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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.11.2004
Aktenzeichen: 10 B 2076/04
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 61
Sollen bestimmte Nutzungen baulicher Anlagen gemäß § 61 Abs. 1 BauO NRW aus formellen und/oder materiellen Gründen untersagt werden, bedarf es konkreter Feststellungen dazu, welche Nutzungen möglicherweise genehmigt sind und welche Nutzungen tatsächlich ausgeübt werden, da sich andernfalls nicht sicher beurteilen lässt, ob die Nutzungen, die untersagt werden sollen, außerhalb der Variationsbreite des möglicherweise Erlaubten liegen.
Tatbestand:

Der Antragsteller, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, betreibt eine Tankstelle mit Wartungshalle und zwei SB-Waschboxen. Der Antragsgegner erließ eine Ordnungsverfügung gegen ihn, mit der er ihm den Betrieb der SB-Waschboxen und einer Hebebühne sowie Kraftfahrzeugreparaturarbeiten und die Ausübung eines Reifendienstes auf dem Tankstellengrundstück untersagte. Zudem ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung an. Den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen die Ordnungsverfügung eingelegten Widerspruchs lehnte das VG wegen mangelnder Antragsbefugnis als unzulässig ab. Die Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners eingelegten Widerspruchs anzuordnen beziehungsweise wiederherzustellen, ist nicht - wie das VG angenommen hat - mangels Antragsbefugnis unzulässig. Dass mit Beschluss des AG D. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet worden ist, schließt eine die eigenen Rechte betreffende Verletzung des Antragstellers durch die Ordnungsverfügung nicht aus.

Der Antragsteller ist Adressat der Verfügung, mit der ihm als Betreiber der Tankstelle bestimmte Nutzungen und Tätigkeiten - auch persönlich - untersagt werden. Für den Fall der Zuwiderhandlung werden ihm Zwangsgelder angedroht. Dem Antragsgegner war im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung das schwebende Insolvenzverfahren bekannt. Gleichwohl hat er die Ordnungsverfügung in Ansehung der tatsächlichen Verhältnisse unmittelbar an den Antragsteller adressiert und nicht etwa an den Insolvenzverwalter. Ob die Ordnungsverfügung angesichts der Insolvenz Eigentums- oder Vermögensrechte des Antragstellers zu berühren vermag, kann offen bleiben. Jedenfalls schränkt die Ordnungsverfügung die persönliche und berufliche Handlungsfreiheit des Antragstellers in erheblicher Weise ein, denn trotz des über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahrens betreibt er die Tankstelle nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag bis heute. Sollte er die auf dem Tankstellengrundstück vorhandene Hebebühne benutzen, dort ein Kraftfahrzeug reparieren oder Kraftfahrzeugreifen verkaufen oder montieren, müsste er damit rechnen, dass ein Zwangsgeld gegen ihn festgesetzt wird.

Die vorstehenden Gesichtspunkte hat der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, angesprochen.

Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

Nach dem Ergebnis der in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht daher zu Lasten des Antragsgegners aus.

Gemäß § 61 Abs. 1 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden unter anderem bei der Errichtung und der Nutzung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden und in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach Lage der Akten ist die auf diese Vorschrift gestützte Ordnungsverfügung ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner hat, indem er den seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht nur unvollständig ermittelt hat, von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).

Sollen - wie hier - bestimmte Nutzungen baulicher Anlagen aus formellen und/oder materiellen Gründen untersagt werden, bedarf es konkreter Feststellungen dazu, welche Nutzungen möglicherweise genehmigt sind und welche Nutzungen tatsächlich ausgeübt werden. Andernfalls lässt sich nicht sicher beurteilen, ob die Nutzungen, die untersagt werden sollen, außerhalb der Variationsbreite des möglicherweise Erlaubten liegen.

Den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ist nicht zu entnehmen, inwieweit er überhaupt ermittelt hat, ob und in welcher Form die vom Antragsteller betriebene Tankstelle genehmigt ist.

Die in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Feststellungen zu den tatsächlichen Nutzungen, auf denen die Untersagungen beruhen, genügen den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. In einem Vermerk heißt es dazu lediglich, eine Ortskontrolle habe ergeben, dass eine Hebebühne im 3-Meter-Abstand vorhanden sei und in der Servicehalle Reparaturarbeiten und Reifendienst ausgeführt würden. Die Verwaltungsvorgänge enthalten hierzu weder aussagekräftige Lichtbilder noch einen Lageplan, in den beispielsweise der genaue und vermaßte Standort der Hebebühne eingetragen ist. Feststellungen, aus denen sich ergibt, um welche Art von Hebebühne es sich handelt, welches Störpotenzial mit ihr verbunden ist und in welcher Form der Antragsteller sie im Erdboden verankert hat, fehlen ebenso wie nähere Angaben zur Art und zum Umfang der auf dem Tankstellengelände festgestellten Reparatur- und Reifendiensttätigkeiten. Solche Angaben erscheinen hier zwingend erforderlich, da der Betrieb einer Tankstelle nach allgemeinem Verständnis Pflegemaßnahmen und Serviceleistungen in gewissem Umfang mit umfasst. Zu den im Rahmen eines Tankstellenbetriebes zulässigen Serviceleistungen gehören üblicherweise auch Reparaturarbeiten an Kraftfahrzeugen, die der Behebung kleinerer Mängel und Pannen dienen, um die Fahrbereitschaft zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Pannenhilfe kann unter Umständen auch im Aufziehen eines neuen Reifen bestehen. Der Antragsteller trägt vor, er biete lediglich die zum normalen Tankstellenbetrieb zählenden Serviceleistungen an und halte etwa 20 Reifen für Pannenfälle vor. Er hat dazu ein Lichtbild vorgelegt, das einen fahrbaren Ständer mit einer vergleichbaren Anzahl von Reifen neben einer Zapfsäule zeigt.

Von einem unvollständig ermittelten Sachverhalt ist der Antragsgegner auch insoweit ausgegangen, als er angenommen hat, die dem Antragsteller erteilte Baugenehmigung sei nicht mehr gültig, da die Bauarbeiten länger als ein Jahr unterbrochen gewesen seien. Die letzte Ortskontrolle, die der Antragsgegner insoweit durchgeführt hat, hat noch vor Ablauf eines Jahres nach Erteilung der Baugenehmigung stattgefunden und kann daher keine Feststellungen erbracht haben, nach denen die Bauarbeiten länger als ein Jahr lang unterbrochen waren. Damals wurde festgestellt, dass weder mit der genehmigten Waschhalle noch mit den genehmigten Überdachungen begonnen worden sei. Ob der substanziierte und mit Lichtbildern untermauerte Vortrag des Antragstellers zutrifft, er habe fortlaufend an der Fertigstellung des Vorhabens gearbeitet (Austausch des Bodens, Verlegung von Wasser- und Stromleitungen, Einbau eines unterirdischen Sammelbehältnisses für Regenwasser), lässt sich anhand der besagten Ortskontrollen nicht widerlegen.

Soweit dem Antragsteller in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung der Betrieb der SB-Waschboxen sofort vollziehbar mit der Begründung untersagt worden ist, er habe die abschließende Fertigstellung der SB-Waschboxen nicht angezeigt und dürfe sie daher gemäß § 82 Abs. 2 und 8 BauO NRW nicht nutzen, erweist sich die Ordnungsverfügung als unverhältnismäßig. Nach § 82 Abs. 8 Satz 2 BauO NRW soll auf Antrag gestattet werden, dass die bauliche Anlage teilweise schon vor der abschließenden Fertigstellung benutzt wird, wenn wegen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung Bedenken nicht bestehen. Dies zeigt, dass es geboten gewesen wäre, dem Antragsteller - etwa im Rahmen einer Anhörung nach § 28 VwVfG NRW - die Gelegenheit zu geben, einen entsprechenden Antrag zu stellen, zumal dem Antragsteller mit der Stilllegung der SB-Waschboxen erkennbar ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust drohte. Eine Anhörung ist nicht erfolgt. Ebenso wenig hat der Antragsgegner Ausführungen dazu gemacht, weshalb hier eine solche Vorgehensweise nicht in Betracht kam.



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