Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.05.2003
Aktenzeichen: 1 B 646/03
Rechtsgebiete: LPVG NRW


Vorschriften:

LPVG NRW § 42 Abs. 2 Satz 2
LPVG NRW § 42 Abs. 3
Sind die Freistellungen für Personalratsmitglieder, welche § 42 Abs. 3 LPVG NRW vorsieht, in einer Dienststelle ausgeschöpft, so kann eine pauschale Reduzierung der Arbeitsbelastung eines nicht freigestellten Personalratsmitglieds, welche faktisch einer - weiteren - (Teil-)Freistellung gleichkäme, grundsätzlich nicht im Wege der Dienstbefreiung nach § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW Erfolg versprechend verlangt werden. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang ein ggf. notwendiger Belastungsausgleich regelmäßig innerhalb des Gremiums Personalrat gefunden werden.
Tatbestand:

Die Beteiligten stritten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten darüber, ob der Antragsteller - ein Kreisamtmann - auf der Grundlage des § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW einen Anspruch auf eine generelle Reduzierung seines Arbeitspensums mit Blick auf die Erfüllung von Aufgaben als - nicht nach § 42 Abs. 3 LPVG NRW freigestelltes - Personalratsmitglied haben kann. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte weder erstinstanzlich noch in der Beschwerde vor dem OVG Erfolg.

Gründe:

Der Senat ist berufen, über die vorliegende Beschwerde im allgemeinen Verwaltungsrechtsweg zu entscheiden; über die Frage, ob eigentlich das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren der richtige Weg einer Klärung der sich hier stellenden Sach- und Rechtsfragen wäre, hat er nicht zu befinden. Denn eine Überprüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs - gleiches gilt für die statthafte Verfahrensart - findet im Rechtsmittelzug nicht mehr statt (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 5 GVG). Hier hat - nach Verweisung durch die Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - das VG über den vorliegenden Antrag in der Sache entschieden.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Soweit gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO die Darlegung von Gründen gefordert ist, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, prüft das OVG nur die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Nach dieser Maßgabe lässt die Beschwerde einen Grund zur Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht hervortreten.

Das Beschwerdevorbringen ist jedenfalls im Ergebnis nicht geeignet, die wesentliche Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung durchgreifend zu erschüttern, im Rahmen des § 42 Abs. 2 - insbesondere dessen Satz 2 - LPVG NRW könne eine pauschale Herabsetzung des Arbeitspensums (der Fallzahlen) schon deshalb nicht verlangt werden, weil dies inhaltlich einer (Teil-)Freistellung gleichkäme, die ihrerseits in § 42 Abs. 3 LPVG NRW eine grundsätzlich abschließende - und hier ausgeschöpfte - Regelung gefunden habe. Die davon abweichende Auffassung des Antragstellers liefe auch nach Auffassung des Senats der Systematik der in § 42 LPVG NRW enthaltenen, dabei sehr ausdifferenzierten Freistellungsregelungen erkennbar zuwider.

Freistellung in diesem Sinne meint die generelle (vollständige oder teilweise) Entbindung von der Pflicht, im Rahmen des Dienstverhältnisses weisungsgebunden Aufgaben zu erledigen, die der Dienststelle zur Aufgabenerfüllung zugewiesen sind. Das freigestellte Personalratsmitglied soll seine Arbeitskraft in dem Umfang der Freistellung (ausschließlich) der Erfüllung der dem Personalrat obliegenden personalvertretungsrechtlichen Aufgaben widmen können.

Die in § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW geregelte "Dienstbefreiung" betrifft demgegenüber die Aufgabenwahrnehmungskonkurrenz, dass für (nicht freigestellte) Personalratsmitglieder notwendige Personalratsarbeiten in die Dienstzeit fallen bzw. außerhalb der üblichen Dienstzeiten zusätzlich anfallen. Dienstbefreiung ist zu gewähren, wenn Personalratsmitglieder durch die Erfüllung ihrer Aufgaben über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus beansprucht werden. Sie zielt in Abgrenzung zu der (echten) Freistellung in Anwendung der Absätze 3 und 4 des § 42 LPVG NRW jedenfalls in aller Regel nicht auf eine im Voraus exakt bestimmbare vollständige oder teilweise Befreiung von der Dienstleistungspflicht für (i.d.R.) die Dauer der gesamten Amtsperiode des Personalrats ab. Sie hat vielmehr die Erledigung nur gelegentlich und dabei unregelmäßig anfallender, dem Umfang und der erforderlichen Erledigungszeit nach nicht im Voraus bestimmbarer Aufgaben im Blick.

Vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 16.5.1980 - 6 P 82.78 -, ZBR 1981, 106; Cecior/Vallendar/ Lechtermann/Klein, Personalvertretungsrecht NRW, § 42 Rn. 38.

Dem Antragsteller geht es demgegenüber um einen Ausgleich für regelmäßig zu erwartende Beratungs- und Vorbereitungsaufgaben und ihre Berücksichtigung im Rahmen einer pauschalen Reduzierung der ihm übertragenen Aufgaben (hier: Zahl der ihm im Rahmen der Vormundschaftsgerichtshilfe zugewiesenen Betreuungsfälle). Seine Arbeitsbelastung ("Pensum") soll pauschal reduziert werden, damit er sich in entsprechendem Umfang personalvertretungsrechtlichen Aufgaben widmen kann. Das läuft in der Sache auf eine - auf Dauer erstrebte - Freistellung, hier in Höhe von 40 % seiner vollen Dienstleistung, hinaus.

Mit Blick auf die im Rahmen des § 42 LPVG NRW den Absätzen 3 und 4 zuzuordnenden Dauerfreistellungen wegen voraussehbarer Belastungen ist indes Folgendes zu berücksichtigen: Zum einen betreffen diese Freistellungen, wie der nach § 42 Abs. 3 Satz 1 LPVG NRW erforderliche Beschluss "des Personalrats" zeigt, Kompetenzen des Personalrats als Gremium und nicht die arbeits- bzw. dienstrechtliche Stellung eines einzelnen Personalratsmitglieds. Zum anderen legt die sog. Freistellungsstaffel nach § 42 Abs. 4 LPVG NRW die Zahl der vollständig freizustellenden Personalratsmitglieder in Abhängigkeit von der Zahl der Beschäftigten jedenfalls für den Regelfall exakt fest; Abweichungen sind nur im Einvernehmen zwischen Dienststelle und Personalrat zulässig (§ 42 Abs. 4 Satz 3 LPVG NRW). Wie § 42 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LPVG NRW zeigen, nimmt das System der Freistellungen dabei gerade auch Rücksicht auf die verschiedenen Interessengruppen und die in den jeweiligen Gruppen vertretenen Listen, wenn auch unter Mitberücksichtigung der jeweiligen Gruppenstärke. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf den entsprechenden Beratungs- und Vertretungsbedarf. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben des § 42 Abs. 3 Satz 3 LPVG NRW durch den Personalrat bei der Freistellung von Personalratsmitgliedern kann ein benachteiligtes Mitglied auch gerichtlich durch Verpflichtungsantrag verfolgen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.2.2001 - 1 B 1591/00.PVL -.

Sind die danach möglichen (echten) Freistellungen - wie hier - ausgeschöpft, ist für weitere (faktische) Freistellungen - auch in Form der Teilfreistellung - grundsätzlich kein Raum mehr. Das zuvor beschriebene komplexe Regelungsgefüge des § 42 LPVG NRW würde umgangen und ausgehebelt, wollte man § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW erweiternd dahin auslegen, dass die dortige Regelung des Freizeitausgleichs zusätzliche (faktische) Teilfreistellungen in Gestalt einer pauschalen Senkung des Arbeitspensums von nicht nach § 42 Abs. 3 LPVG NRW freigestellten Personalratsmitgliedern mit einschlösse.

Abweichendes ergibt sich in diesem Zusammenhang auch nicht aus dem vom Antragsteller herangezogenen Beschluss des BAG vom 27.6.1990 - 7 ABR 43/81 - (BAGE 65, 230 ff.). Dort hat das BAG betreffend § 37 Abs. 2 BetrVG die Auffassung vertreten, die dort bestimmte Freistellungspflicht des Arbeitgebers erschöpfe sich nicht darin, den Betriebsratsmitgliedern die zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderliche Zeit zu gewähren. Bei einer an Sinn und Zweck der Regelung orientierten Auslegung müsse vielmehr auch bei der Zuteilung des Arbeitspensums angemessen Rücksicht auf die Inanspruchnahme des Betriebsratsmitglieds durch Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit genommen werden. Jene Entscheidung lässt sich zum einen schon deshalb nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen, weil es dort nicht um Konsequenzen aus einer dem § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW vergleichbaren Regelung ging, sondern vielmehr um die Frage der näheren Ausgestaltung einer (echten) Teilfreistellung von Betriebsratsmitgliedern als Recht des Betriebsrats. Zum anderen hat das BAG in dem angeführten Beschluss ausdrücklich klargestellt, dass die in jenem Verfahren vom Betriebsrat erstrebte pauschale Senkung der Arbeitsraten der beteiligten Betriebsratsmitglieder nicht durch die Freistellungspflicht des Arbeitgebers geboten sei, und hat dementsprechend im Ergebnis die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.

Soweit der Antragsteller im vorliegenden Verfahren allgemein beklagt, wegen des Umfangs seiner dienstlichen Arbeitsbelastung seine personalvertretungsrechtlichen Pflichten vernachlässigen zu müssen, sodass er etwa nicht mehr in der Lage sei, an Personalratsversammlungen teilzunehmen, lässt sich nicht plausibel nachvollziehen, dass ein solches Verhalten von ihm rechtlich verlangt wäre. So darf der Dienststellenleiter und dürfen auch andere Vorgesetzte den Personalratsmitgliedern die ordnungsgemäße Durchführung der in dieser Funktion wahrzunehmenden Aufgaben nicht verwehren. Der Senat nimmt dabei das Beschwerdevorbringen zum Anlass, auf Folgendes hinzuweisen:

Obschon die Personalratstätigkeit eine ehrenamtliche Tätigkeit ist (§ 42 Abs. 1 LPVG NRW), kann der Dienstherr das einzelne (nicht freigestellte) Personalratsmitglied nicht darauf verweisen, dass diese Tätigkeit u. U. einen Einsatz auch über die Dienstzeiten hinaus erfordert. Denn der mit der Novelle 1974 eingeführte § 42 Abs. 2 Satz 2 LPVG NRW sieht gerade in diesen Fällen einen Freizeitausgleich vor. Die vom Antragsgegner im Widerspruchsbescheid vom 7.1.2003 herangezogene Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 1964 ist insoweit nicht mehr aktuell. Ergibt sich, dass ein (nicht freigestelltes) Personalratsmitglied seine Personalratstätigkeit neben den ihm zugewiesenen Dienstaufgaben nicht innerhalb der für ihn geltenden individuellen Arbeitszeit bewältigen kann, wird der Dienstherr - ähnlich wie bei durch andere entschuldbare Umstände wie z. B. krankheitsbedingte Ausfallzeiten hervorgerufenen "Arbeitsrückständen" - grundsätzlich zu reagieren und durch geeignete Entlastungsmaßnahmen Abhilfe zu schaffen haben. Es mag dabei auch Sinn machen, die durch die Personalratstätigkeit voraussichtlich eintretende Doppelbelastung vorgreiflich schon bei der Festlegung des jährlichen Arbeitspensums mit zu berücksichtigen. Das hat der Antragsgegner, wie die dem Antragsteller gewährte Entlastung für gewerkschaftliche Weiterbildung (Sonderurlaub) zeigt, aber im Prinzip auch gesehen. Ein Anspruch auf pauschale Entlastung im Sinne einer der Sache nach gewährten Freistellung erwächst dem Personalratsmitglied im Übrigen - wie schon aufgezeigt - hieraus nicht, zumal dem Dienstherrn regelmäßig verschiedene Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Grundsätzlich würde es etwa auch ausreichen, ähnlich wie bei dem Freizeitausgleich für geleistete Überstunden erst nachträglich eine Angleichung der zu erbringenden Arbeitsmenge an die im Einzelfall vorliegende nachgewiesene Zusatzbelastung durch Personalratstätigkeit vorzunehmen.

Nicht von wesentlichem Belang ist hier ferner, dass dem Personalrat noch ein weiterer Mitarbeiter der Betreuungsstelle angehört und dass dieser keinen Belastungsausgleich für die Personalratsarbeit fordert. Die Entscheidung darüber, ob Arbeitsversäumnisse im Hinblick auf die Personalratstätigkeit erheblich sind, unterliegt zwar nicht der subjektiven Betrachtung des betroffenen Personalratsmitglieds, andererseits aber auch nicht der Sicht eines objektiven Dritten. Entscheidend ist, ob das Personalratsmitglied die Arbeitsversäumnisse vor Durchführung der ihm obliegenden Aufgaben bei der gegebenen Sachlage unter vernünftiger Würdigung aller Umstände für notwendig halten durfte. Dies führt namentlich auch im Hinblick auf die vom Antragsteller im Wesentlichen geltend gemachten Beratungsaufkommen dazu, dass von einem durch einen Beschäftigten angesprochenen Personalratsmitglied nicht verlangt werden kann, dass es den Beschäftigten in jedem Fall auf die Inanspruchnahme freigestellter Mitglieder zu verweisen hat (zumal wenn letztere - wie hier - einer anderen Gruppe angehören). Andererseits kann aber auch nicht übersehen werden, dass bei der vom Antragsteller geschilderten dauerhaft hohen Inanspruchnahme nach dem System des § 42 LPVG NRW zumindest im Grundsatz ein Ausgleich über die Freistellung nach Absatz 3 zu suchen ist und in diesem Zusammenhang ein Ausgleich innerhalb des Gremiums gefunden werden muss.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen muss die gegenüber dem Antragsteller ergangene Weisung seines Vorgesetzten (Aufforderung, die unerledigten Vorgänge "zügig" zu bearbeiten) bei verständiger, nach Möglichkeit gesetzeskonformer Würdigung auch nicht zwangsläufig in einem engen, den personalvertretungsrechtlichen Verpflichtungen des Dienstherrn widersprechenden Sinne verstanden werden. Auch in dem vorliegenden Eilverfahren ist vielmehr zum Ausdruck gekommen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten eigentlich nur hinsichtlich des für nötig zu befindenden Umfangs der Personalratstätigkeit und der Bewältigungsmöglichkeit der in Gestalt einer konkreten Fallzahl zugewiesenen dienstlichen Arbeitsmenge in der verbleibenden Zeit bestehen. Insoweit erscheint es indes dem Antragsteller zumutbar, ggf. eine nähere Klärung in einem Hauptsacheverfahren zu erstreben. Der Dienstherr muss es in diesem Zusammenhang vorübergehend hinnehmen, wenn bis zu einer Klärung im Hauptsacheverfahren ggf. weitere Rückstände auflaufen, sofern der Antragsteller die Verursachung durch seine Belastung als Personalratsmitglied im jeweiligen Einzelfall nachvollziehbar darlegen und nötigenfalls durch Aufzeichnungen o.ä. belegen kann. Eine - die Hauptsache zumindest teilweise vorwegnehmende - einstweilige Anordnung mit dem hier erstrebten (Dauer-)Ziel einer pauschalen Teilfreistellung über die vom Personalrat bereits ausgeschöpften Freistellungen im Anwendungsbereich des § 42 Abs. 3 und 4 LPVG NRW hinaus vermögen die zuvor erörterten Gesichtspunkte allerdings nicht zu rechtfertigen.

Ende der Entscheidung

Zurück