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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: 13 B 310/08
Rechtsgebiete: VergabeVO NRW


Vorschriften:

VergabeVO NRW § 6 Abs. 3
VergabeVO NRW § 6 Abs. 4
VergabeVO NRW § 6 Abs. 5
VergabeVO NRW § 17
Zu den Voraussetzungen der Zulassung zu einem Zweitstudium (hier: Tiermedizin).
Tatbestand:

Die Antragstellerin hat das Studium "Agrarwissenschaften" mit der Diplomprüfung und der Gesamtnote "gut" abgeschlossen. Nunmehr begehrt sie die Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang "Tiermedizin". Den Zulassungsantrag begründete sie damit, es sei ihr Wunsch, als sog. Rinderpraktikerin zu arbeiten. Die ZVS lehnte den Zulassungsantrag ab. Ihr Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht prüft im Beschwerdeverfahren - im Grundsatz - nur die fristgerecht dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO).

Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 = NJW 2004, 2510, 2511; Bay. VGH, Beschluss vom 16.1.2003 - 1 CS 02.1922 -, NVwZ 2003, 632.

Der angefochtene Beschluss ist in diesem vorgegebenen Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt nicht, ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Zulassung zum Studium der Tiermedizin gemäß dem zum Wintersemester 2007/2008 gestellten Zulassungsantrag stattzugeben.

Die Antragstellerin stützt ihre Beschwerde darauf, die Kombination der Studiengänge Agrarwissenschaft und Tiermedizin führten zu einem höheren Niveau. Der Tierarzt handele nicht nur kurativ, sondern auch präventiv, um Krankheiten und wirtschaftliche Schäden für den Tierhalter zu vermeiden. Prävention bedeute hier die richtige Fütterung, Haltung und Zucht der Tiere sowie richtiges Qualitätsmanagement. Ein grundlegender Wechsel des Berufsbildes ergebe sich nicht, wenn sie das Studium der Tiermedizin absolviert habe. Das VG habe die in den Fallgruppen zur Ermittlung der Messzahl bei der Auswahl der für ein Zweitstudium genannten Anforderungen überspannt und eine klare Trennung zwischen ihnen unterlassen.

Hiervon ausgehend kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Das Begehren, ein Zweitstudium aufzunehmen, wird nach Maßgabe des § 17 der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen in Nordrhein-Westfalen (VergabeVO NRW) vom 2.5.2006 (GV.NRW. S. 166) i.V.m. der Änderungsverordnung vom 5.5.2007 (GV.NRW. S. 183) behandelt. Danach ergibt sich für die Aufnahme eines Zweitstudiums ein eigener Zugangsweg. Zwar kann auch derjenige, der bereits ein Studium abgeschlossen hat, grundsätzlich die Möglichkeit wahrnehmen, ein weiteres Studium aufzunehmen. Verschärfte Zulassungsbedingungen nach § 17 VergabeVO NRW finden ihre Rechtfertigung aber darin, dass sich dieser Bewerber bereits durch eine Ausbildung im Hochschulbereich die Grundlage für eine berufliche Tätigkeit geschaffen hat. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Zulassung zum Studium der Wahl wird durch den Abschluss eines Erststudiums nicht verbraucht. Das Grundrecht der freien Berufswahl umfasst daher auch einen Berufswechsel als Akt freier Selbstbestimmung; wegen des inneren Zusammenhangs von Berufswahl und Berufsausübung gilt insoweit das Gleiche für die Ausbildung zu einem weiteren Beruf.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 8.2.1977 - 1 BvF 1/76 u. a. -, BVerfGE 43, 291 = NJW 1977, 569, 575; Beschluss vom 3.11.1982 - 1 BvR 900/78 -, BVerfGE 62, 117 = NVwZ 1983, 277, 278.

In Studiengängen mit Zulassungsbeschränkungen ist die Zulassung zu einem Zweitstudium auf eine Sonderquote allerdings gerechtfertigt beschränkt; der Ausschluss von Zweitstudienbewerbern von den generellen Kriterien des allgemeinen oder besonderen Auswahlverfahrens ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.5.1996 - 13 B 1011/96 -.

Bewerber für ein Zweitstudium werden nicht im Rahmen der Quoten nach § 6 Abs. 3 bis 5 VergabeVO NRW ausgewählt (§ 17 Abs. 1 VergabeVO NRW). Die Rangfolge wird durch eine Messzahl bestimmt, die aus dem Ergebnis der Abschlussprüfung des Erststudiums und dem Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium ermittelt wird. Die Einzelheiten der Ermittlung der Messzahl ergeben sich aus Anlage 3 zur VergabeVO NRW (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 VergabeVO NRW). Nach Abs. 1 der Anlage 3 ist die Messzahl die Summe der Punktzahlen, die für das Ergebnis der Abschlussprüfung des Erststudiums und für den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium vergeben werden. Hiernach hat die Antragsgegnerin die für die Bewerbung der Antragstellerin maßgebliche Messzahl zutreffend ermittelt. Da die Antragstellerin bei der Abschlussprüfung im Fach Agrarwissenschaften das Ergebnis "gut" erzielt hatte, waren hierfür 3 Punkte zu vergeben (Abs. 2 Nr. 2 der Anlage 3). Den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium hat die Antragsgegnerin in rechtlich nicht anfechtbarer Weise mit einem Punkt bewertet, weil kein i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 bis 4 der Anlage 3 anerkannter Grund gegeben ist.

Für den Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium wird zwischen zwingenden beruflichen (9 Punkte) sowie wissenschaftlichen (7 - 11 Punkte), besonderen beruflichen (7 Punkte) und sonstigen beruflichen Gründen (4 Punkte) unterschieden; wer keine dieser Gründe vorweisen kann, also einen Berufswechsel anstrebt, erhält einen Punkt.

Zwingende berufliche Gründe liegen vor, wenn normativ vorgeschrieben ist, dass der angestrebte Beruf nur aufgrund zweier abgeschlossener Studiengänge ausgeübt werden kann (Abs. 3 Nr. 1 der Anlage 3).

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 7.1.1997 - 13 E 1382/96 -.

Unstreitig sind solche Gründe hier nicht gegeben. Gleichfalls liegen wissenschaftliche Gründe für ein Zweitstudium der Antragstellerin i. S. v. Abs. 3 Nr. 2 der Anlage 3 fraglos nicht vor.

Besondere berufliche Gründe bestehen, wenn die berufliche Situation dadurch erheblich verbessert wird, dass der Abschluss des Zweitstudiums das erste Studium sinnvoll ergänzt (Abs. 3 Nr. 3 der Anlage 3). Auch dieser Grund ist vorliegend nicht gegeben.

Prägend für die Auslegung - auch - des Abs. 3 Nr. 3 der Anlage 3 zur VergabeVO NRW ist das schützenswerte Interesse von Erstbewerbern an der Zulassung zu einem Studium, so dass der Zugang zu einem Zweitstudium von Bewerbern mit erfolgreicher Hochschulausbildung erheblich erschwert werden darf.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.11.1982 - 1 BvR 900/78 -, BVerfGE 62, 117 = NVwZ 1983, 277, 278.

Der mit der Zweitstudienregelung bezweckte Schutz der Erststudienbewerber zwingt zu einer engen Auslegung der Fallgruppen. Da das Zweitstudium eine sinnvolle Ergänzung des Erststudiums darstellen muss, ist ein Berufswechsel durch ein Zweitstudium in berufsfremden zulassungsbeschränkten Studiengängen ausgeschlossen. Zugelassen ist aber der Erwerb einer Doppelqualifikation durch ein interdisziplinäres Studium, wenn dies für die sachgemäße Ausübung des angestrebten Berufs sinnvoll ist, ohne dass dabei einseitig herkömmliche Berufsbilder bevorzugt werden.

Vgl. BVerfG, a. a. O.

Ergänzen sich die beiden Studiengänge sinnvoll, kommt es nicht darauf an, wo der Schwerpunkt der späteren Berufsausübung liegt und in welcher zeitlichen Reihenfolge das Erst- und das Zweitstudium betrieben werden (vgl. auch ZVS-Info S. 56).

Das von der Antragstellerin angestrebte Zweitstudium stellt in diesem Sinne keine sinnvolle Ergänzung des Erststudiums dar. Zu Recht hat die Antragsgegnerin das Vorliegen von besonderen beruflichen Gründen bei der Antragstellerin verneint. Eine durch die Absolvierung von universitären Studiengängen erlangte Doppelqualifikation wird nämlich nicht angestrebt. Weder liegt eine Ergänzung des Studiengangs Agrarwissenschaften durch das angestrebte Studium der Tiermedizin vor noch ist der umgekehrte Fall gegeben. Nach der Begründung für die Aufnahme des Zweitstudiums Tiermedizin vom 19.7.2007 strebt die Antragstellerin den Beruf einer praktischen Tierärztin in einer Rinderpraxis als Rinderpraktikerin an. Ob der Rinderpraktiker, der nicht nur für die Behandlung kranker Tiere, sondern auch für die Prävention von Erkrankungen zuständig sei, die Voraussetzungen für ein eigenständiges Berufsbild zu erfüllen vermag oder ob er lediglich ein Anwendungsfall des praktizierenden Veterinärmediziners ist, bedarf keiner weiteren Erörterung, wobei auch der Senat davon ausgeht, dass es nicht die Funktion des Zulassungsrechts ist, die Ausbildung zu neuartigen Berufen zu reglementieren. Der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit der Antragstellerin läge aber nach Absolvierung des Studiums Tiermedizin nicht nur in einem anderen Berufsfeld, weil sie nach ihrem eigenen Vorbringen den Wechsel von einem landwirtschaftlichen zu einem tierärztlichen Beruf anstrebt; sie beabsichtigt nicht den Erwerb einer Doppelqualifikation als Dipl.-Agraringenieurin einerseits und Tiermedizinerin andererseits. Zutreffend hat das VG hervorgehoben, die Antragstellerin wolle veterinärmedizinische Aufgaben in einer auf Rinder spezialisierten tierärztlichen Praxis wahrnehmen, ihre Ausführungen ließen aber nicht darauf schließen, dass die Ausübung des angestrebten Berufs das vollständige Studium der Agrarwissenschaften voraussetze. Es mag demnach in der Tat sinnvoll sein, die Bereiche der Fütterung, Zucht, Haltung von Rindern zu beherrschen, wenn die Antragstellerin als sog. Rinderpraktikerin tätig sein will. Jedoch bedarf sie nicht der Absolvierung zweier Vollstudien, um als praktische Tierärztin in einer Rinderpraxis zu arbeiten.

Zu dem Erfordernis eines Vollstudiums im Rahmen von Zweitstudiengängen vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.5.1996 - 13 B 1011/96 - und vom 4.2.1998 - 13 B 3022/07 -.

Dies macht die Antragstellerin im Übrigen auch nicht geltend. Die Absolvierung des vollständigen Studiengangs Agrarwissenschaften ist somit für die Tätigkeit als Rinderpraktikerin nicht erforderlich und stellt keine sinnvolle Ergänzung des Veterinärstudiums dar; gleiches gilt auch im umgekehrten Fall.

Schließlich scheidet eine Zuordnung zur Fallgruppe 4 des Abs. 3 der Anlage 3 aus. Sonstige berufliche Gründe liegen vor, wenn das Zweitstudium aufgrund der beruflichen Situation aus sonstigen Gründen zu befürworten ist; in diesem Fall werden 4 Punkte vergeben. Die Fallgruppe 4 hat der Verordnungsgeber in der Erkenntnis geschaffen, dass die nach einem Erststudium erreichte berufliche Situation durch ein Zweitstudium auch ohne inhaltliche Berührung beider Studiengänge und daher ohne - sinnvolle - Ergänzung des Erststudiums durch das Zweitstudium faktisch verbessert werden kann, dass mithin das Raster der Fallgruppen 3 ("besondere berufliche Gründe") und 5 ("keiner der vorgenannten Gründe") zu grob sei.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.3.2000 - 13 B 76/00 -.

Die Schaffung der Fallgruppe 4 ist demnach Ausdruck einer verhältnismäßigen Vergabe von Zweitstudienplätzen. Mit Rücksicht auf die nach wie vor für jeden Studienplatz notwendigen erheblichen öffentlichen Mittel kann aber nur ein Grund in Betracht kommen, der eine zu erwartende Verbesserung der beruflichen Situation des Bewerbers durch das Zweitstudium erkennen lässt. Hiervon abzugrenzen ist die durch das Zweitstudium angestrebte berufliche Situation im Zuge eines Wechsels des aufgrund des Erststudiums erlangten Berufes. Dem schlichten Berufswechsel kommt keine weitere als der von der Fallgruppe 5 ("keiner der vorgenannten Gründe") mit einem Punkt versehenen Bedeutung zu.

Vgl. OVG NRW, a. a. O.

So liegt es hier. Obgleich die Antragstellerin das Studienfach Agrarwissenschaft in der Studienrichtung Tierwissenschaften absolviert hat, würde sich durch ein abgeschlossenes Studium im Studiengang Tiermedizin ihre berufliche Situation als Dipl.-Agraringenieurin nicht verbessern. Denn die Antragstellerin strebt an, nach Absolvierung des tiermedizinischen Studiums in den Beruf der Tierärztin überzuwechseln. Da sich die Bedeutung der Fallgruppe 4 hauptsächlich in der Abgrenzung zu der Fallgruppe 5 erschließt, wobei allerdings auch ein Blick auf das System des Abs. 3 der Anlage 3 mit seiner abgestuften Punkteskala zeigt, dass nur spezifische berufliche Gründe die Zulassung zu einem Zweitstudium rechtfertigen können, kann der bloße Wunsch eines Berufswechsels oder eines weiteren Studiums nicht ausreichend sein, auch wenn der Studienbewerber - wie hier die Antragstellerin - sich davon bessere berufliche Perspektiven verspricht. Abgesehen hiervon steht der Zuordnung zur Fallgruppe 4 entgegen, dass die angestrebte Tätigkeit als Rinderpraktikerin nicht ein komplettes agrarwissenschaftliches Studium voraussetzt. Zu Recht hat das VG daher ausgeführt, das für die Tätigkeit als Rinderpraktikerin erwünschte und erforderliche Fachwissen könne durch eine geringere Inanspruchnahme hochschulischer Ausbildungsressourcen (z.B. durch den Besuch von Fachseminaren oder durch ein Gasthörerstudium) erworben werden.

Da berufsspezifische Gründe i. S. d. Abs. 3 Nr. 1 bis 4 der Anlage 3 nicht gegeben sind, ist die Antragstellerin zutreffend der Fallgruppe 5 mit dem Wert "1 Punkt" zugeordnet worden. Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Einordnung der Gründe für das angestrebte Zweitstudium nicht auf Dauer zur Versagung eines Tiermedizinstudiums nach erfolgreichem Studiums der Agrarwissenschaften führt, sondern nur solange besser qualifizierte Konkurrenten die begrenzte Zahl an Zweitstudienplätzen in dem Studiengang Tiermedizin einnehmen.

Ende der Entscheidung

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