Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: 13 B 2057/05
Rechtsgebiete: VwGO, AMG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
AMG § 24a Satz 3 a.F.
AMG § 141 Abs. 5
Zur Befugnis des Inhabers der Zulassung eines Original-Arzneimittels, die Zulassung eines Generikums anzufechten.
Tatbestand:

Die Antragstellerin, Inhaberin der Zulassung eines Original-Arzneimittels, beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Zulassung eines Generikums. Der Antrag hatte weder beim VG noch beim OVG Erfolg.

Gründe:

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung durch das OVG beschränkt ist, rechtfertigen im Rahmen des Verfahrens nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO keine Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin. Die Interessenabwägung kann sich allerdings hier nicht an den Erfolgsaussichten der Klage orientieren. Diese sind im vorliegenden Verfahren, in dem nur eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage möglich und geboten ist, nicht abschließend zu klären, weil schwierige Rechtsfragen zu beantworten sind.

Letzteres gilt zwar nicht bezüglich des Ablaufs der Unterlagenschutzfrist. Die Rüge der Antragstellerin, das VG habe die Dauer der nach § 24a Satz 3 AMG a.F. in Verbindung mit § 141 Abs. 5 AMG zu berechnenden Unterlagenschutzfrist sowie deren Beginn unrichtig ermittelt, führt schon mit Blick darauf, dass die Antragstellerin bereits in der Antragsschrift ausgeführt hat, die Unterlagenschutzfrist sei unstreitig, mithin auch unter Zugrundelegung der nach ihrer Auffassung maßgebenden Berechnungsgrundlagen abgelaufen, nicht zu einer vom VG abweichenden Bewertung der Erfolgsaussichten der Klage.

Komplexe Rechtsfragen knüpfen aber an das weitere Vorbringen der Antragstellerin an. Der eingehenden Überprüfung bedarf insbesondere die Annahme der Antragstellerin, sie sei "berechtigt, sich unmittelbar auf die Richtlinie 2001/83/EG zu berufen, um die generische Zulassung für A. 10 mg Tabletten anzufechten".

Insoweit ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass Art. 4 Abs. 2 Nr. 8 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26.1.1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel in der bis zum 1.7.1987 umzusetzenden Fassung der Richtlinie 87/21/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Änderung der Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. Nr. L 015 vom 17.1.1987, S. 36) durch Art. 10 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vom 6.11.2001 (ABl. Nr. L 311 vom 28.11.2001, S. 67) (Richtlinie 2001/83/EG) ersetzt worden ist. Dieser ist schließlich durch die bis zum 30.10.2005 umzusetzende Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eins Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 136 vom 30.4.2004, S. 34) (Richtlinie 2004/27/EG) geändert worden. Das 14. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2570) dient u.a. der Umsetzung der letztgenannten Richtlinie.

Angesichts dieser Rechtsentwicklung ist im Hauptsacheverfahren abschließend zu klären, ob die Erfolgsaussichten der Klage bezogen auf den Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung des Generikums oder der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen sind.

Sollte auf den Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung des Generikums abzustellen sein, würde sich die Frage stellen, ob die Antragstellerin ihr Begehren, wie von ihr angenommen, auf eine unmittelbare Geltung von Art. 10 Abs. 1 lit. a) iii) der Richtlinie 2001/83/EG stützen kann. Einer unmittelbaren Geltung dieser Richtlinienbestimmung dürfte jedoch bereits deren nicht hinreichende Bestimmtheit entgegenstehen. Insoweit fügt sich, dass Art. 10 der Richtlinie 2001/83/EG (erst) durch die Richtlinie 2004/27/EG genauer gefasst worden ist.

Die für die Umsetzung der Richtlinie 2004/27/EG gesetzte Frist war im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung des Generikums noch nicht abgelaufen, so dass die Antragstellerin schon vor diesem Hintergrund - ungeachtet der auch in Ansehung der dargelegten Präzisierung fortbestehenden Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit dieser Richtlinie - deren unmittelbare Geltung jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung des Generikums ebenfalls nicht beanspruchen könnte.

Einer unmittelbaren Anwendung der vorgenannten Richtlinienbestimmungen könnte im Falle der bei der Zulassung eines Generikums zwangsläufig gegebenen Dreieckskonstellation im Übrigen entgegenstehen, dass diese, wie nicht zuletzt das vorliegende Verfahren verdeutlicht, eine Belastung des Herstellers des Generikums, mithin hier des Beigeladenen beinhalten und folglich eine - wenn auch nur mittelbare - unzulässige Drittwirkung begründen würde.

Sollte auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen sein, wäre zu berücksichtigen, dass u.a. die Richtlinie 2004/27/EG durch das 14. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2570) fristgemäß umgesetzt worden ist, so dass die Antragstellerin sich allenfalls dann auf deren unmittelbare Geltung berufen könnte, wenn die Antragsgegnerin ihrer Umsetzungspflicht in einer inhaltlich unzureichenden Weise nachgekommen ist.

Einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren bedarf gegebenenfalls im Weiteren auch die auf der Annahme der unmittelbaren Geltung der Richtlinie 2001/83/EG gründende Auffassung der Antragstellerin, dem Originalhersteller eines Arzneimittels komme allein vor dem Hintergrund des Grundsatzes der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts eine Rechtsposition zu, die es ihm, ohne dass ihm ein subjektives Recht zugewiesen sein müsse, ermögliche, die Rechtmäßigkeit der Erteilung der Zulassung des Generikums auch nach Ablauf der Unterlagenschutzfrist gerichtlich kontrollieren zu lassen.

Die seitens der Antragstellerin angeführten Urteile des EuGH vom 12.11.1996 in der Rechtssache C-201/94 (Slg. I 1996, 5819) sowie vom 17.9.2002 in der Rechtssache C-253/00 (Slg. I 2002, 7289) sind nicht ohne weiteres geeignet, ihre Auffassung zu stützen. Sie betreffen gerade keine Zulassungen von Generika, sondern gänzlich andere Fallgestaltungen. Bereits vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwieweit die dortigen Ausführungen überhaupt auf das vorliegende Verfahren übertragen werden können.

Gegenstand des Verfahrens C-253/00 war die Frage, ob es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein muss, die Beachtung der Bestimmungen von Verordnungen, über Qualitätsnormen für Obst und Gemüse im Wege eines Zivilprozesses gegen einen Konkurrenten durchzusetzen. Die Verwertbarkeit der diesbezüglichen Ausführungen des EuGH kann die Antragstellerin schon mit Blick darauf, dass sich die Frage des Bestehens eines subjektiven Rechts in einer zivilrechtlichen und nicht wie hier in einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit gestellt hat, nicht uneingeschränkt für sich in Anspruch nehmen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Inverkehrbringen von Arzneimitteln anderen rechtlichen und strukturellen Vorgaben unterliegt als der Handel mit Obst und Gemüse.

Das Verfahren C-201/94 betraf den Fall eines Parallelimports. Der Entscheidungsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass verallgemeinerungsfähige und damit gegebenenfalls auch auf die Zulassung eines Generikums übertragbare Aussagen formuliert werden sollten. Die gewählten Formulierungen (vgl. insbesondere Rdnr. 39 des Urteils) indizieren vielmehr, dass ausschließlich die Konstellation des Parallelimports in den Blick genommen worden ist.

Weiter ist zu bedenken, dass die Ausführungen des EuGH in den genannten Entscheidungen schon angesichts der Besonderheiten des europäischen Prozessrechts jedenfalls nicht ohne weiteres verallgemeinert werden können. Bedeutsam ist insoweit, dass der EuGH Klagen Einzelner immer auch als Mittel zur allgemeinen Legalitätskontrolle begreift.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass sich bezüglich der Frage, anhand welcher Kriterien die Existenz gemeinschaftsrechtlich eingeräumter Rechtspositionen zu ermitteln ist, nach wie vor keine einheitliche Linie herausgebildet hat. Der EuGH äußert sich vage und im Schrifttum finden sich die unterschiedlichsten Auffassungen.

Vgl. Gellermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Auflage, 2003, § 36 Rdnr. 13 ff.; Ruffert, in: Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Auflage, 2002, Art. 249 EG-Vertrag Rdnr. 87; Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 199, 457 (463), jeweils mit weiteren Nachweisen.

Ob und inwieweit die Antragstellerin die angeführten Entscheidungen trotz der vorstehenden Erwägungen zur Stützung ihrer Auffassung in Anspruch nehmen kann, ist gegebenenfalls abschließend neben den bereits aufgeworfenen Fragen im Hauptsacheverfahren zu prüfen.

Die nach dem Vorstehenden unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.

Im Rahmen der Interessenabwägung sind auf Seiten der Antragstellerin ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Etwaige Sicherheitsrisiken, die nach ihrem Vorbringen bezüglich des Generikums gegeben sein sollen, berühren allein die Interessen der Bevölkerung. Soweit die Antragstellerin durch die behaupteten Sicherheitsrisiken ihre wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen berührt sieht, sind ihr die diesbezüglichen Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist in den Blick zu nehmen, dass die Antragstellerin sich, was sie auch nicht in Frage stellt, auf den Ablauf der Unterlagenschutzfrist und damit auf die Möglichkeit der Zulassung von Generika einstellen konnte. Sie hatte und hat es in der Hand, einer etwaigen durch die Zulassung von Generika bedingten Reduzierung des auf das Originalpräparat entfallenden Marktanteils durch eine Preisgestaltung zu begegnen, die sich an der Konkurrenzsituation orientiert. Insoweit kann nicht außer Acht gelassen werden, dass es im öffentlichen Interesse liegt, das Entstehen eines Marktes für Generika nicht zu behindern. Generika spielen eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem, indem sie dazu beitragen, die Arzneimittelpreise zu senken, und damit das Gesundheitssystem entlasten. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls vorliegend geboten, der Beigeladenen die Möglichkeit des Vertriebs ihres Generikums während der Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht zu verschließen.

Ende der Entscheidung

Zurück