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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: 10 A 3666/06
Rechtsgebiete: DSchG NRW


Vorschriften:

DSchG NRW § 2 Abs. 1
Ein Gebäude, das die tatbestandlichen Voraussetzungen des Denkmalbegriffs erfüllt, ist als Baudenkmal in die Denkmalliste einzutragen. Der Umstand, dass bereits mehrere gleichartige oder ähnliche Objekte in die Denkmalliste eingetragen sind, ändert daran - abgesehen von seltenen Ausnahmefällen - nichts.
Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer einer aus mehreren Gebäuden - u. a. Haupthaus, Stallscheune, Backhaus - bestehenden Hofanlage, die im Wesentlichen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Fachwerkbauweise errichtet worden ist. Die Gebäude wurden später in gleicher Bauweise teilweise erweitert, dabei aber konstruktiv allenfalls in sehr geringem Umfang verändert. Der Beklagte teilte dem Kläger durch Bescheid vom 8. März 2005 nach vorheriger Anhörung mit, dass die Hofanlage mit den genannten drei Gebäuden in die Denkmalliste eingetragen worden sei. Zur Begründung berief er sich darauf, die Anlage sei bedeutend für die Geschichte des Menschen in der Gemeinde, da die Bauherren der drittältesten Siedlungsschicht der Region zuzurechnen seien. Sie sei auch bedeutend für Städte und Siedlungen, da sie in ihrer für die regionalen Dorfbauernschaften typischen Häusertruppformation Zeugnis für die Siedlungsgeschichte der Gemeinde und für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ablege. Für ihre Erhaltung und Nutzung sprächen wissenschaftliche, hauskundliche und volkskundliche Gründe. Mit seinem Widerspruch verwies der Kläger auf die ihm durch die Unterschutzstellung erwachsende wirtschaftliche Belastung und wandte sich gegen die für die Unterschutzstellung geltend gemachten Gründe. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG ab.

Gründe:

Das VG hat die Hofanlage des Klägers zu Recht als Baudenkmal - bestehend aus drei Gebäuden - eingestuft, das in die Denkmalliste einzutragen war.

Nach § 2 Abs. 1 DSchG NRW sind Denkmäler Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht. Ein solches Interesse besteht nach Satz 2 der Vorschrift, wenn das in Frage kommende Objekt bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ist und wenn zusätzlich für seine Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe gegeben sind; dabei ist es nicht erforderlich, dass es sich um ein einzigartiges oder qualitativ hervorragendes Objekt handelt. Für die Frage, ob ein Gebäude ein Baudenkmal ist, spielen - wie unten näher auszuführen sein wird - weder die wirtschaftliche Situation seines Eigentümers oder die wirtschaftlichen Folgen der Unterschutzstellung eine Rolle noch ist es erforderlich, dass jedes Baudenkmal durch seine Aussage Lücken oder Unsicherheiten der bisherigen Erkenntnislage zur denkmalbegründenden historischen Situation beseitigt. Auch kann von einer Unterschutzstellung nicht - wie der Kläger annimmt - ohne weiteres dann abgesehen werden, wenn in der Fachliteratur diejenigen historischen Aspekte dargestellt und dokumentiert sind, für die das Baudenkmal Zeugnis ablegt. Denn den Zielen des Denkmalschutzrechts ist nicht schon dann Genüge getan, wenn Denkmäler fotografisch oder in Beiträgen der Fachliteratur beschrieben werden, sondern erst dann, wenn vorhandene Denkmäler in ihrem baulichen Bestand gesichert und in einer ihre denkmalfachliche Aussage nicht einschränkenden Weise genutzt werden.

Nach diesen Maßstäben ist es nicht zweifelhaft, dass die Hofanlage des Klägers ein Baudenkmal ist; durch den Zulassungsvortrag wird dies nicht in Frage gestellt. Die Anlage verkörpert die Bedeutung der Familie der Bauherren in der Gemeinde zur Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts und lässt eine typische Siedlungsform der Region und in der Gemeinde erkennen. Damit hat sie Bedeutung für die Geschichte des Menschen und für Städte und Siedlungen; zudem lässt sich an ihr eine historische Phase der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ablesen. Für ihre Erhaltung und Nutzung sprechen wissenschaftliche, volkskundliche und städtebauliche Gründe, da sich die wesentlichen konstruktiven Elemente der Gebäude ebenso wie das Gebäudeinnere weitgehend bzw. jedenfalls in den für die historische Aussage wesentlichen Teilen unverfälscht erhalten haben.

Die Denkmaleigenschaft der Hofanlage des Klägers lässt sich auch nicht deshalb verneinen, weil die durch die Gebäude verkörperten historischen Umstände bereits durch andere, ähnliche Gebäude in der Region verkörpert werden. Denn ein Gebäude ist bei Vorliegen der vorgenannten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 DSchG NRW auch dann ein Baudenkmal, wenn ähnliche oder gleichartige Gebäude existieren und bereits in die Denkmalliste eingetragen sind. Zwar kann das Gewicht der Gründe, aus denen ein Denkmal erhalten werden soll, in Ausnahmefällen dann gemindert sein oder entfallen, wenn seine historische Aussage durch gleichartige Gebäude ohne Einbußen bereits denkmalrechtlich gesichert erscheint. Dies gilt indes nicht für alle Erhaltungsgründe gleichermaßen; vielmehr ist hinsichtlich der einzelnen Erhaltungsgründe zu differenzieren. Die Erforderlichkeit, weitere Beispiele einer bestimmten Bautechnik aus architektur- oder ingenieurwissenschaftliche Gründen zu erhalten, mag etwa dann entfallen, wenn denkmalbegründend lediglich eine bestimmte Bauweise ist, die - wie es beispielweise bei freitragenden Spannbetonbrücken im Autobahnbau der Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts der Fall ist - in zahlreichen Fällen ohne individuelle Besonderheiten durch gleichartige Bauten verkörpert ist. In derartigen Fällen mag die Erhaltung einzelner oder weniger Beispiele für diese Bautechnik dem Anliegen des Denkmalschutzes, Zeugnisse für die Entwicklung der Bautechnik zu bewahren, bereits genügen. Wenn hingegen künstlerische, städtebauliche oder volkskundliche Gründe für die Erhaltung eines Denkmals sprechen, gilt eine derartige Einschränkung regelmäßig nicht. Denn insbesondere das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines Gebäudes aus städtebaulichen Gründen beruht in aller Regel auf der Einbindung des Gebäudes in seinem konkreten Bestand in eine gegebene, unwiederholbare städtebauliche Situation. Ähnliches gilt auch für die Erhaltungswürdigkeit eines Gebäudes aus künstlerischen oder volkskundlichen Gründen. Denn diese beruhen regelmäßig auf einer individuellen, historisch aussagekräftigen Eigenart des jeweiligen Objekts, wie sie sich - wie im vorliegenden Fall - etwa aus einer Inschrift oder ähnlichen individuellen Merkmalen des Gebäudes ergibt, die in dieser oder einer ähnlichen Ausgestaltung an anderer Stelle nicht vorhanden sind.

Die von der Zulassungsbegründung zusammengestellte Auflistung weiterer unter Denkmalschutz stehender landwirtschaftlicher Gebäude oder Hofanlagen lassen aus diesen Gründen - und soweit der Vortrag insoweit überhaupt hinreichend konkret ist - die Denkmaleigenschaft der Hofanlage des Klägers nicht entfallen. Der Umstand, dass es sich bei ihnen ebenfalls um - konstruktiv möglicherweise ähnliche - Fachwerkbauten handelt, stellt die für die Unterschutzstellung maßgebliche Bedeutung für die Geschichte des Menschen, für die Siedlungsgeschichte und eine historische Arbeits- und Lebensweise nicht in Frage. Dasselbe gilt auch für die volkskundlichen und städtebaulichen Gründe, die für die Erhaltung der klägerischen Anlage sprechen.

Eine grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) weist die Rechtssache nicht auf. Die vom Beigeladenen aufgeworfene Frage,

ob die den Eigentümer treffenden wirtschaftlichen Folgen einer denkmalrechtlichen Unterschutzstellung im Rahmen der Entscheidung über die Unterschutzstellung berücksichtigt werden müssten,

rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Denn es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass dies grundsätzlich nicht der Fall ist.

Nach § 3 DSchG NRW muss ein Gebäude, das nach § 2 Abs. 1, 2 DSchG NRW als Denkmal einzustufen ist, in die Denkmalliste eingetragen werden. Der Behörde kommt hierbei weder ein Beurteilungsspielraum noch Ermessen zu; ihre Entscheidung ist vom Gericht in vollem Umfang zu überprüfen. Ob es sich bei dem in Frage kommenden Gebäude um ein Denkmal handelt, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ausschließlich anhand der in § 2 DSchG NRW aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen zu entscheiden. Die wirtschaftlichen Belange des Eigentümers dürfen im Rahmen dieser Prüfung nicht berücksichtigt werden: Ob ein Gebäude Denkmal ist oder nicht, hängt nicht von der wirtschaftlichen Lage seines Eigentümers ab, sondern allein von dem Vorhandensein einer denkmalrechtlich relevanten Aussage des Gebäudes. Dies gilt auch dann, wenn wegen des Erhaltungszustands des Gebäudes ein besonders hoher und damit wirtschaftlich belastender Erhaltungsaufwand zu leisten oder wenn wegen der baulichen Eigenart des Gebäudes der laufende Unterhalt im Verhältnis zu den gegebenen Nutzungsmöglichkeiten besonders kostspielig ist. Lediglich dann, wenn der Zustand des Gebäudes so schlecht ist, dass seine Restaurierung mit einem weitgehenden Verlust der historischen Substanz einherginge, kann die Denkmaleigenschaft entfallen, doch spielen auch dabei grundsätzlich weder die wirtschaftliche Leistungskraft des Eigentümers noch die objektbezogen ermittelte Wirtschaftlichkeit des Gebäudes eine Rolle.

Die mit der Unterschutzstellung eines Denkmals verbundenen Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten und die sonstigen - auch wirtschaftlichen - Folgen der Denkmaleigenschaft sind Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und vom Eigentümer grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Sie stellen keine Enteignung dar, weil dem Eigentümer sein Eigentumsrecht nicht entzogen wird. Die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung der wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Belange des Eigentümers findet im zweistufigen System des Denkmalschutzes in Nordrhein-Westfalen erst im Rahmen der einer Unterschutzstellung nachfolgenden Entscheidungen über Erhaltung bzw. Wiederherstellung, Veränderung, Nutzung oder Beseitigung des Gebäudes statt. Dies ist ausreichend, denn denkmalschutzrechtliche Regelungen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn sie unverhältnismäßige Belastungen des Eigentümers nicht ausschließen und keinerlei Vorkehrungen zur Vermeidung derartiger Eigentumsbeschränkungen enthalten. Auf der zweiten Stufe des landesrechtlich ausgestalteten Denkmalschutzes muss deshalb sichergestellt werden, dass das Eigentumsrecht des Denkmaleigentümers nicht unverhältnismäßig oder so stark belastet wird, dass es seine Privatnützigkeit nahezu einbüßt.

BVerfG, Beschluss vom 2.3.1999 - 1 BvL 7/91 -, BVerfGE 100, 226, inbesondere unter C II 1 d).

Der vorliegende Fall bietet nach dem Vortrag des Klägers keinen Anlass, diese Grundsätze erneuter Prüfung zu unterziehen, so dass mangels neuerlichen Klärungsbedarfs eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht gegeben ist.



Ende der Entscheidung

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