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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.03.2004
Aktenzeichen: 12 A 3993/02
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 92 a Abs. 4
Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG erlischt in entsprechender Anwendung des § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem er aufgrund der Rücknahme der rechtswidrigen Sozialhilfebewilligung entstanden ist.
Tatbestand:

Die verheirateten Kläger zu 1. und 2. und ihre Kinder, die Kläger zu 3. bis 5., bezogen ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt vom Beklagten. Im Februar 1998 nahm der Beklagte gegenüber den Klägern zu 1. und 2. sowie gegenüber den Klägern zu 3. bis 5. verschiedene Bewilligungsbescheide gemäß § 45 SGB X zurück und forderte die Kläger zu 1. und 2. gemäß § 50 SGB X zur Erstattung von bewilligten Leistungen auf. Deren Widersprüche wies der Beklagte im März 1999 im Wesentlichen zurück, bezifferte hinsichtlich des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. eine Kostenersatzforderung wegen gewährter Leistungen und forderte beide gemäß § 92 a Abs. 4 BSHG jeweils zur Erstattung der ihnen selbst gewährten Beträge sowie im Rahmen gesamtschuldnerischer Haftung zur Erstattung der den jeweils anderen Klägern zu Unrecht gezahlten Leistungen auf. Hiergegen erhoben die Kläger Klage und machten geltend, die Voraussetzungen für die Rücknahme und die Kostenersatzforderung seien nicht erfüllt. Zudem seien die Kostenersatzansprüche für das Jahr 1994 gemäß § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG verjährt. Das VG hob den Bescheid des Beklagten vom Februar 1998 in der Gestalt der gegen die Kläger zu 1. und 2. gerichteten Widerspruchsbescheide vom März 1999 insoweit auf, als von den Klägern zu 1. und 2. auf der Grundlage von § 92 a Abs. 4 BSHG die im Jahre 1994 an die Kläger zu 2. bis 5. gewährten Sozialhilfeleistungen "zurückgefordert" wurden, und wies die Klage im Übrigen ab. Die dagegen gerichtete, vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Nach § 92 a Abs. 4 BSHG, der durch Gesetz vom 21.12.1993 (BGBl. I S. 2374) mit Wirkung vom 1.1.1994 in das BSHG eingefügt worden ist, ist zum Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe (§ 50 SGB X) in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 verpflichtet, wer die Leistung durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat (Satz 1); zum Kostenersatz nach Satz 1 und zur Erstattung derselben Kosten nach § 50 SGB X Verpflichtete haften nach Satz 2 der Bestimmung als Gesamtschuldner. Nach Maßgabe dieser Regelungen ist der gegenüber dem Kläger zu 1. erhobene Anspruch entstanden.

Die Forderung von Kostenersatz nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG setzt nach der Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteil vom 20.11.1997 - 5 C 16.97 -, BVerwGE 105, 374=FEVS 48, 243, welcher der Senat folgt, die Rücknahme (vgl. § 45 SGB X) der Bewilligung derjenigen Leistungen voraus, deren Ersatz gefordert wird. Dies ergibt sich schon aus der in dieser Vorschrift enthaltenen (Rechtsgrund-)Verweisung auf § 50 SGB X. Der darin geregelte Erstattungsanspruch entsteht erst mit der Aufhebung der Leistungsbewilligung.

Die erforderliche Rücknahme liegt hier vor. (Wird ausgeführt)

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Entstehung einer Forderung von Kostenersatz nach § 92 a Abs. 4 BSHG liegen vor.

Dass die Leistungen, deren Ersatz verlangt wird (Regelsatzleistungen abzüglich des Kindergelds und des Kindergeldzuschlags als Einkommen der Kinder, anteilig für die Abwesenheitstage), gegenüber den Klägern zu 2. bis 5. im Umfang der Ersatzforderung zu Unrecht (rechtswidrig) erbracht wurden, ergibt sich aus der (inzwischen bestandskräftigen) Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X. Sofern deren Bindungswirkung nur gegenüber dem unmittelbaren Adressaten und nicht auch gegenüber dem Kläger zu 1. besteht, ist jedenfalls auch in der Sache von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung auszugehen. (Wird ausgeführt)

Die Erbringung der rechtswidrigen Leistungen ist auch durch jedenfalls grob fahrlässiges und sozialwidriges Verhalten herbeigeführt worden. Die Unterlassung der genannten Angaben über die Aufenthaltsverhältnisse ist als besonders schwerwiegende Verletzung der vom Kläger zu 1. zu beachtenden, durch die Mitwirkungspflichten konkretisierten Sorgfaltsanforderungen (vgl. die Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) zu werten, da der Kläger zu 1. sich ausdrücklich verpflichtet hatte, Änderungen der Verhältnisse auch in Bezug auf vorübergehende Abwesenheiten mitzuteilen, und er zudem durch den Zusatz in dem Bewilligungsbescheid an diese Verpflichtung erinnert worden war.

Der mithin entstandene Anspruch des Beklagten gegen den Kläger zu 1. auf Kostenersatz nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG ist nicht erloschen.

Nach § 92 a Abs. 3 Satz 1 BSHG erlischt ein Anspruch auf Kostenersatz nach § 92 a Abs. 1 BSHG in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist. Diese Regelung, die den Ersatz der Kosten rechtmäßiger Sozialhilfegewährung betrifft, vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 5.5.1983 - 5 C 112.81 -, BVerwGE 67, 163 = FEVS 33, 5, ist nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG auf den Anspruch auf Ersatz der Kosten zu Unrecht gewährter Sozialhilfe "entsprechend" anzuwenden. Der die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Ansicht, dass die Erlöschensregelung auch im Rahmen der entsprechenden Anwendung so zu lesen sei, dass die Frist mit dem Ende des Jahres der tatsächlichen Leistungsgewährung beginne, so etwa auch Conradis, in Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, 6. Aufl. 2003, Rz. 18 zu § 92 a BSHG und wohl auch Hamb. OVG, a.a.O., offen hierzu OVG Bbg., Urteil vom 27.1.2000 - 4 A 111/97 -, FEVS 51, 555, ist nicht zu folgen.

Eine "entsprechende" Anwendung der Erlöschensregelung im Bereich des Ersatzes der Kosten rechtswidriger Hilfe nach § 92 a Abs. 4 BSHG bedeutet vielmehr, dass die tatsächliche Leistungserbringung allein für den Fristbeginn nicht ausreichend ist, es vielmehr auch der - für die Entstehung des Anspruchs erforderlichen - Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbewilligung bedarf.

Eine "entsprechende" Inbezugnahme von Vorschriften bedeutet, dass diese nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einschlägigen Regelungsbereichs und des Zwecks der gesetzlichen Regelung, die die Inbezugnahme anordnet, angewandt werden sollen.

Vgl. etwa für die Anwendung sozialhilferechtlicher Bestimmungen im Jugendhilferecht: BVerwG, Urteile vom 14.10.1988 - 5 C 48.85 -, FEVS 38, 45/51, sowie vom 26.10.1989 - 5 C 34.86 -, FEVS 39, 1/14.

Das Erlöschen eines Anspruchs auf Kostenersatz wegen zu Unrecht erbrachter Sozialhilfe nach § 92 a Abs. 4 BSHG setzt, wie der Anspruch auf Kostenersatz nach § 92 a Abs. 1 BSHG in unmittelbarer Anwendung, der sich auf rechtmäßige Sozialhilfeleistungen bezieht, voraus, dass der Anspruch bereits entstanden ist. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinen Verständnis des Rechtsbegriffs des "Erlöschens" eines Anspruchs, wie es etwa in verschiedenen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts zum Ausdruck gelangt ist (vgl. etwa §§ 362, 389, 397 BGB). Für die Forderung von Kostenersatz nach rechtmäßiger Hilfegewährung gemäß § 92 a Abs. 1 BSHG ergeben sich daraus keine gesonderten Anforderungen, da dieser Anspruch grundsätzlich bereits mit der tatsächlichen Erbringung der rechtmäßigen Hilfe entsteht. Demgegenüber ist bei dem Kostenersatz wegen zu Unrecht erbrachter Hilfe nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG als Besonderheit zu berücksichtigen, dass - wie oben ausgeführt - für die Entstehung des Anspruchs eine vorherige Rücknahme der Sozialhilfebewilligung notwendig ist.

Die auf dieser Besonderheit des § 92 a Abs. 4 BSHG beruhende Anknüpfung des Fristbeginns an die für die Entstehung des Anspruchs konstitutive Rücknahme der Leistungsbewilligung entspricht im Übrigen auch dem Rechtscharakter dieses Ersatzanspruchs. Er ist als quasi-deliktischer Anspruch (vgl. § 823 BGB) einzustufen.

Vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 5.10.1999 - 5 C 27.98 -, BVerwGE 109, 346 = FEVS 51, 215, sowie Schellhorn/Schellhorn, a.a.O., Rz. 6.

Für derartige Ansprüche, die dem Ausgleich durch deliktische Handlungen verursachter Schäden dienen, gilt etwa auch im Zivilrecht (vgl. § 852 BGB a.F., §§ 195, 199 BGB in der seit Januar 2002 geltenden Fassung) grundsätzlich, dass die regelmäßige kurze (dreijährige) Verjährung nicht vor der Anspruchsentstehung beginnt. Die entsprechenden Regelungen des Bürgerlichen Rechts (§ 852 BGB a.F.) hat das BVerwG etwa für den vergleichbaren Tatbestand des Kostenersatzes im Ausbildungsförderungsrecht als Anhaltspunkt herangezogen.

Vgl. zum Kostenersatz nach § 47a BAföG: BVerwG, Urteil vom 25.11.1992 - 11 C 4.92 -, NJW 1993, 2328.

Dieses Verständnis der Bestimmung korrespondiert schließlich auch mit der aus den Materialien erkennbaren Intention der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, mit der Einführung des § 92 a Abs. 4 BSHG die Möglichkeiten des Sozialhilfeträgers zur Herstellung des Nachrangs durch Kostenersatz über die zuvor lediglich gegebene Möglichkeit einer Erstattungsforderung gegen den Leistungsempfänger auf der Grundlage des § 50 SGB X hinaus zu erweitern.

Vgl. dazu Linhart, NDV 1996, 354/357, sowie die Begründung des Bundestagsausschusses für Familie und Senioren (auf dessen Vorschlag die Regelung eingefügt wurde), BT-Drs. 12/5930, S. 4.

Wollte man mit dem Beklagten - entgegen den vorstehenden Ausführungen - für den Beginn der Erlöschensfrist hingegen auf die bloße Erkennbarkeit oder jedenfalls die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Hilfegewährung abstellen, ergäbe sich für den vorliegenden Fall kein anderes Entscheidungsergebnis, da vor Ende Oktober 1996 nicht erkennbar gewesen sein dürfte, dass die Hilfe rechtswidrig gewährt worden war, und 1999, vor Ablauf von drei Jahren, der Leistungsbescheid erging. Dazu ist gleichwohl zu bemerken, dass - wie auch das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - der Gesetzeswortlaut für eine solche Auslegung auch unter Berücksichtigung einer "entsprechenden" Anwendung keine hinreichenden Anknüpfungsmöglichkeiten bieten dürfte.

Ende der Entscheidung

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