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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.01.2008
Aktenzeichen: 10 A 1277/07
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 54
BauO NRW § 68 Abs. 1 Satz 3
1. § 54 Abs. 3 BauO NRW ist nicht abschließend und steht deshalb einer Anwendung des § 54 Abs. 1 und 2 BauO NRW auf Vorhaben, die nicht in § 68 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW aufgeführt sind, nicht entgegen.

2. Besondere Anforderungen zur Gewährleistung hinreichender Brandschutzeinrichtungen und Brandschutzvorkehrungen können auch an Verkaufsstätten mit bis zu 700m² Verkaufsfläche gestellt werden.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümer von zwei Grundstücken, auf denen ein einheitlicher Baukörper mit Ausgängen im vorderen und rückwärtigen Bereich steht. Die Klägerin errichtete im Erdgeschoss zwei Ladenlokale mit einer Breite von jeweils etwa 6 bis 7 m und einer Tiefe von ca. 40 m. Am 29.8.2001 stellte sie einen Bauantrag. Unter dem 19.11.2001 erteilte die Beklagte "Nachtragsgenehmigungen" für beide Bauvorhaben. Die Genehmigungen enthalten unter anderem die Nebenbestimmungen: "Die Tür zur E. Straße des schon in Betrieb genommenen Ladenlokals ist während der Betriebszeiten des Ladens in voller Breite offen zu halten. Die Notausgangstür zur S. Gasse dieses Ladenlokals muss in Fluchtrichtung aufschlagen. Diese Tür ist bis spätestens zum 10.01.2002 durch eine nach außen aufschlagende zu ersetzen." Die Klägerin legte gegen die Nebenbestimmungen erfolglos Widersprüche ein. Die Klägerin nahm die Klage bzgl. der Nebenbestimmungen zur Gestaltung bzw. Handhabung der Tür zur E. Straße zurück. Im Übrigen wies das VG die Klage ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Antragsschrift zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

Die Klägerin wendet zu Unrecht ein, es handele sich nicht um Sonderbauten im Sinne des § 54 BauO NRW. Sonderbauten sind nach der Legaldefinition des § 54 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW bauliche Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Den Anwendungsbereich verdeutlicht Abs. 3 der Bestimmung. Danach zählen insbesondere die in § 68 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW aufgeführten Vorhaben zu den Sonderbauten. Diese Sonderbauten unterscheiden sich von dem "Normalfall" eines Wohnhauses geringer oder mittlerer Höhe über rechteckigem Grundriss insbesondere durch Schwierigkeiten der Brandbekämpfung, häufig wechselnden Benutzer- oder Besucherkreis, Besonderheiten der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit von Benutzern oder Besuchern, besonderes Gefahrenpotential, hoher Verschleiß der für die Standsicherheit wesentlichen Bauteile, besondere Nutzungsformen oder die Größe des Vorhabens.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: 1.10.2007, § 54 Rdnr. 21, zur niedersächsischen Regelung: Nds. OVG, Urteil vom 18.9. 2002 - 1 LB 2855/01 -, BRS 65 Nr. 138.

Diese Besonderheiten können auf der Grundlage des § 54 BauO NRW über die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Brandschutz (z.B. über Abstände, Rettungswegführung sowie Bauteile und Baustoffe) hinaus gehende Brandschutzanforderungen im Einzelfall erforderlich machen.

Der Verweis des § 54 Abs. 3 BauO NRW auf die Sonderbauten im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW ist, wie schon aus dem Wort "insbesondere" folgt, nicht abschließend gemeint, so dass insbesondere auch an Verkaufsstätten mit einer Verkaufsfläche von bis zu 700 m² besondere Anforderungen im Einzelfall gestellt werden können.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 54 Rdnr. 65; Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, 10. Aufl., § 54 Rdnr. 56.

Dieses Verständnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Nach § 54 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW 1995 galten die § 54 Abs. 1 und 2 BauO NRW für Verkaufsstätten ohne Begrenzung auf ein bestimmtes Flächenmaß. § 54 Abs. 3 BauO NRW 2000 enthält demgegenüber nunmehr nur noch einen Verweis auf den Katalog der "großen" Sonderbauten in § 68 BauO NRW. Eine sachliche Änderung war damit nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers jedoch nicht verbunden. Nach der Amtlichen Begründung (LT-Drs. 12/3738), abgedruckt bei: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 54 vor Rdnr. 1, ist auch mit der Neuformulierung eine abschließende Aufzählung der Sonderbauten nicht beabsichtigt.

Auch eine sachliche Rechfertigung dafür, die Anwendung des § 54 BauO NRW auf Verkaufsstätten von mehr als 700 m² zu beschränken, ist nicht ersichtlich. Vielmehr muss die Bauaufsichtsbehörde im Einzelfall prüfen können, ob unter Berücksichtigung der Größe der Verkaufsstätte, der Besonderheiten des Gebäudes, der Brandlasten und der Zahl der Besucher die allgemeinen Anforderungen für Wohngebäude ausreichen oder nicht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Bauvorhaben der Klägerin um einen Sonderbau im Sinne des § 54 Abs. 1 BauO NRW. Das Verwaltungsgericht hat hierzu zutreffend insbesondere auf den außergewöhnlichen Zuschnitt der Ladenlokale abgestellt. Die Tiefe des Ladenlokals von nahezu 40 m führt dazu, dass der Fluchtwege trotz der geringen Verkaufsfläche ähnlich lang ist wie bei einer Verkaufsstätte mit über 700 m². Allein dieser Umstand rechtfertigt die Annahme eines Sonderbaus im Sinne des § 54 BauO NRW, so dass es auf die weiter vom VG angeführten Gesichtspunkte, gegen die sich die Klägerin wendet, im vorliegenden Verfahren nicht ankommt. Die Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten ("Schlauchform") ist auch nicht, wie die Klägerin meint, willkürlich.

Zu Unrecht verweist die Zulassungsbegründung auch darauf, dass zwischen einem Ladenlokal geringer oder mittlerer Größe und einer Privatwohnung bei gleichem Grundriss kein wesentlicher Unterschied bestehe. Denn ein für die Erforderlichkeit einer besonderen Prüfung brandschutzrechtlicher Aspekte mit tragender Unterschied zwischen einer Wohnung und einem Ladenlokal gleich welchen Zuschnitts besteht darin, dass die eine Wohnung nutzenden Personen die Örtlichkeit in der Regel kennen, während die Kunden eines Ladenlokals insbesondere mit den Flucht- und Rettungswegen üblicherweise gerade nicht vertraut sind.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die Anordnung der Warentische geändert und damit die Fluchtmöglichkeiten verbessert worden seien, hat das VG bereits zutreffend ausgeführt, dass die erteilte Baugenehmigung keinerlei Vorgaben für die Anordnung der Gänge oder Rettungswege enthält und deshalb sämtlichen Nutzungen Rechnung zu tragen ist, die in der Bandbreite der zugelassenen Nutzung liegen.

Ende der Entscheidung

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