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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.03.2004
Aktenzeichen: 12 A 714/03
Rechtsgebiete: BSHG, RegelsatzVO


Vorschriften:

BSHG § 12
BSHG § 21
RegelsatzVO § 3
1. Unterkunftskosten sind im Sinne des § 3 der RegelsatzVO angemessen, wenn sie das Produkt aus dem Betrag der noch angemessenen Wohnungsgröße in Quadratmetern und dem noch angemessenen Mietzins je Quadratmeter nicht übersteigen.

2. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Wohnungsgröße ist - abweichend von den in den Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsrecht angegebenen maximalen Quadratmeterwerten - auf eine zur Deckung des Wohnbedarfs des jeweiligen Haushalts ausreichende Wohnungsgröße abzustellen, wenn entsprechende Wohnungen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt tatsächlich verfügbar sind. Hierfür trifft den Sozialhilfeträger die Darlegungs- und Beweislast.


Tatbestand:

Die Kläger, eine Familie mit 9 Kindern, bewohnten eine 104,32 qm große, erstmals zum 1.1.1997 bezugsfertig gewordene Wohnung am T.-Weg im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, für die eine Gesamtmiete von monatlich 1875,20 DM zu entrichten war. Darin waren 156,50 DM Heizkosten sowie 313 DM Umlagen für Nebenkosten enthalten. Ausweislich des örtlichen Mietspiegels liegt der T.-Weg im Rahmen der Bewertung von Wohnlagen nach sehr gut, gut, mittel und einfach in der Kategorie "mittel". Den Antrag der Kläger auf Bewilligung einer Weihnachtsbeihilfe lehnte die Beklagte ab und führte zur Begründung aus: Der Bedarf der Familie für das Weihnachtsfest könne aus dem den Bedarf übersteigenden Einkommen gedeckt werden. Bei der Bedarfsberechnung seien Unterkunftskosten nicht in tatsächlicher Höhe, sondern lediglich in dem angemessenen Umfang zu berücksichtigen. Anzuerkennen seien danach Unterkunftskosten in Höhe von 1257,06 DM (104,32 qm x 12,05 DM) zuzüglich 156,50 DM Heizkosten. Auf den Widerspruch der Kläger änderte die Beklagte den angegriffenen Bescheid, bewilligte eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 84 DM und führte hierzu aus, unter Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge und der verringerten Arbeitslosenhilfe für die Klägerin zu 2. verringere sich der Einkommensüberschuss. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Das VG wies die Klage ab. Die zugelassene Berufung der Kläger hatte teilweise Erfolg.

Gründe:

Die Bedarfsberechnung der Beklagten ist im Wesentlichen zutreffend, sie ist lediglich in Bezug auf den Umfang der berücksichtigten Unterkunftskosten zu beanstanden.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung. Das zuständige Gericht überprüft, ob die Wohnungskosten angemessen im Sinne der §§ 11, 12, 22 BSHG - hier maßgeblich in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.3.1994 (BGBl. I S. 646) i.V.m. § 3 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG vom 20.7.1962 (BGBl. I S. 515) in der durch Gesetz vom 23.7.1996 - BGBl. I S. 1088 geänderten Fassung - RegelsatzVO - sind. Maßgeblich für die Höhe der Unterkunftskosten sind im Regelfall, in dem eine von einem Dritten gemietete Wohnung bewohnt wird, die Wohnfläche sowie der Mietzins je Quadratmeter Wohnfläche. Hierbei ist davon auszugehen, dass sich die Höhe des vereinbarten Mietzinses - neben der allgemeinen Lage bzw. hier nicht zu berücksichtigenden Faktoren individueller Mietpreisüberhöhung - im Wesentlichen nach dem Wohnungsstandard, d.h. wohnwertrelevanten Faktoren wie Ausstattung, Alter der Bausubstanz und Wohnlage richtet.

Die sogenannte "Kombinationstheorie" stellt auf eine Würdigung dieser Einzelmerkmale ab und kommt in Fällen, in denen der Mietzins je Quadratmeter (auch bei einer die Grenze des Angemessenen deutlich unterschreitenden Wohnungsfläche) als unangemessen zu werten ist, zur Unangemessenheit der Unterkunftsaufwendungen.

So etwa Rothkegel, ZfSH/SGB 2002, 585, 657, S. 663ff.

Ein solcher Fall liegt hier vor.

Auf der Grundlage der "Kombinationstheorie" erweisen sich die Aufwendungen für die Unterkunft der Kläger, die keine Bemühungen um eine andere Unterkunft nachgewiesen haben, als unangemessen, weil der Mietzins je Quadratmeter bei Weitem über dem Maß des sozialhilferechtlich Angemessenen liegt. Er beläuft sich auf "bruttokalt" 16,47 DM (Miete ohne Heizkosten aber incl. sonstiger Nebenkosten = 1718,70 DM /104,32 qm), "nettokalt" auf 13,47 DM (1405,70 DM/ 104,32 qm). Dieser Betrag ist ungeachtet der Frage der Angemessenheit der Nebenkosten und ihrer Bedeutung für die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nach den maßgeblichen Grundsätzen eindeutig unangemessen.

Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses je Quadratmeter ist nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die Beträge abzustellen, die im unteren Bereich des Wohnungsmarktes für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblich sind.

Vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11.93 -, FEVS 45, 363, sowie OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2000 - 22 B 36/00 -, jeweils m.w.N.

Dies ist dahin zu verstehen, dass nicht die unterste Grenze, d. h. der Mindestbetrag, zu dem noch Wohnraum vermietet wird, maßgeblich ist, sondern ein Betrag innerhalb einer Spannbreite für einfache Wohnungen älterer Bauart vereinbarter Mieten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.3.2000, a.a.O.

Danach kommen hier bei der gebotenen Heranziehung des Mietpreisspiegels 2000 für die Stadt C. als Bezugsgröße in erster Linie die Mietwerte vergleichbar großer Wohnungen in der Spalte 1 - einfache Wohnlage - sowie in gewissem Umfang auch der mittleren Wohnlage bei einfacher Ausstattung und älterem Baujahr in Betracht. Die Mietwerte dieser Bereiche liegen sämtlich zwischen knapp 8 bis etwas über 10 DM ("nettokalt"). Beträge, die der Größenordnung des für die Wohnung der Kläger vereinbarten Mietzinses ab 13 DM entsprechen, finden sich erst in der Kategorie sehr gut ausgestatteter Neubau-Wohnungen in mittlerer Lage bzw. guter Wohnlagen.

Dem entspricht in etwa bei Addition durchschnittlicher Beträge für sonstige Nebenkosten der von der Beklagten zugrunde gelegte Betrag einer noch angemessenen Miete von "bruttokalt" 12,05 DM, wobei letztlich dahin stehen mag, ob der Betrag exakt zutreffend ist. Legt man diesen Betrag zugrunde, ist die tatsächliche Miete der Kläger je Quadratmeter Wohnfläche nicht mehr angemessen.

Diese Wertung ist indes nicht zugrunde zu legen.

Vielmehr ist auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmetermietzins abzustellen - sog. "Produktmethode" -.

So auch OVG NRW, Beschluss vom 7.9.1995 - 24 B 2057/95 -, S. 9 des Beschlussabdrucks; BayVGH, Beschluss von 29.4.1999 - 12 CE 98.2658 -, FEVS 51, 116, und Beschluss vom 15.10.1993 - 12 CE 93.2538 -, FEVS 45, 159; Berlit, Anmerkung zur Entscheidung des Senats vom 10.10.2001 - 12 E 478/00 -, info also 2002, 232, sowie Anmerkung zum Urteil des BVerwG vom 28.11.2001 - 5 C 9.01 -, info also 2002, 128; Paul, ZfSH/SGB 1997, 724/729; Hofmann, in: Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, 6. Aufl., Rz. 23 zu § 12; Wenzel, in Fichtner, BSHG, 2. Aufl., Rz. 10 zu § 12.

Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO. Danach werden bei Zusammenschau der beiden ersten Sätze laufende Leistungen für die Unterkunft gewährt, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen. Das heißt, dass Sozialhilfe grundsätzlich nur für angemessene Kosten der Unterkunft gewährt wird.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14.9.2001 - 12 A 4923/99 -, NVwZ-RR 2002, 441 m.w.N.

Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 der RegelsatzVO stellt mithin auf die Angemessenheit der "Unterkunftskosten" als den die Gewährung im Umfang der tatsächlichen Kosten begrenzenden Parameter ab. Nach dieser Bestimmung drängt sich nicht auf, die Betrachtung von einzelnen, für die Höhe des Produkts konstitutiven Faktoren maßgeblich sein zu lassen.

Allerdings ist bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung der durch die gesetzliche Ermächtigung in § 22 BSHG gesetzte Rahmen und der Zweck des ermächtigenden Gesetzes zu berücksichtigen. Letztlich ist Grundlage der Regelungen über die Gewährung von Unterkunftskosten § 11 in Verbindung mit § 12 BSHG, wonach zum notwendigen Lebensunterhalt auch "die Unterkunft" zählt. Eine Abweichung von diesem Maßstab ist durch § 22 Abs. 5 BSHG nicht vorgesehen. Zwar kann danach, wie es in §§ 1, 3 der RegelsatzVO geschehen ist, für die von der Gewährung nach Regelsätzen ausgenommenen laufenden Leistungen für die Unterkunft hinsichtlich ihrer Gestaltung "Näheres" bestimmt werden. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass es um einen Unterkunftsbedarf und nicht lediglich einen Bedarf an Kosten für die Unterkunft geht.

Vgl. zu diesem auf einen "Sachbedarf" abstellenden Ansatz auch Schmidt, NVwZ 1995, 1041ff.

Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass eine isolierte Untersuchung einzelner Merkmale der jeweiligen Wohnung unter dem Blickwinkel sozialhilferechtlicher Angemessenheit geboten und deren je einzelne sozialhilferechtliche "Angemessenheit" notwendige Voraussetzung für die Kostenübernahme wäre.

So aber offenbar der Ansatz von Rothkegel, a.a.O. S. 663ff.

Stattdessen sind vielmehr die verschiedenen Angemessenheitskriterien in eine Gesamtbetrachtung einzustellen und gegen- sowie miteinander abzuwägen.

Vgl. Schmidt, a.a.O., S. 1044.

Der sachliche Bedarf an "Unterkunft" kann unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auf unterschiedliche Weise angemessen gedeckt werden. Dies kann in der Weise geschehen, dass eine Wohnung mit (noch) angemessener Größe und dem anzuerkennenden Wohnungsstandard genutzt wird. Dem gleich zu stellen ist eine Bedarfsdeckung durch eine Wohnung mit geringerer Wohnfläche und etwas gehobenerem Wohnungsstandard hinsichtlich Ausstattung, Wohnlage oder Alter der Bausubstanz.

Zwischen diesen Alternativen wählen zu dürfen, ist zwar nicht durch das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG gewährleistet. Es bezieht sich nämlich nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen der Bedarfsdeckung, die jeweils im Bereich des notwendigen Bedarfs liegen, vgl. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., Rz. 14 zu § 3, m. w. Nachw., und kann deshalb nicht unmittelbar für die Bestimmung des zu deckenden Bedarfs herangezogen werden. Ein Verständnis des Begriffs des sozialhilferechtlichen Bedarfs an "Unterkunft", das eine gewisse Auswahl des Hilfeempfängers hinsichtlich verschiedener Wohnungen gleicher Preislage bei Unterschieden der preisbildenden Faktoren erlaubt, entspricht aber den Vorgaben der für die Bedarfsbemessung konstitutiven Bestimmung des § 3 Abs. 1 BSHG. Danach richten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Diese Bedarfsbemessung nach § 3 Abs. 1 BSHG ist nicht zwingend allein auf objektive Aspekte beschränkt. Mit Blick auf den Grundsatz des § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG, wonach die Sozialhilfe die Führung eines Lebens ermöglichen soll, das der Würde des Menschen entspricht, ist der Bedarfsbegriff in § 3 Abs. 1 BSHG für eine Beeinflussung durch subjektive Präferenzen des Hilfeempfängers in dem vorgenannten Umfang offen.

Nach der demnach vorzugswürdigen "Produktmethode" sind die Aufwendungen für die Unterkunft der Kläger angemessen, weil sie deutlich unterhalb des Betrages liegen, der sich ergibt, wenn die maximal angemessene Wohnfläche von 195 qm mit einem angemessenen Quadratmeterpreis von etwa 12,- DM ("brutto-kalt") multipliziert wird.

Bei der Bestimmung des sozialhilferechtlich angemessenen Wohnraumbedarfs in Bezug auf die Fläche wird in der Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auf die für Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannten Wohnraumgrößen zurückgegriffen. Diese Obergrenzen dürfen in der Regel nicht überschritten werden, soll es sich noch um eine angemessene Wohnungsgröße im Sinne des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO handeln.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.1994, a.a.O.

Die danach für elf Personen maximal zu berücksichtigende Wohnfläche beträgt 195 qm (vgl. Ziffer 5.21 Buchst. b der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungs-bindungsgesetz (SMBl. 238).

Allerdings sind nicht ausnahmslos bei der Ermittlung der "abstrakt" angemessenen Unterkunftskosten in die Berechnung die vorgenannten Wohnflächen nach den Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz einzustellen. Vielmehr kann nach den Besonderheiten des örtlichen Wohnungsmarktes auch eine geringere Fläche anzusetzen sein. Insbesondere bei sehr kleinen Haushalten kommt je nach Lage des Wohnungsmarkts die Berücksichtigung einer geringeren Fläche in Betracht. Das wird dann der Fall sein, wenn nach den Verhältnissen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt Wohnungen mit der für den jeweiligen Haushalt erforderlichen Anzahl an Zimmern entsprechend den genannten Vorschriften (ein Zimmer je Person) vorhanden sind, die zu einem je Quadratmeter angemessenen Mietzins vermietet werden. Insoweit obliegt aber dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die Darlegung dafür, dass in seinem Bereich nach diesen örtlichen Besonderheiten von einer geringeren Wohnfläche ausgegangen werden darf, als nach den Obergrenzen des Wohnungsbindungsrechts vorgesehen. Auch auf dieser Grundlage ist allerdings hier von einer Wohnfläche von 195 qm bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten nach der Produktmethode auszugehen. Denn die Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass auf dem Wohnungsmarkt der Stadt C. für 11 Personen ausreichende Wohnungen unterhalb einer Wohnflächenobergrenze von 195 qm vorhanden waren, die bei Zugrundelegung eines angemessenen Mietzinses je Quadratmeter weniger als die Wohnung der Kläger gekostet hätten.

Ende der Entscheidung

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