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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 25.05.2009
Aktenzeichen: 12 A 2663/06
Rechtsgebiete: PfG NRW


Vorschriften:

PfG NRW § 12 Abs. 3 Satz 4
Bewohnen beide Eheleute vollstationäre Dauerpflegeeinrichtungen, steht jedem Ehegatten nach § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW ein Vermögensschonbetrag in Höhe von 10.000,00 Euro zu.
Tatbestand:

Die Klägerin lebte in dem Zeitraum, für den sie vom Beklagten die Gewährung von Pflegewohngeld begehrte, zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann in einer vollstationären Dauerpflegeeinrichtung im Sinne von § 12 des Landespflegegesetzes Nordrhein-Westfalen (PfG NRW). Zu Beginn des Bewilligungszeitraums verfügten die Klägerin und ihr Ehemann noch über ein Vermögen in Höhe von knapp unter 20.000 Euro. Zwischen den Beteiligten war streitig, ob das Vermögen in dieser Höhe noch vorhanden war. Das Einkommen beider Eheleute reichte zur Finanzierung der Aufwendungen für Investitionskosten unstreitig nicht aus. Das VG hatte der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 12 des Gesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes (Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen - PfG NRW) vom 19.3.1996 (GV. NRW, S. 137) in der ab 1.8.2003 geltenden Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 8.7.2003 (GV. NRW, S. 380) bzw. in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Art. 7 des Gesetzes zur Anpassung des Landesrechts an das SGB XII vom 16.12.2004 (GV. NRW, S. 816) i. V. m. § 4 der Pflegeeinrichtungsförderverordnung (PflFEinrVO) vom 15.10.2003. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 PfG NRW wird vollstationären Dauerpflegeeinrichtungen zur Finanzierung ihrer betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen Pflegewohngeld gewährt, wenn das Einkommen und das Vermögen der Heimbewohnerin und des Heimbewohners im Sinne des Absatzes 2 und seines nicht getrennt lebenden Ehegatten zur Finanzierung der Aufwendungen für Investitionskosten ganz oder teilweise nicht ausreicht. Die Vorschriften des Ersten bis Dritten Abschnitts des Elften Kapitels des SGB XII - bzw. in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung: des Vierten Abschnitts des BSHG - und die §§ 25 ff. BVG zur Bestimmung des anrechenbaren Einkommens und des Vermögens bei der stationären Hilfe zur Pflege gelten entsprechend (§ 12 Abs. 3 Satz 2 PfG NRW). Abweichend hiervon ist bei der Anrechnung des Einkommens der Heimbewohnerin und dem Heimbewohner ein weiterer Selbstbehalt von 50 Euro monatlich, mindestens jedoch der jeweilige Einkommensüberhang, zu belassen (§ 12 Abs. 3 Satz 3 PfG). Die Gewährung von Pflegewohngeld darf gemäß § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW nicht abhängig gemacht werden von dem Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge und sonstiger Geldwerte in Höhe von bis zu 10.000 Euro. Der Fünfte Abschnitt des Elften Kapitels des SGB XII - bzw. in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung: der fünfte Abschnitt des BSHG - und die §§ 27g und 27h des BVG finden keine Anwendung (§ 12 Abs. 3 Satz 5 PfG NRW).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegewohngeld lagen im streitbefangenen Zeitraum vor, da das Einkommen und das Vermögen der Klägerin und ihres Ehemanns zur Finanzierung der Aufwendungen für Investitionskosten nicht ausreichte. Dass nicht hinreichend Einkommen vorhanden war, ist unstreitig. Die Klägerin hatte im Anspruchszeitraum aber auch kein Vermögen einzusetzen, selbst wenn sie zu Beginn dieses Zeitraums zusammen mit ihrem Ehemann noch über ein solches in Höhe von knapp 20.000,00 Euro verfügt haben sollte. Denn sowohl der Klägerin als Heimbewohnerin als auch ihrem Ehemann, der zu dieser Zeit als Heimbewohner ebenfalls im Altenzentrum Q. lebte, standen jeweils der in § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW, § 4 Abs. 2 Satz 4 PflFEinrVO genannte Vermögensschonbetrag in Höhe von 10.000,00 Euro zu.

Das Landespflegegesetz NRW bestimmt seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich, dass der in § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW genannte Schonbetrag bei verheirateten Heimbewohnern jeweils für den einzelnen Ehegatten zugrunde zu legen ist. Dies ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der normativen Ausrichtung des Landespflegegesetzes an dem einzelnen Heimbewohner, dem Sinn und Zweck des Vermögensschonbetrages und dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe, der Benachteiligungen von verheirateten Heimbewohnern gegenüber nicht verheirateten Heimbewohnern entgegensteht.

Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 PfG NRW kommt es maßgebend auf das Einkommen und das Vermögen "der Heimbewohnerin" und "des Heimbewohners" im Sinne des Absatzes 2 und seines nicht getrennt lebenden Ehegatten an. Diese auf den einzelnen Heimbewohner ausgerichtete Sichtweise findet ihre Entsprechung in § 12 Abs. 3 Satz 3 PfG NRW. Die in § 12 Abs. 3 Satz 3 PfG NRW getroffene Regelung über den monatlichen Selbstbehalt bezieht sich ebenfalls nur auf die einzelne Heimbewohnerin bzw. den einzelnen Heimbewohner. Ohne eine Änderung des normativen Bezugs folgt im Satz 4 dieses Absatzes die Regelung, dass die Gewährung von Pflegewohngeld zudem nicht abhängig gemacht werden darf von dem Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge und sonstiger Geldwerte in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro.

Der hieraus erkennbare Grundsatz der individuellen, auf den einzelnen Heimbewohner bezogenen Einkommens- und Vermögensbestimmung wird durch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des Landespflegegesetzes NRW bestätigt, die am 1.8.2003 in Kraft getreten und mit der die bis dahin in § 1 Abs. 2 der Verordnung über Pflegewohngeld vom 4.6.1996 (Pflegewohngeldverordnung - PfGWGVO, GV. NRW, S. 200) enthaltene Regelung um den vorrangigen Vermögenseinsatz einschließlich der Vermögensfreigrenze von 10.000,00 Euro ergänzt und in den Rang eines formellen Gesetzes gehoben worden ist. Dieser Begründung ist zu entnehmen, dass Anknüpfungspunkt für die Überlegungen des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang allein die einzelne Heimbewohnerin bzw. der einzelne Heimbewohner war. Der Gesetzgeber ging danach davon aus, dass das Vermögen von Bewohnerinnen und Bewohnern vollstationärer Dauerpflegeeinrichtungen bei der Berechnung von Pflegewohngeld zukünftig angerechnet werde, wobei ein kleinerer Barbetrag oder sonstige Geldwerte bis 10.000,00 Euro unberücksichtigt bleiben sollten.

Vgl. LT-Drucks. 13/3498, S. 31.

Auch dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 12 Abs. 3 PfG NRW entspricht es, bei Ehegatten, die vollstationäre Dauerpflegeeinrichtungen bewohnen, einen höheren Vermögensschonbetrag zugrunde zu legen als bei alleinstehenden Heimbewohnern. Dieser liegt darin, dem Hilfebedürftigen einen gewissen Spielraum in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zu erhalten. Ein wirtschaftlicher Ausverkauf und eine daraus folgende nachhaltige soziale Abstufung sollen vermieden werden, wie sich aus der Bestimmung des hohen Vermögensschonbetrags und aus dem in § 12 Abs. 3 Satz 2 PfG NRW enthaltenen Verweis auf die Vorschriften des Ersten bis Dritten Abschnitts des Elften Kapitels des SGB XII (bzw. in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung: des Vierten Abschnitts des BSHG) und die §§ 25 ff. BVG, welcher eine Anwendbarkeit der Vorschriften über die Ausnahmen von der Vermögensverwertungspflicht nach § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII (in der früheren Fassung: § 88 Abs. 2 bis 4 BSHG) bzw. § 25f Abs. 2 bis 5 BVG zur Folge hat, ergibt.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14.10.2008 - 16 A 1409/07 -, NWVBl. 2009, 194 ff.

Das Landespflegegesetz NRW geht hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe Einkommen und Vermögen einzusetzen sind, aber sogar über die genannten Bestimmungen des SGB XII und des BVG hinaus und privilegiert den Heimbewohner, indem es das Pflegewohngeld bereits bei einer Einkommens- und Vermögenslage gewährt, die den Bezug von Sozialhilfe- bzw. Kriegsopferfürsorgeleistungen noch ausschließt. In den Genuss des Pflegewohngelds kommt grundsätzlich auch derjenige Heimbewohner, dessen Einkommen und/oder Vermögen über den sozialhilfe- und kriegsopferfürsorgerechtlichen Höchstbeträgen liegt. Für das Einkommen folgt dies aus § 12 Abs. 3 Satz 3 PfG NRW. Für das Vermögen beruht die Besserstellung auf dem hohen Schonbetrag nach § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW. Dieser liegt deutlich oberhalb des sozialhilferechtlichen Schonvermögens, das für einen pflegebedürftigen Heimbewohner heute im Regelfall auf 2.600,00 Euro begrenzt ist (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i. V. m. der zugehörigen Durchführungsverordnung). Der pflegewohngeldrechtliche Schonbetrag übersteigt auch den typischen Vermögensschonbetrag bei Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25f BVG, der derzeit bei 5.268,00 Euro liegt. Lediglich bei schwerstpflegebedürftigen Beschädigten und deren Hinterbliebenen im Sinne von § 26c Abs. 8 Satz 3 BVG bleibt das pflegewohngeldrechtliche Schonvermögen gegenwärtig um 536,00 Euro hinter dem des Bundesversorgungsg-esetzes zurück. Letzteres ändert an der grundsätzlichen Besserstellung der Heimbewohner hinsichtlich des Einsatzes des eigenen Vermögens aber nichts, weil der glatte Betrag von 10.000,00 Euro "aus Gründen der Praktikabilität" (LT-Drucks. 13/3498, S. 36) gewählt worden ist.

Vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Urteil vom 14.10.2008, a. a. O.

Dieser Privilegierung liefe es zuwider, wenn bei vollstationäre Dauerpflegeeinrichtungen bewohnenden Ehegatten nur der einfache Vermögensschonbetrag zur Anwendung käme. Es verbliebe hinsichtlich der Barbeträge und sonstiger Geldwerte nicht jedem Heimbewohner ein wirtschaftlicher Spielraum von 10.000,00 Euro zwecks Vermeidung des sozialen Abstiegs, sondern letztlich nur von 5.000,00 Euro. Dieser Betrag liegt sogar unter dem Vermögensschonbetrag bei Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25f BVG, so dass von einer Besserstellung des einzelnen Heimbewohners nicht mehr die Rede sein könnte.

Die Auslegung des § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW dahingehend, dass eine Pflegeeinrichtung bewohnenden Eheleuten ein höherer Vermögensschonbetrag zukommt, ist aber auch mit Blick auf den besonderen Schutz der Ehe durch Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV NRW und Art. 6 Abs. 1 GG sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geboten, da die Zugrundelegung des lediglich einfachen Schonbetrags die Eheleute gegenüber alleinstehenden Heimbewohnern ungerechtfertigt benachteiligen würde. Ein sachlicher Grund für eine derartige Schlechterstellung ergibt sich nicht etwa daraus, dass die nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten eine Bedarfsgemeinschaft bilden.

Vgl. dazu VG Münster, Urteil vom 9.5.2006 - 5 K 137/04 -, juris.

Daraus ist zwar eine gegenseitige Einstandspflicht mit der Folge der gemeinsamen Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens beider Eheleute abzuleiten (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 PfG NRW), es ist aber bei Eheleuten, die vollstationäre Pflegeeinrichtungen bewohnen, nicht auch zwangsläufig davon auszugehen, dass sie aufgrund einer - ansonsten bei Eheleuten üblichen - gemeinsamen Haushaltsführung geringere Kosten haben als bei getrennten Haushalten zweier Personen, die unter Umständen eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Berücksichtigung des Vermögensschonbetrags rechtfertigen könnten. Vielmehr gehen in der Regel mit der vollstationären Heimaufnahme je nach Umfang der Pflegebedürftigkeit erhebliche Aufwendungen für jede einzelne Person einher.

Dass Ehegatten im Vergleich zu Einzelpersonen ein höherer Vermögensschonbetrag zusteht, ist zudem weder dem Recht der Sozialhilfe noch dem der Kriegsopferfürsorge fremd. So wird zu dem Schonvermögen für die nachfragende Person nach der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII für den Ehegatten oder Lebenspartner ein Betrag von 614,00 Euro hinzugerechnet. Nach § 25f Abs. 2 BVG werden 4 vom Hundert des Bemessungsbetrags für den überwiegend unterhaltenen Ehegatten oder Lebenspartner hinzugerechnet. Mangels einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung hinsichtlich eines erhöhten Vermögensschonbetrags für Eheleute, die beide Heimbewohner sind, ist insofern davon auszugehen, dass jedem Heimbewohner der in § 12 Abs. 3 Satz 4 PfG NRW genannte Vermögensschonbetrag in Höhe von 10.000,00 Euro zugute kommt.

So angedeutet in: OVG NRW, Beschluss vom 8.10.2004 - 16 B 1664/04 -: "für eine Einzelperson 10.000 Euro".

Damit hätte im Bewilligungszeitraum hinsichtlich des (unterstellten) Vermögens der Klägerin und ihres Ehemanns in Höhe von knapp 20.000,00 Euro nach Abzug des dem Ehemann zustehenden Vermögensschonbetrags in Höhe von 10.000,00 Euro und des der Klägerin zustehenden Vermögensschonbetrags in derselben Höhe kein einsetzbares Bar- oder Sparvermögen zur Verfügung gestanden.

Dafür, dass die Klägerin im fraglichen Bewilligungszeitraum über weitere Vermögenswerte verfügte, ist (nunmehr auch nach Ansicht des Beklagten) nichts ersichtlich (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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