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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.08.2005
Aktenzeichen: 1 A 801/04
Rechtsgebiete: BVO, LBG NRW, GG


Vorschriften:

BVO § 8 Abs. 4
LBG NRW § 85
LBG NRW § 88 Satz 2 Halbsatz 1
LBG NRW § 88 Satz 5
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
1. Beim Erlass von Beihilfevorschriften steht dem nordrhein-westfälischen Verordnungsgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser Gestaltungsspielraum erlaubt es u.a. auch, Aufwendungen für Behandlungsmethoden, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht abschließend geklärt ist, von der Beihilfefähigkeit auszuschließen. Derartige Regelungen sind auch von der Ermächtigungsnorm des § 88 Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 5 LBG NRW gedeckt.

2. Schließt der nordrhein-westfälische Verordnungsgeber die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine bestimmte Behandlungsmethode aus, so kommt es im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausschlussvorschrift an.

3. Eröffnen spätere Einsichten eine andere Einschätzung zur Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode, so wird die Ausschlussvorschrift dadurch nicht (automatisch) rechtswidrig. Der Verordnungsgeber ist aber verpflichtet, die wissenschaftliche Diskussion zu verfolgen, um seine Entscheidung, soweit neue Erkenntnisse vorliegen, zu überprüfen und ggf. zu ändern.

4. Der Ausschluss der Aufwendungen für eine intrazytoplasmatische Spermainjektion (ICSI) durch § 8 Abs. 4 BVO NRW in der Fassung der Sechzehnten Verordnung zur Änderung der Beihilfenverordnung (GV. NRW. 1999 S. 673) verstieß nicht gegen höherrangiges Recht.


Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine intrazytoplasmatische Spermainjektion (ICSI) streitig. Bei dieser Behandlungsmethode handelt es sich um eine besondere Methode der extracorporalen Befruchtung (= In-vitro-Fertilisation, IVF), bei der außerhalb des Körpers der Frau ein einzelnes Spermium mit einer Mikropipette direkt in eine besonders vorbereitete Eizelle injiziert wird und diese Eizelle dann in die Gebärmutter der Frau übertragen wird. Die Beklagte lehnte die Beihilfefähigkeit einer solchen Behandlung unter Hinweis auf die am 1.1.2000 in Kraft getretene Vorschrift des § 8 Abs. 4 BVO a.F. ab. Diese Vorschrift, die bis zum 31.12.2003 galt, schloss die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine ICSI-Behandlung ausdrücklich aus. Seit dem 1.1.2004 sind Aufwendungen für künstliche Befruchtungen entsprechend § 27 a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB V beihilfefähig (§ 8 Abs. 4 BVO n.F.). Aufwendungen für eine ICSI-Behandlung sind nicht mehr von der Beihilfefähigkeit ausgenommen.

Gründe:

Der durch § 8 Abs. 4 BVO a.F. bestimmte Ausschluss von der Beihilfefähigkeit ist rechtmäßig. Die Vorschrift beruht auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage (a). Die im Dezember 1999 vorliegenden Erkenntnisse reichten aus, um den Ausschluss von für ICSI-Behandlungen entstandene Aufwendungen von der Beihilfefähigkeit zu rechtfertigen (b). Darüber hinaus verstößt § 8 Abs. 4 BVO a.F. weder gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (c) noch gegen andere höherrangige Rechtsvorschriften (d-f).

a) § 8 Abs. 4 BVO a.F. findet in § 88 Satz 4 i.V.m. Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. § 88 Satz 4 LBG NRW bestimmt, dass das Nähere, d.h. die ins einzelne gehenden Beihilfebestimmungen, durch Rechtsverordnung zu regeln sind. Gemäß § 88 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW sind die notwendigen und angemessenen Aufwendungen für den Beihilfeberechtigten .... beihilfefähig. Diese Vorschriften erlauben es dem Dienstherrn, Behandlungsmethoden von der Beihilfefähigkeit auszunehmen, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit in der medizinischen Fachdiskussion (noch) nicht abschließend geklärt ist.

Vgl. entsprechend BVerwG, Urteil vom 22.3.2001 - 2 C 36.00 -, ZBR 2001, 412 (zum Ausschluss der ICSI-Behandlung aus der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung); OVG Saarl., Urteil vom 6.5.2003 - 1 R 5/02 -, juris.

Denn dem Dienstherrn, vertreten durch den Verordnungsgeber, kommt bei der Ausgestaltung der Beihilfevorschriften ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89 m.w.N.

Dieser weite Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers kommt auch in der Ermächtigungsnorm des § 88 LBG NRW durch die Begriffe "notwendig" und "angemessen" in § 88 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW zum Ausdruck. Diesen Begriffen wohnt ein Wertungselement inne, das einen Gestaltungsspielraum eröffnet. Aufgrund dieses Spielraums darf der Verordnungsgeber Aufwendungen für Behandlungsmethoden, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit in der medizinischen Fachdiskussion (noch) nicht abschließend geklärt ist, von der Beihilfefähigkeit ausnehmen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2001 - 2 C 36.00 -, a.a.O.; OVG Saarl., Urteil vom 6.5.2003 - 1 R 5/02 -, a.a.O.

Derartige Aufwendungen als nicht "notwendig und angemessen" i.S.d. § 88 Satz 2 Halbsatz 1 LBG NRW zu beurteilen, hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die mit der Anwendung einer aus Sicht des Verordnungsgebers bedenklichen Behandlungsmethode verbundenen Risiken gerade dem Beihilfeberechtigten drohen. Aufgrund seines weiten Gestaltungsspielraums ist es dem Verordnungsgeber nicht verwehrt, gesundheitliche Risiken für Angehörige und ungeborene Kinder bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.

Das nordrhein-westfälische Beihilfenrecht enthielt in der fraglichen Zeit auch keine § 27a SGB V entsprechende Norm, die es dem Verordnungsgeber untersagt hätte, das Fehlbildungsrisiko bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, ob Aufwendungen für intrazytoplasmatische Spermainjektionen beihilfefähig sind. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das BSG seine Entscheidung, der (damalige) Ausschluss der ICSI-Behandlung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen sei rechtswidrig, allein mit den "in § 27a SGB V zum Ausdruck gekommenen Wertungen des Gesetzgebers" begründet hat.

Vgl. BSG, Urteil vom 3.4.2001 - B 1 KR 40/00 R -, BSGE 88, 62.

An diese in § 27a SGB V nach seiner Systematik und Zielsetzung zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Wertung war der Verordnungsgeber für den Bereich der (beamtenrechtlichen) Beihilfengewährung indes nicht gebunden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2001 - 2 C 36/00 -, a.a.O.; OVG Saarl., Urteil vom 6.5.2003 - 1 R 5/02 -, a.a.O.

Denn § 27a SGB V gilt ohne eine Norm, die die Geltung dieser Bestimmung im Bereich der Beihilfe anordnet, nur für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht aber für den Bereich der Beihilfe. Eine entsprechende Norm gab es am 16.12.1999 nicht, als § 8 Abs. 4 BVO a.F. durch die Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Beihilfenverordnung in die Beihilfenverordnung eingefügt wurde. Erst durch die Bezugnahme auf § 27a SGB V in Art. 1 Nr. 7d der Neunzehnten Verordnung zur Änderung der Beihilfenverordnung (Änderung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. zu § 8 Abs. 4 BVO n.F.) hat der Verordnungsgeber selbst die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Anlehnung an § 27a SGB V geregelt.

b) Entgegen den Einwänden des Klägers reichten die im Dezember 1999 gegen die ICSI-Methode bestehenden medizinischen Bedenken aus, um Aufwendungen für solche Behandlungen entsprechend der Regelung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. von der Beihilfefähigkeit auszuschließen.

Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allein der wissenschaftliche Erkenntnisstand im Dezember 1999, da die Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Beihilfenverordnung mit der Einfügung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. am 16.12.1999 erlassen wurde. Der Verordnungsgeber kann bei seiner Entscheidung nur die Erkenntnisse berücksichtigen, die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits existieren. Eine vom Verordnungsgeber erlassene Regelung wird also nicht - insbesondere nicht im Sinne einer Automatik - dadurch nachträglich rechtswidrig, dass neue Forschungsergebnisse zu einem anderen Ergebnis kommen. Diesbezüglich ist der Verordnungsgeber lediglich gehalten, die wissenschaftliche Diskussion zu verfolgen, um seine Entscheidung, soweit neue Erkenntnisse vorliegen, zu überprüfen und ggf. zu ändern. Dieser Verpflichtung ist der Verordnungsgeber im vorliegenden Fall nachgekommen.

Die im Dezember 1999 gegen die ICSI-Methode vorliegenden Bedenken, welche im Übrigen noch in dem hier in Rede stehenden Behandlungszeitpunkt im März 2000 fortbestanden haben, waren so erheblich, dass der Ausschluss der für derartige Behandlungen entstandenen Aufwendungen von der Beihilfefähigkeit gerechtfertigt war. In diesem Zusammenhang bedarf es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob das vom Verordnungsgeber befürchtete erhöhte Fehlbildungsrisiko tatsächlich besteht (inzwischen dürfte wahrscheinlich, wenn nicht sogar erwiesen sein, dass es jedenfalls weit geringer ist, als zunächst befürchtet). Entscheidend ist allein, dass aufgrund der im Dezember 1999 veröffentlichten Forschungsergebnisse sowie dem damaligen Stand der fachwissenschaftlichen Diskussion ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nicht zuverlässig auszuschließen war.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2001 - 2 C 36/00 -, a.a.O.

Bezogen auf den Beurteilungszeitpunkt Dezember 1999 gab es gewichtige Stimmen aus der medizinischen Fachwelt, die die Ansicht vertraten, es könne nicht zuverlässig ausgeschlossen werden, dass die ICSI-Methode mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko für die auf diesem Wege gezeugten Kinder verbunden sei (wird ausgeführt).

Danach bestanden so gewichtige Zweifel an der Unbedenklichkeit der ICSI-Methode, dass der Ausschluss der Aufwendungen für nach dieser Methode vorgenommene Behandlungen von der Beihilfefähigkeit angesichts des oben dargelegten weiten Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers gerechtfertigt war. Der hiergegen erhobene Einwand des Klägers, in der heutigen Gesellschaft lasse sich zu jeder Frage jemand finden, der eine Gegenmeinung vertrete, greift nicht durch. Er verkennt, dass es sich bei den vorstehend zitierten Quellen nicht um vereinzelte Außenseitermeinungen handelt, sondern um gewichtige Stimmen aus der medizinischen Fachwelt. Dass andere, gleichfalls gewichtige Stimmen wie z.B. die Bundesärztekammer die ICSI-Methode als unbedenklich eingeschätzt haben - vgl. z.B. die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Deutsches Ärzteblatt 1998, Heft 49, A-3166 -, steht der Rechtmäßigkeit des § 8 Abs. 4 BVO a.F. ebenfalls nicht entgegen. Diesbezüglich ist nochmals darauf zu verweisen, dass es nicht darauf ankommt, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko tatsächlich besteht, sondern dass aufgrund des im Dezember 1999 bestehenden Erkenntnisstandes ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nicht zuverlässig auszuschließen war. Dass Letzteres der Fall war, bestätigt die bereits zitierte Entscheidung des BSG vom 3.4.2001.

Vgl. Rn. 21 des Jurisabdrucks: "Es trifft zu, dass die Risiken der ICSI für die auf diesem Wege gezeugten Kinder nicht ausreichend geklärt sind."

c) § 8 Abs. 4 BVO a.F. verstößt auch nicht gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Bei den Aufwendungen für die am 17.3.2000 erfolgte ICSI-Behandlung handelt es sich nicht um Aufwendungen, die für den Kläger unausweichlich sind und denen er sich nicht entziehen kann.

Zum Kriterium der Unausweichlichkeit vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, a.a.O., sowie Kammerbeschluss vom 16.9.1992 - 2 BvR 1161/89 u.a. -, NVwZ 1993, 560.

In einem wertenden Sinne unausweichlich ist die Behandlung schwerer oder gar lebensbedrohlicher Krankheiten. Der Behandlung einer solchen Krankheit dient die ICSI-Behandlung nicht. Allerdings ist die ICSI-Behandlung im Falle des Klägers und seiner Ehefrau die einzige Behandlung, die ihnen (möglicherweise) zur Geburt eines eigenen Kindes verhelfen kann; das Scheitern der unternommenen Versuche belegt dabei, dass auch dies mit noch großen Unsicherheiten behaftet ist. Jedoch bestehen zu einer solchen Behandlung insofern Alternativen, als dass die Erfüllung eines Kinderwunsches auch im Wege der Adoption oder der Aufnahme eines Pflegekindes möglich ist. Der Senat verkennt nicht, dass die Nichterfüllung des Wunsches, ein eigenes Kind zu bekommen, mit einer erheblichen psychischen Belastung des ungewollt kinderlosen Ehepaares einhergehen kann. Dieser möglichen psychischen Belastung stand jedoch das im Jahre 2000 nicht auszuschließende erhöhte Fehlbildungsrisiko gegenüber. Bei dieser Sachlage ist es jedenfalls vertretbar und im Ergebnis nicht fürsorgepflichtwidrig, wenn der Dienstherr es ablehnt, die Kosten einer ICSI-Behandlung zu übernehmen, solange keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse über deren gesundheitliche Unbedenklichkeit vorliegen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2001 - 2 C 36/00 -, a.a.O.

d) Der Verordnungsgeber war auch nicht verpflichtet, vor Erlass des § 8 Abs. 4 BVO a.F. zu prüfen, wie die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für ICSI-Behandlungen in den Beihilferegelungen des Bundes und der anderen Bundesländer geregelt war. Denn der Verordnungsgeber hätte selbst dann, wenn derartige Aufwendungen in allen anderen Bundesländern und im Bund beihilfefähig gewesen wären, von einem solchen bundeseinheitlichen Standard abweichen dürfen. Die Länder haben sich beim Erlass von (Beihilfe-)Vorschriften nur an das Bundesrecht, nicht aber an das zu halten, was im Bund und in anderen Bundesländern in sachverwandten Regelungsbereichen gilt. Ein über einen bundeseinheitlichen Standard ausgeübter Zwang zur Vereinheitlichung des Beihilfenrechts wäre auch nicht mit der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zu vereinbaren.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.11.2002 - 2 BvR 1053/98 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 12.11.2003 - 1 A 4755/00 -, a.a.O. e) Die Regelung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG.

Allerdings umfasst der Schutz der Familie auch die freie Entscheidung der Eltern, wann und wie viele Kinder sie haben wollen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.1.1984 - 1 BvL 5/83 -, BVerfGE 66, 84, 94; Pieroth/Schlink, Grundrechte, 16. Aufl. 2000, Rn. 644.

Der Verwirklichung dieser Entscheidung steht in erster Linie die beim Kläger vorliegende, seine Zeugungsfähigkeit beeinträchtigende Erkrankung, nicht aber § 8 Abs. 4 BVO a.F. entgegen. Diese Vorschrift enthielt weder ein Verbot, überhaupt ein Kind zu bekommen, noch ein Verbot, sich einer ICSI-Behandlung zu unterziehen. Die Regelung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. war allenfalls geeignet, die Entscheidung für oder gegen eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten mittelbar zu beeinflussen. Jedoch verletzt nicht bereits jede mittelbare Beeinträchtigung das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht auf Ehe und Familie. Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass der Kläger sich auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht in seiner klassischen Funktion als Abwehrrecht gegen unmittelbare staatliche Eingriffe beruft. Vielmehr sieht er eine Verletzung des Art 6 Abs. 1 GG darin begründet, dass ihm der Staat nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, die seiner Ansicht nach erforderlich sind, um seine aus dieser Norm folgenden Rechte wahrnehmen zu können. Dieser Gesichtspunkt begründet jedoch keine Verletzung des Art 6 Abs. 1 GG. Zwar enthält diese Norm das Gebot, die Familie zu fördern, jedoch lassen sich aus diesem Gebot keine Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 u.a. -, BVerfGE 87, 1, 35; Beschluss vom 6.5.1975 - 1 BvR 332/72 -, BVerfGE 39, 316, 326.

Denn die staatliche Förderung der Familie durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen darf. Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Finanzplanung zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zur Förderung der Familie entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise dies zu geschehen hat. Insoweit besteht grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Prüfungsmaßstab ist insofern Art. 3 Abs. 1 GG, der jedoch in Verbindung mit Art 6 Abs. 1 gesehen werden muss.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 u.a. -, BVerfGE 87, 1, 35.

Art. 2 Abs. 1 GG ist hier schon deswegen nicht verletzt, da bezogen auf die Entscheidung, Kinder zu bekommen, Art. 6 Abs. 1 GG für Ehepaare lex specialis ist.

Vgl. Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 6 Rn. 26, Fn. 107.

f) Die Regelung des § 8 Abs. 4 BVO a.F. ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG - unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG - vereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn die (un-)gleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die vom Gesetzgeber getroffene Regelung fehlt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 -, a.a.O. m.w.N.

Davon ausgehend stellt es keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar, dass Aufwendungen für ICSI-Behandlungen, die nach dem 31.12.2003 entstanden sind, beihilfefähig sind, nicht aber Aufwendungen für ICSI-Behandlungen, die vor dem 1.1.2004 entstanden sind. Der sachliche Grund für diese Ungleichbehandlung liegt in dem fortschreitenden medizinischen Erkenntnisstand bezüglich des Fehlbildungsrisikos für die im Wege der ICSI-Behandlung gezeugten Kinder.

Die Tatsache, dass Aufwendungen für IVF-Behandlungen ohne intrazytoplasmatische Spermainjektion bereits vor dem 1.1.2004 beihilfefähig waren, ist ebenfalls nicht geeignet, einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu begründen. Auch diesbezüglich liegen ausreichende sachliche Gründe für die Entscheidung des Verordnungsgebers vor: Zum einen sind die unterschiedlichen Voten des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bezüglich beider Behandlungsmethoden zu nennen. Die IVF-Behandlung ohne intrazytoplasmatische Spermainjektion hatte der Bundesausschuss bereits 1990 unter Nr. 10.3 in seine Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung aufgenommen.

Vgl. BArbBl. 12/90, S. 21.

Dagegen wurde bezüglich der intrazytoplasmatischen Spermainjektion in der am 1.10.1997 in die Richtlinie eingefügten Regelung der Nr. 10.5 ausdrücklich bestimmt, dass diese Behandlungsmethode keine Methode der künstlichen Befruchtung i.S.d. Richtlinie sei. Zum anderen bezog sich jedenfalls die im Zeitraum 1997 bis 2002 geführte fachmedizinische Diskussion in erster Linie auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei ICSI-Behandlungen, nicht aber auf ein vergleichbares Risiko bei IVF-Behandlungen. Ob Aufwendungen für ICSI-Behandlungen im Zeitraum vor dem 1.1.2004 - wie vom Kläger behauptet - in vielen anderen Bundesländern beihilfefähig waren, bedarf keiner weiteren Aufklärung. In diesem Falle wäre die hiermit verbundene Ungleichbehandlung aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung gerechtfertigt. Wird der Landesgesetz- bzw. -verordnungs-geber innerhalb seiner Rechtssetzungskompetenz tätig, können sich die davon Betroffenen zur Begründung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf abweichende Regelungen des Bundes bzw. anderer Bundesländer berufen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.11.2002 - 2 BvR 1053/98 -, a.a.O., m.w.N.

Schließlich ergibt sich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz auch nicht daraus, dass Aufwendungen für ICSI-Behandlungen seit dem 1.1.1998 von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden mussten und seit der Aufnahme der ICSI-Behandlung in die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung auch ein entsprechender Sachleistungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen besteht.

Bezüglich der Rechtslage nach SGB V vgl. BSG, Urteil vom 3.4.2001 - B 1 KR 40/00 R -, a.a.O.

Denn Beihilfe und gesetzliche Krankenversicherung sind unterschiedliche Systeme sozialer Sicherung, welche nicht isoliert mit Blick auf bestimmte Einzelregelungen am Gleichheitsgrundsatz gemessen werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12.11.2003 - 1 A 4755/00 -, a.a.O.; OVG Saarl., Urteil vom 6.5.2003 - 1 R 5/02 -, a.a.O., m.w.N.

Im Zusammenhang mit dem vom Kläger an den Verordnungsgeber gerichteten Vorwurf der Willkür sei abschließend darauf hingewiesen, dass es rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn der Verordnungsgeber Aufwendungen für ICSI-Behandlungen ab dem 1.1.2000 nicht von der Beihilfefähigkeit ausgenommen hätte. Auch diese Lösung wäre - entgegen dem Empfinden des Klägers - nicht willkürlich, sondern im Rahmen des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers erfolgt.

Ende der Entscheidung

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