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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 12.11.2004
Aktenzeichen: 10a D 38/02.NE
Rechtsgebiete: BauNVO, BauGB


Vorschriften:

BauNVO § 1 Abs. 5
BauNVO § 1 Abs. 9
BauNVO § 2
BauNVO § 3
BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 1
BauNVO § 4
BauNVO § 5
BauNVO § 6
BauNVO § 7
BauNVO § 8
BauNVO § 8 Abs. 1
BauNVO § 8 Abs. 2
BauNVO § 9
BauNVO § 9 Abs. 2
BauNVO § 10
BauNVO § 11 Abs. 3
BauNVO § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BauGB § 1 Abs. 7
BauGB § 214 Abs. 3 Satz 2 a.F.
BauGB § 215 Abs. 1 Nr. 2 a.F.
1. Soll durch Festsetzungen eines Bebauungsplans der Einzelhandel mit ausgewählten Warengruppen in Gewerbe- oder Industriegebieten im Hinblick auf seine "Zentrenschädlichkeit" ausgeschlossen werden, kann es in Ermangelung sonstiger aussagekräftiger Planungsgrundlagen erforderlich sein, den Bestand des Einzelhandels in den Zentren der Gemeinde zu ermitteln, um hinreichend konkrete Aussagen dazu treffen zu können, weshalb jegliche Form von Einzelhandel der besagten Art - würde er im betroffenen Baugebiet angesiedelt - die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in den Zentren der Gemeinde unabhängig von der Art und dem Umfang des jeweiligen Warenangebots schädigen würde.

2. Der Begriff des Einzelhandelsbetriebs, dessen "Sortiment ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung dient", ist unbestimmt und beschreibt keine Nutzungsart, die es in der sozialen und ökonomischen Realität gibt und die deshalb Gegenstand einer Festsetzung nach § 1 Abs. 9 BauNVO sein kann.


Tatbestand:

Der Antragsteller wandte sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die Änderung eines Bebauungsplans, der seine Grundstücke als Gewerbe- bzw. Industriegebiet festsetzt. Ziel der Planänderung war die Einschränkung des Einzelhandels in den festgesetzten Gewerbe- und Industriegebieten. Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg.

Gründe:

Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet. Die 2. Änderung des Bebauungsplans ist unwirksam.

Der textlichen Festsetzung (1), die die Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben und sonstigen Gewerbebetrieben mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in GE- und GI-Gebieten durch den Ausschluss von bestimmten Waren erheblich einschränkt, fehlt die erforderliche städtebauliche Rechtfertigung.

§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO gestatten - soweit die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt und besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen - den Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben differenziert nach Branchen oder Sortimenten, wenn die Differenzierung marktüblichen Gegebenheiten entspricht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.7.1998 - 4 BN 31.98 -, BRS 60 Nr. 29).

Eine auf die vorgenannten Vorschriften gestützte Planung muss mit Argumenten begründet werden, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben und geeignet sind, die jeweilige Abweichung von den in den §§ 2 bis 10 BauNVO vorgegebenen Gebietstypen zu tragen. Das "Besondere" an den städtebaulichen Gründen nach § 1 Abs. 9 BauNVO besteht nicht notwendig darin, dass die Gründe von größerem oder im Verhältnis zu § 1 Abs. 5 BauNVO zusätzlichem Gewicht sein müssen. Vielmehr ist mit "besonderen" städtebaulichen Gründen in § 1 Abs. 9 BauNVO gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für die gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzungen geben muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1987 - 4 C 77.84 -, BRS 47 Nr. 58).

Die vom Rat der Antragsgegnerin für die Einzelhandelseinschränkung benannten Gründe tragen die Festsetzung nicht.

Unter B 1. heißt es in der Planbegründung, gewerbliche Bauflächen dienten vorwiegend der Unterbringung von Betrieben des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes. Durch die Einschränkung des Einzelhandels solle verhindert werden, dass gewerbliche Bauflächen durch Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in Anspruch genommen würden.

Der erste Satz dieses Begründungsteils offenbart ein falsches Verständnis der §§ 8 und 9 BauNVO im Hinblick auf die allgemeine Zweckbestimmung von Ge-werbe- und Industriegebieten, die offenkundig gemeint sind, wenn von "gewerblichen Bauflächen" die Rede ist. Nach § 8 Abs. 1 BauNVO dienen Gewerbegebiete vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Maßgebliches Kriterium für die Wahrung der Zweckbestimmung ist mithin das Störungspotenzial, das ein Gewerbebetrieb aufweist. Ob es sich bei einem Gewerbebetrieb um einen produzierenden oder verarbeitenden Betrieb handelt, ist dagegen im Rahmen des § 8 BauNVO ohne Bedeutung. Dementsprechend sind gemäß § 8 Abs. 2 BauNVO in GE-Gebieten neben Gewerbebetrieben aller Art - zu denen auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe gehören - beispielsweise öffentliche Betriebe, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie Anlagen für sportliche Zwecke allgemein zulässig, soweit von ihnen keine erheblichen Belästigungen ausgehen. Eine Rangfolge der aufgezählten Nutzungsarten in dem Sinne, dass etwa produzierende oder verarbeitende Betriebe bezogen auf die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes Vorrang genießen, gibt die Baunutzungsverordnung nicht vor.

Für Industriegebiete gemäß § 9 BauNVO gilt prinzipiell nichts anderes. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Der Regelungszusammenhang mit den §§ 2 bis 8 BauNVO zeigt, dass auch für die allgemeine Zweckbestimmung von Industriegebieten maßgeblich auf den Störfaktor abzustellen ist, den ein Gewerbebetrieb darstellt. Vorwiegend sollen in Industriegebieten solche Gewerbebetriebe angesiedelt werden, von denen erhebliche Belästigungen ausgehen. Es mag zwar sein, dass in der Realität Betriebe des produzierenden beziehungsweise verarbeitenden Gewerbes häufig zu den erheblich belästigenden Gewerbebetrieben im Sinne des § 9 BauNVO zählen, doch rechtfertigt diese mehr oder weniger zufällige Überschneidung im Einzelfall nicht den in der Vorschrift an keiner Stelle angelegten Schluss, Industriegebiete dienten überwiegend der Unterbringung produzierender und verarbeitender Betriebe. Allgemein zulässig sind vielmehr Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze, öffentliche Betriebe und Tankstellen.

Sofern der in die Planbegründung aufgenommene Satz, wonach gewerbliche Bauflächen vorwiegend der Unterbringung von Betrieben des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes dienten, entgegen seinem Wortlaut nicht die vom Rat der Antragsgegnerin angenommene objektiv-rechtliche Ausgangssituation für die Festsetzung eines GE- oder GI-Gebietes beschreibt, sondern so zu verstehen ist, dass nach dem Willen des Rates sämtliche als GE- oder GI-Gebiet festgesetzten Flächen im Plangebiet - und in den übrigen von der Satzung erfassten Bebauungsplänen und Teilbebauungsplänen - vorwiegend dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten bleiben sollen, ist die konkret vorgenommene Einschränkung des Einzelhandels zur Erreichung dieses Ziels ungeeignet. Zwar kann unter Umständen ein vollständiger Einzelhandelsausschluss für Gewerbe- und Industriegebiete - verbunden mit weiteren Nutzungsausschlüssen - mit der städtebaulichen Zielsetzung gerechtfertigt werden, die überplanten Flächen vorwiegend produzierenden und verarbeitenden Betrieben vorzubehalten, nicht aber ein Einzelhandelsausschluss, der - wie hier - nur bestimmte Warengruppen erfasst und im Übrigen die gesamte Nutzungspalette der §§ 8 Abs. 2 und 9 Abs. 2 BauNVO unberührt lässt. Da Einzelhandelsbetriebe, deren Kernsortiment beispielsweise aus Kraftfahrzeugen, Möbeln sowie Bau- und Heimwerkerbedarf besteht, ebenso genehmigungsfähig sind wie Dienstleistungs- und Großhandelsbetriebe oder andere flächenintensive Nutzungen wie Tankstellen, Lager-häuser, Speditionen oder Anlagen für sportliche Zwecke, vermag die Festsetzung eine Vorhaltung von Flächen für produzierendes und verarbeitendes Gewerbe in keiner Weise zu sichern. Dies räumt auch die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung ein, wenn sie ausführt, zur Sicherung der besagten Zielsetzung sei es eigentlich erforderlich gewesen, den Einzelhandel insgesamt auszuschließen. Die mitgelieferte Erklärung, wonach auf eine derart weitgehende Beschränkung des Einzelhandels verzichtet worden sei, weil für bestimmte großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- oder nahversorgungsrelevantem Sortiment außerhalb der Gewerbe- und Industriegebiete keine geeigneten Flächen zur Verfügung stünden, entzieht dem hier in Rede stehenden Begründungselement jegliche Schlagkraft. Sie macht deutlich, dass der Plangeber die Bauflächen in den GE- und GI-Gebieten entgegen seiner erklärten Absicht eben nicht vorrangig den produzierenden und verarbeitenden Gewerbebetrieben vorbehalten, sondern sie be-wusst auch für die Ansiedlung flächenintensiver Handelsnutzungen offen halten wollte. Das allgemeine Offenhalten aller GE- und GI-Gebiete im Plangebiet - und in den anderen von der Satzung erfassten Bebauungsplan- und Teilbebauungsplangebieten - für flächenintensive Handelsnutzungen steht zudem im Widerspruch zur Planbegründung, in der es heißt, Einzelhandelsbetriebe, deren Ansiedlung in den Versorgungszentren der Stadt nicht möglich oder wünschenswert sei (zum Beispiel Möbelmärkte, Bau- und Heimwerkermärkte, Gartencenter oder Kraftfahrzeughandel), sollten, soweit sie für die allgemeine Versorgung der Bevölkerung von Bedeutung seien, an geeigneten, möglichst innenstadtnahen Standorten zusammengefasst werden, etwa auf dem ehemaligen Betriebsge-lände der Baumwollspinnerei G. an der P.-Straße.

Der Ausschluss von Einzelhandel mit bestimmten Warensortimenten wäre mit der gewählten Begründung allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn der Rat - durch Tatsachen gestützt - plausibel dargelegt hätte, dass gerade der von dem konkret ausgeschlossenen Einzelhandel ausgehende Ansiedlungsdruck im Stadtgebiet oder im Bereich des Bebauungsplans eine Verdrängung des verarbeitenden und produzierenden Gewerbes aus den GE- und GI-Gebieten erwarten lässt, während von den sonstigen in den GE- und GI-Gebieten allgemein zulässigen Nutzungen eine solche Verdrängungswirkung nicht ausgeht. Darlegungen dieser Art sind in den Bebauungsplanunterlagen nicht einmal ansatzweise vorhanden.

Nach allem liegt der Aussage, die gewerblichen Bauflächen vorwiegend dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten zu wollen, kein schlüssiges Plankonzept zu Grunde.

Ein weiteres Begründungselement für die Einschränkung des Einzelhandels durch die textliche Festsetzung (1) findet sich in der Planbegründung unter B 2. Dort heißt es, Einzelhandelsbetriebe sollten ihren Standort in Abhängigkeit von ihrer Versorgungsfunktion entweder in den Wohngebieten oder in den zentralen Bereichen der Stadt und ihrer Ortsteile haben. Durch den Ausschluss beziehungsweise die Einschränkung des Einzelhandels an anderen als den genannten Standorten solle sichergestellt werden, dass neue Einzelhandelsbetriebe - einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Einzelhandelsbetrieben - die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs an Wohnstandorten sowie die Funktion und Attraktivität der zentralen Bereiche als Handels- und Versorgungszentren nicht gefährdeten.

Wenn - wie hier - Einzelhandel mit ausgewählten Warensortimenten im Hinblick auf seine "Zentrenschädlichkeit" ausgeschlossen werden soll, bedarf es konkreter Angaben dazu, weshalb jegliche Form von Einzelhandel der besagten Art - würde er im betroffenen Baugebiet angesiedelt - die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in den Zentren der Gemeinde unabhängig von der Art und dem Umfang des jeweiligen Warenangebots schädigen würde. Auch der Einzelhandelserlass von 1996 geht unter 2.2.5 davon aus, dass das Anbieten der darin als zentrenrelevant bezeichneten Warensortimente regelmäßig nur dann negative Auswirkungen auf die Zentrenstruktur einer Gemeinde erwarten lässt, wenn es überdimensioniert an nicht integrierten Standorten erfolgt. Die Planbegründung lässt jegliche Angaben zur Einzelhandelsstruktur in den Zentren des Stadtgebietes vermissen. Insbesondere fehlt eine auf diese Zentren bezogene Bestands-aufnahme, die die Grundlage für Aussagen über die Zentrenschädlichkeit bestimmter, andernorts angebotener Waren bilden könnte. Einer solchen aussagekräftigen Planungsgrundlage bedarf es vor allem dann, wenn - wie hier - eine den Einzelhandel stark einschränkende Festsetzung getroffen werden soll, die die ausgeschlossenen Warengruppen übermäßig differenziert und nach der der Ausschluss weit mehr Warengruppen erfasst, als in der Anlage 1 Teil A des Einzelhandelserlasses als zentrenrelevant genannt sind. Das vorgelegte "Entwicklungskonzept Innenstadt A." vermag eine auf den Einzelhandel in den Stadtzentren bezogene Bestandsaufnahme in keiner Weise zu ersetzen. Es befasst sich vorwiegend mit Verkehrsführung und gestalterischen Aspekten der Innenstadtentwicklung. Einzelhandel spielt in diesem Konzept untergeordnet nur insoweit eine Rolle, als im Innenstadtbereich eine Markthalle vorgesehen ist und die Flächen des ehemaligen Kirmesplatzes zum Teil als Einzelhandelsflächen ent-wickelt werden sollen. Differenzierte Angaben zu Warengruppen, Verkaufsflächen, Umsatzzahlen, Ansiedlungsmöglichkeiten usw. fehlen vollständig.

Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für den Fall, dass Einzelhandel mit ausgewählten Warengruppen an bestimmten Standorten ausgeschlossen werden soll, um die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs an Wohnstandorten zu sichern. Auch insoweit bedarf es konkreter - hier fehlender - Angaben dazu, weshalb jeglicher im Plangebiet stattfindender Handel mit "nahversorgungsrelevanten" Gütern die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung an bestimmten anderen Stellen des Gemeindegebietes gefährden würde.

Die textliche Festsetzung (2) ist insgesamt unklar formuliert und bedarf der Auslegung.

Nr. 1 dieser Festsetzung ist so auszulegen, dass diejenigen Einzelhandelsbetriebe und sonstigen Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher, die unter Berücksichtigung der in der textlichen Festsetzung (1) enthaltenen Warenausschlüsse in den GE- und GI-Gebieten zulässig sind, ihr Sortiment ausnahmsweise durch einzelne der in der Liste der textlichen Festsetzung (1) aufgeführten Warenarten ergänzen dürfen, wenn durch die Ergänzung Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht zu erwarten sind.

Die so zu verstehende Festsetzung widerspricht letztlich dem Planungskonzept, da nach den sich aus der Planbegründung ergebenden Vorstellungen des Rates jeglicher Verkauf von Waren aus der in der textlichen Festsetzung (1) enthaltenen Liste die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich des Betriebes und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde gefährdet und somit Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO hat.

Der Begriff der "Ergänzung" ist zudem ungenau, denn er beinhaltet eine Beschränkung, deren Reichweite nicht annähernd festgelegt ist. Insbesondere vermag der Adressat der Vorschrift nicht zu erkennen, in welchem Umfang die in der textlichen Festsetzung (1) aufgelisteten Warenarten ergänzend angeboten werden dürfen. Zwar können textliche Festsetzungen in einem Bebauungsplan auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen getroffen werden, wenn sich ihr näherer Inhalt unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers erschließen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.1.1995 - 4 NB 3.95 -, BRS 57 Nr. 26 = BauR 1995, S. 662), doch fehlt es hier gerade an der Bestimmbarkeit des Festsetzungsinhalts. Der Senat versteht die Festsetzung als eine solche, die vor allem die Zulässigkeit von "zentrenrelevanten" Randsortimenten regeln soll. Im Einzelhandelserlass heißt es dazu unter 2.2.5, das Randsortiment diene der Ergänzung des Angebots und müsse sich dem Kernsortiment deutlich unterordnen. Dass der Rat diese Formulierung des Einzelhandelserlasses im Auge hatte, lässt sich nicht feststellen, da er sich nicht auf den Erlass bezogen hat. In jedem Fall hätte er aber kenntlich machen müssen, was er unter einer "deutlichen Unterordnung" versteht, denn auch dieser Begriff ist nicht bestimmt genug, um eine sichere Handhabung in der Praxis zu gewährleisten. Ob dem Begriff "Ergänzung" neben der quantitativen auch eine qualitative Bedeutung insoweit zukommen soll, als das "zulässige Sortiment" und die "ergänzenden Warenarten" in irgendeiner Weise zusammenpassen müssen, ist weder der Planbegründung noch den übrigen Planunterlagen zu entnehmen.

Die textliche Festsetzung (2) Nr. 2 ist so auszulegen, dass Einzelhandelsbetriebe sowie sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher - vorbehaltlich der Regelungen in § 11 Abs. 3 BauNVO - in den GE- und GI-Gebieten ungeachtet der angebotenen Waren unbeschränkt zulässig sind, wenn das jeweils angebotene Sortiment ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung dient.

Die Festsetzung ist ebenfalls unbestimmt. Wann ein Sortiment im Sinne der Festsetzung "zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung dient", ergibt sich weder aus der Planbegründung noch aus den sonstigen Aufstellungsvorgängen. Zwar ist der in § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verwendete Rechtsbegriff der "Deckung des täglichen Bedarfs" an sich ohne erhebliche Schwierigkeiten so auszulegen, dass er der Verwaltung keine uferlose und durch die gerichtliche Überprüfung nicht mehr eingrenzbare Ermächtigung eröffnet (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.2.1968 - 4 C 190 und 191.65 -), doch stellt sich hier - weil auf den täglichen Bedarf der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung abgestellt ist - die Frage, ob damit der tägliche Bedarf allgemein oder nur der sich während der täglichen Arbeitszeit ergebende Bedarf gemeint sein soll. Insoweit ist die Festsetzung nicht eindeutig. Wenn der tägliche Bedarf allgemein gemeint sein sollte, das heißt den im Gebiet arbeitenden Personen Gelegenheit gegeben werden soll, dort vor oder nach der Arbeit ihre täglichen Einkäufe zu erledigen, wäre Einzelhandel in einem größeren Umfang und mit einem anderen Warenangebot zulässig als im Falle der anderen Auslegungsvariante.

Ebenso wenig eindeutig ist die Abgrenzung des Gebiets, das den Maßstab für den zulässigen Kundenkreis bilden soll. Der Plangeber könnte sich dabei das gesamte jeweilige Bebauungsplangebiet, die Gesamtheit der im jeweiligen Plangebiet festgesetzten Industrie- und Gewerbeflächen oder auch nur die einzelne als GI- oder GE-Gebiet festgesetzte Fläche vorgestellt haben. Abgesehen von der Unbestimmtheit der Festsetzung fehlt auch die Ermächtigungsgrundlage für die Ausnahmeregelung. Auf § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO kann sich der Plangeber insoweit nicht stützen.

Der Bebauungsplan beziehungsweise dessen Begründung müssen erkennen lassen, dass mit den Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO ein bestimmter Typ von baulichen oder sonstigen Anlagen erfasst wird. Die Erläuterung des vom planerischen Zugriff erfassten Anlagentyps ist nicht gleichzusetzen mit den nach § 1 Abs. 9 BauNVO erforderlichen besonderen städtebaulichen Gründen. Es bedarf vielmehr einer eigenständigen Begründung dafür, warum die beschriebenen Anlagen eine bestimmte Art von Anlagen darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1987 - 4 77.84 -, a.a.O.).

§ 1 Abs. 9 BauNVO erweitert die Festsetzungsweise auf Nutzungsunterarten, welche die Baunutzungsverordnung selbst nicht anführt. Ziel der Vorschrift ist es, die allgemeinen Differenzierungsmöglichkeiten der Baugebietstypen nochmals einer "Feingliederung" unterwerfen zu können, um die Vielfalt der Nutzungsarten im Plangebiet zu mindern. Jedoch muss sich der Ausschluss auf eine Nutzungsart beziehen, die es in der sozialen und ökonomischen Realität bereits gibt. § 1 Abs. 9 BauNVO eröffnet keine Befugnis der Gemeinde, neue Nutzungsarten zu "erfinden" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.7.1998 - 4 BN 31.98 -, BRS 60 Nr. 29). Nach diesen Grundsätzen ist die Festsetzung, nach der Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, wenn das jeweils angebotene Sortiment ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung dient, nicht von § 1 Abs. 9 BauNVO gedeckt. Die Festsetzung beschreibt keine Nutzungsart, die es bereits in der sozialen und ökonomischen Realität gibt.

Die textliche Festsetzung (2) Nr. 3 ist so auszulegen, dass Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in den GE- und GI-Gebie-ten ungeachtet der angebotenen Waren unbeschränkt zulässig sind, wenn das jeweils angebotene Sortiment aus eigener Herstellung stammt, die Waren im selben GE- beziehungsweise GI-Gebiet hergestellt werden und der Betrieb auf Grund der von ihm ausgehenden Belästigungen oder Störungen typischerweise nur in einem GE- oder GI-Gebiet zulässig ist.

Die Beschränkung der Privilegierung auf Betriebe, die auf Grund der von ihnen ausgehenden Belästigungen oder Störungen typischerweise nur in einem GE- oder GI-Gebiet zulässig sind, ist städtebaulich nicht hinreichend begründet. Das Begründungselement, die Flächen dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten zu wollen, würde - wäre es nicht ohnehin ungeeignet, die getroffenen Festsetzungen zu rechtfertigen - die Beschränkung nicht tragen. Produzierendes oder verarbeitendes Gewerbe ist nicht zwingend mit Belästigungen oder Störungen verbunden, die über die Mischgebietsverträglichkeit hinausgehen. Sonstige Gründe für die Ungleichbehandlung produzierender beziehungsweise verarbeitender mischgebietsverträglicher Gewerbebetriebe sind nicht ersichtlich. Im Übrigen wird die nach § 1 Abs. 7 BauGB erforderliche Abwägung der öffentlichen und privaten Belange den besonderen Anforderungen, die bei der Änderung eines Bebauungsplans zu erfüllen sind, nicht gerecht.

Der Senat kann bei der im Normenkontrollverfahren gebotenen objektiven Prüfung den Bebauungsplan auch auf solche Abwägungsfehler untersuchen, die der Antragsteller mit seinem Normenkontrollantrag nicht geltend gemacht hat, denn die Frist des insoweit noch maßgeblichen § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F., wonach Mängel der Abwägung unbeachtlich werden, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind, ist noch nicht abgelaufen. Die Unbeachtlichkeit eines Abwägungsfehlers gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. hängt von zwei Voraussetzungen ab, nämlich dem Fristablauf und dem Nichtvorliegen einer Mängelrüge. Die Frist ist ein entscheidendes Element der Fehlerfolgenregelung. Erst nach Ablauf der festgelegten Zeit soll, wenn niemand eine Rüge erhoben hat, der an sich beachtliche Fehler unbeachtlich werden. Bis zum Fristablauf ist die uneingeschränkte Kontrolle eines Bebauungsplans auf Abwägungsfehler möglich und im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz auch geboten.

Besteht - wie hier - ein Recht zur Bebauung, kommt der normativen Entziehung oder Beschränkung desselben erhebliches Gewicht zu, das sich im Rahmen der Abwägung auswirken muss. Beim Erlass wie bei der Änderung eines Bebauungsplans muss daher im Rahmen der planerischen Abwägung das private Interesse am Erhalt bestehender baulicher Nutzungsrechte mit dem öffentlichen Interesse an der gewollten städtebaulichen Neuordnung des Plangebiets abgewogen werden. Dabei ist in die Abwägung einzustellen, dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten für den Betroffenen wie eine (Teil-)Enteignung auswirken kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 - BRS 60 Nr. 6 = NVwZ 2003, S. 727 = BauR 2003, S. 1338 = NuR 2003, S. 350).

Demnach setzt eine ordnungsgemäße Abwägung voraus, dass alle maßgeblichen Gesichtspunkte in den Abwägungsprozess eingestellt werden und der Rat von einem zutreffenden Sachverhalt ausgeht. Die von Amts wegen gebotene Ermittlung der abwägungsrelevanten Gesichtspunkte erfordert bei der Überplanung eines teilweise bereits bebauten Gebiets eine erkennbare Bestandsaufnahme. In welchem Umfang eine solche Bestandsaufnahme im Einzelnen zu erfolgen hat, lässt sich nicht allgemein beantworten. Der erforderliche Umfang der Bestands-aufnahme bestimmt sich jeweils nach den Planungsabsichten der Gemeinde und demjenigen, was hierbei relevant in die Abwägung einzustellen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.8.1989 - 4 NB 24.88 -, BRS 49 Nr. 22).

Dieser allgemeine Grundsatz erlangt bei der Überplanung von vorhandenen Industrie- und Gewerbegebieten besondere Bedeutung, wenn im Plangebiet künftig bestimmte Nutzungen ausgeschlossen sein sollen und damit möglicherweise bereits vorhandene Nutzungen unzulässig und nur auf den Schutz des Bestandes beschränkt werden. Die Beachtung der Belange der Wirtschaft (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB) verlangt mehr als die Berücksichtigung des durch Art. 14 GG garantierten Bestandsschutzes. Sie beinhaltet auch die Abwägung etwaiger in den Blick genommener Kapazitätserweiterungen und Modernisierungen von Anlagen, die zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit notwendig sind.

Hiervon ausgehend musste sich der Plangeber bei einer Planung der vorliegenden Art im Rahmen der Aufbereitung des Abwägungsmaterials - auch ohne dass es entsprechender Hinweise Planbetroffener bedurft hätte - Klarheit darüber verschaffen, welche Folgen insbesondere die von ihm beabsichtigten Nutzungsausschlüsse für die weitere Existenz der bereits vorhandenen Gewerbebetriebe haben konnten. Er hatte zu gewichten, ob etwa eintretende negative Folgen für den Fortbestand und die diesen sichernde weitere Entwicklungsmöglichkeit bereits vorhandener Nutzungen gegenüber den anderen, mit dem Plan verfolgten Zielsetzungen die Planentscheidung rechtfertigten.

Nichts davon ist geschehen. Der angegriffenen Planänderung liegt nicht einmal eine konkrete Bestandserhebung für den Geltungsbereich des Bebauungsplans zu Grunde. Vielmehr hat der Rat die vorhandenen Betriebe - wie sich aus der Planbegründung ergibt - gänzlich undifferenziert auf den Bestandsschutz verwiesen.

Der vorstehend festgestellte Abwägungsmangel ist auch erheblich im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F., denn er ist offensichtlich und auf das Abwä-gungsergebnis von Einfluss gewesen. (Wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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