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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.03.2007
Aktenzeichen: 13 A 3700/04
Rechtsgebiete: RettG NRW


Vorschriften:

RettG NRW § 6
RettG NRW § 19 Abs. 4
RettG NRW § 19 Abs. 4 Satz 1
Im Rahmen der Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist nicht vorab zu prüfen, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, der beeinträchtigt werden kann (Änderung der Senatsrechtsprechung).

Eine nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW relevante Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst liegt nur vor, wenn bei Gebrauch der beantragten Genehmigung ernstliche und schwerwiegende Nachteile für den öffentlichen Rettungsdienst im Sinne des § 6 RettG NRW zu befürchten sind.

Der zuständigen Behörde steht bei der Prognose, ob eine relevante Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne des § 19 Abs. 4 RettG NRW zu erwarten ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Spielraum zu.


Tatbestand:

Die Klägerin betreibt ein Krankentransportunternehmen. Sie beantragte bei dem Beklagten die Erteilung einer Genehmigung für die Aufgabe des Krankentransports mit vier Krankentransportwagen. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Erteilung der Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtige. Die dagegen gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere hat sich das klägerische Begehren nicht erledigt. Denn die Klägerin begehrt - nach wie vor - die Erteilung einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW für vier KTW. Dass die für die Zukunft begehrte Genehmigung - wenn sie erteilt wird - auf vier Jahre zu befristen ist (§ 22 Abs. 5 Satz 1 RettG NRW), ist insoweit unerheblich. Zwar hat der Senat in der Vergangenheit in zwei Entscheidungen eine Erledigung der Hauptsache angenommen, wenn die Vierjahresfrist verstrichen war, und nicht die Verpflichtungs-, sondern die Fortsetzungsfeststellungsklage für die richtige Klageart gehalten. Beide Entscheidungen betrafen aber Sonderfälle. In einem Fall ging es um die Verlängerung einer Genehmigung, wobei der Kläger ein Interesse an einer "geschlossenen Genehmigungskette" hatte, um die Vorteile des für die Wiedererteilung geltenden § 19 Abs. 6 RettG NRW zu nutzen. In dem anderen Fall wurde um die Zulassung einer sog. Intensivtransporteinheit gestritten, für die jedenfalls in der Vergangenheit, aber wohl nicht in der Gegenwart wegen der technischen Entwicklung die Genehmigungsvoraussetzungen vorlagen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2006 - 13 A 4955/00 -, Urteil vom 17.3.2006 - 13 A 1233/03 -, juris.

Um einen solchen oder vergleichbaren Fall handelt es sich hier nicht.

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Genehmigung noch auf Neubescheidung.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Erteilung einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW ist grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, hier vor dem Berufungsgericht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.1995 - 3 C 10.94 -, NJW 1996, S. 1608; Bay. VGH, Urteil vom 18.10.2005 - 21 B 99.1017 - , juris; OVG Bbg., Urteil vom 18.12.2003 - 4 A 12/01 -, juris; zu Ausnahmefällen OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2006 - 13 A 4955/00 -, Urteil vom 17.3.2006 - 13 A 1233/03 -, a.a.O.

Zwar steht der Klägerin bei Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale - grundsätzlich - ein gebundener Genehmigungsanspruch aus §§ 18, 19 RettG NRW i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG zu.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5.7.2001 - 13 B 452/01 -, NWVBl 2002, S. 66, vom 22.10.1999 - 13 A 5617/98 - , NWVBl 2000, S. 103, und vom 2.8.2004 - 13 B 1085/94 -, juris (nicht vollständig abgedruckt in NWVBl 1995, S. 26).

Auch wird das Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 19 Abs. 1 bis 3, 22 RettG NRW mit Unterlagen belegt bzw. substantiiert von der Klägerin vorgetragen; diesbezügliche Bedenken haben weder der Beklagte noch die Widerspruchsbehörde geäußert. Jedoch steht dem Begehren der Klägerin § 19 Abs. 4 RettG NRW entgegen. Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist eine Genehmigung dann zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 beeinträchtigt wird.

Der Anwendbarkeit des § 19 Abs. 4 RettG NRW steht Gemeinschaftsrecht nicht entgegen, insbesondere verstößt eine Anwendung von § 19 Abs. 4 RettG NRW hier weder gegen Art. 86 i.V.m. 82 EG noch gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff EG) oder die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff EG). Die genannten Vorschriften sind hier schon deshalb nicht einschlägig, weil es an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt fehlt. Es ist nämlich weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass ausländische Krankentransporteure im Bereich der Stadt E. Krankentransporte durchführen bzw. dort eine Niederlassung gründen wollen. Auch handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Betriebsbereich nicht um einen grenznahen.

Siehe dazu EuGH, Urteil vom 25.10.2001 - Rs. C-475/99 -, Slg. 2001, I - 8089 (Ambulanz Glöckner); Bay. VGH, Urteil vom 18.10.2005 - 21 B 99.1017 -, a.a.O.

Im Übrigen würde ein etwaiger Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 i.V.m. 82 EG durch Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt. Danach gelten die genannten Wettbewerbsregeln für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EG nicht. Unzweifelhaft nehmen aber der Beklagte und die von ihm beauftragten Sanitätsorganisationen eine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne dieser Vorschrift wahr. Zwar greift die Vorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG dann nicht, wenn die betrauten Unternehmen offensichtlich nicht in der Lage sind, die ihnen übertragene Aufgabe wahrzunehmen. Hier ist indes nicht ersichtlich, dass die mit dem Rettungsdienst betraute Feuerwehr bzw. die betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in der Lage sind, die Nachfrage nach Notfall- und nach Krankentransport jederzeit zu decken. Die Nachfrage nach Krankentransport wird zeitnah durch die von dem Beklagten nach § 13 RettG NRW verpflichteten Unternehmen befriedigt. Auch lässt sich nicht feststellen, dass die Feuerwehr bzw. die vom Beklagten beauftragten Unternehmen offensichtlich nicht in der Lage wären, die Nachfrage nach Notfalltransport zu decken. Eine Nichteinhaltung der Eintreffzeiten in Höhe von etwa 10% ist nämlich den tatsächlichen und finanziellen Gegebenheiten geschuldet und hat für sich genommen nichts damit zu tun, dass die Nachfrage nach Notfalltransport nicht jederzeit gedeckt werden kann. Dass der öffentliche Rettungsdienst darüber hinausgehend derzeit in weiteren 3,9% der Fälle die Eintreffzeiten nicht einhält, lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, dass er offensichtlich nicht in der Lage ist, die diesbezügliche Nachfrage zu decken.

Siehe zu alledem EuGH, Urteil vom 25.10.2001 - Rs. C-475/99 -, a.a.O. (Ambulanz Glöckner); OVG NRW, Beschluss vom 15.3.2004 - 13 B 16/04 -.

Die Vorschrift des § 19 Abs. 4 RettG NRW ist auch verfassungsmäßig. Zwar greift die Regelung in die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Sie ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass sie der Abwehr von nachweisbaren oder höchstwahrscheinlich bestehenden schweren Gefahren für ein überragend wichtiges Rechtsgut dient. Ein solches überragend wichtiges Rechtsgut stellt nämlich auch die Sicherheit der im Krankentransport transportierten Kranken dar. Auch ist die Verhinderung von Überkapazitäten und Vermeidung unnötiger Kosten im Bereich des Rettungsdienstes einschließlich des Krankentransports ein wichtiges öffentliches Anliegen, dessen Verfehlung die sachgerechte Funktion des Gesundheitswesens insgesamt schädigen würde.

BVerwG, Urteil vom 17.6.1999 - 3 C 20.98 -, DVBl 2000, S. 124, Beschluss vom 22.1.2003 - 3 B 116.02 -; OVG NRW, Beschluss vom 2.8.2004 - 13 B 1085/94 -, a.a.O.

Soweit die Klägerin dagegen hält, in ihrem Fall gelte dies nicht, da ihr Hinzutreten nicht zu einem Steigen, sondern zu einem Sinken der Kosten für Kranktransporte führe, mag dies zwar für die Personen, die bei ihr Krankentransportfahrten in Auftrag geben, zutreffen. Gleichwohl bleibt es dabei, dass die Kosten für die Allgemeinheit steigen würden (siehe unten). Auch das Argument der Klägerin, dass im Rahmen des Rettungsdienstes - wie allgemein bei der Daseinsvorsorge - zwischen Durchführungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung unterschieden werden müsse, weshalb es ausreiche, wenn der Beklagte nach Zulassung von Wettbewerbern nach § 18 RettG NRW die Gewährleistung der materiellen Bestimmungen überwache, greift nicht durch. Denn wegen der oben genannten überragend wichtigen Rechtsgüter hat sich der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen dazu entschieden, den Rettungsdienst durch die öffentliche Hand öffentlich-rechtlich zu organisieren. Dabei wurde dem öffentlichen Rettungsdienst für den ihm eigenen Bereich sowohl die abstrakte Gewährleistungs- als auch die konkrete Durchführungsverantwortung übertragen, wie sich zwanglos aus §§ 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12 und 17 RettG NRW ergibt. Eine Beteiligung Privater an diesem öffentlichen Rettungsdienst ist nur nach Maßgabe des § 13 RettG NRW vorgesehen; sie werden bezeichnenderweise nur als Verwaltungshelfer tätig (§ 13 Abs. 2 Satz 1 RettG NRW).

Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass durch den Gebrauch der erteilten Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 beeinträchtigt wird. Insoweit hält der Senat nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, nach der im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW vorab zu prüfen ist, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, der beeinträchtigt werden kann. Dabei hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung einem Rettungsdienst die Funktionsfähigkeit jedenfalls dann abgesprochen, wenn die Eintreffzeiten in der Notfallrettung in mehr als 10% der Fälle verfehlt wurden. Folge war, dass die beantragte Genehmigung auch für den Krankentransportdienst zu erteilen war.

Siehe dazu etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 22.10.1999 - 13 A 5617/98 -, a.a.O., vom 5.7.2001 - 13 B 452/01 -, a.a.O., vom 15.3.2004 - 13 B 16/04 -, NWVBl 2004, S. 313, und vom 20.8.2004 - 13 A 2272/04 -, NWVBl 2005, S. 110.

Indes deutet schon der Wortlaut des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW an, dass diese Rechtsprechung Bedenken unterliegt. Nach der Vorschrift ist nämlich maßgeblich, ob durch den Gebrauch der Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird. Der Begriff des öffentlichen Interesses ist ein weiter; er kann sowohl auf den Erhalt bestimmter Gegebenheiten als auch auf deren künftige Erlangung/Herstellung gerichtet sein. So gesehen besteht aber auch und gerade dann ein öffentliches Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst, wenn dieser konkret - noch - nicht funktionsfähig ist, d.h. es besteht ein öffentliches Interesse an der Erlangung und nicht nur an der Sicherung eines funktionsfähigen Rettungsdienstes. Dass im Rahmen des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW nicht vorab zu prüfen ist, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, wird durch die Entstehungsgeschichte des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW bestätigt. Die Vorschrift lautete im Gesetzentwurf der Landesregierung: "Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine flächendeckende Versorgung in Notfallrettung oder Krankentransport im Genehmigungsbereich gewährleistet ist und durch die Erteilung der Genehmigung das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes beeinträchtigt würde." Die Gesetz gewordene und nunmehr geltende Fassung erwähnt das "Tatbestandsmerkmal" der gewährleisteten flächendeckenden Versorgung jedoch nicht mehr, vielmehr wird nur noch von einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst gesprochen. Auf die Qualifizierung des im Entscheidungszeitpunkt gegebenen Rettungsdienstes kommt es daher nicht an. Dass mit der Änderung des Gesetzentwurfs Unternehmerinteressen habe Rechnung getragen werden sollen - so die Äußerung der Fraktionssprecherin der CDU, die den Gesetz gewordenen Antrag eingebracht hatte - lässt jedenfalls in diesem Punkt keinen Hinweis auf das Prüfprogramm des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW zu, da Unternehmerinteressen und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes unterschiedliche Gesichtpunkte betreffen.

Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 4 RettG NRW: LT-Drucks. 11/4438.

Auch systematische Gründe sprechen gegen ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung. Nach dieser entschieden sich die Streitfälle im Rahmen der "vorab vorgenommenen Funktionsfähigkeitsprüfung" an der Frage der Einhaltung der Eintreffzeiten. Die Einhaltung der Eintreffzeiten ist aber im Rahmen der Anwendung von § 19 Abs. 4 RettG NRW nur ein Kriterium unter verschiedenen, wie die Regelung des § 19 Abs. 4 Satz 3 RettG NRW zeigt. Endlich sprechen auch Sinn und Zweck der Norm dagegen, sie nur dann anzuwenden, wenn ein funktionsfähiger Rettungsdienst bereits vorliegt. Hinter dem öffentlichen Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst stehen elementare und höchstrangige Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 1 Abs. 1 GG). Diese werden durch die Zulassung von Privaten aber nicht nur dann beeinträchtigt, wenn ein funktionsfähiger öffentlicher Rettungsdienst bereits vorliegt sondern - grundsätzlich - auch dann, wenn ein (noch) nicht vollkommen funktionsfähiger öffentlicher Rettungsdienst betroffen wird. Denn die Zulassung von Privaten führt in diesem Fall dazu, dass gerade der ohnehin nicht vollkommen funktionsfähige Rettungsdienst in seiner Funktionsfähigkeit noch weiter beeinträchtigt wird. Dadurch werden die eben genannten elementaren Rechtsgüter noch weiter gefährdet.

Nach alledem ist gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass durch den Gebrauch der beantragten Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 beeinträchtigt wird. Dabei kann von einer Beeinträchtigung nur dann die Rede seien, wenn "ernstliche und schwerwiegende" Nachteile zu befürchten sind, d.h. es muss eine "Verträglichkeitsgrenze" überschritten werden. Das folgt daraus, dass ansonsten bei Berücksichtigung jeder - noch so geringen - Negativauswirkung auf die Pflicht zur flächendeckenden Vorhaltung und Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes eine Genehmigung nach § 18 RettG NRW praktisch nie erteilt werden könnte. Mit den §§ 18 ff. RettG NRW wollte der Gesetzgeber ersichtlich aber auch erreichen, dass das "duale System" der Leistungserbringung, jedenfalls im Bereich des Krankentransports, zumindest eine Chance der Realisierung hat. Dies wird dadurch gestützt, dass die Versagung der Genehmigung zum Krankentransport einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG darstellt, der nur dann gerechtfertigt ist, wenn die eingriffstützenden gegenläufigen Interessen ein gewisses Gewicht haben.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.2.1997 - 10 S 3346/96 -, DÖV 1997, S. 694; Bay. VGH, Urteil vom 18.10.2005 - 21 B 99.1017 -, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 17.2.2003 - 11 LA 323/02 -, juris; OVG Bbg., Urteil vom 18.12.2003 - 4 A 12/01 -, a.a.O.

Wann eine solche ernstliche und schwerwiegende Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst zu erwarten ist, ergibt sich zunächst aus § 19 Abs. 4 Satz 2 und 3 RettG NRW. Nach diesen Vorschriften ist bei der Prüfung der zu erwartenden Beeinträchtigung insbesondere die Pflicht zur flächendeckenden Vorhaltung und Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes zu berücksichtigen. Die Einsatzzahlen, die Eintreffzeit und Dauer der Einsätze sowie die Entwicklung der Kosten- und Ertragslage sind dabei zugrunde zu legen. Dabei ist räumlich auf den vorgesehenen Betriebsbereich (§ 19 Abs. 4 Satz 2 RettG NRW) und sachlich auf den vorgesehenen Aufgabenbereich (Notfallrettung oder Krankentransport) abzustellen. Letzteres ergibt sich daraus, dass die Genehmigung nach § 18 grundsätzlich nur für einen bestimmten Aufgabenbereich erteilt wird (§ 22 Abs. 1 Satz 1 RettG NRW) und dass es im Rahmen der Prüfung einer Beeinträchtigung durch die Erteilung einer Genehmigung für einen Aufgabenbereich grundsätzlich keinen Sinn macht auf einen anderen Aufgabenbereich abzustellen. Das Normprogramm des § 19 Abs. 4 Satz 2 und 3 RettG NRW sieht eine Beeinträchtigungsprüfung vor. Durch die Erteilung einer Genehmigung für einen Aufgabenbereich kann ein anderer unmittelbar aber nicht beeinträchtigt werden. Schließlich ist nicht einsichtig, weshalb der Umstand, dass ein Rettungsdienst mit besonderes vielen RTW ausgestattet ist - um die ihm übertragene Aufgaben optimal zu erfüllen -, dazu führen sollte, dass Private dem Krankentransportdienst unter erleichterten Voraussetzungen Konkurrenz machen können.

Bei alledem ergibt sich aus der Formulierung "wenn zu erwarten ist", dass die Entscheidung nach § 19 Abs. 4 RettG NRW eine prognostische Entscheidung ist, bei der der Genehmigungsbehörde ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Prognosespielraum eingeräumt ist. Die eine Genehmigung versagende Entscheidung ist daher nur daraufhin zu überprüfen, ob die Behörde den maßgebenden Sachverhalt vollständig ermittelt, die maßgeblichen Gesichtpunkte erkannt und den möglichen Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt hat.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.2.1997 - 10 S 3346/96 -, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 18.10.2005 - 21 B 99.1017 -, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 19.6.2000 - 11 M 1026/00 -, juris; OVG Bbg., Urteil vom 18.12.2003 - 4 A 12/01 -, a.a.O. zu alledem BVerwG, Urteil vom 17.6.1999 - 3 C 20.98 -, a.a.O.

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Genehmigungsanspruch und ist die Genehmigungsversagung nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat hier - wie sich schon aus dem umfangreichen Vortrag im Verwaltungs- und Klageverfahren ergibt - den Sachverhalt umfassend ermittelt. Auch hat er - wie sich aus den angegriffenen Bescheiden und in der Sache auch aus dem Vortrag im Klageverfahren ergibt - zu Recht darauf abgehoben, dass durch den Gebrauch der beantragten Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 RettG NRW "ernstlich und schwerwiegend" beeinträchtigt wird. Er hat in diesem Rahmen zu Recht maßgeblich damit argumentiert, dass die Erteilung der beantragten Genehmigung bei der Stadt zu verminderten Einsatzzahlen, einer geringeren Auslastung und zu höheren Kosten führe. Dies sind Gesichtspunkte, die nach § 19 Abs. 4 Satz 2 und 3 RettG NRW berücksichtigungsfähig sind. Schließlich hat der Beklagte den möglichen Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt.

Der Ansatz des Beklagten, dass die Erteilung der beantragten Genehmigung dazu führen werde, dass seine Einsatzzahlen (vergl. § 19 Abs. 4 Satz 3 1. Alt. RettG NRW) im Krankentransport in dem Umfang, in dem die Genehmigung begehrt wird, sinken würden, ist nachvollziehbar. Die Klägerin hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie Krankentransporte günstiger anbiete als der Beklagte bzw. die von ihm nach § 13 RettG NRW beauftragten Hilfsorganisationen. Allein dieser Preisvorteil der Klägerin würde jedenfalls mittelfristig dazu führen, dass sie die ihr erteilte Genehmigung voll ausnutzen könnte, während dem Beklagten bzw. den von ihm beauftragten Organisationen in entsprechendem Umfang Fahrten verloren gingen. Dieser Rückgang der Einsatzzahlen wäre auch ernstlich und schwerwiegend. Der Beklagte bzw. die von ihm beauftragten Hilfsorganisationen halten derzeit 21 KTW vor; die Anzahl der vorgehaltenen RTW bleibt außer Betracht. Die Klägerin erstrebt eine Genehmigung für 4 KTW. Das bedeutet - angesichts des effizient arbeitenden Krankentransportdienstes des Beklagten - , dass auf der Seite des Beklagten (abgesehen vom voraussichtlich sogar sinkenden Bedarf) mindestens die Kapazitäten von vier KTW entbehrlich würden, was einem Verlust von etwa 19% der Krankentransporte entspricht (wobei - letztlich zu Gunsten der Klägerin - unberücksichtigt gelassen wurde, dass einerseits die Klägerin einen KTW im 24-Stunden-Dienst betreiben will - was zu einem potentiellen Verlust von Krankentransporten von deutlich über 19% führt -, andererseits aber ca. 30% der Krankentransporte durch RTW des Beklagten durchgeführt werden - was prozentual dazu führt, dass die Anzahl der von dem Beklagten betriebenen KTW fiktiv zu erhöhen ist -). Dass diese Verluste des Beklagten bzw. der von ihm beauftragten Organisationen durch eine steigende Nachfrage an Krankentransportfahrten aufgefangen werden könnten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr sinkt seit Jahren im Betriebsbereich des Beklagten der Bedarf an Krankentransporten. Die Behauptung der Klägerin, dass die von dem Beklagten vorgelegten Zahlen unrichtig seien, ist durch nichts belegt worden. Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung mehrfach glaubhaft versichert, dass die vorgelegten Zahlen zutreffend seien und aus ihnen die Krankentransporte mit RTW nicht herausgerechnet worden seien. Aktuell entgegenstehendes und substantiiertes Zahlenmaterial - etwa aus dem von ihr betriebenen Krankentransport - hat die Klägerin nicht vorgelegt.

Siehe zum Umstand, dass die Erteilung von Genehmigungen für den Krankentransport an Private zu Rückgängen beim öffentlichen Krankentransport führt: BVerwG, Urteil vom 17.6.1999 - 3 C 20.98 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 2.8.2004 - 13 B 1085/94 -, a.a.O.

Die darauf aufbauende Folgerung des Beklagten, dass es dadurch für ihn zu einer erheblich geringeren Auslastung des öffentlichen Krankentransportdienstes komme (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 2 2. Alt. RettG NRW) und für ihn in höherem Maß ungedeckte Kosten entstünden (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 3 4. Alt RettG NRW), weil er einerseits die Kapazitäten von 4 KTW nicht effektiv nutzen könnte, ihm andererseits aber der Abbau von Vorhaltekapazitäten angesichts des Sicherstellungsauftrages nicht möglich sei, ist ebenfalls zutreffend. Denn der Sicherstellungsauftrag des § 6 RettG NRW greift auch dann, wenn sich Private auf dem Markt befinden, die mit Genehmigungen nach §§ 18 ff. RettG NRW ausgestattet sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Sicherstellungsauftrag aus § 6 Abs. 1 RettG NRW auch und gerade vom öffentlichen Träger zu erfüllen ist; die Beteiligung Privater befriedigt den Sicherstellungsauftrag - vom Fall der Einbindung Privater nach § 13 RettG NRW abgesehen - grundsätzlich nicht.

Vergl. dazu Nds. OVG, Beschluss vom 19.6.2000 - 11 M 1026/00 -, a.a.O., Hamb.; OVG, Beschluss vom 19.1.2006 - 1 Bf 146/04 -, juris; Schulte, Rettungsdienst durch Private, 1999, S. 192.

Dabei fällt die nach § 19 Abs. 4 Satz 2 2. Alt. RettG NRW zu berücksichtigende Verminderung des Auslastungsgrads hier besonderes in Gewicht, da der Krankentransportdienst des Beklagten ohnehin nur zu ca. 70% ausgelastet ist. Auch die nach § 19 Abs. 4 Satz 3 4. Alt. RettG NRW zu berücksichtigende und sich verstärkende Kostenunterdeckung wirkt sich besonders einschneidend aus, da der Rettungsdienst des Beklagten ohnehin nicht kostendeckend arbeitet.

Schließlich ist auch die Folgerung des Beklagten, dass er nach Erteilung der begehrten Genehmigung infolge des Verlustes an Krankentransporten bei gleichzeitig notwendig bleibender Vorhaltung der KTW erheblich höhere ungedeckte Kosten haben werde, die er nur durch eine erhebliche Erhöhung der Gebühren kompensieren könne, nachvollziehbar. Erhöhte Kosten im Bereich des Rettungsdienstes können auf diejenigen, die den Rettungsdienst in Anspruch nehmen, umgelegt werden (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 RettG NRW und § 6 KAG NRW). Dass dieses "können" jedenfalls angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte ein faktisches "müssen" darstellt, ist einleuchtend. Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang es hier zu einer Erhöhung der Gebühren kommen würde. Klar ist jedenfalls, dass angesichts der von der Klägerin erstrebten Genehmigungserteilung nicht unerhebliche Gebührenerhöhungen im Raum stehen. Solche Gebührenerhöhungen stellen aber eine Belastung der Allgemeinheit dar, gleichviel ob sie nun von den Betroffenen oder den Krankenkassen getragen werden.

Vergl. BVerwG, Urteil vom 17.6.1999 - 3 C 20.98 -, a.a.O.

Soweit die Klägerin einwendet, dass es in ihrem Fall nicht zu höheren Kosten für die Allgemeinheit komme, da ihr Hinzutreten nicht zu einem Steigen, sondern zu einem Sinken der Kosten für Kranktransporte führe, mag dies für die Auftraggeber der Fahrten - verglichen mit den Gebühren für den öffentlichen Krankentransport - zutreffen. Indes würde die Erteilung der Genehmigung - wie dargestellt - zu einem Anstieg der ungedeckten Kosten für die Krankentransporte durch die öffentliche Hand führen. Die Klägerin wird immer unter den Gebühren bleiben und von Gebührenerhöhungen profitieren, was eine weitere Belastung der Kostenträger im Gesundheitswesen bedeutete. Insgesamt würden so für die Gemeinschaft höhere Kosten entstehen, die sich aus den Kosten für den privaten und den öffentlichen Krankentransportdienst errechnen. Die Gemeinschaft ist nicht verpflichtet, durch Übernahme höherer Kosten mittelbar dem privaten Unternehmer eine Nische für private gewinnorientierte Betätigung zu öffnen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der öffentliche Rettungsdienst des Beklagten diese Beeinträchtigungen durch sachgerechte eigene Maßnahmen auffangen könnte, so dass es letztlich zu keiner Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einen funktionsfähigen Rettungsdienst kommt. So kann dem Beklagten nicht angesonnen werden, seinen Anteil an KTW entsprechend dem Umfang der erteilten Genehmigungen abzubauen (um dadurch Vorhaltekosten zu senken). Denn dadurch würde der Sicherstellungsauftrag des § 6 RettG NRW verletzt (siehe oben). Das Argument der Klägerin, dass ein der Zahl der beantragten Genehmigungen entsprechender Anteil der KTW "umgewidmet" und dann - den Sicherstellungsauftrag im Hinblick auf die Eintreffzeiten "verbessernd" - zu Rettungseinsätzen eingesetzt werden könnte, hilft ihr nicht weiter. Das folgt - unabhängig von dem zum Organisationsrecht des öffentlichen Aufgabenträgers Gesagten - schon daraus, dass die Nichteinhaltung der Eintreffzeiten hier nicht auf einen Kapazitätsmangel an RTW bzw. Notarztwagen und Notarzteinsatzfahrzeuge zurückzuführen ist, sondern auf eine - wie der Beklagte nachvollziehbar und unwidersprochen vorgetragen hat - nicht optimale Lage der Rettungswachen.

Vgl. OVG Bbg., Urteil vom 18.12.2003 - 4 A 12/01 -, a.a.O.

Aus dem gleichen Grund kann die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, dass der Beklagte angesichts der nicht eingehaltenen Eintreffzeiten gehalten sei, den Krankentransport mit RTW zu unterlassen, um so Kapazitäten im RTW-Bereich aufzubauen. Schließlich spricht auch nichts dafür, dass der Beklagte hier - außerhalb von Stilllegungen, die mit § 6 RettG NRW nicht zu vereinbaren sind - Kosten sparen kann, um so die durch genehmigte Betätigung Privater eintretenden Einnahmeausfälle auszugleichen. Es springt jedenfalls nicht ins Auge, dass der Rettungsdienst des Beklagten mit Ausnahme der Lage der Wachen ineffektiv strukturiert - etwa überdimensioniert - wäre. Im Übrigen wäre die für einen Ausgleich notwendige Kosteneinsparung hier sehr hoch, da etwa 19% der Kosten des KTW-Bereichs (abzüglich der flexiblen Kosten) ausgeglichen werden müssten. Dass ein derartig hohes Kosteneinsparungspotential besteht, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

Vgl. zur Notwendigkeit eines diesbezüglichen klägerischen Vortrags Hamb. OVG, Beschluss vom 19.1.2006 - 1 Bf 146/04 -, a.a.O.

Die Erteilung einer Genehmigung für weniger als vier RTW kommt nicht in Betracht; diesbezüglich wird in entsprechender Anwendung von § 130b Satz 2 VwGO auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des VG - die insoweit von der Klägerin auch nicht angegriffen worden sind - Bezug genommen. Zu ergänzen bleibt, dass hier die Erteilung einer Genehmigung für vier KTW - und nicht die Erteilung von vier Genehmigungen - im Streit stand (§ 22 Abs. 2 Satz 1 RettG NRW). Die Erteilung einer Genehmigung für vier KTW ist aber etwas anderes als die Erteilung einer Genehmigung für einen KTW.

Ende der Entscheidung

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