll. Diese Schutzrichtung wäre in diesem Sinne nach wie vor erfüllbar. Des Weiteren ist zu sehen, dass eine unter der Geltung der Erhaltungssatzung entstandene Freifläche nur dann neu bebaut werden darf wenn diese neue Bebauung ihrerseits mit den Zielen der Erhaltungssatzung vereinbar ist. Das bedarf im einzelnen einer genauen Bewertung (vgl. Stock in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg, BauGB, § 172 Rn. 171 ff. [Stand März 2006]). In diesem Zusammenhang wären die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die die Antragstellerin in Hinblick auf die durchgehend unbebaute und das Ortsbild nach ihrer Ansicht prägende Fläche zwischen dem Müritzufer und dem historischen Stadtkern genannt hat.

2. Die Antragstellerin macht des Weiteren geltend, es sei zweifelhaft, ob die Beigeladene einen Anspruch auf Genehmigung nach Maßgabe des § 372 Abs. 3 BauGB habe. Hier sei das Schutzziel des § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zu prüfen. Auch diese Bedenken sind - wenn auch im rechtlichen Ausgangspunkt nicht gänzlich zutreffend - im Ergebnis begründet:

Gemäß § 172 Abs. 3 Satz 2 BauGB darf die Genehmigung zur Errichtung der baulichen Anlagen nur versagt werden, wenn die städtebauliche Gestalt des Gebietes durch die beabsichtigte bauliche Anlage beeinträchtigt wird. Dass die Anlage in einem rechtmäßig festgesetzten Erhaltungsgebiet liegt, genügt nicht (BVerwG, B. v. 30.10.2008 - 4 B 56/08 - BauR 2009, 474). Diese Entscheidung hat grundsätzlich gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Gemeinde zu treffen. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB wird die Genehmigung durch die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde erteilt, wenn eine baurechtliche Genehmigung erforderlich ist. In diesem Fall ist mithin nach dem Wortlaut des Gesetzes die erhaltungsrechtliche Genehmigung nicht weggefallen oder in der Baugenehmigung aufgegangen, sondern als selbstständige Genehmigung erhalten geblieben; lediglich die Zuständigkeit für deren Erteilung hat sich geändert und ist auf die Baugenehmigungsbehörde verlagert worden.

Diese Genehmigung hat die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 14.04.2008, der als "Baugenehmigung" überschrieben ist, erteilt. Dies ergibt dessen Auslegung: Nach dem Hinweis Nr. 1 ist das fehlende Einvernehmen der Gemeinde ersetzt worden. Der begleitende Bescheid an die Antragstellerin vom gleichen Tage bezieht sich auf das Anhörungsschreiben vom 28.02.2008. In diesem hat die Antragsgegnerin angekündigt, sie beabsichtige das fehlende Einvernehmen nach § 173 Abs. 3 BauGB zu ersetzen.

Die Antragsgegnerin hat somit im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens - wie gesetzlich vorgesehen - über das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB entschieden.

Die Antragstellerin macht allerdings in der Beschwerde zu Recht geltend, dass diese Entscheidung rechtswidrig ist.

Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass die Antragsgegnerin nicht befugt war, das fehlende Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu ersetzen. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt, dass § 71 LBauO M-V neuer Fassung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich dies, da er u.a. auf § 36 BauGB verweist, nicht aber auf § 173 BauGB. Eine Ersetzungsbefugnis ergibt sich auch nicht in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB. Auch insoweit ist angesichts der nach Einführung dieser Vorschrift durch das BanROG 1998 erfolgten weiteren Änderungen des Baugesetzbuches nicht davon auszugehen, dass eine planwidrige Lücke vorliegt. Demgemäß geht die - nunmehr - ganz einhellige Auffassung davon aus, dass eine Ersetzungbefugnis aus dieser Norm im Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht hergeleitet werden kann (vgl. nunmehr nur Stock in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg a.a.O. Rn. 9 m.w.N.).

Im Hauptsacheverfahren wäre gleichwohl durch die Verwaltungsgerichte zu prüfen, ob die Antragstellerin das Einvernehmen zu Recht versagt hat. Erweist sich nämlich die Entscheidung materiell als rechtmäßig, wird die Antragstellerin trotz Verletzung des Verfahrensrechts nicht in ihren Rechten verletzt. Hier gelten die gleichen Grundsätze, wie sie zu § 36 BauGB entwickelt worden sind. Die Einvemehmensregelung des § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB erschöpft sich darin, das bauaufsichtliche Verfahren näher auszugestalten. Die Vorschrift begründet hinsichtlich der materiellen Planungshoheit, der auch diese Norm dient, keine Rechte, sondern setzt sie voraus. Wenn dementsprechend eine Verletzung der Planungshoheit der Gemeinde zu verneinen ist, kann sie sich auch nicht mit Erfolg gegen die gleichwohl erteilte Genehmigung nach § 173 Abs. 1 S. 2 BauGB wenden (vgl. zu § 36 BauGB, BVerwG, B. v. 10.01.2006 - 4 B 48.05 - BauR 2006, 815).

Die Antragstellerin legt allerdings - wenn auch knapp - dar, dass in der Sache das Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu Recht versagt worden ist. Sie verweist darauf, dass durch das Vorhaben das Schutzziel des § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB verletzt wird. An Hand der von ihr eingereichten Fotos ist im Rahmen der summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage für den Senat nachvollziehbar, dass das Gebäude, das gebietsuntypische Gestaltungsmerkmale durch die Stahlkonstruktion aufweist, auf Grund der prädestinierten Lage erhebliche Auswirkungen auf das Stadtbild haben wird. Dies erschließt sich auch unmittelbar aus der Lage des Vorhabens, wie sie aus den vorhandenen Plänen ersichtlich ist. Dass in diesem Bereich möglicherweise der im Übrigen unbebaute Uferbereich erst durch Abriss des Gaswerks entstanden ist, steht dem - wie oben bereits ausgeführt - nicht entgegen.

3. Die Antragstellerin macht in der Beschwerdeschrift schließlich zu Recht geltend, dass der Bauvorbescheid das hier genehmigte Vorhaben nicht deckt, sodass eine erneute bauplanerische Beurteilung erforderlich war. Auf dieser Grundlage konnte die Antragstellerin das Einvernehmen gemäß § 36 BauGB versagen.

Der Senat gelangt zu der Auffassung, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Abweichung des genehmigten Vorhabens von demjenigen, das Gegenstand des Bauvorbescheids ist, sei unerheblich, nicht zutrifft. Die Antragstellerin trägt in diesem Zusammenhang in der Beschwerdeschrift vor, dass das Vorhaben der Terrasse um etwa 5 m nordwestlicher Richtung verschoben wurde, damit noch weiter von der vorhandenen Bebauung im Sondergebiet abrückt und den hervorgehobenen Charakter der Terrasse betont, die Form von einer Trapez- in eine L-Form geändert wurde eine Vergrößerung der Gesamtkubatur durch beiderseitige Ergänzungen einer jeweils 1,7 m breiten Pergola eingetreten ist und schließlich Gegenstand der Genehmigung nunmehr ein eingehauster Sevicebereich mit einer Grundfläche von 3,0 x 1,6 m ist. Diese Änderung räumt die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung ein, misst ihr jedoch keine rechtliche Bedeutung bei.

Geht man davon aus, dass der Bauvorbescheid die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beinhaltet, stellt er sich als sogenannte Bebauungsgenehmigung dar. Sie ist ein Ausschnitt aus der umfassenden Baugenehmigung und zwar ein Ausschnitt aus dem feststellenden Teil, soweit dieser die bodenrechtliche Zulässigkeit betrifft. Die Bindungswirkung endet jedoch dann, wenn das Bauvorhaben im Vergleich zum Vorbescheidsverfahren derart verändert wird, dass wegen dieser Änderung die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher Hinsicht erneut aufgeworfen war (vgl. BVerwG, U. v. 04.03.1983 - 4 C 69/79 - BRS 40 Nr. 71). Eine solche Änderung liegt mithin vor, wenn es sich um eine Änderung im bodenrechtlichen Sinne handelt. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, sodass sich die Genehmigungsfrage unter bodenrechlichen Aspekten neu stellt. Danach liegt eine Änderung vor, wenn für die neue Nutzung weitergehende Vorschriften gelten als für die alte, aber auch dann, wenn sich die Zulässigkeit der neuen Anlage nach derselben Vorschrift bestimmt, nach dieser Vorschrift aber anders zu beurteilen ist als die frühere (BVerwG, B. v. 07.11.2002 - 4 B 64/02 - BRS 66 Nr. 70). Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin § 34 Abs. 1 BauGB als Beurteilungsgrundlage herangezogen. Danach ist ein innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile geplantes Vorhaben nur dann zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn" und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Aus diesen Kriterien ergibt sich, dass die hier vorgenommenen Änderungen einer neuen Beurteilung nach dieser Vorschrift bedürfen. Die überbaute Grundstücksfläche ist geändert worden. Damit ist das Maß der baulichen Nutzung hinsichtlich der überbauten Grundfläche erneut zu überprüfen. Hinsichtlich des hinzukommenden umbauten Raumes sowohl hinsichtlich des eingehausten Servicebereiches wie auch der Sanitäranlagen ist zusätzlich in Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung die Gebäudehöhe zu berücksichtigen. Zu prüfen ist in Hinblick auf den Belang des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, welche Auswirkungen die geänderte Gestaltung sowohl durch die Verschiebung um 5 m wie auch durch die Änderung der Terrassenform und namentlich durch die Einhausung des Servicebereichs und der Sanitäranlagen hat. In diesem Zusammenhang kann nicht geltend gemacht werden, dass die Beigeladene damit den Hinweisen in dem Bauvorbescheid nachgekommen ist. Diese Hinweise nehmen nicht Teil an der Bindungswirkung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Es folgt auch daraus, dass anderenfalls davon ausgegangen werden müsste, dass die Antragsgegnerin den Bauvorbescheid rechtswidriger weise erteilt hätte. Das Einvernehmen, das die Antragsstellerin insoweit erteilt hatte, ersteckte sich nämlich zeitlich auf die ursprüngliche Planung ohne einen eingehausten Servicebereich und einem festen Sanitärbereich.

4. Soweit die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin habe der Beigeladenen aufzugeben, die weitere Bautätigkeit zu unterlassen, ist die Beschwerde unbegründet. Insoweit finden sich in der Beschwerdeschrift keine Darlegungen im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass der Baustopp vom 02.05.2008 nach wie vor bestehe. Ein Anlass, davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin in Anbetracht dieses Beschlusses des Senats den Baustopp aufheben wird, besteht nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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