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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 22.08.2006
Aktenzeichen: 3 M 73/06
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 16
BauNVO § 18
Die Traufhöhe, die ein Bebauungsplan festsetzt, bemißt sich bei einem Staffelgeschoss nach der oberen Dachhaut des obersten Geschosses auch dann, wenn dieses kein Vollgeschoss ist.
3 M 73/06

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baurecht

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 22. August 2006 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 08.06.2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.000,00 Euro festgesetzt; insoweit wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 08.06.2006 geändert.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Baustilllegungsverfügung des Antragsgegners. Sie sind Eigentümer eines im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 6 "Wohnen am G." belegenen Grundstücks (Flurstück 75/111, Flur 3, Gemarkung W.). Nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes sind im hier maßgeblichen Bereich WR 2 nur Einfamilienhäuser mit einem Vollgeschoss zulässig. Die zulässige Grundflächenzahl ist mit 0,35 angegeben, als zulässige Dachformen sind Satteldach und Walmdach festgelegt. Die zulässige Dachneigung ist mit 22 bis 28 Grad und die Traufhöhe mit 4,00 m festgesetzt. Unter "Teil B: Textliche Erläuterungen der Festsetzungen" Unterabschnitt "1. Planungsrechtliche Festsetzungen - 2. Maß der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 BauGB)" wird ausgeführt:

"- Traufhöhe

Die Traufhöhe ist die Höhe des Schnittpunktes zwischen Außenkante Mauerwerk und der Oberkante der Dachhaut.

- Für WR 2 gilt als unterer Höhenbezugspunkt für die Bestimmung der Traufhöhe die gewachsene Geländeoberfläche, die dem jeweiligen Gebäude an der tiefstgelegenen Seite (Ostseite) ansteht. Die Traufhöhen sowie die Dachneigungen sind entsprechend der mittleren Geländehöhen in den einzelnen Parzellen differenziert festgesetzt und den zugeordneten Nutzungsschablonen angegeben."

In der Begründung des Bebauungsplanes ist unter Ziffer 4.2 ausgeführt:

"Maß der baulichen Nutzung"

Das Maß der baulichen Nutzung wird durch die Grundflächenzahl, Zahl der Vollgeschosse, der Traufhöhen, der Dachformen und Dachneigungen bestimmt. Eine Begrenzung der Firsthöhe ergibt sich aus der Festsetzung der Dachneigung.

Die Höhenfestsetzung im WR 2 gestaltet sich auf Grund des bewegten Geländeoberflächenniveaus (Geländehöhendifferenz von ca. 3,30 m) und in Bezug der vorhandenen Gebäudeanlagen im westlichen Angrenzerbereich äußerst schwierig. Mit Hinblick einer standortbezogenen städtebaulichen Gestaltung wurden folgende Festlegungen getroffen: ..."

Am 27.06.2005 ordnete der Antragsgegner zunächst mündlich die sofortige Einstellung der Bauarbeiten zur Errichtung des Wohngebäudes auf dem Grundstück der Antragsteller an.

Mit Bescheid vom 05.07.2005 wiederholte und ergänzte der Antragsgegner die mündliche Ordnungsverfügung und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte er aus, das von den Antragstellern errichtete Staffelgeschoss mit Dachterrasse auf einem Winkelbau verstoße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes, weil die maximal zulässige Traufhöhe von 4 m nicht eingehalten werde.

Dagegen legten die Antragsteller fristgerecht Widerspruch ein, den sie unter anderem damit begründeten, dass eindeutiger Bezugspunkt für die Ermittlung der Traufhöhe ausschließlich die "Außenkante des Mauerwerks" sei. Aus dem Bebauungsplan selbst sei kein planerischer Wille der Gemeinde erkennbar, dass die Errichtung von Staffelgeschossen ausgeschlossen sein solle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2005 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der Plangeber die Traufhöhe vorliegend abweichend von der landläufigen Definition, die darunter die Schnittkante zwischen der Außenfläche des aufgehenden Mauerwerks und der Dachhaut verstehe, als "die Höhe des Schnittpunktes zwischen Außenkante Mauerwerk und Oberkante der Dacheindeckung" definiert habe. Das Weglassen des Adjektivs "aufgehend" eröffne eine Betrachtung jedes einzelnen Geschosses mit einem Dach, da nicht nur das Erdgeschoss eine Außenwand mit einem Dach aufweise, sondern auch das Staffelgeschoss. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Die Kläger haben fristgerecht Klage erhoben (Verwaltungsgericht Schwerin - Az. 2 A 129/06 -) und Anfang April 2006 zudem einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gestellt.

Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Schwerin mit Beschluss vom 08.06.2006 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die angefochtene Baustilllegungsverfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Das Vorhaben der Antragsteller verstoße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 6 "Wohnen am G.", weil es die zulässige Traufhöhe erheblich übersteige. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sei offensichtlich, dass der Plangeber mit der Festsetzung der maximalen Traufhöhe nicht nur die Traufhöhe des äußeren Mauerwerks festlegen und die zulässige Firsthöhe habe offen lassen wollen. Vielmehr ergebe sich aus der Begründung des Bebauungsplanes, dass der Plangeber hinsichtlich der Begrenzung der Firsthöhe ausdrücklich bestimmt habe, dass diese sich aus der Festsetzung der Dachneigung ergebe. Dass dabei eine Gesamtbetrachtung der Höhe des Mauerwerks anzustellen sei und nicht, wie die Antragsteller meinten, allein auf das äußere Mauerwerk abzustellen sei, liege auf der Hand: Ansonsten gäbe es praktisch keine Begrenzung der Firsthöhe. Die Firsthöhe sei aber durch den Plangeber durch die Verknüpfung der Dachneigung mit der Traufhöhe ausdrücklich bestimmt worden. Das Vorhaben der Antragsteller weise eine Traufhöhe des äußeren Mauerwerks von 3,11 m auf. Bei einer im Rahmen der Gesamtbetrachtung anzustellenden fiktiven Verlängerung des vorgesehenen Walmdachs, das eine Dachneigung von 25 Grad aufweise, bis zum äußeren Mauerwerk ergäbe sich im vorliegenden Fall im Schnittpunkt von Außenkante Mauerwerk und Oberkante Dachhaut eine Höhe von ca. 5,00 m. Damit sei die zulässige Traufhöhe erheblich überschritten. Selbst wenn man, wie der Antragsgegner, von einer Firsthöhe des Vorhabens von 7,39 m ausgehe und diese zur Oberkante des Erdgeschosses in Bezug setze, ergebe sich daraus eine Dachneigung von ca. 41 Grad und somit eine ebenfalls erhebliche Überschreitung der zulässigen Dachneigung von maximal 28 Grad. Die Antragsteller seien auch nicht in Besitz einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes; es bestehe auch offensichtlich kein Anspruch auf Erteilung einer solchen Befeiung. Die Stilllegungsverfügung sei auch frei von Ermessensfehlern ergangen. Schließlich sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig, insbesondere das besondere Vollzugsinteresse hinreichend begründet worden.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II.

Das für die Beurteilung der Beschwerde allein maßgebende Vorbringen der Antragsteller in der Beschwerdeschrift vom 13.07.2006 (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) stellt die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.

1. Die Antragsteller machen zunächst geltend, die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs in dem angefochtenen Bescheid vom 05.07.2005 genüge nicht den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 VwGO. Sie enthalte lediglich formelhaft, sich in allgemeinen Wendungen erschöpfende Begründungen. Inwieweit ihr - der Antragsteller - Schutz vor weiteren wirtschaftlichen Schäden zu einem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts führen solle, sei nicht nachvollziehbar. Es würden abstrakte Erwägungen, wie die Verhinderung eines Präzedenzfalles, abgegeben, ohne Benennung konkreter Umstände.

Diese Beanstandungen erheben die Antragsteller zu Unrecht. Zwar bedarf auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Stilllegunganordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO einer besonderen Begründung. An ihren Inhalt sind allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Durch eine Stilliegunganordnung soll nämlich sichergestellt werden, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Sie sind in aller Regel für sofort vollziehbar zu erklären, ohne dass es eines Eingehens auf den konkreten Einzelfall bedarf, da sich das besondere öffentliche Interesse unabhängig vom Einzelfall aus der Art der getroffenen Maßnahme und ihrem generellen Zweck ergibt. Würde nämlich der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage gegen die Baueinstellungsverfügung aufschiebende Wirkung haben, könnte ihr Zweck nicht erreicht werden (vgl. VGH Mannheim, B. v. 10.02.2005 -8 S 2834/04 - NVwZ-RR 2006,168). Indem der angefochtene Bescheid unter Nr. 2 auf diesen Umstand im Rahmen der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung abstellt, genügt er mithin den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

2. Die Antragsteller meinen, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass ihr Vorhaben gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Traufhöhe verstößt. Die Festsetzungen ließen ein sogenanntes Staffelgeschoss zu. Die Firsthöhe werde durch das Zusammenspiel der Festsetzungen zur Dachneigung und zur Traufhöhe bestimmt. Daher sei eine Gesamtbetrachtung zur Firsthöhe, wie sie das Verwaltungsgericht angestellt habe, nicht notwendig. Die Traufhöhe und die Firsthöhe seien selbstständig zu bestimmende Bezugspunkte der Höhe der baulichen Anlage. Die Traufhöhe sei dabei keine Rechengröße. Eine fiktive Trauflinie sei nicht wahrnehmbar und würde daher dem Sinn einer gestalterischen Festsetzung, um die es sich im vorliegenden Fall handele, widersprechen. Die Traufhöhe sei immer der Abstand zwischen einem unteren und einem oberen Schnittpunkt, der auch tatsächlich vorhanden sein müsse. Die Traufhöhe liege im vorliegenden Fall daher bei 3,11 m bei einer Dachneiung von 25 Grad, sodass die Vorgabe des Bebauungsplans offensichtlich eingehalten werde.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Ausgangspunkt sind die Festsetzungen des Bebauungsplanes. Darin ist für das Flurstück 75/111 als Traufhöhe 4,00 m festgesetzt. Teil B unter der missverständlichen Überschrift "Textliche Erläuterungen der Festsetzungen" enthält, wie sich aus den Unterüberschriften "I. Planungsrechtliche Festsetzungen - 2. Maß der baulichen Nutzung" unzweifelhaft ergibt, textliche Festsetzungen des Bebauungsplans. Nach Teil B I. 2.2 ist die Traufhöhe (§ 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 ... BauNVO) die Höhe des Schnittpunktes zwischen Außenkante Mauerwerk und der Oberkante der Dacheindeckung. Auch im Rahmen der Planzeichenerklärung wird unter 2. das Zeichen "TH max" mit "Traufhöhe als Höchstmaß (§ 16 BauNVO)" erläutert. Daraus wird deutlich, dass die Gemeinde die Festsetzung der Traufhöhe als bauplanerische Festsetzung im Sinne der §§ 16, 18 BauNVO versteht. Nach diesen Vorschriften dient eine solche Festsetzung der Bestimmung der Höhe baulicher Anlagen. Sie ist keine nutzungsrechtliche, sondern eine städtebaulich-gestalterische Festsetzung (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 10. Aufl. § 16 Rn. 31). Sie dient in höhenempfindlichen Situationen, insbesondere zur Berücksichtigung von Belangen des Umweltschutzes und der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, dazu, auf eine verträgliche Höhenentwicklung der Bebauung hinzuwirken (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., Rn. 14). Für ein Staffelgeschoss bedeutet dies, dass im Sinne der Definition des Bebauungsplanes die Oberkante der Dacheindeckung des Staffelgeschosses maßgebend ist. Anders ist die Zielrichtung der Festsetzung nicht zu verwirklichen. Die Außenwand des Staffelgeschosses steht nämlich nach Lage und Funktion der darunter liegenden Gebäudeabschlusswand gleich und ist mit dieser auch in Hinsicht ihrer Ausmaße als äußerer senkrechter Raumabschnitt vergleichbar. Ein Staffelgeschoss ruht sichtbar und konstruktiv nicht auf den übrigen Dachteilen, sondern auf der Decke des darunter liegenden Geschosses. Ein Staffelgeschoss stellt somit nicht lediglich einen Dachaufbau dar, der konstruktiv und gestalterisch in seinem Niveau die Dachfläche bestehen lässt und lediglich aus ihr heraustritt, sondern verändert den Verlauf der Dachaußenfläche insgesamt. Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Antragsteller dies durch gestalterische Maßnahmen, nämlich durch die Anbringung eines Daches auf dem ersten Geschoss gestalterisch zu kaschieren suchen (vgl. zu diesen Kriterien OVG Münster, U. v. 29.03.1983 - 7 A 2583/81 - BRS 40 Nr. 108). Dass eine solche Gestaltung nicht mehr als Dach im Sinne der gesamten Festsetzungen des Bebauungsplanes angesehen werden kann, wird auch aus den Festsetzungen Teil B III. 1.1 deutlich: Danach sind Dachaufbauten wie Dachgauben ohnehin nur in den Gebieten WR 1 und WR 1 a zulässig, nicht in dem hier betroffenen Gebiet WR 2. Zusätzlich sind sie nur dann zulässig, wenn sie 1/3 der Trauflänge des Gebäudes nicht überschreiten, einen Mindestabstand von 1,50 m zum Ortgang haben, einen Abstand von mindestens drei durchlaufenden Ziegelreihen zur Traufe und in der Deckung mit dem Hauptgebäude übereinstimmen. Das bedeutet, das Dachausbauten nur dann zulässig sind, wenn sie eine untergeordnete Bedeutung haben. Davon kann bei dem Staffelgeschoss keine Rede sein. Durch die Anbringung von Dachelementen auf dem ersten Geschoss kann das Staffelgeschoss nicht als Teil des Daches im Sinne der Festsetzungen des Bebauungsplanes angesehen werden kann.

Es kann dahinstehen, ob bei der vorliegenden Baugestaltung die Traufhöhe in der Weise bestimmt werden kann, dass die Oberkante der Dachneigung über dem Staffelgeschoss verlängert wird bis zur fiktiven Verlängerung der Außenkante des Mauerwerks des ersten Geschosses oder ob auf die Außenkante der aufstehenden Mauer des Staffelgeschosses abzustellen ist, denn auch nach ersterer Berechnungsart würde die Traufhöhe von 4,00 m um ca. 1,00 m überschritten werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GKG. Maßgebend für die Bestimmung des Streitwertes ist dabei für eine Anfechtungsklage gegen eine Stilllegungsverfügung der Höhe des Schadens, der durch die Maßnahme eintritt (siehe Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 07./08. Juli 2004 - NVwZ 2004, 1327 unter 9.4). Diesen Schaden für die Antragsteller schätzt der Senat auf Grund des Sofortvollzugs auf 5.000,00 Euro. Insoweit hat der Senat die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts geändert (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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