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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 14.05.2003
Aktenzeichen: 10 B 787/03
Rechtsgebiete: BGB, VwGO


Vorschriften:

BGB § 906 Abs. 1
BGB § 917 Abs. 1
BGB § 917 Abs. 1 Satz 1
BGB § 917 Abs. 2
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a
Der Nachteil, den die durch eine Baugenehmigung ausgelöste geringfügige Erweiterung eines bestehenden Notwegrechts im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB für den Eigentümer des mit dem Notwegrecht belasteten Grundstücks darstellt, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - derart unwesentlich sein, dass ein Abwehranspruch gegenüber der Baugenehmigung unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausscheidet.
Tatbestand:

Die Antragsteller wandten sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Umnutzung einer ehemaligen Hofstelle in ein Wohngebäude, weil die einzige Verbindung zwischen dem Baugrundstück und dem öffentlichen Verkehrsnetz über einen unbefestigten Weg führt, der in ihrem Eigentum steht. Der Weg diente bereits der Erschließung der Hofstelle und stellt auch die Erschließung für ein weiteres mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück sicher. Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des von ihrem Rechtsvorgänger gegen die Baugenehmigung eingelegten Widerspruchs blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Aus den in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass die angefochtene Entscheidung des VG im Ergebnis zu ändern und die aufschiebende Wirkung des von dem Rechtsvorgänger der Antragsteller eingelegten Widerspruchs gegen die den Beigeladenen unter dem 15.1.2003 erteilte Baugenehmigung zur Sanierung und Teilunterkellerung eines Fachwerkhauses auf dem Grundstück Gemarkung D. anzuordnen ist.

Die im Rahmen der §§ 80 Abs. 5, 80a VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus. Es ist nicht offensichtlich, dass die Anfechtung der Baugenehmigung im Hauptsacheverfahren Erfolg hätte.

Eine rechtswidrige Baugenehmigung kann allerdings einen Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn darstellen, wenn sie wegen fehlender Erschließung und der dadurch ausgelösten Verpflichtung zur Duldung eines Notwegs nach § 917 Abs. 1 BGB eine unmittelbare Rechtsverschlechterung für den Nachbarn bewirkt. In einem solchen Fall kann dem Nachbarn ein Abwehranspruch unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zustehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.1976 - 4 C 7.74 -, BRS 30 Nr. 140).

Hier ist es aber nicht so, dass die angefochtene Baugenehmigung - sollte sie bestandskräftig werden - eine erstmalige Verpflichtung der Antragsteller zur Duldung eines Notwegs zu Gunsten des Grundstücks Gemarkung D. bewirkt. Vielmehr hat eine solche Verpflichtung bereits vor Erteilung der Baugenehmigung bestanden. Das LG B. hat mit Urteil vom 13.7.1999 entschieden, dass der Rechtsvorgänger der Antragsteller verpflichtet sei zu dulden, dass der Beigeladene W. oder ein von ihm ermächtigter Dritter die Straße "Am B." ausgehend von der Straße "Am R." bis zu seinem Grundstück "Am B." Nr. ... begehe oder mit Fahrzeugen bis zu 12 t Gesamtgewicht befahre. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Eine mit dem Notwegrecht zusammenhängende unmittelbare Rechtsverschlechterung zu Lasten der Antragsteller, die ihnen möglicherweise einen unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden Abwehranspruch vermitteln würde, könnte sich auf Grund der angegriffenen Baugenehmigung also allenfalls dann ergeben, wenn sich mit der nunmehr genehmigten Nutzung der Umfang des bestehenden Notwegrechts für die Antragsteller nachteilig verändern würde. Angesichts der konkreten Umstände spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass hier ein Abwehranspruch unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu verneinen ist. Ein Eingriff in das Eigentum durch die Begründung eines Notwegrechts liegt nämlich dann nicht vor, wenn die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks derart unwesentlich ist, dass der Nachbar die damit verbundenen Nachteile nach der Interessenbewertung des § 906 Abs. 1 BGB ohne Weiteres hinnehmen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.1976, a.a.O.).

Wird - wie hier - ein im fremden Eigentum stehender Weg bereits als Zufahrt für ein Wohnhaus genutzt, so kann seine zusätzliche Inanspruchnahme - je nach den Umständen des Einzelfalles - einen nur unwesentlichen Nachteil für den Nachbarn darstellen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.12.2001 - 8 S 2749/01 -, BRS 64 Nr. 193).

Wie schon das Altgebäude auf dem Grundstück "Am B." Nr. ..., war auch das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück "Am B." Nr. ... mangels einer anderen Verbindung zu einem öffentlichen Weg bisher nur von Norden her über die öffentliche Straße "Am B." und deren tatsächliche Verlängerung auf dem Grundstück der Antragsteller zu erreichen. Die Antragsteller sind deshalb ohnehin verpflichtet, im Hinblick auf die Benutzung des Grundstücks "Am B." Nr. ... auf ihren eigenen Flächen die Her-stellung einer Verbindung zu einem öffentlichen Weg beziehungsweise die Nutzung der vorhandenen Verbindung nach Maßgabe des § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dulden. Die Beeinträchtigungen, die mit einer möglichen Ausdehnung des bestehenden Notwegrechts auf Grund der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 15.1.2003 verbunden sein könnten, wären nach Ansicht des Senats nur unwesentlich und müssten von den Antragstellern hingenommen werden. Die zusätzliche Inanspruchnahme ihres Grundstücks würde sich nach Abschluss der Bauarbeiten auf nur wenige Pkw-Fahrten pro Tag beschränken.

Da zudem die Zufahrt zum Grundstück der Beigeladenen als unbefestigter Weg tatsächlich vorhanden ist und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Benutzung des Weges durch die Beigeladenen diesen beschädigen oder die Nutzung der unmittelbar angrenzenden Wiesen- und Weideflächen beeinträchtigen könnte, ist den Antragstellern jedenfalls bis zum rechtskräftigen Abschluss eines sich möglicherweise anschließenden Hauptsacheverfahrens eine etwaige Ausdehnung des bestehenden Notwegrechts durch die Ausnutzung der angefochtenen Baugenehmigung und die Aufnahme einer genehmigungskonformen Nutzung zuzumuten. Das gilt umso mehr, als die Antragsteller nach § 917 Abs. 2 BGB eine Entschädigung für die Inanspruchnahme ihres Grundstücks in Form einer Geldrente beanspruchen können, deren Höhe sich nach dem ihnen durch die Inanspruchnahme entstehenden Nach-teile bestimmt.

Ende der Entscheidung

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