Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: 13 B 1885/08
Rechtsgebiete: Richtlinie 2003/94/EG, AMG, AMWHV, VwVfG


Vorschriften:

Richtlinie 2003/94/EG Art. 11 Abs. 4
AMG § 4 Abs. 14
AMG § 4 Abs. 16
AMG § 54
AMG § 69 Abs. 1
AMWHV § 3 Abs. 2
AMWHV § 13 Abs. 1
AMWHV § 18 Abs. 1
VwVfG § 37 Abs. 1
Jede vom Parallelimporteur in einem einheitlichen Vorgang neu konfektionierte Menge eines Fertigarzneimittels stellt eine eigene "Charge" im Sinne von § 18 Abs. 1 S. 1 AMWHV dar, für die Rückstellmuster aufzubewahren sind.
Tatbestand:

Die Antragstellerin vertreibt Arzneimittel, die sie im Ausland erwirbt und als "Parallelimporteurin" - häufig in kleinen Mengen - in das Bundesgebiet einführt. Hier werden die Arzneimittel neu konfektioniert, mit deutschsprachigen Packungsbeilagen versehen u. s. w. Die Antragsgegnerin erließ im Oktober 2008 als zuständige Überwachungsbehörde einen Bescheid, dem zufolge die Antragstellerin künftig für jede von ihr hergestellte Charge eines Arzneimittels Rückstellmuster aufzubewahren habe. Der gegen diese Verfügung gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb vor dem VG und dem OVG ohne Erfolg.

Gründe:

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

Das VG hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage dem öffentlichen Vollziehungsinteresse zu Recht Vorrang eingeräumt, weil sich die angefochtene Verfügung nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung als rechtmäßig erweist und die vor diesem Hintergrund vorzunehmende Interessenabwägung zum Nachteil der Antragstellerin ausfällt.

Rechtsgrundlage der Ordnungsverfügung vom 21.10.2008 ist hinsichtlich der Regelung unter Ziffer 2., gegen deren sofortige Vollziehbarkeit sich der sinngemäß gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung richtet, § 69 Abs. 1 S. 1 AMG. Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Diese Ermächtigung bezieht sich, wie sich aus § 64 Abs. 3 S. 1 AMG ergibt, unter anderem auf Verstöße gegen die Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln, zu denen auch die auf der Grundlage von § 54 AMG erlassenen Betriebsverordnungen für Betriebe und Einrichtungen, die Arzneimittel in den Geltungsbereich des Gesetzes verbringen oder in denen Arzneimittel entwickelt, hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden, zählen. Um eine solche Betriebsverordnung handelt es sich bei der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (AMWHV) vom 3.11.2006 (BGBl. I S. 2523), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.3.2008 (BGBl. I S. 521).

1. Die Verfügung leidet im Ergebnis nicht an einem Bestimmtheitsmangel. Hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG ist gegeben, wenn für den Adressaten ohne Weiteres erkennbar ist, was genau von ihm gefordert wird und was in der betreffenden Angelegenheit geregelt worden ist. Der Verwaltungsakt muss geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.2005 - 4 C 18.03 -, BVerwGE 123, 261 (283); OVG NRW, Beschluss vom 6.11.2008 - 13 B 1461/08 -, juris.

Die Erkennbarkeit des Inhalts muss sich nicht notwendig aus dem isolierten Wortlaut der Entscheidungssätze, also des Verfügungstenors, ergeben. Es muss jedoch möglich sein, den Inhalt hinreichend sicher durch eine Auslegung der Entscheidungssätze im Lichte der Gründe des Verwaltungsakts zu ermitteln. Neben den Gründen des Bescheids können auch solche Umstände zur Auslegung der Regelung des Verwaltungsakts herangezogen werden, die aus seinem Text zwar nicht hervorgehen, aber den Beteiligten bekannt oder ohne Weiteres erkennbar sind. Welche Umstände insoweit in Betracht kommen, kann nur im jeweiligen Einzelfall geklärt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.9.2008 - 13 B 1395/08, NJW 2008, 3656 und Kopp/Schenke, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 37 Rdnr. 12, jeweils m. w. N.

In Betracht kommt auch eine Klarstellung zunächst unbestimmter Regelungen durch Erklärungen im gerichtlichen Verfahren.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.6.2006 - 4 B 32/06 -, NVwZ-RR 2006, 589; BVerwG, Urteil vom 20.4.2005 - 4 C 18.03 -, a. a. O.

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Verfügung als hinreichend bestimmt. Zu Recht weist die Antragstellerin allerdings darauf hin, dass sich aus dem Tenor zu Ziffer 2. des Bescheids der Regelungsgehalt nicht ohne Weiteres ergibt. Denn der für das Verständnis der Regelung zentrale Begriff der "Charge" kann im Kontext des Bescheidgegenstands unterschiedliche Bedeutungen haben. Einerseits kann er sich auf eine bestimmte bei dem ursprünglichen Hersteller des Arzneimittels produzierte Menge von Arzneimitteln beziehen (im Folgenden auch als "Originalcharge" bezeichnet). Andererseits kann er eine bestimmte bei der Antragstellerin neu konfektionierte Menge von Arzneimitteln bezeichnen (im Folgenden auch als "Inlandscharge" bezeichnet). Die Frage, welche der beiden Alternativen richtiger Bezugspunkt hinsichtlich der Verpflichtung der Antragstellerin ist, für jede Charge eines Arzneimittels Rückstellmuster zu bilden, stellt gerade den Kern des zwischen den Beteiligten bestehenden Streits dar.

Nimmt man die Begründung der Verfügung vom 21.10.2008 hinzu, so ergibt sich der Inhalt der getroffenen Regelung jedoch mit hinreichender Klarheit. Denn auf Seite 2 des Bescheids wird zunächst die Praxis der Antragstellerin beschrieben, nur vom erstmaligen Verpackungsauftrag Rückstellmuster zu bilden, bei allen Folgeaufträgen derselben Chargen (gemeint offenbar: derselben Originalcharge) dagegen nur Kopien/Fotos der Packungsmaterialien anzufertigen. Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen macht die Antragsgegnerin deutlich, dass sie diese Praxis für unzureichend hält, und erklärt, jedes von der Antragstellerin in einem einheitlichen Vorgang neu konfektionierte Fertigarzneimittel stelle eine arzneimittelrechtliche Charge dar, für die ein Rückstellmuster aufzubewahren sei. Dabei meint "Fertigarzneimittel" hier erkennbar nicht die einzelne Packung, sondern die Gesamtmenge der in einem einheitlichen Vorgang neu konfektionierten Einheiten eines bestimmten Fertigarzneimittels. Dieses Verständnis hat die Antragsgegnerin durch ihre Ausführungen in der Antragserwiderung bekräftigt. Insgesamt ist daher hinreichend erkennbar, dass sich die Regelung in Ziffer 2 auf die jeweilige "Inlandscharge" bezieht und was damit gemeint ist.

Auch dem Vortrag der Antragstellerin, es sei unklar, ob für jede Packungsgröße eines Fertigarzneimittels ein separates Rückstellmuster aufbewahrt werden müsse, vermag der Senat nicht zu folgen. Jedenfalls aus den Ausführungen auf Seite 8 des Bescheids, in denen die Antragsgegnerin eine Verwechslung zwischen der 28er- und der 100er-Packung eines Fertigarzneimittels beschreibt, geht hervor, dass die Antragsgegnerin auch unterschiedliche Packungsgrößen eines Arzneimittels als Chargen ansieht, für die jeweils ein eigenes Rückstellmuster aufzubewahren ist.

Die von der Antragstellerin geltend gemachte Unklarheit des Begriffs "Rückstellmuster" schließlich führt ebenfalls nicht zur Unbestimmtheit der Verfügung. Denn die Antragsgegnerin hat hinreichend deutlich gemacht, dass sie die Rückstellung eines kompletten Arzneimittels in der für den Vertrieb bestimmten Form fordert. Dies entspricht im Übrigen auch der Definition des gemäß §§ 3 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 AMWHV anwendbaren EG-GMP-Leitfadens (dort Anhang 19, Ziffer 2.1), der zufolge ein Rückstellmuster die Probe einer vollständig verpackten Einheit aus einer Fertigproduktcharge ist.

2. Die Praxis der Antragstellerin, nicht von jeder so umschriebenen Inlandscharge ein Rückstellmuster aufzubewahren, stellt bei summarischer Betrachtung einen Verstoß gegen § 18 Abs. 1 S. 1 AMWHV dar. Nach § 18 Abs. 1 S. 1 AMWHV ist sicherzustellen, dass Rückstellmuster von jeder Charge eines Fertigarzneimittels in ausreichender Menge zum Zwecke einer gegebenenfalls erforderlichen analytischen Nachtestung und zum Nachweis der Kennzeichnung einschließlich der Packungsbeilage aufbewahrt werden. Es spricht vieles dafür, dass der Begriff der "Charge" hier in dem von der Antragsgegnerin zugrundegelegten Sinne zu verstehen ist.

Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 16 AMG ist "Charge" die jeweils aus derselben Ausgangsmenge in einem einheitlichen Herstellungsvorgang oder bei einem kontinuierlichen Herstellungsverfahren in einem bestimmten Zeitraum erzeugte Menge eines Arzneimittels. "Herstellen" wiederum ist gemäß § 4 Abs. 14 AMG das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- und Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe. Daraus ergibt sich zunächst, dass die von der Antragstellerin ausgeübte Tätigkeit ein Herstellen von Arzneimitteln ist, da zumindest das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe in ihrem Betrieb erfolgen. Auch der Regelung in § 18 Abs. 1 S. 5 AMWHV liegt dieses Begriffsverständnis zugrunde, denn diese Ausnahmevorschrift basiert auf der Annahme, dass der Parallelimporteur oder -vertreiber grundsätzlich der Pflicht zur Aufbewahrung von Rückstellmustern unterliegt. Soweit die Antragstellerin die von ihr importierten Originalarzneimittel im Inland neu konfektioniert, also sie entsprechend den Kennzeichnungsvorschriften deutschsprachig kennzeichnet, ihnen deutschsprachige Packungsbeilagen beifügt und sie neu verpackt oder umverpackt, erfüllt sie also den Begriff des "Herstellens". Dem entsprechend dürfte in der Tat jede von der Antragstellerin im Inland in einem einheitlichen Vorgang neu konfektionierte Menge eines Fertigarzneimittels eine eigene "Charge" sein.

Vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.7.2006 - 25 ZB 02.2387 -, NVwZ-RR 2007, 24; VG München, Urteil vom 29.7.2002 - M 3 K 02.1823 -, juris.

§ 4 Abs. 16 AMG stellt die Möglichkeiten eines kontinuierlichen Herstellungsverfahrens und eines (einzelnen) einheitlichen Herstellungsvorgangs einander gegenüber. Da im Betrieb der Antragstellerin in gewissen zeitlichen Abständen einzelne (regelmäßig kleinere) Mengen eines Arzneimittels konfektioniert und freigegeben werden, handelt es sich um einzelne Herstellungsvorgänge, die jeweils als Charge im Sinne des Gesetzes einzuordnen sind. Dass es sich dabei um verschiedene Chargen handelt, ergibt sich auch daraus, dass die Antragstellerin die Originalarzneimittel offenbar jeweils separat aus dem Ausland bezieht. Demnach wird bei den einzelnen Herstellungsvorgängen wohl auch nicht "dieselbe Ausgangsmenge" verarbeitet, wie in § 4 Abs. 16 AMG vorausgesetzt.

Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Überlegungen annähme, dass mit dem Begriff "Charge" in § 18 Abs. 1 AMWHV durchgehend die Originalcharge und nicht eine im Inland durch Neukonfektionierung entstandene Menge von Arzneimitteln gemeint ist, ergäbe sich im Übrigen wohl kein anderes Ergebnis. Denn § 18 Abs. 1 S. 4 AMWHV ordnet an, dass, wenn eine Charge in zwei oder mehreren Arbeitsgängen endgültig verpackt wird, grundsätzlich jeweils mindestens ein Rückstellmuster pro Verpackungsvorgang aufzubewahren ist. § 18 Abs. 1 S. 5 AMWHV wiederum erklärt diesen Satz auch im Falle des Parallelimports oder -vertriebs für anwendbar, wenn die Sekundärverpackung geöffnet wird. Da die Antragstellerin die Sekundärverpackung öffnet und das Arzneimittel "endgültig verpackt", ergäbe sich aus diesen Regelungen selbst dann die Pflicht zur Aufbewahrung von Rückstellmustern für jeden Verpackungsvorgang, wenn man als Charge die im Ausland produzierte Originalcharge ansähe.

Neben dem Wortlaut dürften auch Sinn und Zweck der Regelungen für ein solches Verständnis sprechen. Ausweislich der Ziffer 9 des Anhangs 19 zum EG-Leitfaden über Gute Herstellungspraxis, die der Regelung des § 18 Abs. 1 S. 5 AMWHV zugrunde liegt, vgl. die Verordnungsbegründung, BR-Drucksache 398/06, S. 73, dient die Pflicht zur Aufbewahrung eines Rückstellmusters beim Parallelimporteur oder -vertreiber in erster Linie der Rekonstruierbarkeit der Abläufe, wenn sich beim Endprodukt ein Problem zeigt. Es sei wichtig, so der Leitfaden, im Falle einer Produktverwechslung den Verantwortlichen schnell identifizieren zu können. Da diese Gefahr jedes Mal aufs Neue besteht, wenn mehrere Verpackungsvorgänge stattfinden, ergibt die Verpflichtung zur Aufbewahrung jeweils eines Musters, das den einzelnen Verpackungsvorgang repräsentiert, einen Sinn.

Soweit die Antragstellerin eine einschränkende Auslegung des § 18 Abs. 1 S. 1 AMWHV über den dort verwendeten Begriff der "ausreichende Menge" für angezeigt hält, vermag der Senat ihr nicht zu folgen. Denn der Begriff der "ausreichenden Menge" bezieht sich erkennbar nicht auf die Frage, bei welchen Anlässen jeweils Rückstellproben angelegt werden müssen, sondern auf den Umfang der einzelnen Proben. Die von der Antragstellerin verfochtene Sichtweise, der zufolge bei weiteren, aus einer Originalcharge hergestellten Inlandschargen auf Rückstellproben verzichtet werden kann, lässt sich auf den Begriff der "ausreichenden Menge" jedenfalls nicht stützen, weil § 18 Abs. 1 S. 1 AMWHV unmissverständlich regelt, dass "von jeder Charge" Rückstellmuster aufbewahrt werden müssen und weil sich dies vorliegend - wie vorstehend erläutert - auf die Inlandscharge bezieht.

Ebensowenig überzeugt der Hinweis der Antragstellerin auf das Wort "grundsätzlich" in § 18 Abs. 1 S. 4 AMWHV. Dieses kann nur als Hinweis auf die in § 18 Abs. 1 S. 5 und 6 AMWHV geregelten Ausnahmen verstanden werden, nicht aber als Anknüpfungspunkt für eine die Verpflichtung zur Mustervorhaltung einschränkende Einzelfallbetrachtung. Abgesehen davon, dass es für eine solche Einzelfallbetrachtung keine Entscheidungsmaßstäbe gäbe, wären die (geregelten) Ausnahmen der Sätze 5 und 6 des § 18 Abs. 1 AMWHV weitgehend überflüssig, wenn Satz 4 eine entsprechende Relativierung enthielte.

Der Senat vermag im Übrigen auch nicht zu erkennen, dass die Gefahr einer Produktverwechslung oder -vermischung "mit Sicherheit auszuschließen" ist, wie die Antragstellerin behauptet. Der Verordnungsgeber geht im Einklang mit der Einschätzung des EG-GMP-Leitfadens davon aus, dass bei der Produktion von Arzneimitteln generell ein entsprechendes Risiko besteht. Dass dies gerade bei der Antragstellerin nicht der Fall ist, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Schon die Anzahl der verschiedenen Arzneimittel, die von der Antragstellerin ausweislich der im Hauptsacheverfahren und - eingeschränkt - im vorliegenden Verfahren vorgelegten Listen vertrieben werden, lässt eine Verwechslung nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen, auch wenn die von der Antragstellerin getroffenen Vorkehrungen die entsprechende Gefahr als gering erscheinen lassen mögen. Der in der Bescheidbegründung geschilderte und von der Antragstellerin nicht in Abrede gestellte Vorfall, bei dem eine 100er-Packung des Arzneimittels "Q. " als 28er-Packung gekennzeichnet war, zeigt, dass Fehler auch im Betrieb der Antragstellerin auftreten können.

3. Bei summarischer Prüfung ist der Bescheid vom 21.10.2008 auch nicht unverhältnismäßig. Dass die Aufbewahrung von Rückstellmustern für jede Inlandscharge geeignet ist, die Rekonstruktion der Herstellungsabläufe im Falle von Fehlern oder Auffälligkeiten zu gewährleisten, liegt auf der Hand. Ein die Antragstellerin weniger belastendes, aber ebenso wirkungsvolles Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die bisherige Praxis der Antragstellerin kein solches Mittel. Denn sie ermöglicht lediglich die Rekonstruktion der Herstellung der ersten Inlandscharge aus einer Originalcharge. Treten Fehler bei der späteren Herstellung weiterer Inlandschargen aus derselben Originalcharge auf, so lassen sich diese mit dem bei dem früheren Herstellungsvorgang angelegten Rückstellmuster nicht rekonstruieren. Die zeitnahe Rekonstruktion der Abläufe kann im Einzelfall aber wichtig sein, um die Quelle eines entsprechenden Fehlers aufdecken, Maßnahmen zu seiner Beseitigung treffen und Rückrufaktionen oder ähnliche Maßnahmen durchführen zu können. Insoweit vermag der Senat die Ansicht der Antragstellerin, die Arzneimittelsicherheit sei vorliegend nicht gefährdet, nicht zu teilen.

Nachvollziehbar ist allerdings, dass die Antragstellerin durch die Maßnahme erheblich belastet wird. Die von ihr vorgelegten Listen zeigen, dass die produzierten Inlandschargen häufig einen sehr kleinen Umfang haben, so dass die Pflicht zur Aufbewahrung von Rückstellmustern entsprechend stark ins Gewicht fällt. Zwar hat die Antragstellerin die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme nur sehr pauschal beschrieben, ohne im Einzelnen darzulegen, welche zusätzlichen Kosten entstehen werden und in welchem Verhältnis diese zu dem von ihr erzielten Umsatz und Gewinn stehen. Auch stellt sich die Frage, ob die Antragstellerin die Belastung nicht reduzieren könnte, indem sie die Inlandschargen in größeren Mengen herstellt und vorhält. Auch auf der Basis des Vorgetragenen ist jedoch die Annahme eines schwerwiegenden Eingriffs in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit gerechtfertigt.

Zu berücksichtigen ist indes, dass die Regelung der Arzneimittelsicherheit und damit dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dient, den zu gewährleisten der Staat aufgrund von Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet ist. Da die Gesundheit zu den besonders hochrangigen Gütern zählt, darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die in das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich eingreifen. Im Übrigen ist es Sache des Gesetzgebers, in Bezug auf den jeweiligen Lebensbereich darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können. Hierbei kommt ihm ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

Vgl. zu alledem BVerfG, Urteil vom 30.7.2008 - 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/8 -, NJW 2008, 2409 (2413 f.), mit weiteren Nachweisen.

Die gleichen Grundsätze gelten für den Verordnungsgeber.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.8.2005 - 1 BvR 700/05 -, NJW 2005, 3132.

Vor diesem Hintergrund sind die Interessen der Antragstellerin letztlich dem vom Verordnungsgeber für notwendig gehaltenen Schutzkonzept unterzuordnen. Dass die von ihm für notwendig gehaltenen Maßnahmen in sich nicht schlüssig wären oder über das Ziel hinausschießen würden, ist bei summarischer Prüfung schon deshalb nicht erkennbar, weil sie weitgehend mit den Vorgaben des EG-GMP-Leitfadens gleichlaufen. Insoweit vermag der Senat im Übrigen auch eine Überschreitung der Verordnungsermächtigung des § 54 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 10 AMG nicht zu erkennen.

Der Antragstellerin bleibt überdies die Möglichkeit, Ausnahmen nach § 18 Abs. 1 S. 6 AMWHV, insbesondere für einzelne Arzneimittel oder einzelne Gruppen von Arzneimitteln, zu beantragen. Der bereits von ihr gestellte Antrag vom 4.9.2008 auf Gewährung einer generellen Ausnahme war sehr pauschal begründet. Er ist im Übrigen sowohl den Anträgen als auch der Antrags- und Beschwerdebegründung nach nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Keiner Entscheidung bedarf daher gegenwärtig die Frage, ob die Auslegung des § 18 Abs. 1 S. 6 AMWHV durch die Antragsgegnerin zutrifft oder die Voraussetzung der "besonderen Probleme bei der Lagerung" großzügiger interpretiert werden muss. Zu konstatieren ist jedenfalls, dass Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/94/EG vom 8.10.2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel (...), dem § 18 Abs. 1 AMWHV ausweislich seiner Begründung entsprechen soll, vgl. die Verordnungsbegründung, a. a. O., alternative Ausnahmetatbestände für den Fall einer kleinen Menge und für den Fall besonderer Lagerungsprobleme vorsieht. Dies legt die Frage nahe, ob es sich um ein Redaktionsversehen oder um eine bewusste, in der Verordnungsbegründung nicht angesprochene Abweichung des Verordnungsgebers von der Richtlinie handelt. Ob, wie das Bundesministerium für Gesundheit in seinem diesbezüglichen Schreiben vom 3.8.2007 an den Bundesverband der Arzneimittelimporteure ausführt, den Mitgliedstaaten durch die Verwendung des Wortes "können" in Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie Ermessen eingeräumt worden ist, erscheint im Übrigen überdenkenswert, zumal es im Richtlinientext heißt "...können mit Zustimmung der zuständigen Behörde...". Letzteres könnte darauf hindeuten, dass das "können" sich auf einen den Unternehmern einzuräumenden Spielraum bezieht, der nationale Gesetzgeber hingegen bei der Umsetzung der Richtlinie gebunden ist und nicht kumulative Voraussetzungen für das Eingreifen der Ausnahmebestimmung schaffen durfte.

4. Ist die Regelung in Ziffer 2 des Bescheids vom 21.10.2008 somit bei summarischer Prüfung rechtmäßig, so überwiegt auch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Regelung. Denn es geht, wie oben bereits ausgeführt, um Maßnahmen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit. Bliebe die Regelung vorläufig unvollzogen, so gelangte eine Vielzahl von Arzneimitteln auf den Markt, für die bei der Neukonfektionierung kein Rückstellmuster angelegt worden wäre. Durch das Fehlen der Rückstellmuster für viele Inlandschargen wäre die Möglichkeit, die Arzneimittel bei Qualitätsmängeln analytisch nachzutesten oder Verpackungsvorgänge nachzuvollziehen und Arzneimittelfälschungen aufzudecken, beeinträchtigt, wie der Antragsgegner zu Recht ausführt. Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von der Vollziehung der Ordnungsverfügung verschont zu bleiben, muss dahinter zurückstehen.

Ende der Entscheidung

Zurück