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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 13 B 1790/03
Rechtsgebiete: GG, VwGO, RettG NRW


Vorschriften:

GG Art. 12
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 123
RettG NRW § 6
RettG NRW § 18
RettG NRW § 28
Zur Erweiterung der Betriebszeit für einen Krankentransportwagen durch einstweilige Anordnung.
Gründe:

I. a) Die Beschwerde mit dem (Haupt-)Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses

a) den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, die in Verlängerung der Genehmigung vom 3.3.1999 für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XY-Z 007 erteilte rettungsdienstrechtliche Genehmigung hinsichtlich der Betriebszeit auf montags bis freitags 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr als Regelbetriebszeit sowie im Übrigen (einschließlich Wochenenden und Feiertagen) auf Anfrage zu erweitern und

b) das Fahrzeug zudem als Rettungswagen (RTW) im 24 Stundenbetrieb zu genehmigen, hat keinen Erfolg.

Ein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erforderlicher Anordnungsgrund ist nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Hierzu reichen die allgemeinen Hinweise auf die wirtschaftlichen Nachteile der Antragstellerin und den Rückgang des Geschäftes nicht aus. Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass der Betrieb der Antragstellerin trotz der bereits vorhandenen Genehmigungen für zwei Krankentransportwagen mit Betriebszeiten für den ersten vormittags und den zweiten nachmittags sowie für einen Rettungstransportwagen ohne Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile erleiden müsste. Auch in der Beschwerdebegründung macht die Antragstellerin keine konkreten Angaben zu den voraussichtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Ablehnung ihres Antrages, obwohl das Verwaltungsgericht einen Anordnungsgrund wegen fehlender Existenzbedrohung verneint hatte.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich entgegen den Ausführungen der Beschwerde auch nicht aus der Androhung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 28 RettG. Dass ein Bürger das Hauptsacheverfahren betreffend ein Bußgeld nicht "auf der Anklagebank" soll erwarten müssen, kann zwar für eine Feststellungsklage gem. § 43 VwGO die erforderliche Konkretisierung des festzustellenden Rechtsverhältnisses sowie ein Feststellungsinteresse vermitteln. Das mag grundsätzlich auch geeignet sein, einen Anordnungsgrund im Verfahren gem. § 123 VwGO zu begründen. Das gilt hier aber deshalb nicht, weil der Vorwurf im Bußgeldverfahren (Tätigkeit ohne Genehmigung) und der Anspruch im Verfahren auf vorläufige Erteilung einer Genehmigung nicht identisch wären, was auch im Zusammenhang des § 43 VwGO nicht ausreicht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.8.1999 - 13 A 2248/99 -, LRE 37, 190, unter Hinweis auf die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung.

Dieser Gesichtspunkt des Auseinanderfallens von Petitum im Verfahren nach § 123 VwGO und dem möglichen Anknüpfungspunkt eines Bußgeldverfahrens unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt auch von dem vom BVerfG zugunsten eines Antragstellers beurteilten Fall.

Vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 4.2.2003 - 1 BvR 89/03 -, NVwZ 2003, 856.

Dort ist entschieden worden, dass einem Handwerker der Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO, mit dem er die vorläufige Feststellung begehrt, dass er seine berufliche Tätigkeit ohne Meisterbrief und Eintragung in die Handwerksrolle ausüben darf, nicht deshalb verweigert werden darf, weil es ihm zumutbar sei, seine Rechte gegenüber der Verwaltung im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu wahren. Abgesehen davon, dass dort eine verwaltungsgerichtliche Feststellung über § 123 VwGO begehrt wurde - und nicht die Erteilung der Genehmigung, deren Notwendigkeit hier der Antragsteller gerade nicht in Frage stellt -, könnte sich vorliegend das Bußgeld nur darauf beziehen, dass die Antragstellerin - jedenfalls formell - gegen die Genehmigungspflicht nach §§ 18 ff RettG verstoßen habe.

Nach BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, 74, kann das Vorliegen eines Anordnungsgrundes aber auch dann bejaht werden, wenn ein Anordnungsanspruch mit hinreichender Erkennbarkeit vorliegt. Dies folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG. Danach sind die Gerichte gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Der dort verankerte Anspruch auf eine tatsächlich und rechtlich wirksame Kontrolle verpflichtet die Gerichte, bei Ihrer Entscheidungsfindung diejenigen Folgen zu erwägen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger verbunden sind. Je schwerer die daraus ergebenden Belastungen wiegen, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, um so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden.

Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 31.3.2004 - 1 BvR 356/04 -, (JURIS) m. w. N.

Dem ist der Senat bereits gefolgt.

Vgl. Beschluss vom 5.7.2001 - 13 B 452/01 -, NZV 2001, 444 = VRS 101, S. 141 = NWVBl. 2002, 66.

Hier ist zu berücksichtigen, dass nicht nur Neugründungen von Betrieben, sondern auch deren Erweiterung unter den Schutz des Art. 12 GG fallen. Diese Grundrechtsverletzung wäre auch durch eine Entscheidung zu Gunsten des Betroffenen im Hauptsacheverfahren rückwirkend nicht mehr auszugleichen. Allerdings können selbst Grundrechtsverletzungen unterschiedliches Gewicht haben. So ist die Genehmigungserweiterung für den Kleinbetrieb der Antragstellerin angesichts des Umstandes, dass zwei Krankentransportwagen wegen der vorgegebenen Betriebszeiten praktisch jeweils nur halbtags ausnutzbar sind, von erkennbar größerer Bedeutung als der Hinzuerwerb einer weiteren Genehmigung für einen Großbetrieb der schon rund zehn Genehmigungen ausnutzen kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2002 - 13 B 964/02 -, n. v.

Gleichwohl ist nach den für den Senat erkennbaren Umständen hier allenfalls eine wenig bedeutende Grundrechtsbeeinträchtigung in Rede, die eine Vorgreiflichkeit des Anordnungsanspruchs unter Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht verlangt. Wesentlich ist bei dieser Beurteilung, dass in dem laufenden Unternehmen der Antragstellerin gleichsam ganztägig (von morgens bis abends) nach den Genehmigungen jeweils ein Krankentransportwagen zur Verfügung steht und die Antragstellerin auch mit einem Rettungstransportwagen Notfallrettung betreiben darf. Hinzu kommt, dass die Einnahmeverluste, um die es angesichts fehlender Existenzbedrohung der Antragstellerin im Kern geht, nicht nur für sie unumkehrbar erscheinen, sondern auch für den Antragsgegner.

Unter diesen Umständen kann - was von Antragstellerin und Antragsgegner unterschiedlich beurteilt wird - offen bleiben, ob ein Anordnungsanspruch zu bejahen wäre.

Im Hinblick auf den ausführlichen Vortrag der Antragstellerin und das Hauptsacheverfahren macht der Senat gleichwohl folgende Anmerkungen:

Der grundsätzlich auch für die vorliegende Situation der zeitlichen Erweiterung einer bestehenden Genehmigung einschlägige § 19 Abs. 4 RettG könnte dann nicht anzuwenden sein, wenn die öffentliche Hand ihrerseits keinen funktionsfähigen, flächendeckenden Rettungsdienst im Sinne von § 6 RettG vorhält.

Ob - wie die Beschwerde meint - die hierzu ergangene ständige Rechtsprechung des Senats, die die Einhaltung der Eintreffzeiten verlangt, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.8.1994 - 13 B 1085/94 -, OVGE 44, 126 = RettD 1994, 35, vom 26.3.1996 - 13 B 1975/95 -, VRS Band 92, 153 = NZV 1996, 335, vom 22.10.1999 - 13 A 5617/98 -, VRS 1998, 476 = NWVBl 2000, 103 sowie vom 5.7.2001 (a.a.O.) und 15.3.2004 - 13 B 16/04 -, zur Veröffentlichung bestimmt, auf den Fall ausgedehnt werden muss, dass der Krankentransport Mängel aufweist, ist fraglich. Der Senat hat bisher hierfür keine Maßstäbe entwickelt. Eine solche Entwicklung wäre auch mangels konkreter Anhaltspunkte im Gesetz oder dessen Materialien schwierig, da keinesfalls Einzelbeispiele von Mangelsituationen im Krankentransport ausreichen würden und sich der Senat bisher bewusst auf die Einhaltung der Eintreffzeiten als Maßstab für einen funktionierenden Rettungsdienst beschränkt hatte, weil hinter diesem Kriterium medizinische, mitunter lebenswichtige Erfordernisse stehen. Soweit sich die Antragstellerin auf das Urteil des EuGH vom 25.10.2001 - C 475/99 -, DVBl 2002, 182 = EuZW 2002, 25, RZ 62 bis 65, beruft, sind eindeutige Maßstäbe auch dem nicht zu entnehmen. Dort wird - im hier nicht zu erörternden Zusammenhang des Art. 90 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 86 Abs. 2 EG) - zunächst ausgeführt: Es "wäre die Erstreckung der ausschließlichen Rechte der Sanitätsorganisationen allerdings dann nicht mit ihrer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu rechtfertigen, wenn die mit dem Rettungsdienst betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in der Lage wären, die Nachfrage nach Notfalltransport und nach Krankentransport jederzeit zu decken" (RZ 62). In RZ 64 wird verlangt, Krankentransport "effizient" anzubieten; andererseits darf nach RZ 65 die Nachfragedeckung nicht "offensichtlich" ausgeschlossen sein. Im Übrigen hat dieses - zu dem anders gestalteten Landesrecht von Rheinland-Pfalz ergangene - Urteil für den Senat keine Bindungswirkung.

I. b) Soweit die Antragstellerin die Erweiterung der Genehmigung zum Einsatz des Fahrzeugs auch als Rettungstransportwagen anstrebt, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht und kann ein Anordnungsgrund daher auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 GG gegeben sein. Ein solcher Anspruch auf Genehmigung einer Doppelfunktion ist nicht dem Gesetz unmittelbar zu entnehmen. Indem § 22 Abs. 1 Satz 2 RettG bestimmt, die - primär personenbezogene (§ 18 RettG) - Genehmigung für die Notfallrettung umfasse auch die Durchführung von Krankentransporten, ist dies auf den Fall hier, in dem ein Krankentransportwagen zum Rettungstransportwagen "hochgestuft" werden müsste, nicht übertragbar; die Eignung des Fahrzeugs dazu ist auch nicht glaubhaft gemacht. Der Anspruch ist auch sonst nicht ausreichend abgeleitet. Ein Anspruch aus Art. 3 GG wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn der Antragsgegner selbst ein solches "Verbundsystem" nutzen würde, was dieser aber ausdrücklich bestreitet; auch dafür, dass er entsprechende Genehmigungen an Andere erteilt, ist nichts vorgetragen.

II. Der Hilfsantrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung analog § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zu verpflichten, über den Antrag der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, hat ebenfalls keinen Erfolg, auch nicht in der allein sachgerechten Auslegung, dass der Antragsgegner verpflichtet werden soll, nunmehr eine an allen Kriterien des § 19 Abs. 4 RettG orientierte Neubescheidung nach entsprechender Sachverhaltsermittlung vorzunehmen.

Eine solche Verpflichtung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kann zwar zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG angebracht sein.

So VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.2.1997 - 10 S 3346/96 -, NZV 1997, 287 = DÖV 1997, 694 und OVG NRW, Beschluss vom 01.9.1998 - 13 B 1556/98 -.

Der Senat sieht jedoch von dem Erlass der einstweiligen Anordnung ab. Denn die Antragstellerin hat - soweit ersichtlich - bisher immer noch nicht Klage zur Hauptsache erhoben, wo das Gericht ohne weiteres nach § 86 VwGO der Behörde Auflagen/Vorgaben zur Ermittlung der Kriterien des § 19 Abs. 4 RettG machen könnte. Dies braucht daher nicht durch einstweilige Anordnung zu geschehen. Wegen dieses Zusammenhangs braucht der Senat die zu § 19 Abs. 4 RettG erforderlichen Ermittlungen im vorliegenden Eilverfahren nach § 86 VwGO auch nicht selbst vorzunehmen.

Ende der Entscheidung

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