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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.08.2005
Aktenzeichen: 1 A 2722/04
Rechtsgebiete: LBG, BBesG, MVergV, AZVOFeu, RL 89/391/EWG, RL 93/104/EG, RL 2003/88/EG, GG


Vorschriften:

LBG § 78
LBG § 78a
BBesG § 48
MVergV § 3 Abs. 1
AZVOFeu § 1 Abs. 1
RL 89/391/EWG Art. 2
RL 93/104/EG Art. 2 Nr. 1
RL 93/104/EG Art. 6 Nr. 2
RL 2003/88/EG Art. 2 Nr. 1
RL 2003/88/EG Art. 6 b)
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 5
1. Die Tätigkeit der Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes fällt in der Regel in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2003/88/EG (früher: 93/104/EG) und 89/391/EWG mit der Folge, dass ihre wöchentliche Arbeitszeit in der Regel durchschnittlich 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten darf (im Anschluss an EuGH, Beschluss vom 14.7.2005 - C-52/04 -). Dem entgegenstehende nationale Vorschriften wie z.B. § 1 Abs. 1 Satz 1 AZVOFeu sind richtlinienkonform auszulegen.

2. Von Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes geleisteter Bereitschaftsdienst zählt zur Arbeitszeit i.S.v. Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG, wenn während des Bereitschaftsdienstes Anwesenheitspflicht an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort besteht (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 9.9.2003 - C-151/02 -).


Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Beklagte den Dienstplan des Klägers, eines Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes, dahingehend zu ändern hatte, dass künftig eine regelmäßige Arbeitszeit von durchschnittlich mehr als 48 Stunden pro Woche einschließlich Bereitschaftsdienst nicht überschritten würde. Das OVG gab der darauf gerichteten Klagen des Klägers statt.

Gründe:

Die Klage ist als (allgemeine) Leistungsklage zulässig und begründet. Bei der streitgegenständlichen Änderung des Dienstplans handelt es sich um einen Realakt und nicht um einen Verwaltungsakt, sodass die Leistungsklage (vgl. z.B. §§ 43 Abs. 2, 111 VwGO, § 126 Abs. 3 BRRG), und nicht die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft ist. Der Dienstplan sowie dessen Änderung sind keine Verwaltungsakte, da sie nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind (vgl. § 35 VwVfG). Ob eine Maßnahme auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, hängt davon ab, ob sie ihrem objektiven Sinngehalt nach dazu bestimmt ist, Außenwirkung zu entfalten, nicht aber davon, wie sie sich im Einzelfall tatsächlich auswirkt. Durch diese Außenwirkung unterscheidet sich der Verwaltungsakt u.a. von behördeninternen Maßnahmen, die als Realakt zu qualifizieren sind. Behördeninterne Maßnahmen sind insbesondere die an einen Beamten allein in seiner Eigenschaft als Amtsträger und Glied der Verwaltung gerichteten, auf organisationsinterne Wirkung zielenden Weisungen des Dienstherrn sowie die auf die Art und Weise der dienstlichen Verrichtung bezogenen innerorganisatorischen Maßnahmen der Behörde, in deren Organisation der Beamte eingegliedert ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.2.1989 - 6 A 2.87 -, BVerwGE 81, 258, sowie vom 2.5.1980 - 2 C 30.78 -, BVerwGE 60, 144.

Dies zugrunde gelegt handelt es sich bei einem Dienstplan sowie dessen Änderung um eine innerbehördliche Maßnahme: Mit dem Dienstplan bestimmt der Dienstherr, wann der Beamte seinen Dienst zu verrichten hat. Damit betrifft der Dienstplan den Beamten in seiner Eigenschaft als Amtsträger und Glied der Verwaltung. Darüber hinaus ist die Aufstellung eines Dienstplans dem objektiven Sinngehalt nach auf die Organisation innerbehördlicher Abläufe gerichtet. Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass bei der Aufstellung des Dienstplans behördliche Erfordernisse, nämlich eine optimale Ablauforganisation zwecks optimaler Erledigung der von der Behörde wahrgenommenen Aufgaben, an erster Stelle stehen und Belange der Behördenmitarbeiter nur insofern berücksichtigt werden können, als behördliche Belange dem nicht entgegen stehen. Mithin ist die Aufstellung des Dienstplans so stark an behördlichen Interessen orientiert, dass sich dessen Auswirkungen auf den Tagesablauf des betroffenen Beamten nicht als intendiert, sondern als bloße tatsächliche Nebenwirkung darstellen.

Die Leistungsklage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Abänderung des Dienstplans dahingehend zu, dass die aufgrund des Dienstplans festgesetzte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (einschließlich Bereitschaftsdienst) im Durchschnitt 48 Stunden nicht übersteigt.

Dieser Anspruch ergibt sich aus §§ 78 LBG NRW, 1 Abs. 1 AZVOFeu i.V.m. Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9). Diese Richtlinie ist gemäß ihrer Art. 27 und 28 mit Wirkung vom 2.8.2004 "aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit" (Erwägung Nr. 1) an die Stelle der Richtlinie 93/104/EG vom 23.11.1993 (ABl. L 307, S. 18), geändert durch Richtlinie 2000/34/EG vom 22.6.2000 (ABl. L 195, S. 41) getreten.

Die im vorliegenden Fall streitigen Rechtsfragen,

a) ob die Richtlinie 2003/88/EG (93/104/EG) sowie die Richtlinie 89/391/EWG vom 12.6.1989 (Abl. L 183, S.1), auf deren Art. 2 in Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG verwiesen wird, auf Beamte des feuerwehrtechnischen Dienstes, insbesondere auf im Einsatzdienst eingesetzte Beamte, Anwendung findet

und ob

b) der von den Beamten des Feuerwehrdienstes zu leistende Bereitschaftsdienst mit Pflicht zur Anwesenheit in der Dienststelle als Arbeitszeit i.S.d. Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG anzusehen ist, sind in der Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt. Bezüglich der ersten Frage hat der EuGH - vgl. Beschluss vom 14.7.2005 - C-52/04 - (Personalrat der Feuerwehr Hamburg), im Volltext eingestellt unter www.curia.eu.int, Rnrn. 48-61 - entschieden, dass die Tätigkeit der Einsatzkräfte einer staatlichen Feuerwehr in der Regel in den Anwendungsbereich der Richtlinien 89/391/EWG und 93/104/EG fällt mit der Folge, dass Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG (= Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG) grundsätzlich der Überschreitung der für die wöchentliche Höchstarbeitszeit vorgesehenen Obergrenze von 48 Stunden entgegensteht. Ausnahmen von dieser Obergrenze sind demnach nur dann zulässig, wenn außergewöhnliche Umstände einer solchen Schwere und eines solchen Ausmaßes vorliegen, dass die strikte Geltung dieser Obergrenze der ordnungsgemäßen Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in schwerwiegenden kollektiven Gefahrensituationen entgegensteht. Das ist mit Blick auf die hier betroffenen Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes, wie sich aus der vorstehend zitierten Entscheidung des EuGH ergibt, regelmäßig nicht der Fall.

Die zweite Frage wurde vom EuGH bereits wiederholt dahingehend beantwortet, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes, die ein Arbeitnehmer in Form persönlicher Anwesenheit an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort leistet, in vollem Umfang als Arbeitszeit i.S.d. Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG (= Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG) anzusehen sind.

- Vgl. Urteile vom 3.10.2000 - C-303/98 - (Simap), ZBR 2001, 29, Rnrn. 48-52, vom 9.9. 2003 - C-151/02 - (Jaeger), NJW 2003, 2971, Rnrn. 63-71, und vom 5.10.2004 - C-397/01 - (Pfeiffer), DVBl. 2005, 35, Rn. 93 -.

In diesen Entscheidungen hat sich der EuGH zudem bereits mit den von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Argumenten gegen die volle Anrechnung von Bereitschaftsdienst auf die Arbeitszeit auseinandergesetzt. Entgegen der Auffassung der Beklagten eröffnet Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 93/104/EG dem nationalen Gesetzgeber keinen Spielraum, den Begriff "Arbeitszeit" selbständig zu definieren.

- Vgl. EuGH, Urteile vom 9.9.2003 - C-151/02 - (Jaeger), a.a.O., Rnrn. 58/59, und vom 5.10.2004 - C-397/01 - (Pfeiffer), a.a.O., Rn. 99 -.

Die Tatsache, dass es den betroffenen Beamten offensteht, während des Bereitschaftsdienstes auszuruhen oder zu schlafen, steht der vollen Anrechnung von Bereitschaftsdienst auf die Arbeitszeit ebenfalls nicht entgegen.

- Vgl. EuGH, Urteil vom 9.9.2003 - C-151/02 - (Jaeger), a.a.O., Rnrn. 60-69 -.

Die vorstehend zitierten Entscheidungen, die sämtlich zu Art. 1 Abs. 3, Art 2 Nr. 1 und Art 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG ergangen sind, sind auf die seit dem 2.8.2004 geltenden Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG zu übertragen, da diese Vorschriften jeweils inhaltsgleich und letztere Vorschriften an die Stelle der ersteren getreten sind.

Zwar ist das erkennende Gericht nicht unmittelbar an die vorstehend zitierten Entscheidungen des EuGH gebunden. Jedoch kommt den zitierten Entscheidungen eine Präjudizwirkung für den vorliegenden Fall zu, da sich die dort bereits entschiedenen Fragen auch im vorliegenden Fall stellen. Der vorliegende Fall weist zudem keine Besonderheiten auf, die ggfls. eine Abweichung von der vorstehend zitierten Rechtsprechung des EuGH rechtfertigten. Es besteht deswegen kein Grund, diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht maßgebend sein zu lassen.

Gelten demnach Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG für die Tätigkeit des Klägers im Einsatzdienst - und, dies nur zur Klarstellung, gleichermaßen auch für seine frühere Tätigkeit in der Kreisleitstelle -, so ist der derzeit für ihn geltende Dienstplan rechtswidrig, soweit sich aus diesem unter voller Anrechnung der Bereitschaftsdienste für den Kläger eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ergibt, die im Durchschnitt über der in Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG bestimmten Höchstgrenze von derzeit 48 Wochenstunden liegt. Die genannten Bestimmungen, die unmittelbare Wirkung entfalten - vgl. EuGH, Urteil vom 5.10.2004 - C-397/01 - (Pfeiffer), a.a.O., Rnrn. 103-106; ebenso schon OVG NRW, Urteile vom 17.3.2004 - 1 A 2426/02 -, IÖD 2004, 218, sowie vom 3.3.2005 - 1 A 3378/03 - - und auf die sich der Kläger deshalb gegenüber dem Staat - hierunter fallen auch dessen Untergliederungen und damit Gebietskörperschaften wie die Beklagte - berufen kann, gehen dem nationalen Recht hinsichtlich seiner Anwendung vor. Etwa entgegenstehende Vorschriften sind im Umfang ihrer Unvereinbarkeit mit den Richtlinienbestimmungen nicht anwendbar. Daraus folgt, dass die in § 1 Abs. 1 AZVOFeu i.V.m. § 78 Abs. 3 LBG NRW für Schichtdienst leistende Beamte des feuerwehrtechnischen Dienstes festgelegte Höchstgrenze für die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von durchschnittlich 54 Stunden kraft Vorrangs des EU-Rechts, hier Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG, auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche herabgesetzt ist, wobei Bereitschaftsdienst voll auf die Arbeitszeit anzurechnen ist. Zwar lässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten beim Erlass der Durchführungsvorschriften einen gewissen Gestaltungsspielraum, insbesondere was die Festlegung eines (abweichenden) Bezugszeitraumes für die Anwendung des Art. 6 b) angeht (vgl. Art. 16 b, 17 Abs. 3 c iii), und sie erlaubt ihnen zudem, Art. 6 unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 22 Abs. 1) überhaupt nicht anzuwenden. Das nach der innerstaatlichen Kompetenzordnung hier für den Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland zum Tätigwerden verpflichtete Land Nordrhein-Westfalen hat - etwas anderes behauptet auch die Beklagte nicht - von diesen Möglichkeiten jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 b) der Richtlinie 2003/88/EG räumen dem Kläger auch einen Anspruch auf Abänderung des rechtswidrigen Dienstplans ein. Entscheidend hierfür ist, dass diese Vorschriften zum einen unmittelbar gestaltend auf die beamtenrechtliche Pflicht zur Dienstleistung, wie sie im nordrhein-westfälischen Landesrecht ausgeformt ist, einwirken und zum anderen dem Schutz des Klägers dienen. Letzteres ergibt sich ohne weiteres daraus, dass diese Richtlinie gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung enthält und derartige Vorschriften dem Schutz der Arbeitnehmer - i.S.d. Richtlinie fallen darunter auch Beamte - dienen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.2004 - 2 C 9.03 -, NVwZ 2004, 1255.

Ende der Entscheidung

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