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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.08.2004
Aktenzeichen: 13 A 2272/04
Rechtsgebiete: GG, VwGO, RettG NRW


Vorschriften:

GG Art. 12
VwGO § 124
VwGO § 124 a
RettG NRW § 6
RettG NRW § 19 Abs. 4
Zu den Erfordernissen der Begründung eines Berufungszulassungsantrags im Zusammenhang mit der Rechtsprechung, dass in NRW einem Privaten bei Beantragung einer rettungsrechtlichen Genehmigung die Funktionsschutzklausel nach § 19 Abs. 4 RettG NRW nur dann entgegengehalten werden kann, wenn der öffentliche Rettungsdienst selbst in der Notfallrettung die Eintreffzeiten von 8 Minuten innerstädtisch und 12 Minuten sonst in mindestens 90 % der Fälle einhält.
Tatbestand:

Der Beklagte, der Landrat eines Kreises in NRW, wurde vom VG verurteilt, der Klägerin, einem privaten Rettungsunternehmen, Genehmigungen für 2 KTW zu erteilen. Mit dem Zulassungsantrag wendete sich der Beklagte gegen die Rechtsprechung, dass in NRW die Funktionsschutzklausel nur dann einem Privaten entgegengehalten werden dürfe, wenn der öffentliche Rettungsdienst die Eintreffzeiten in der Notfallrettung selbst im Grundsatz einhält. Die Berufung wurde vom OVG nicht zugelassen.

Gründe:

Der Antrag hat schon deshalb keinen Erfolg, weil für keinen der geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 VwGO dem Darlegungserfordernis nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt ist. Dieser Mangel folgt für alle genannten Zulassungsgründe daraus, dass die Zulassungsschrift keine Ausführungen dazu enthält, dass die geltend gemachten Einwände bei ihrem Vorliegen - zumindest wahrscheinlich - ein anderes Entscheidungsergebnis rechtfertigen würden. Außerdem liegen die geltend machten Zulassungsgründe nicht vor. Im Einzelnen (wobei der Reihenfolge der Zulassungsbegründung gefolgt wird):

1. Eine Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt ausdrücklich voraus, dass im Falle einer Abweichung das erstinstanzliche Urteil auf dieser Abweichung beruht. Hierzu fehlt jede Darlegung in dem Sinne, dass die Eintreffzeit in der Notfallrettung in S. zu 90 %, entsprechend OVG NRW, Beschluss vom 15.3.2004 - 13 B 16/04 -, VRS 106, 479, eingehalten wird, während das VG von dem Erfordernis von 95 % der Fälle ausgegangen ist. Darüber hinaus liegt aber auch eine Divergenz überhaupt nicht vor. Sie setzt nämlich nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass das Verwaltungsgericht einem Rechtssatz eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte einen abweichenden eigenen entgegengesetzt hat. Verhindern soll die Vorschrift eine Divergenz grundsätzlicher Art, nicht eine solche im Einzelfall, etwa durch Übersehen oder Missverstehen einer Entscheidung. Deshalb liegt die behauptete Divergenz weder hinsichtlich der erforderlichen Prozentzahl für die Einhaltung der Eintreffzeiten noch hinsichtlich der vom Beklagten aus dem Beschluss des Senats vom 15.3.2004 (a.a.O.) herausgelesenen Entwicklung der Kosten und Ertragslage vor.

2. Hinsichtlich der für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage, ob das Eingreifen der sog. Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG in einem Verfahren zur Genehmigung zur Zulassung im Krankentransport auf die Einhaltung von Eintreffzeiten in der Notfallrettung verkürzt werden darf, lässt sich der Zulassungsschrift zwar entnehmen, dass die Beklagte diese Frage verneint wissen möchte und warum. Eine grundsätzliche Bedeutung der Frage, insbesondere deren Entscheidungserheblichkeit wird jedoch nicht dargelegt. Es ist auch nicht Aufgabe des Senats, aus einer solchen Meinungsäußerung die möglicherweise enthaltenen Darlegungselemente herauszufiltern.

3. Schließlich hat der Beklagte auch zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt, dass bei Berücksichtigung seiner Argumente das erstinstanzliche Urteil wahrscheinlich im Ergebnis unrichtig ist. Es bestehen beim Senat bei Berücksichtigung der insoweit vorgetragenen Einwände keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Die Behauptung, der Gesetzgeber habe von der Möglichkeit, die Eintreffzeiten und das Sicherheitsniveau festzulegen, bewusst keinen Gebrauch gemacht, ist so nicht richtig. Zwar stehen solche Erfordernisse nicht im Gesetz. Der Gesetzgeber hat jedoch das Rettungsgesetz mehrfach (1999 und 2001) geändert und auch in Kenntnis der schon mit Beschluss vom 2.8.1994 - 13 B 1085/94 -, OVGE 44, 126 = NWVBl 1995, 26 = RettD 1994, 35 entwickelten Auffassung des Senats keine diese korrigierende gesetzliche Regelung geschaffen, die Rechtsprechung des Senats zu diesem Punkt also hingenommen.

Auch die Ausführungen, der Gesetzgeber habe die Festsetzung der Eintreffzeiten und des Sicherheitsniveaus den Kreisen und kreisfreien Städten als Aufgabe übertragen und diese könnten daher die Festlegung im Bedarfsplan vornehmen, ist nicht zielführend. Hierum geht es nämlich nicht. Die Frage ist vielmehr nur, ob Privatunternehmer, die wie die Klägerin im Rahmen der grundsätzlichen Berufsfreiheit, die Art. 12 GG gewährt, Krankentransport ausüben wollen, hieran gehindert werden dürfen; der Senat hat dagegen nie verlangt, dass die Eintreffzeiten in der Notfallrettung wirklich in seinem Sinne (höchstens 8 Minuten im städtischen und höchstens 12 Minuten im ländlichen Bereich) zur Grundlage der Planung nach §§ 6, 12 RettG zu machen wären. Mit allein diesem Bezug legt der Senat in ständiger Rechtsprechung Satz 1 von § 19 Abs. 4 RettG dahin aus, dass für ein Eingreifen dieser Vorschrift das Bestehen eines funktionsfähigen Rettungsdienstes i.S.v. § 6 RettG Voraussetzung ist und verlangt als wichtigstes Kriterium - weil medizinisch geboten und oft lebenswichtig - unter Rückgriff auf die Zeitvorgaben in den Gesetzesmaterialien - vgl. Beschluss vom 2.8.1994 (a.a.O.) - für die Bejahung eines funktionsfähigen Rettungsdienstes die Einhaltung der Eintreffzeiten von 5 - 8 Minuten innerörtlich und 12 Minuten sonst.

Vgl. zur Beschränkung auf das Kriterium der Eintreffzeiten OVG NRW, Beschluss vom 8.7.2004 - 13 B 1790/03 -, zur Veröffentlichung bestimmt.

Diese Auslegung rechtfertigt sich daraus, dass es im Lichte des Grundrechts aus Art. 12 GG unredlich und unbillig, wenn nicht gar unzulässig wäre, die Berufsfreiheit Privater - zumal auf dem der Sache nach nicht zwingend zum Rettungsdienst gehörigen, aber durch gesetzgeberischen Willensakt in diesen einbezogenen Gebiet des Krankentransports - einzuschränken, obwohl der Staat das wichtigste Kriterium eines funktionierenden Rettungsdienstes selbst nicht erfüllt. Insofern werden auch die Ausführungen des Beklagten zu den Unterschieden von Notfall- und Krankentransport und der Schlussfolgerung, wegen dieser Unterschiede müsse die Funktionsfähigkeit der beiden Teilgebiete getrennt beurteilt werden, der Rechtsprechung des Senats nicht gerecht und vermögen ernstliche Zweifel nicht auszulösen. Auch wenn die Beklagte dies anders sieht, sind Notfallrettung und Krankentransport beides Teile eines funktionsfähigen Rettungsdienstes.

Weiter übersieht der Beklagte - er setzt sich jedenfalls nicht damit auseinander -, dass nach § 17 Abs. 4 Nr. 1 RettG - einer möglicherweise als Reaktion auf die Rechtsprechung des Senats eingeführten Regelung - die oberste Aufsichtsbehörde allgemeine und besondere Weisungen (u. a.) für Eintreffzeiten am Notfallort erteilen kann (dies jedoch bisher nicht getan hat). Auch dies spricht gegen die Auffassung des Beklagten, es komme nur auf seine planerischen Vorgaben hinsichtlich der Eintreffzeiten an. Deshalb ist auch der Hinweis darauf, dass die Eintreffzeiten der Kompromiss zwischen notfallmedizinischen Erfordernissen und dem wirtschaftlich Realisierbaren sei, zwar richtig für die Planung, nicht aber im Hinblick darauf, ob bei Verlängerung der Eintreffzeiten aus Kostengründen gleichwohl das Grundrecht aus Art. 12 GG durch § 19 Abs. 4 RettG wirksam eingeschränkt werden soll und kann. Soweit der Senat mit Beschluss vom 15.3.2004 - 13 B 16/04 - (a.a.O.) entschieden hat, die Eintreffzeiten seien im Rahmen der Prüfung der Voraussetzung "funktionsfähiger Rettungsdienst" in § 19 Abs. 4 S. 1 RettG in 90 % der Fälle einzuhalten, und dies auch mit Kostengesichtspunkten begründet hat, hat er dies wegen der allgemeinen Richtigkeit dieses Gesichtspunktes getan und zum Ausdruck bringen wollen, dass die Kosten- und Ertragslage auch im Rahmen der - eventuellen späteren - Prüfung nach § 19 Abs. 4 S. 3 RettG bedeutsam ist.

Schließlich hat der Beklagte auch nicht dargelegt oder auch nur geltend gemacht, dass bei einer Berücksichtigung der ländlichen Gebiete der Stadt S. mit 12 Minuten dem Eintrefferfordernis von 8 bzw. 12 Minuten in mindestens 90 % der Fälle Rechnung getragen wird, was angesichts der im Eilverfahren 3 L 1867/00 (VG Arnsberg) = 13 B 452/01 (OVG NRW) mitgeteilten Eintreffzeiten von 89,987 % im Kreis allgemein und von nur 62 % der Fälle in bis zu 8 Minuten in S. nicht zu erwarten ist.

Ende der Entscheidung

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