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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.03.2007
Aktenzeichen: 10 B 2675/06
Rechtsgebiete: BauGB, BauO NRW


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 3 Satz 2
BauGB § 34 Abs. 3
BauO NRW § 51 Abs. 1
Vorschriften des öffentlichen Baurechts - wie § 34 Abs. 3 BauGB - dienen nicht dem Konkurrentenschutz.
Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen einen der Beigeladenen erteilten Vorbescheid und gegen eine ihr erteilte entsprechende Baugenehmigung. Geplant ist die Errichtung eines Fachmarktzentrums, das großflächige und nichtgroßflächige Einzelhandels-, Gastronomie- sowie Dienstleistungsbetriebe beherbergen soll. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Nachbargrundstücks. Auf ihrem Grundstück befindet sich ein Gebäudekomplex, der mehrere großflächige Einzelhandelsbetriebe umfasst. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Annahme des VG, die mit der Beschwerde allein in Zweifel gezogen wird, das Vorhaben verletzte keine nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, ist nicht zu beanstanden.

Ob eine Vorschrift des öffentlichen Rechts ein subjektiv-öffentliches Recht für den Nachbarn vermittelt, beurteilt sich nach der sogenannten Schutznormtheorie. Die drittschützende Wirkung hängt demnach davon ab, ob sie ausschließlich objektiv-rechtlichen Charakter hat und nur dem öffentlichen Interesse dient oder ob sie - zumindest auch - dem Schutz von Individualinteressen derart zu dienen bestimmt ist, dass die Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes sollen verlangen können.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17.6.1993 - 3 C 3.89 -, BVerwGE 92, 313.

Ob das eine oder das andere der Fall ist, lässt sich bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zur drittschützenden Wirkung nur durch Auslegung von Sinn und Zweck der jeweils einschlägigen Norm ermitteln.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.9.1986 - 4 C 8.84 -, BRS 46 Nr. 173, und vom 24.9.1998 - 4 CN 2.98 -, BRS 60 Nr. 46.

Die Antragstellerin kann sich nicht auf § 34 Abs. 3 BauGB berufen. Danach dürfen von Vorhaben nach § 34 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

§ 34 Abs. 3 BauGB hat keinen nachbarschützenden Charakter. Weder aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 3 BauGB noch aus seinem Sinn und Zweck noch aus seiner Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass die Norm auch der Rücksichtnahme auf Interessen konkurrierender Einzelhandelsbetriebe bzw. Grundstückseigentümern dient. Die genannte Vorschrift ist mit Inkrafttreten des EAG Bau (BGBl. I S. 1359) zum 20.7.2004 in das Baugesetzbuch aufgenommen worden. Sie soll städtebaulich nachhaltige Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche vermeiden. Da derartige Fernwirkungen eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht zu berücksichtigen sind, sieht nunmehr Absatz 3 eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, die derartige nachteilige Auswirkungen verhindern soll, vor.

Vgl. Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf des EAG Bau in BT-Drucks. 15/2250, S. 54.

§ 34 Abs. 3 BauGB verändert somit nicht den Grundsatz, dass städtebauliche Regelungen wettbewerbsneutral sind. Das Bauplanungsrecht hat nicht die Wahrung von Wettbewerbsinteressen im Blick, sondern verhält sich in dieser Hinsicht neutral. Der einzelne Gewerbetreibende hat weder einen Anspruch darauf, dass eine vorhandene Wettbewerbssituation nicht verschlechtert wird, noch ist sein dahingehendes Interesse schutzwürdig, weil er mit neuer Konkurrenz ständig rechnen muss.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 18.3.1994 - 4 NB 24.93 -, BRS 56 Nr. 30, und vom 26.2.1997 - 4 NB 5.97 -, BRS 59 Nr. 50; OVG NRW, Beschluss vom 3.5.1994 - 10a D 170/93.NE -, BRS 56 Nr. 37.

Mit der genannten Vorschrift soll die Funktionalität zentraler Versorgungsbereiche geschützt werden. Die dadurch erzeugte Erschwernis der Ansiedlung anderer Versorgungsbereiche ist lediglich ein faktischer Reflex dieses Ziels.

Vgl. Berkemann/Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, § 34 Rdnr. 34.

Einen Abwehranspruch gegen das geplante Vorhaben kann die Antragstellerin danach nicht aus den von ihr behaupteten nachteiligen Auswirkungen auf die bauplanungsrechtlich zulässige Verkaufsfläche für ihr Grundstück herleiten.

Ein Abwehranspruch steht der Antragstellerin auch dann nicht zu, wenn das Vorhabengrundstück entgegen der Annahme des VG nicht dem Innenbereich zuzuordnen, sondern - wie die Antragstellerin meint - von einer Außenbereichsinsel im Innenbereich auszugehen sein sollte. Das Vorhaben der Beigeladenen wäre dann planungsrechtlich nach § 35 Abs. 3 BauGB zu beurteilen. Diese Vorschrift ist zwar grundsätzlich geeignet, nach Maßgabe des in ihr verankerten Rücksichtnahmegebots ein Abwehrrecht zu vermitteln. Voraussetzung für eine im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots vorzunehmenden Abwägung ist jedoch, dass derjenige, der ein Vorhaben abwehren will, eine abwägungserhebliche schutzwürdige Position gegenüber dem Vorhaben besitzt. Ein derartiges schutzwürdiges Abwehrrecht erlangt die Antragstellerin nicht allein dadurch, dass die auf ihrem Grundstück verwirklichte Nutzung baurechtlich zulässig ist, während das im Außenbereich genehmigte Vorhaben des Nachbarn dagegen wegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig ist. Ist der Nachbar, der sich gegen ein Vorhaben zur Wehr setzt, nicht in der Lage, eine der Rücksichtnahme bedürftige Position aufzuzeigen, so kann er dieses Defizit nicht dadurch ausgleichen, dass er die zur objektiv-rechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens führende Beeinträchtigung eines öffentlichen Interesses, aus der allein ihm kein Abwehrrecht erwächst, ins Feld führt und mit sonstigen für ihn nachteiligen Folgen des Vorhabens zu einer subjektiven Rechtsverletzung aufwertet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168.

Die Antragstellerin hat kein Interesse geltend gemacht, das nach § 35 Abs. 3 BauGB im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander schutzwürdig ist.

Die Antragstellerin geht auch fehl in der Annahme, ihr sei quasi als Äquivalent dafür, dass sich der Antragsgegner der Bauleitplanung durch Erteilung der Baugenehmigung entziehe, eine wehrfähige Rechtsposition zuzuerkennen.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB besteht kein subjektives Recht des Einzelnen auf eine gemeindliche Bauleitplanung. Durch das Unterbleiben der Planaufstellung, selbst wenn diese objektiv-rechtlich geboten sein sollte, kann deshalb der Eigentümer nicht in subjektiven Rechten verletzt sein. Weder § 1 Abs. 7 BauGB noch § 3 BauGB verleiht dem Nachbarn ein mit der Anfechtungsklage durchsetzbares Abwehrrecht.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3.8.1982 - 4 B 145.82 -, BRS 39 Nr. 193, und vom 24.4.1997 - 4 B 65.97 -, BRS 59 Nr. 179; OVG NRW, Beschluss vom 15.11.2005 - 7 B 1823/05 -, BRS 69 Nr. 168.

Zwar fände in einem Normenkontrollverfahren, das gegen einen hier möglichen Bebauungsplan gerichtet wäre, eine objektiv-rechtliche Überprüfung statt. Ein Normenkontrollantrag hinsichtlich eines Bebauungsplans hat bereits dann Erfolg, wenn der Antrag zulässig ist, weil der Antragsteller einen Nachteil erleidet (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) und der Plan rechtswidrig ist. Insoweit kann der Bürger im Normenkontrollverfahren auch dann eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen, wenn er nicht durch eine einem Dritten erteilte Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist jedoch eine Folge der unterschiedlichen Voraussetzungen für die Anfechtungsklage und für den Normenkontrollantrag. Insoweit mag der dem Bürger zur Verfügung stehende Rechtsschutz im Einzelfall gemindert sein, wenn eine Bebauungsplanung nicht erfolgt ist. Dies ändert aber nichts daran, dass die Nachbarklage nur bei einer Verletzung einer nachbarschützenden Norm Erfolg haben kann.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 28.7.1994 - 4 B 94.94 -, BRS 56 Nr. 163.

Nicht ersichtlich ist in diesem Zusammenhang, dass das VG die Bedeutung des § 42 BauGB verkannt hätte. Ein Anspruch, von objektiv rechtswidrigen Bauvorhaben verschont zu bleiben, folgt aus der vorgenannten Norm nicht.

Schließlich kann die Antragstellerin aus dem von ihr behaupteten Verstoß gegen die bauordnungsrechtliche Stellplatzpflicht gemäß § 51 Abs. 1 BauO NRW kein Abwehrrecht herleiten. Die genannte Vorschrift hat keinen drittschützenden Charakter. Die Verpflichtung des Bauherrn, bei der Errichtung von Anlagen, bei denen Kraftfahrzeugverkehr zu erwarten ist, Stellplätze und Garagen zu schaffen, soll vielmehr verhindern, dass der öffentliche Verkehrsraum über den Gemeingebrauch hinaus durch das Abstellen von Fahrzeugen belastet und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet wird. Sie dient daher ausschließlich und allein dem Schutz öffentlicher Interessen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.7.1998 - 11 A 7238/95 -, BRS 60 Nr. 123.

Allerdings kann ein Mangel an Stellplätzen eines Bauvorhabens gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen. Das setzt voraus, dass mit dem Vorhaben eine Verschärfung der Verkehrssituation für Nachbargrundstücke, die durch Straßen- und Parksuchverkehr situationsvorbelastet sind, verbunden ist und die sich hieraus ergebende Gesamtbelastung die Eigentümer der Nachbargrundstücke bei Abwägung aller Belange unzumutbar trifft.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.7.1998 - 11 A 7238/95 -, BRS 60 Nr. 123, und Beschlüsse vom 31.8. 2000 - 10 B 1052/00 - sowie vom 15.11.2005 - 7 B 1823/05 -, BRS 69 Nr. 168.

Eine solche Fallgestaltung liegt hier indessen nicht vor. Die in der Baugenehmigung unter Ziffer 19 der Nebenbestimmungen geforderte Herstellung von 523 Stellplätzen ist für das Vorhaben der Beigeladenen ausreichend bemessen (vgl. § 51 Abs. 1 BauO NRW und Nr. 51.11 VV BauO NRW sowie Ziffer 2 und 3 der Richtzahlen für den Stellplatzbedarf). Die Richtzahlen für den Stellplatzbedarf sind Verwaltungsvorschriften und deshalb für das Gericht nicht bindend. Sie sind jedoch als auf gesicherter Erfahrungsgrundlage beruhende Anhaltspunkte bzw. als sachverständig festgestellte Erfahrungswerte von Bedeutung.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Loseblatt, Stand Oktober 2006, § 51 Rdnr. 40 f. Der Stellplatzbedarf ist auf der Grundlage der Verkehrsuntersuchung des Ingenieurbüros C. in Anlehnung an die Verwaltungsvorschriften ermittelt worden. Die Berechnung begegnet keinen Bedenken. Diese legt entsprechend der Richtzahlen für den Stellplatzbedarf eine bestimmte Stellplatzanzahl je einer bestimmten Quadratmeter-(Verkaufs-)Nutzfläche und nicht - wie von der Antragstellerin gefordert - die Anzahl der Geschäfte zugrunde. Der von ihr errechnete höhere Stellplatzbedarf ist teilweise darauf zurückzuführen, dass sie von einer Nettoverkaufsfläche von 5.500 m² ausgeht (elf Geschäfte à 500 m²), zur Verfügung stehen jedoch lediglich 5.239,45 m². Auch die von der Antragstellerin angeführten Widersprüchlichkeiten des vorgenannten Gutachtens sind nicht erkennbar. Der vorgenommene Abzug in Höhe von 10 % von dem ermittelten Stellplatzbedarf aufgrund der Berücksichtigung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht zu beanstanden. Die angeführten Verwaltungsvorschriften gehen insoweit von einem möglichen Abzug von bis zu 30 % aus. Darüber hinaus nimmt auch das von der Antragstellerin angeführte Gutachten der C. AG zum Fachmarktzentrum in seiner Zusammenfassung an, dass das projektierte Vorhaben primär Pkw-Kunden (ca. 90 %) ansprechen wird.

Ende der Entscheidung

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