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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 12.05.2006
Aktenzeichen: 1 A 3606/04
Rechtsgebiete: BBVAnpG 1999


Vorschriften:

BBVAnpG 1999 Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 1
BBVAnpG 1999 Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 3
Zur Nachzahlung familienbezogener Bezügebestandteile an einen Beamten mit mehr als zwei Kindern.

Die Erklärung eines Beamten, die wörtlich (nur) auf ein höheres Kindergeld lautet, kann nicht als Antrag auf Erhöhung des Familienzuschlags (früher: Ortszuschlag) ausgelegt werden (im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG, Urteil vom 3.3.2005 - 2 C 13.04).


Tatbestand:

Der Kläger steht im Dienst eines Ministeriums und ist Vater dreier Kinder. Mit einem Schreiben aus Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts beantragte er unter dem Betreff: "a. Kindergeld und b. Ministerialzulage", ihm rückwirkend ein höheres Kindergeld zu gewähren; darüber hinaus beantragte er eine Anhebung seiner Ministerialzulage. Das Schreiben war entsprechend einer aus der Personalabteilung des Ministeriums stammenden stammenden Vorlage abgefasst, die den Bediensteten unter dem Betreff "Dienstbezüge; hier Kindergeld und steuerlicher Kinderfreibetrag, Ministerialzulage" in einer Hausmitteilung zugegangen war. Es hatte bezüglich des Betreffs a. den folgenden Wortlaut:

"Zu a.: Kindergeld

Gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches X beantrage ich rückwirkend ein höheres Kindergeld, da nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. 05.1990 (Az 1 BvL 20/84) die bisherige gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist. Ich bitte Sie, die Entscheidung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bzw. bis zur Entscheidung des laufenden Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgerichts (Az 1 BvL 1022/788) auszusetzen und beziehe mich dabei auf den Erlass der Bundesanstalt für Arbeit vom 13.8.1990. Vorsorglich erstrecke ich diesen Antrag auf die Jahre 1983 bis 1986, für den Fall, dass der Gesetzgeber von sich aus eine weitergehende Rückwirkung vorsieht."

Mitte 2002 fragt der Kläger beim Ministerium nach seinem Antrag und wies darauf hin, in der Hausmitteilung sei es unzweifelhaft um das Thema "Dienstbezüge" gegangen, wie es auch in deren Betreff zum Ausdruck gekommen sei.

Der Kläger vertrat zur Begründung seiner Klage, mit der er die Nachzahlung von kinderbezogenen Besoldungsbestandteilen für die Zeit bis zum 31.12.1998 begehrt, im Wesentlichen die Ansicht, im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerwG vom 28.6.2001 (- 2 C 48.00 -) sei dieser Antrag ausreichend gewesen.

Das VG gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat für den hier in Rede stehenden Zeitraum keinen Anspruch auf die Gewährung und Nachzahlung der monatlichen Erhöhungsbeträge für sein drittes Kind nach Art. 9 § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BBVAnpG vom 19.11.1999, BGBl. I S. 2198. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, weil der Kläger einen entsprechenden Anspruch nicht bis zum 31.12.1998 geltend gemacht hat.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BBVAnpG 1999 erhalten Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch auf den höheren Orts- bzw. Familienzuschlag innerhalb des Zeitraums vom 1.1.1988 bis zum 31.12.1998 geltend gemacht haben, ohne dass darüber schon abschließend entschieden worden ist, Erhöhungsbeträge nach Satz 1 der Vorschrift vom 1.1. des Haushaltsjahres an, in dem das Vorverfahren begonnen hat. Mit der Koppelung der Anspruchsberechtigung an die Verfahrenspositionen "Kläger" und "Widerspruchsführer" einerseits wie auch mit der Anknüpfung an das betreffende Haushaltsjahr andererseits entspricht Art. 9 § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BBVAnpG 1999 der Rechtsprechung des BVerfG.

Vgl. Beschlüsse vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86 -, BVerfGE 81, 363, und vom 24.11.1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, BVerfGE 99, 300.

Die vom BVerfG festgestellte langjährige verfassungswidrige Unteralimentierung der Beamten mit drei oder mehr Kindern ist danach rückwirkend zugunsten derjenigen Beamten zu beheben, die ihren verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf amtsangemessene Alimentierung zeitnah durch Klage oder Widerspruch geltend gemacht haben.

Vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 28.6.2001 - 2 C 48.00 -, BVerwGE 114, 350; ferner OVG NRW, Urteil vom 4.9.2003 - 1 A 2430/01 -, Juris, www.NRWE.de.

Durch die zitierte Rechtsprechung des BVerfG sowie des BVerwG ist inzwischen geklärt, dass der Beamte den verfassungsrechtlichen Anspruch auf amtsangemessene Alimentation unmittelbar mit dem Widerspruch verfolgen kann. Darüber hinaus bedarf es keines vorausgehenden Antrags an den Dienstherrn und ebenso wenig dessen Ablehnung. Für den Dienstherrn muss allerdings erkennbar sein, wogegen der Rechtsbehelf eingelegt und was mit ihm begehrt wird. Hiervon ausgehend genügt etwa auch eine schriftliche Erklärung, mit der der Betroffene höhere als die ihm tatsächlich fortlaufend gezahlten Bezüge begehrt, den sich aus § 126 Abs. 3 BRRG ergebenden inhaltlichen Anforderungen an einen Widerspruch.

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers (hier: zum Betreff a. Kindergeld) zu Recht nach seinem Wortlaut dahingehend verstanden, dass er ausschließlich auf die Gewährung höheren Kindergeldes gerichtet war.

In dem Antrag unter a. kommt nicht zum Ausdruck, dass der Kläger höhere als die ihm gewährten Bezüge begehrt. Der Kläger hat wortwörtlich "rückwirkend ab 00.00.0000 ein höheres Kindergeld" beantragt und nicht die Begriffe "Besoldung", "Bezüge", "Alimentation" oder "Geld" verwendet. Zur Begründung des Antrags hat er sich zudem auf den die einkommensabhängige Minderung des Kindergeldes betreffenden Beschluss des BVerfG vom 29.5.1990 (- 1 BvL 20/84, 26/84 und 4/86 - BVerfGE 82, 60) berufen. Ferner hat er darum gebeten, die Entscheidung über seinen Antrag entsprechend dem Erlass der Bundesanstalt für Arbeit vom 13.8.1990 bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvR 1022/88 auszusetzen. Gegenstand auch dieses Verfahrens war die Kürzung des Kindergeldes für Besserverdienende für die Jahre 1983 bis 1987.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.6.1994 - 1 BvR 1022/88 -, BVerfGE 91, 93.

Zudem hat der Kläger seinen Antrag auf § 44 SGB X gestützt, eine Vorschrift, die sich ausschließlich auf Sozialleistungen bezieht, auf Besoldungsansprüche jedoch keine Anwendung findet. Somit ist der Antrag von seinem Wortlaut her ausschließlich auf ein höheres Kindergeld gerichtet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.3.2005 - 2 C 13.04 -, juris und NVwZ-RR 2005, 591.

In einem Fall, in welchem ein fast wortgleicher Antrag eines Beamten zu beurteilen war, hat das BVerwG (a.a.O.) keinen Raum für eine inhaltlich erweiternde Auslegung des bloß auf die Gewährung höheren Kindergeldes gerichteten Antrags dahingehend gesehen, dass der Begriff "Kindergeld" z.B. im Zusammenhang mit einer aktuellen Diskussion zur Höhe der Besoldung in einem umfassenderen Sinne zu verstehen sei und etwa allgemein finanzielle Leistungen des Dienstherrn für Kinder meinen könnte. Eine Auslegung des Antrags, wie sie das VG unter Hinweis auf das Urteil des 6. Senates des OVG NRW vom 9.5.2003 als richtig erachtet hat, vgl. Urteil vom 9.5.2003 - 6 A 891/01 -, Juris, und wie sie auch der Senat in seiner Entscheidung vom 12.11.2003, vgl. Urteil vom 12.11.2003 - 1 A 252/01 -, Juris, www.NRWE.de, vorgenommen hat, kommt daher in reiner Anknüpfung an den Wortlaut der in Rede stehenden Erklärung des Klägers unter a. in seinem Antrag nicht (mehr) in Betracht.

Der Antrag bietet auch unter dem Gesichtspunkt der bloß falschen Bezeichnung keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen vom Wortlaut abweichenden Erklärungswillen. Insoweit fehlt es an hinreichend besonderen Umständen, aus denen es zumindest naheliegen könnte, dass dem nach seinem Wortlaut eindeutigen Antrag eine von jenem Wortlaut abweichende, auf die Rüge nicht ausreichender Alimentation wegen des Vorhandenseins eines dritten Kindes gerichtete Bedeutung beigemessen werden könnte.

Zwar gebietet die auch auf öffentlich-rechtliche Erklärungen anwendbare Vorschrift des § 133 BGB eine Auslegung, die nicht beim Wortlaut - einer gegebenenfalls eindeutigen Erklärung - stehen bleibt, sondern stets Sinn und Begleitumstände einbezieht. Dabei sind alle bei verständiger Würdigung einschlägigen außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände zum Zwecke der Klarlegung des Bedeutungsgehalts eines Anliegens einzubeziehen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 3.3.2005, a.a.O, Juris, vom 28.5.2003 - 8 C 6.02 -, Juris.

Solche Begleitumstände ergeben sich weder aus dem Vorbringen des Klägers noch sind sie sonst ersichtlich.

Namentlich die insoweit in Betracht zu ziehende Würdigung der Hausmitteilung des Referates 1 vermag eine dem Kläger günstige Auslegung seines Schreibens über seinen Wortlaut hinaus nicht zu begründen. Denn jene Mitteilung enthält keinen Umstand, aus dem heraus die Beklagte dieses Schreiben verständigerweise als einen Antrag auf höhere Besoldung hätte verstehen müssen.

Die genannte Mitteilung war vom Referat 1 mit der Absenderbezeichnung "Besoldung" herausgegeben worden. Ausweislich des Geschäftsverteilungsplans handelte es sich dabei um das mit Personalangelegenheiten betraute Referat, das auch Grundsatzangelegenheiten des öffentlichen Dienstrechtes bearbeitete. Dem Referat 7 war hingegen die Bearbeitung der Personalausgaben wie Besoldung, Vergütung, Löhne, Kindergeld zugewiesen. Die den Referaten 1 und 7 im Geschäftsverteilungsplan zugewiesenen Aufgaben in besoldungsrechtlichen Angelegenheiten lassen namentlich nicht schon mit Blick auf die erwähnte Absenderbezeichnung einen sicheren Rückschluss dahin zu, dass der an das Referat 1 zurückgereichte Antrag umfassend als Antrag auf höhere Besoldung wegen eines dritten Kindes zu verstehen war. Denn die Erwähnung des Begriffs "Besoldung" hatte hier ersichtlich einen untechnischen weiten Bedeutungsgehalt, der neben der thematisierten Ministerialzulage auch das Kindergeld unter diesen Begriff fasste. Der Umstand, dass es hier also im weitesten Sinne um "Besoldung" gehen sollte, führt nicht auf den Schluss, dass die Erklärung des Klägers in seinem Schreiben in einem dem Klagebegehren günstigen Sinne verstanden werden musste. Gleiches gilt hinsichtlich der Verwendung des Begriffes "Dienstbezüge" im Betreff der Hausmitteilung der Beklagten. Mit dieser Bezeichnung des Betreffs waren zwar sachlich nicht zutreffend, weil unterschiedslos, die Begriffe "Kindergeld", "steuerlicher Kinderfreibetrag" und "Ministerialzulage" als Dienstbezüge bezeichnet worden. Daraus lässt sich indes nicht herleiten, dass in Anknüpfung daran der Kläger mit seinem Antrag eine nicht ausreichende Alimentation kinderreicher Familien rügen wollte. Das Wort "Dienstbezüge" diente in dem in Rede stehenden Betreff lediglich dazu, den Gegenstand der in der "wichtigen Mitteilung" gegebenen Information ganz allgemein und zusammenfassend zu umreißen. Diese Information war überdies an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also auch an Kinderlose oder Mitarbeiter mit nur zwei Kindern, und damit nicht nur an kinderreiche Beamte gerichtet. Die Beklagte hatte deswegen (auch) in der Zusammenschau des konkreten Antrags, des Betreffs der Mitteilung sowie der Absenderbezeichnung, keinen auch nur ansatzweise ausreichenden Anhalt anzunehmen, dass es dem Kläger mit seinem Antrag zumindest auch um höhere kinderbezogene Anteile in der Besoldung ging.

Ferner führt der Umstand, dass der Kläger seinen Antrag entsprechend der "wichtigen Mitteilung" seines Dienstherrn formuliert hat, nicht zu einem anderen Ergebnis. In der genannten Mitteilung war unter dem Betreff "Dienstbezüge; hier: Kindergeld und steuerlicher Kinderfreibetrag, Ministerialzulage" über die Rechte informiert worden, die aufgrund der neueren Rechtsprechung zum Kindergeld und steuerlichem Kinderfreibetrag sowie aufgrund der jüngsten Rechtsentwicklung zu den Stellenzulagen von besonderem Interesse sein konnten. Diese Mitteilung war generell an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums gerichtet und nicht speziell an den Kläger. Sie war damit ersichtlich dazu gedacht, zu bestimmten aktuellen Fragen, namentlich das Kindergeld betreffend, allgemeine Informationen weiterzuleiten, nicht aber, jeden einzelnen Beamten im Hinblick auf seine individuelle Situation zu beraten. Vielmehr musste jeder Leser der Mitteilung die gegebene Information speziell für sich umsetzen und entscheiden, ob und ggfs. welchen Antrag er an seine Dienststelle richten wollte. Diese Entscheidung hat auch der Kläger getroffen und einen Antrag betreffend (nur) Kindergeld und die Ministerialzulage angebracht. Andere Aspekte seiner Besoldung hat er damit gerade nicht erwähnt oder zur Prüfung gestellt.

Die Beklagte hat den Kläger durch die Hausmitteilung schließlich auch nicht auf eine "falsche Fährte" gebracht, indem sie ihn mit dem (alleinigen) Hinweis auf die Möglichkeit, eine Nachzahlungen beim Kindergeld zu beantragen, angeblich davon abgehalten hat, einen Antrag auf Erhöhung seiner Besoldung zu stellen. Denn auch die gegebenenfalls bewusste Beschränkung der Mitteilung auf u.a. Probleme des Kindergeldes würde nicht dazu führen, dass die Beklagte den Antrag des Klägers umfassend als auch auf einen höheren kindbezogenen Anteil im Ortszuschlag gerichtet hätte verstehen müssen. Dieses könnte man allenfalls dann anders sehen, wenn die Beklagte aus besonderen Umständen heraus damals gehalten gewesen wäre, in Erfüllung ihr obliegender Fürsorgepflichten den Kläger insoweit speziell zu beraten und aufzuklären. Dies ist hier indes nicht der Fall gewesen.

Dem Dienstherrn obliegt eine aus der allgemeinen Fürsorgepflicht (§ 79 BBG) herzuleitende Pflicht zur Belehrung über alle für den Beamten einschlägigen Vorschriften grundsätzlich nicht, und er ist auch nicht verpflichtet, seine Beamten von sich aus auf für sie etwa in Betracht kommende Möglichkeiten einer Antragstellung aufmerksam zu machen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 15.12.1980 - 6 C 58.78 -, ZBR 1981, 254; vom 29.10.1992 - 2 C 19.90 -, ZBR 1993, 182.

Eine entsprechende Hinweispflicht besteht nur bei besonderen Fallgestaltungen, etwa dann, wenn die Belehrung allgemeiner Verwaltungspraxis entspricht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.1997 - 2 C 10.96 -, BVerwGE 104, 55.

Das Vorliegen einer besonderen Fallgestaltung ist hier aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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