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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 10 B 616/08
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 14
BauO NRW § 6 Abs. 14 Satz 2
BauO NRW § 73
BauO NRW § 73 Abs. 1
1. Die Anfechtungsklage gegen eine selbständige Abweichungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 BauO NRW hat aufschiebende Wirkung. Es handelt sich nicht um eine bauaufsichtliche Zulassung im Sinne des § 212a Abs. 1 BauGB.

2. § 6 Abs. 14 BauO NRW regelt abschließend die abstandflächenrechtliche Zulässigkeit der dort aufgeführten nachträglichen Maßnahmen zur Verbesserung des Wärmeschutzes. Für eine über § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW hinausgehende Abweichung auf der Grundlage des § 73 BauO NRW ist grundsätzlich kein Raum.

3. Nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW kann eine Unterschreitung des Mindestabstands von 2,50 m zur Nachbargrenze nur gestattet werden, wenn die brandschutzrechtlichen Anforderungen der BauO NRW eingehalten werden.


Tatbestand:

Die Antragstellerin wandte sich gegen die Zulassung einer selbständigen Abweichung von § 6 BauO NRW für die - genehmigungsfreie - nachträgliche Verblendung der östlichen Außenwand des Wohnhauses auf ihrem Nachbargrundstück. Durch die Maßnahme zur Verbesserung des Wärmeschutzes sollte sich der Abstand dieser Wand zur Grenze auf 2,33 m verringern. Die Antragstellerin erhob gegen die Zulassung der Abweichung eine Anfechtungsklage. Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz lehnte das VG ab. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte Erfolg.

Gründe:

1. Wird ein belastender Verwaltungsakt unter Missachtung der aufschiebenden Wirkung eines dagegen eingelegten Rechtsbehelfs vollzogen (sog. faktische Vollziehung), ist auf Antrag des Betroffenen in entsprechender Anwendung des § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO festzustellen, dass der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3.9.1992 - 14 B 684/92 -, NVwZ-RR 1993, 269, vom 1.12.1998 - 10 B 2304/98 -, BRS 60 Nr. 156, und vom 26.3.2004 - 21 B 2399/03 -.

Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der dem Beigeladenen erteilte Abweichungsbescheid des Antragsgegners vom 21.1.2008 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.2.2008 ist ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, der für die Antragstellerin belastend ist.

Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung, wenn nicht einer der Fälle des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt. Das gilt nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung. Mangels Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entfiele die aufschiebende Wirkung hier nur, wenn dies durch ein Bundes- oder Landesgesetz vorgeschrieben wäre (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Das ist aber nicht der Fall.

Eine landesrechtliche Regelung zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine gemäß § 73 BauO NRW zugelassene - selbständige - Abweichung von bauordnungsrechtlichen Anforderungen fehlt. Als bundesrechtliche Bestimmung kommt nur § 212a Abs. 1 BauGB in Betracht. Nach § 212a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die "bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens" keine aufschiebende Wirkung. Die selbstständige Abweichungsentscheidung gemäß § 73 BauO NRW wird von dieser Regelung nicht erfasst.

Der Begriff der "bauaufsichtlichen Zulassung" bedarf der Auslegung. Dieser ist wie die Bestimmung des § 212a Abs. 1 BauGB insgesamt restriktiv zu verstehen. Denn bei der Regelung handelt es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz der in § 80 Abs. 1 VwGO vorgeschriebenen aufschiebenden Wirkung eines eingelegten Rechtsbehelfs. Eine solche nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zulässige Ausnahmevorschrift ist tendenziell eng auszulegen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.12.1998, a. a. O.; OVG Hamb., Beschluss vom 19.11.1992 - Bs II 109/92 -, BRS 54 Nr. 150; Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: April 2008, § 212a Rn. 9.

Nach dem Wortlaut des § 212a Abs. 1 BauGB ist der Begriff der "bauaufsichtlichen Zulassung" auf ein Vorhaben bezogen, mithin handelt es sich um eine präventive Kontrollentscheidung zur Freigabe des Bauvorhabens. § 73 Abs. 1 BauO NRW spricht dagegen von der Zulassung einer "Abweichung von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes". Insoweit bestimmt diese Vorschrift nicht die Zulässigkeit des Vorhabens als präventive Kontrollentscheidung vor der Baufreigabe, die § 75 BauO NRW mit der Baugenehmigung regelt, sondern ermächtigt zur Nichtanwendung einer entgegenstehenden Norm.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.12.1998, a. a. O.

Eine selbständige Abweichungsentscheidung zu einem genehmigungsfreien Vorhaben ist entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9.5.2006 - 3 S 906/06 -, BRS 70 Nr. 180 (zur grundsätzlich vergleichbaren Bestimmung des § 51 Abs. 5 i.V.m. § 56 LBO für das Land Baden-Württemberg); so auch Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Aufl. 2008, § 73 Rn. 30, auch keine eingeschränkte Zulassung eines Vorhabens. Die Abweichungsentscheidung ändert nichts daran, dass es für das genehmigungsfreie Vorhaben kein Zulassungsverfahren gibt. Der Prüfungsumfang ist auf die Reichweite der Abweichung reduziert. Es ist unerheblich, ob das Vorhaben, für das die Zulassung der Abweichung beantragt wird, im Übrigen materielles Recht einhält. Wegen der Genehmigungsfreiheit des Vorhabens muss die Verantwortung für das Vorhaben allein vom Bauherrn getragen werden. Davon macht § 73 BauO NRW lediglich insoweit eine Ausnahme, wie die Abweichung reicht, nicht jedoch darüber hinaus.

Vgl. Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, a. a. O., § 73 Rn. 31.

Der partiellen Gleichsetzung der Abweichungsentscheidung mit der Baugenehmigung stehen auch grundlegende systematische Unterschiede entgegen. Die Baugenehmigung beseitigt die formelle Sperre des bestehenden präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Der Bauherr hat gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW einen Anspruch auf diese, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Zum einen enthält sie die Feststellung, dass das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widerspricht, zum anderen erlaubt sie die Ausführung des genehmigten Vorhabens. Für Abweichungen besteht demgegenüber ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt. Über deren Erteilung entscheidet die Behörde grundsätzlich nach Ermessen. Zudem steht bei der Abweichung fest, dass das Vorhaben nicht im Einklang mit den geltenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen steht.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Februar 2008, § 63 Rn. 3, 7, § 75 Rn. 1.

Diese Unterschiede gebieten es, die selbstständige Abweichungsentscheidung gemäß § 73 BauO NRW anders als eine Baugenehmigung nicht als bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens im Sinne des § 212a Abs. 1 BauGB zu bewerten. Beim genehmigten Vorhaben ist grundsätzlich ein berechtigtes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Realisierung des Vorhabens anzuerkennen, nachdem die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften festgestellt hat. Demgegenüber ist deutlich schwächer die Rechtsposition des Bauherrn, dem für ein genehmigungsfreies Vorhaben eine selbständige Abweichung zugelassen worden ist. Ihm ist grundsätzlich das Abwarten einer zulässigerweise erhobenen Klage eines Nachbarn zuzumuten, da bei der Abweichung der Verstoß gegen eine potentiell nachbarschützende bauordnungsrechtliche Bestimmung feststeht und nach Auffassung der Behörde lediglich ausnahmsweise hingenommen werden soll.

Trotz der demnach gegebenen aufschiebenden Wirkung der erhobenen zulässigen Anfechtungsklage soll der Bescheid vollzogen werden. Der Beigeladene hat in der Vergangenheit wiederholt - u.a. im Schreiben vom 27.3.2007 - zum Ausdruck gebracht, dass er die Wärmedämmung kurzfristig realisieren wolle. Er hat auch im anhängigen Eilverfahren nie in Abrede gestellt, dass mit einer umgehenden Verwirklichung zu rechnen sei. Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Antragsgegner ihn hieran hindern will. Vielmehr hat er in seinen Hinweisen zu den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, dass die Rechtsbehelfe von Nachbarn keine aufschiebende Wirkung haben. Deshalb ist die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten.

2. Selbst wenn man entgegen den obigen Ausführungen den Begriff der bauaufsichtlichen Zulassung in § 212a Abs. 1 BauGB auch auf die Zulassung einer selbständigen Abweichung nach § 73 BauO NRW erstreckt, hätte der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg. Da die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Abweichungsbescheid des Antragsgegners vom 21.1.2008 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.2.2008 dann kraft Gesetzes ausgeschlossen wäre, wäre der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der eingelegten Klage gemäß § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 VwGO sachgerecht. Bei der insoweit gebotenen Abwägung der Interessen ist das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin höher zu bewerten als das Interesse des Antragsgegners und des Beigeladenen an der Vollziehung bzw. Ausnutzung der Abweichungsentscheidung. Denn der auf § 73 BauO NRW gestützte Abweichungsbescheid ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten.

2.1. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann - soweit in diesem Gesetz nichts anderes geregelt ist - die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. § 73 Abs. 2 BauO NRW stellt klar, dass diese Regelung auch für die Zulassung von selbstständigen bauordnungsrechtlichen Abweichungen für genehmigungsfreie bauliche Anlagen gilt.

Die Zulassung der selbstständigen Abweichung nach § 73 BauO NRW ist bereits deshalb fehlerhaft, weil sie - nach der Erklärung des Antragsgegners in der Antragserwiderung - auf eine Gestattung nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW ("können gestattet werden") bezogen ist. Hierbei kann offen bleiben, ob die Verfahrensvorschrift des § 73 Abs. 2 BauO NRW entsprechend auf die Gestattungen nach § 6 Abs. 13 bis 16 BauO NRW sowie die Erleichterungen nach § 54 Abs. 1 BauO NRW anwendbar ist. Jedenfalls hat eine Gestattung nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW materiell-rechtlich mit einer Abweichungsentscheidung nach § 73 BauO NRW "nichts zu tun". Die Sonderregelung des § 6 Abs. 14 BauO NRW enthält eine abschließende Bestimmung zur Abstandfläche für die nachträgliche Verblendung von Außenwänden zur Verbesserung des Wärmeschutzes. Kann eine geringere Tiefe der Abstandfläche unter den dort genannten Voraussetzungen zugelassen werden, erfüllt das Gebäude die bauaufsichtlichen Anforderungen. Darüber hinaus ist für eine Abweichung von den Abstandflächenvorschriften auf der Grundlage des § 73 Abs. 1 BauO NRW kein Raum.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17.12.1998 - 10 B 2308/98 - , und vom 1.2.2000 - 10 B 2092/99 -, BRS 63 Nr. 139, jeweils zu § 6 Abs. 15 BauO NRW a.F.

Das Interesse des Beigeladenen, zur Verbesserung des Wärmeschutzes seine Außenwände nachträglich zu verblenden, rechtfertigt keine Abweichung von § 6 BauO NRW. Denn dieser Belang findet seine abschließende Berücksichtigung im Rahmen der speziellen Regelung des § 6 Abs. 14 BauO NRW.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27.10.1997 - 10 B 2249/97 -, und vom 5.10.1998 - 7 B 1850/98 -, BRS 60 Nr. 105, jeweils zur abschließenden Berücksichtigung der Belange des § 6 Abs. 15 BauO NRW a.F.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 73 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW. Danach sind Abweichungen unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zuzulassen, wenn sie der Verwirklichung von Vorhaben zur Einsparung von Energie dienen. Diese Bestimmung bezieht sich wegen der abschließenden speziellen Regelung des § 6 Abs. 14 BauO NRW nicht auf die mit abstandrechtlichen Verstößen verbundene nachträgliche Bekleidung von Außenwänden zur Verbesserung des Wärmeschutzes.

Vgl. Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, a. a. O., § 73 Rn. 21.

2.2. Die Zulassung einer Abweichung nach § 73 BauO NRW kommt allenfalls dann in Betracht, wenn eine atypische Grundstückssituation vorliegt, die von dem Normalfall, welcher der gesetzlichen Regelung der Abstandflächen zugrunde liegt, in so deutlichem Maße abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.3.2007 - 10 B 275/07 -, BauR 2007, 1027 (1029), vom 5.3.2007 - 10 B 274/07 -, BauR 2007, 1031 (1032), und vom 12.11.2007 - 7 B 1354/07 -.

Hieran fehlt es. Das Grundstück des Beigeladenen weist keine atypischen Besonderheiten auf. Die Grenzen seines vorderen Teils - auf dem sich die von der Abweichung betroffenen baulichen Anlagen befinden - verlaufen im rechten Winkel zur (erschließenden) U.-Straße .

2.3. Das Vorhaben des Beigeladenen hält die auch für genehmigungsfreie Vorhaben zu wahrende Abstandfläche (§ 65 Abs. 4 BauO NRW) nicht ein. Das Vorhaben ist weder nach § 6 Abs. 14 Satz 1 BauO NRW zulässig noch kommt eine Gestattung nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW in Betracht.

Jedenfalls hinsichtlich der östlichen Außenwand des nördlichen Teils des Hauses des Beigeladenen ist die Einhaltung einer mindestens 3 m tiefen Abstandfläche erforderlich (§ 6 Abs. 5 Satz 5, Abs. 6 BauO NRW). Diese Fläche steht nicht zur Verfügung, da die Außenwand nach der Verblendung nur 2,33 m von der Grenze entfernt sein soll.

Die Einhaltung der Abstandfläche ist nicht im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a) BauO NRW entbehrlich. Danach ist innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche eine Abstandfläche nicht erforderlich gegenüber Grundstücksgrenzen, gegenüber denen nach planungsrechtlichen Vorschriften ohne Grenzabstand oder mit geringerem Grenzabstand als nach § 6 Abs. 5 und 6 BauO NRW gebaut werden muss.

Der Pflicht zur Einhaltung der Abstandfläche steht hier nicht entgegen, dass es mit der - u.a. für das Grundstück des Beigeladenen geltenden - Festsetzung der geschlossenen Bauweise im Bebauungsplan der Stadt C. Nr. 5.11/5 eine planungsrechtliche Vorschrift gibt, wonach ohne Grenzabstand gebaut werden muss (§ 22 Abs. 3, 1. Halbsatz BauNVO). Denn der Verzicht auf die Abstandfläche nach § 6 Abs. 1 Satz 2 a) BauO NRW gilt grundsätzlich nur dann, wenn die bauliche Anlage entsprechend der planungsrechtlichen Bestimmung grenzständig errichtet wird. Das ist hier nicht der Fall, da die genannte Außenwand 2,33 m von der Grenze entfernt stehen soll.

Sofern trotz festgesetzter geschlossener Bauweise Außenwände nicht grenzständig errichtet werden, sind die nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ff. BauO NRW zu bemessenden Abstandflächen einzuhalten. Das steht mit Planungsrecht im Einklang, soweit es hierfür eine planungsrechtliche Rechtfertigung gibt. Für die festgesetzte geschlossene Bauweise ist insoweit die Bestimmung des § 22 Abs. 3, 2. Halbsatz BauNVO maßgeblich. Diese entbindet ausdrücklich von der Verpflichtung des 1. Halbsatzes, Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand zu errichten, wenn die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert. Liegen diese Voraussetzungen vor, so besteht kraft Planungsrechts weder eine Pflicht noch ein Recht zum Verzicht auf einen seitlichen Grenzabstand. Welcher Abstand in diesem Fall einzuhalten ist, richtet sich nach dem jeweiligen Bauordnungsrecht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.1.1995 - 4 B 197.94 -, BRS 57 Nr. 131.

Hier ist ausnahmsweise ein Abweichen vom Bauen ohne seitlichen Grenzabstand geboten. Denn einer grenzständigen Bebauung steht die auf dem Grundstück der Antragstellerin befindliche Garage wegen der im Baulastenverzeichnis von C. im Baulastenblatt Nr. 779 eingetragenen Baulast entgegen. Danach besteht die Verpflichtung des Beigeladenen - als Rechtsnachfolger der B. -, die Fläche östlich des nördlichen Teils des Wohnhauses U.-Straße 88 von baulichen Anlagen freizuhalten, um die Zufahrt zur Garage U.-Straße 88a öffentlich-rechtlich zu sichern. Diese Verpflichtung erstreckt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners auf die gesamte Fläche bis zur Grundstücksgrenze. Das ergibt sich aus der Grünschraffierung der zur Baulast zugehörigen Flurkarte. Die Angabe der Breite des Streifens mit ca. 2,30 m stellt demgegenüber keine wirksame Beschränkung dar. Denn es handelt sich lediglich um eine unpräzise Angabe ("ca."), zu deren Konkretisierung maßgeblich auf die eindeutige Flurkarte abzustellen ist. Solange die Baulast existiert, ist die Umsetzung der grenzständigen Bebauung ausgeschlossen. Einer Berücksichtigung der Baulast im Rahmen des Nachbarrechtsstreits steht nicht entgegen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts, vgl. u.a. OVG NRW, Urteil vom 28.1.1997 - 10 A 3465/95 -, BRS 59 Nr. 229, die Baulast grundsätzlich ausschließlich dem öffentlichen Interesse dient und dem Eigentümer des begünstigten Grundstücks regelmäßig keine subjektiv-öffentlichen Rechte auf deren Durchsetzung gewährt. Es bedarf hier keiner Klärung, ob eine Baulast selbst ausnahmsweise ein nachbarliches Abwehrrecht zu begründen vermag. Denn hier ist entscheidend, dass durch die Missachtung der Baulast eine Norm verletzt wird, die der Nachbarin gegenüber drittschützenden Charakter hat (§ 6 BauO NRW).

Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9.12.1997 - 5 S 2568/97 -, BRS 59 Nr. 112; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a. a. O., § 83 Rn 84; Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, a.a.O., § 83 Rn 52.

Das Vorhaben des Beigeladenen ist auch nicht auf der Grundlage der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 14 Satz 1 BauO NRW zulässig. Hiernach ist bei bestehenden Gebäuden die nachträgliche Bekleidung oder Verblendung von Außenwänden zulässig, wenn die Baumaßnahme der Verbesserung des Wärmeschutzes dient, die Stärke der Bekleidung oder Verblendung nicht mehr als 0,25 m und der verbleibende Abstand zur Nachbargrenze mindestens 2,50 m beträgt. Auf diese gesetzliche Ausnahmeregelung kann sich der Beigeladene für die geplante Verblendung seiner Außenwände nicht stützen, weil deren Abstand zur Nachbargrenze geringer als 2,50 m ist.

Auch eine Gestattung nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW scheidet aus.

Nach der Regelung des § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW können über die in Satz 1 genannten Maße hinausgehend unter Würdigung nachbarlicher Belange und der Belange des Brandschutzes geringere Tiefen der Abstandflächen gestattet werden, wenn die Baumaßnahme der Verbesserung des Wärmeschutzes dient. Die Belange des Brandschutzes sind grundsätzlich nur dann gewahrt, wenn die Anforderungen des § 31 BauO NRW eingehalten werden. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW sind bei Gebäuden, die weniger als 2,50 m von der Nachbargrenze entfernt errichtet werden, Gebäudeabschlusswände herzustellen, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder zulässigen Gebäuden öffentlich-rechtlich gesichert ist.

Die Würdigung der Belange des Brandschutzes gebietet es demnach grundsätzlich, bei Wärmedämmmaßnahmen eine Unterschreitung des Abstands der Außenwand von 2,50 m zur Nachbargrenze nur unter engen Voraussetzungen zuzulassen: Entweder muss diese Wand eine Gebäudeabschlusswand sein oder ein Gesamtabstand von 5 m zur nachbarlichen Wand ist öffentlich-rechtlich gesichert. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die zur Grenze der Antragstellerin hin ausgerichtete Wand des Beigeladenen ist ausweislich des vorgelegten Lageplans zum Abweichungsbescheid nach der Durchführung der Verkleidungsmaßnahme lediglich 4,84 m von der Wand des Hauses der Antragstellerin entfernt. Eine öffentlich-rechtliche Sicherung zur Einhaltung eines Abstands von 5 m gibt es nicht. Bei der maßgeblichen Außenwand des Hauses des Beigeladenen handelt es sich auch nicht um eine Gebäudeabschlusswand im Sinne des § 31 BauO NRW. Denn in Gebäudeabschlusswänden sind gemäß § 31 Abs. 4 BauO NRW Öffnungen unzulässig. Die Wand verfügt aber sowohl im Erd- wie im Dachgeschoss über insgesamt vier Fenster. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass trotz des Verstoßes gegen § 31 BauO NRW ausnahmsweise keine konkrete Brandübertragungsgefahr besteht. Vielmehr sprechen die gegebenen Verhältnisse für eine konkrete Brandübertragungsgefahr, da die Schlafzimmerfenster in den Obergeschossen der benachbarten Wohnhäuser sich unmittelbar gegenüber liegen. Die Verkürzung des Abstands durch das Heranrücken der Wand an die Grenze verstärkt die bestehenden Brandlasten. Im übrigen hat weder der Antragsgegner eine Stellungnahme seiner Feuerwehr eingeholt noch hat der Beigeladene ein Brandschutzgutachten vorgelegt, denen das ausnahmsweise Fehlen einer konkreten Brandübertragungsgefahr trotz des Verstoßes gegen § 31 BauO NRW entnommen werden könnte.

Nach alledem bedarf es hier keiner Entscheidung, ob darüber hinaus die sonstigen zu würdigenden Belange der benachbarten Antragstellerin einer Gestattung nach § 6 Abs. 14 Satz 2 BauO NRW entgegen stehen.

Ende der Entscheidung

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