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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 17.01.2008
Aktenzeichen: 10 A 2795/05
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, BauO NRW


Vorschriften:

BauGB § 29 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 22 Abs. 3 Halbsatz 2
BauO NRW § 71 Abs. 1
BauO NRW § 75 Abs. 3 Satz 1
(1) Die durch Vorbescheid zugelassene Schließung einer Baulücke in geschlossener Bebauung ist rücksichtslos, wenn sie zum Zumauern von Fenstern im grenzständigen Giebel des benachbarten legal errichteten Hauses und damit zum Wegfall der natürlichen Belichtung in Wohnräumen führt und diese nicht durch Fenster in den seitlichen Gebäudewänden sichergestellt werden kann.

(2) Bei der Abwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots können im Einzelfall aus privaten Rechten folgende öffentlich rechtliche Rechtspositionen beachtlich sein. Dies trifft für ein 1905 ins Grundbuch eingetragenes Lichtrecht in Kombination mit der Nichtüberbaubarkeit einer 2,60 m breiten Zuwegungsparzelle zu, weil seinerzeit in Preußen eine derartige Sicherung öffentlich rechtlich nicht möglich war.


Tatbestand:

Die Klägerin wehrte sich mit ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Bebauungsgenehmigung für eine geschlossene Bebauung des Nachbargrundstücks, die zur Schließung von vier Fenstern im grenzständigen Giebel ihres Hauses führen sollte.

Das im Jahre 1905 errichtete dreigeschossige Wohn- und Geschäftshaus der Klägerin ist traufseitig zur Straße ausgerichtet; dessen Giebelwände stehen an den beiden Grundstücksgrenzen. Westlich grenzt an das klägerische Grundstück (X.-Straße 245, Flurstück 75, Flur 6, Gemarkung B.) das der Beigeladenen gehörende, ca. 2,60 m breite unbebaute Flurstück 73 an, welches seit jeher als Wegeparzelle genutzt wird und gegenwärtig als Durchfahrt zu einer rückwärtigen Garage dient. An diese Parzelle schließt sich nach Westen das früher mit einem beidseitig grenzständig errichteten Gebäude bebaute und heute als Parkplatz genutzte, ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen stehende Flurstück 72 an. Zu Lasten der letztgenannten Parzelle und zu Gunsten des klägerischen Grundstücks wurde im Jahre 1905 im Grundbuch von B. ein Lichtrecht eingetragen. Westlich der Flurstücke 72 und 73 liegt das grenzständig bebaute Grundstück X.-Straße 241.

In der an das Flurstück 73 angrenzenden westlichen Giebelwand des Hauses der Klägerin befindet sich zur Belichtung der Küchen im ersten und zweiten Obergeschoss jeweils ein Fenster mit den Außenmaßen 1,86 m x 1,09 m. Zudem weist die Giebelwand zwei Fenster im Dachgeschoss auf, die zusammen mit vier Dachflächenfenstern der Belichtung des Wohnzimmers der Dachgeschosswohnung dienen.

Der Beklagte erteilte der Beigeladenen einen planungsrechtlichen Bauvorbescheid zur Errichtung von zwei mehrgeschossigen Gebäuden. Ein Gebäude war beidseitiggrenzständig zwischen den Häusern X.-Straße 241 und 245 vorgesehen. Das VG wies die Klage der Klägerin ab. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg.

Gründe:

Der der Beigeladenen erteilte Vorbescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung verstößt gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungsrechts und verletzt die Klägerin damit in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hierbei begründet der Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften durch das geplante Gebäude X.-Straße 243 in C. die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Vorbescheides, der insgesamt Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist.

Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, da es innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht werden soll und nicht im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans gemäß § 30 BauGB liegt.(...).

Nachbarschützende Wirkung entfaltet § 34 Abs. 1 BauGB ausnahmsweise nur über das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens verankerte Rücksichtnahmegebot. Für eine solche Verletzung reicht es indes nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird. Hinzu kommen muss objektivrechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme speziell auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt.

Das Gebot der Rücksichtnahme soll die bei Verwirklichung von Bauvorhaben aufeinanderstoßenden Interessen angemessen ausgleichen. Ob ein Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es danach wesentlich auf eine Abwägung an zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.2.1977 - 4 C 22.75 -, BRS 32 Nr. 155.

Die Beurteilung hat jeweils gesondert bezüglich der in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Tatbestandsmerkmale der Art, des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, zu erfolgen. Die durch den Bauvorbescheid zugelassene grenzständige Errichtung des Wohnhauses X.-Straße 243 unmittelbar grenzständig am bestehenden Gebäude X.-Straße 245 erweist sich gegenüber der Klägerin hinsichtlich der Bauweise als rücksichtslos. Bezüglich der Bauweise gehört zur näheren Umgebung des Vorhabens jedenfalls der Bereich nördlich der X.-Straße (...).

Aus der näheren Umgebung lässt sich somit weder eine zwingende geschlossene oder offene Bauweise als städtebauliche Ordnung ableiten. In einem Gebiet mit teils offener, teils geschlossener Bauweise sind regelmäßig beide Bauweisen planungsrechtlich zulässig. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn die geschlossene Bebauung zahlenmäßig überwiegt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.3.1994 - 4 B 53.94 -, BRS 56 Nr. 65.

Die hiernach grundsätzlich zulässige geschlossene Bauweise erweist sich im vorliegenden Einzelfall jedoch gegenüber dem Grundstück der Klägerin als unzulässig. Selbst bei einer durch Bebauungsplan festgesetzten geschlossenen Bauweise ist nach § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 BauNVO ein Grenzabstand einzuhalten, wenn die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert. Entsprechendes gilt in einem nicht beplanten Gebiet, sofern der Grenzanbau dem unmittelbaren Nachbarn gegenüber rücksichtslos ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.1.1995 - 4 B 197.94 -, BRS 57 Nr. 131.

Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die grenzständige Errichtung des Wohnhauses X.-Straße 243 unmittelbar am bestehenden Gebäude X.-Straße 245 erweist sich unter Berücksichtigung der konkreten Grundstückssituation und des im Jahre 1905 im Grundbuch von B. eingetragenen Lichtrechts zu Gunsten des klägerischen Grundstücks als rücksichtslos. Infolgedessen ist das unmittelbar an das Grundstück der Klägerin angrenzende ca. 2,60 m breite Flurstück 73 der Flur 6, Gemarkung B. von Bebauung freizuhalten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen ist hier die aus privatrechtlichen Rechten der Klägerin folgende öffentlich-rechtliche Rechtsposition im Rahmen des Abwägungsgebots beachtlich. Die rechtlichen Eigentümerbefugnisse werden im konkreten Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem Grundstück der Klägerin (Flurstück 75) und den Grundstücken der Beigeladenen (Flurstücke 72 und 73) maßgeblich durch das 1905 in das Grundbuch eingetragene "Lichtrecht" bestimmt, das durch Auslegung zu bestimmen ist.

Für die Auslegung des hier fraglichen Lichtrechts führt allerdings der nahe liegende Rückgriff auf § 142 des 1. Teils, 8. Titel des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten - ALR - nicht weiter. Diese zur Zeit der Eintragung in das Grundbuch im Jahre 1905 in C. gemäß Art. 124 EGBGB geltende Regelung bestimmte:

"Sind jedoch die Fenster des Nachbarn, vor welchen gebaut werden soll, schon seit 10 Jahren oder länger vorhanden, und die Behältnisse, wo sie sich befinden, haben nur von dieser Seite her Licht, so muss der neue Bau so weit zurücktreten, dass der Nachbar noch aus den ungeöffneten Fenstern des unteren Stockwerkes den Himmel erblicken könne."

Bei diesem Lichtrecht handelte es sich somit um eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung, die erst nach dem Ablauf von 10 Jahren seit der Herstellung der Fenster entstand. Während der Nachbar dann verpflichtet war, einen entsprechenden Abstand zu halten, wurden die Befugnisse des anderen Eigentümers erweitert. Dieses Lichtrecht konnte der Nachbar nicht durch Klage, sondern nur dadurch verhindern, dass er bis zum Ablauf dieser Frist das Fenster verbaut hatte.

Vgl. RG, Urteile vom 29.9.1899 - VIa. 81/99 -, RGZ 44, 312 (316 ff.), und vom 23.5.1900 - V. 78/00 -, RGZ 46, 269 (271).

§ 142 des Ersten Teils, 8. Titel ALR traf keine Regelung zu einem zwischen den Nachbarn zu vereinbarenden Lichtrecht. Daher kann hier nicht vom Inhalt des gesetzlich entstehenden Lichtrechts ausgegangen werden. Wesentlich für die Bestimmung der im Grundbuch gesicherten Begünstigung des Grundstücks der Klägerin (Flurstück 75) ist, dass mit dem Lichtrecht nicht die angrenzende ca. 2,60 m breite Zuwegungsparzelle, sondern das nicht unmittelbar benachbarte Baugrundstück (Flurstück 72) belastet wurde. Aus der Zuordnung des Lichtrechts zum Flurstück 72 folgt, dass das ca. 2,60 m breite Flurstück 73 zur Freihaltung der Fenster im grenzständigen Giebel des Hauses auf dem Flurstück 75 auf Dauer unbebaut bleiben sollte.

Der Berücksichtigung des so zwischen den Grundstücksnachbarn vereinbarten Lichtrechts im Rahmen des Rücksichtnahmegebots steht nicht entgegen, dass es sich dabei um private Rechte handelt. Privatrechtliche Rechte, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, können im Einzelfall - ebenso wie für Festsetzungen im Bebauungsplan - im Rahmen des Rücksichtnahmegebots beachtlich sein.

Vgl. zur Berücksichtigung privater Rechtspositionen Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Söfker, BauGB, Stand: September 2007, § 34 Rn. 48; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 34 Rn. 19.

Dies ist hier insbesondere der Fall, weil das fragliche Lichtrecht als Ersatz einer seinerzeit nicht möglichen öffentlich-rechtlichen Sicherung der Nichtbebaubarkeit des Flurstückes 73 gedient hat. Zur Zeit der Begründung des Lichtrechts im Jahre 1905 gab es in Preußen - zu dem C. seinerzeit gehörte - nämlich noch keine öffentlich-rechtliche Sicherungsmöglichkeit.

Vgl. Gädtke/Temme/Heintz, BauO NRW, 10. Aufl. 2003, § 83 Rn. 1.

Erst seit dem 1.10.1962 ist in den jeweils geltenden Bauordnungen für das Land Nordrhein-Westfalen die Sicherung baurechtsgemäßer Zustände durch eine öffentlich-rechtliche Baulast vorgesehen (§ 83 BauO NRW). Im Jahre 1905 war stattdessen lediglich eine privatrechtliche Sicherung möglich. Somit diente hier die Eintragung des Lichtrechts der Sicherung der Nachbarrechte im Zusammenhang mit der Errichtung des Wohn- und Geschäftshauses X.-Straße 245. Für eine Berücksichtigung des Lichtrechts im Rahmen des Rücksichtnahmegebots spricht somit auch dessen seinerzeitige Ersatzfunktion im Hinblick auf die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte. Während heute öffentlich-rechtliche nachbarliche Abwehrrechte anerkannt sind, stand nach der Rechtsprechung des Preußischen OVG, vgl. Urteil vom 30.4.1877, PrOVGE 2, 351 (354), dem Nachbarn seinerzeit kein Abwehrrecht gegenüber einer Baugenehmigung zu, die gegen eine Vorschrift verstieß, die neben den öffentlichen allgemeinen Interessen auch die besonderen Interessen der Nachbarn zu schützen bestimmt war. Allein private Rechte wie das Lichtrecht boten dem Nachbarn die Möglichkeit, sich - auf dem Privatrechtsweg - gegen eine öffentlich-rechtlich zugelassene Bebauung zu wehren.

Einer Berücksichtigung des privatrechtlich im Verhältnis zum Grundstücksnachbarn ausgestalteten Eigentums im Rahmen des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots steht nicht die Bestimmung des § 71 Abs. 2 i.V.m. § 75 Abs. 3 Satz 1 BauO NRW entgegen, wonach ein Bauvorbescheid - wie eine Baugenehmigung - unbeschadet privater Rechter Dritter ergeht. Dies bedeutet nämlich abgesehen davon, dass es sich um eine landesrechtliche Vorschrift handelt, nicht, dass private Rechte für das Baugenehmigungs- bzw. Bauvorbescheidsverfahren stets unbeachtlich wären. Nach der Rechtsprechung des BVerwG,

Vgl. Urteil vom 17.12.1964 - I C 130.63 -, BVerwGE 20, 124 (126), kann aus dieser Regelung derjenige, der zur Bauausführung privatrechtlich nicht befugt ist, nicht das Recht herleiten, dass ihm die öffentlich-rechtliche Baugenehmigung erteilt werden müsse. Im weiteren ist dort ausgeführt:

"Die Gesamtheit der zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Schranken konkretisiert erst den Inhalt des Eigentums. Im Baugenehmigungsverfahren kann nicht von einem anderen Eigentum ausgegangen werden als im Zivilprozess. Da die Baugenehmigung nicht nur die Feststellung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem öffentlichen Recht enthält, sondern zugleich auch die Ausführung des genehmigten Vorhabens enthält, besteht kein Anspruch des Grundstückseigentümers auf Erteilung der baurechtlichen Genehmigung, wenn das betreffende Grundstück nicht bebaut werden darf und somit das Eigentum an dem Grundstück nicht die Befugnis zur Bebauung des Grundstücks enthält."

Abgesehen davon verstößt das Vorhaben der Beigeladenen zu Lasten der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil sie durch das Schließen der Fenster im 1. und 2. Obergeschoss des Wohn- und Geschäftshauses X.-Straße 245 unzumutbar in ihren Rechten beeinträchtigt wird.

Eine Schließung der Fenster in den beiden Geschossen hätte zur Folge, dass die Küchen in den beiden dortigen Wohnungen über kein Tageslicht mehr verfügten. Denn es handelt sich um die einzigen Fenster dieser Aufenthaltsräume. Eine derartige Grenzbebauung würde dem Ziel, gesunde Wohnverhältnisse zu erhalten, diametral entgegenlaufen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Fenster nicht ersetzbar sind.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.1.1995, a. a. O.

Dies ist hier der Fall. Ein Ersatz der Fenster innerhalb der Küchen ist nicht möglich, da die zum Grundstück der Beigeladenen gerichtete grenzständige Giebelwand die einzige Außenwand der Küchen ist.

Eine Belichtung der Küchen wäre nur möglich, wenn die vorhandenen Innenwände zum Wohnzimmer oder zum Kinderzimmer ganz oder jedenfalls weitgehend beseitigt würden. Da eine Verbindung von Kinderzimmer und Küche nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, verbleibt nur die Möglichkeit, die Küche jeweils mit dem Wohnzimmer zu verbinden. Die faktische Abschaffung eines von der Küche separaten Wohnbereichs stellt eine grundlegende Veränderung der Wohnungen dar, die der Klägerin nicht zuzumuten ist. Im übrigen stellt diese bauliche Maßnahme keinen Ersatz für die erforderliche Fensterlüftung der Küchen dar. Der grundlegenden Umgestaltung des Wohnungszuschnitts steht des weiteren entgegen, dass diese gesunde Wohnverhältnisse nicht sicherstellen. In Anbetracht des Umstandes, dass die Küchen bis zu mehr als 9 m von dem jeweils vorhandenen Wohnzimmerfenster entfernt sind, drängt sich die Ungeeignetheit einer solchen Maßnahme auf. Zudem ist nicht gewährleistet, dass durch eine Erweiterung der Wohnzimmerfenster eine hinreichende Belichtung erreicht werden kann.

Der Abwehranspruch der Klägerin scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daran, dass sie die Fenster illegal errichtet oder den Bestandsschutz für ihr Wohnhaus insgesamt verloren hätte. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass das Wohn- und Geschäftshaus der Klägerin - einschließlich der Fenster in der Giebelwand - formell und materiell legal errichtet wurden. Zwar kann die Klägerin - die insoweit grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig ist - keine Baugenehmigungsurkunde vorlegen, aus der sich die Legalität ihres Baubestandes hinsichtlich der betroffenen Fenster ergäbe. Aus den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls ergibt sich jedoch mit hinreichender Sicherheit, dass von einer legalen Errichtung des Gebäudes einschließlich der Fenster auszugehen ist.

Die Inaugenscheinnahme durch den Berichterstatter des Senats hat ergeben, dass die in der Giebelwand vorhandenen Fenster aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nachträglich, sondern schon im Zuge der ursprünglichen Errichtung des Hauses eingebaut worden sind. Für ihre Legalität spricht auch die vorerwähnte im Jahre 1905 erfolgte grundbuchliche Sicherung des vertraglich vereinbarten Lichtrechts, die andernfalls sinnlos gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass das Gebäude der Klägerin bei seiner Errichtung materiell baurechtmäßig war und dass die erforderliche Baugenehmigung vorgelegen hat, jedoch - wie die übrigen Hausakten auch - während des zweiten Weltkriegs vernichtet worden ist. Im Übrigen wäre in der konkreten Grundstückssituation die Errichtung eines formell oder materiell illegalen Gebäudes der hier vorliegenden Dimension "unter den Augen der Baupolizei" schwer vorstellbar, nachdem zuvor eine förmliche grundbuchliche Sicherung des erforderlichen Lichtrechts erfolgt war.

Vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation: BVerwG, Beschluss vom 12.1.1995, a. a. O.

Die Schutzwürdigkeit jedenfalls der Giebelfenster im 1. und 2. Obergeschoss ist auch nicht durch die nachträgliche Änderung bzw. Nutzungsänderung des Dachgeschosses entfallen. Diese auf eine Veränderung und Intensivierung der dortigen Wohnnutzung abzielende Maßnahme hat keine materielle Illegalität des gesamten Wohn- und Geschäftsgebäudes einschließlich der genannten Fenster begründet. Abgesehen davon, dass keine materielle Illegalität der Umbauarbeiten als solche ersichtlich ist, beschränkten sich der Umbau und die Nutzungsänderung auf das Innere des abgetrennten Dachgeschosses. Der äußere Baukörper mit den Giebelfenstern blieb - abgesehen vom Ersatz und Einbau von Dachflächenfenstern - ebenso unberührt wie die Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss.

Der Schutzwürdigkeit der zur Belichtung erforderlichen Giebelfenster im 1. und 2. Obergeschoss stehen auch nicht die nunmehr von der Beklagten erhobenen brandschutzrechtlichen Bedenken gegen Treppenhaustüren aus Glas entgegen. Das dauerhafte Interesse an der Belichtung wird nicht dadurch relativiert, dass Türen auszutauschen sind. Ein derartiger Austausch der möglicherweise seinerzeit materiell legal eingebauten Türen ist ohne weiteres möglich. Die Beklagte hat aber von der Klägerin einen solchen Austausch bislang nicht gefordert, obwohl ihr die Örtlichkeiten jedenfalls seit dem erstinstanzlichen Ortstermin vor mehr als 2 1/2 Jahren hinreichend bekannt sind. Auch im übrigen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der zur Belichtung erforderlichen Giebelfenster. Den Interessen der Klägerin an der Verhinderung einer grenzständigen Bebauung steht kein besonders schutzwürdiges Interesse der Beigeladenen gegenüber. Der Beigeladenen ist es ohne weiteres möglich, ihre Grundstücke auch mit dem erforderlichen Abstand zu errichten. Die Bebaubarkeit des an das klägerische Grundstück angrenzenden Flurstücks 73 ist auch nicht unabweisbar. Im Gegenteil hat eine solche in Anbetracht dessen, dass diese Parzelle immer als Weg genutzt wurde und nie bebaut war, ferngelegen. Demgegenüber dominieren die schutzwürdigen Interessen der Klägerin. Diese ergeben sich - für die Rücksichtslosigkeit hinreichend - aus dem der grenzständigen Bebauung entgegenstehenden Lichtrecht als einer auch für das öffentliche Recht erheblichen Rechtsposition. Davon unabhängig dominiert auch das Interesse der Klägerin an der Verhinderung unzureichender Lichtverhältnisse, die sich bei einem Grenzanbau auch nicht anderweitig zumutbar vermeiden lassen.

Der festgestellte Nachbarrechtsverstoß führt zur Aufhebung des (gesamten) Vorbescheides (Wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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