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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.08.2005
Aktenzeichen: 13 B 426/05
Rechtsgebiete: VwGO, ApoG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 1. Fall
AMG § 4 Abs. 17
AMG § 43
AMG § 43 Abs. 1
AMG § 43 Abs. 1 Satz 1
AMG § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a
AMG § 43 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz
AMG § 69 Abs. 1 Satz 1
AMG § 73 Abs. 1 Satz 1
AMG § 73
AMG § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a
ApoG § 2 Abs. 1
ApoG § 2 Abs. 2
ApoG § 11a
ApoG § 11a Satz 1 Nr. 3 lit. d)
Zur Vereinbarkeit der Bestellung und Abholung von Arzneimitteln in Drogeriemärkten u.a. mit arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorschriften
Tatbestand:

Die Antragstellerin betreibt deutschlandweit etwa 650 Drogeriemärkte. Im Juni 2004 hatte sie in Kooperation mit einer niederländischen Versandhandelsapotheke (EAV) testweise in acht ihrer Märkte einen Bestell- und Abholservice für Arzneimittel eingerichtet: Der Kunde füllte einen Bestellschein aus, steckte ihn gegebenenfalls zusammen mit dem Rezept in eine Bestelltasche und warf diese in einen verschlossenen Kasten. Spätestens nach drei Tagen konnte er das Paket mit den aus den Niederlanden gelieferten Arzneimitteln in dem Markt abholen. Der Antragsgegner untersagte diesen Service unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und beantragte zugleich bei dem VG vorläufigen Rechtsschutz. Das VG lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Entscheidung des VG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings geht der Senat bei der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung davon aus, dass sich die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung des Antragsgegners im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht hinreichend sicher beurteilen lässt.

Es spricht zunächst einiges dafür, dass ein Vorgehen des Antragsgegners gegen das von der Antragstellerin mit der EAV vereinbarte Vertriebskonzept für Arzneimittel auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG rechtlich zulässig ist, weil das Konzept unter anderem gegen die §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 Satz 1 AMG verstoßen dürfte.

Soweit hier von Interesse bestimmt § 43 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AMG, dass Arzneimittel berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbraucher nur in Apotheken oder im behördlich genehmigten Versandhandel in den Verkehr gebracht werden dürfen.

Unabhängig davon, von wem die von der EAV an die von der Antragstellerin betriebenen Drogeriemärkte übersandten Arzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 17 AMG in den Verkehr gebracht werden, liegt jedenfalls kein zulässiges Inverkehrbringen in einer Apotheke vor, weil es an einer solchen fehlt. Apotheken im Sinne der Vorschrift sind nur die nach dem Apothekengesetz zugelassenen Einrichtungen. Über eine Apothekenerlaubnis nach § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 ApoG verfügen jedoch weder die Antragstellerin noch die EAV. Dass letztere nach eigenem Bekunden in den Niederlanden eine solche Erlaubnis besitzt, dürfte sie nicht zum Betrieb einer Apotheke im Geltungsbereich des deutschen Apothekengesetzes, namentlich in den Drogeriemärkten der Antragstellerin berechtigen.

Ein zulässiges Inverkehrbringen im Wege des Versandhandels dürfte ebenfalls nicht vorliegen. Dies gilt im Hinblick auf die - Arzneimittel ohnehin nicht versendende - Antragstellerin schon deshalb, weil sie nicht die nach den §§ 43 Abs. 1 AMG, 11a ApoG erforderliche behördliche Versanderlaubnis besitzt und ihr diese mangels Apothekenerlaubnis auch nicht erteilt werden kann. Zwar dürfte die EAV unabhängig davon, ob die weiteren Anforderungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG hier erfüllt sind, als in den Niederlanden ansässiges Unternehmen keine deutsche Versandhandelserlaubnis benötigen. Gleichwohl liegt kein zulässiges Inverkehrbringen vor, weil das zwischen der Antragstellerin und der EAV vereinbarte Vertriebskonzept nicht als Versandhandel im Sinne des Arzneimittelgesetzes und des Apothekengesetzes zu qualifizieren sein dürfte.

Was unter Versand bzw. Versandhandel im Sinne der §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG, 11a f. ApoG zu verstehen ist, wird in den genannten Gesetzen selbst nicht definiert. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG), auf den die jetzige Fassung des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG zurückgeht, heißt es in der Begründung zur Einführung dieser Vorschrift zwar, dass der Versandhandel und elek-tronische Handel mit dem Endverbraucher ermöglicht werden solle; ferner ist von Bestellungen von Arzneimitteln über das Internet (Elektronischer Handel, e-Commerce) aus dem Ausland die Rede.

Vgl. BT-Drucks. 15/1525, S. 165.

Nähere Begriffsbestimmungen finden sich jedoch auch dort nicht.

Orientiert man sich am allgemeinen Sprachgebrauch und der allgemeinen Praxis im Versand- und Internethandel, dürfte unter Versand die Übermittlung von Waren auf Veranlassung des Versenders an den Besteller (Empfänger) durch ein vom Versender beauftragtes (Logistik-)Unternehmen mittels dazu geeigneter Transportsysteme zu verstehen sein. Abgeschlossen ist der Versand, wenn das Logistikunternehmen die Ware dem Empfänger übergibt, ihm also den unmittelbaren Besitz verschafft, was regelmäßig unter einer vom Besteller angegebenen Lieferanschrift erfolgt.

Dagegen stellt die Abholung der Ware durch den Empfänger kein herkömmliches oder typisches Element des Versandes dar. Zwar sind in der heutigen Zeit neben das ehemalige Monopolunternehmen Bundespost, das im klassischen Versandhandel jahrzehntelang fast ausschließlich die Waren den Empfängern zustellte (vgl. Meyers Enzyklopädischem Lexikon, 1971, unter "Versandgeschäft": Waren werden auf Bestellung mit der Post dem Kunden zugesandt), zahlreiche andere Logistikunternehmen getreten, die die (Aus-) Lieferung der Waren an den Empfänger übernehmen. Auch die Bestellmöglichkeiten sind durch neue Kommunikationstechniken immer zahlreicher geworden. Daran, dass die Waren regelmäßig zu einer von dem Besteller angegeben Adresse geliefert und dort übergeben werden, hat sich jedoch nichts geändert. Zwar kommt es durchaus vor, dass nach Fehlschlagen der Zustellung wegen Abwesenheit des Empfängers die Ware an einem von dem Logistikunternehmen bezeichneten Ort abgeholt werden kann. Ferner mag es Fälle geben, in denen es für den Besteller praktischer wäre, wenn von vornherein von einer Zustellung abgesehen und statt dessen ein Abholort vereinbart würde. Anhaltspunkte dafür, dass ein solches Abholverfahren im Versand- und/oder Internethandel inzwischen im größeren Umgang praktiziert wird oder gar zum Regelfall geworden ist und die bisher übliche Zustellung abgelöst hat, sind von der Antragstellerin weder hinreichend dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Daran anknüpfend kann erst recht nicht davon ausgegangen werden, dass Abholverfahren zu den die Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Einführung des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG bestimmenden Gegebenheiten gehörten.

Angesichts dessen spricht vieles dafür, dass mit dem Begriff des Versandes in den §§ 43 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG die herkömmliche und nach wie vor übliche Form der Lieferung an eine vom Besteller angegebene Anschrift gemeint ist und der Gesetzgeber auch nur dies zulassen wollte. Bestätigt wird diese Annahme zum einen durch die bereits zuvor zitierte Begründung zu § 43 AMG im Entwurf des GKV-Modernisierungsgesetzes. Soweit in dieser darauf abgestellt wird, dass der Versandhandel einschließlich des elektronischen Handels bestimmten Personengruppen entgegen komme, handelt es sich im wesentlichen um solche, für die aus unterschiedlichen Gründen (Alter, Krankheit, Entfernung) der Weg zu einer Apotheke zwecks Beschaffung von Arzneimitteln mit Umständen verbunden ist und die dementsprechend von einer Lieferung zu sich nach Hause profitieren. Eine Abholung passte überhaupt nicht in dieses Bild, weil die Gründe, die bei diesem Personenkreis gegen das Aufsuchen einer Apotheke sprechen, in gleicher Weise einer Abholung der bestellten Arzneimittel an einem anderen Ort entgegenstehen würden. Diese Erwägungen treffen in ähnlicher Weise auf die in der Gesetzesbegründung ferner genannten Berufstätigen zu, wenn man unterstellt, dass diese aus zeitlichen Gründen keine Apotheke aufsuchen können. Der Versandhandel eröffnet ihnen weitere Möglichkeiten, um in den Besitz benötigter Arzneimittel zu gelangen (Lieferung an den Arbeitsplatz, an eine andere Person oder an die Wohnanschrift außerhalb der Apothekenöffnungszeiten), während einer Abholung in einer geschäftlichen Einrichtung o.ä. die gleichen zeitlichen Gründe entgegenstehen dürften, die das Aufsuchen einer Apotheke verhindern. Zum anderen bestätigt § 11a Satz 1 Nr. 3 lit. d) ApoG das dargelegte Auslegungsergebnis. Das VG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Erfordernis einer Zweitzustellung notwendigerweise eine Erstzustellung voraussetzt. Zustellen im normalen Sprachgebrauch bedeutet jedoch, dass etwas hin zum Empfänger gebracht und diesem übergeben wird (vgl. Knaurs Rechtschreibung, 1980: jemandem etwas zustellen = ins Haus bringen). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang den Begriff der Abholzustellung bemüht, verhilft dies dem Begehren nicht zum Erfolg, weil es sich anscheinend um eine Wortneuschöpfung handelt, die weder in dem zuvor genannten Wörterbuch noch im DUDEN, Die deutsche Rechtschreibung, 22. Auflage 2000, verzeichnet noch im Internet (beispielsweise über die Suchmaschine Google unter http://www.google.de) zu finden ist. Zudem ist dieser Begriff bereits in sich widersprüchlich, weil im normalen Sprachgebrauch Abholung und Zustellung gerade unterschiedliche Vorgänge bezeichnen.

Ausgehend hiervon stellt das von der Antragstellerin und der EAV entwickelte Vertriebskonzept keinen Versand dar, weil es darauf angelegt ist, dass die Arzneimittel dem Endverbraucher nicht zugestellt, sondern von ihm in den von der Antragstellerin betriebenen Drogeriemärkten abgeholt werden. Die Ausgabe von Waren in besonderen Abholstellen gehört nach den vorstehenden Ausführungen jedoch nicht zu den charakteristischen Merkmalen des Versandhandels. Der Umstand, dass nach dem Vertriebskonzept der Verbraucher selbst mit seinen Erklärungen auf dem Bestellschein die Lieferung der Arzneimittel an einen bestimmten Drogeriemarkt in Auftrag gibt, um sie dort abzuholen, rechtfertigt selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch im herkömmlichen Versand- und Internethandel die Möglichkeit besteht, die Waren an eine andere als die eigene Anschrift liefern zu lassen, kein anderes Ergebnis. Die Unterschiede liegen darin, dass der Verbraucher im herkömmlichen Versand- und Internethandel zunächst frei in der Entscheidung ist, welche andere Lieferadresse er angibt. Ferner können mit der Angabe der anderen Lieferadresse unterschiedliche Intentionen verfolgt werden: der Verbraucher kann die Lieferung unter dieser Adresse selbst entgegen nehmen wollen, weil er dort arbeitet oder sich aus anderen Gründen dort aufhält; es kann sich aber auch um die Adresse eines Verwandten oder Bekannten handeln, der die Ware entgegennehmen soll. Diese Möglichkeiten bestehen nach dem Vertriebskonzept der Antragstellerin nicht, weil zum einen feststeht, dass die andere Lieferadresse die eines bestimmten Drogeriemarktes ist, und zum anderen nicht der Verbraucher mit dieser anderweitigen Lieferung eine Intention verfolgt, sondern die Antragstellerin, die über die Abholung der Ware eine Präsenz des Bestellers in ihren Märkten erreichen will.

Zwar sieht der Bestellschein auch die Möglichkeit vor, sich die Arzneimittel wie im herkömmlichen Versandhandel an die eigene Anschrift liefern zu lassen. Zum einen macht allein diese Möglichkeit aus dem auf die Abholung der Arzneimittel in den Drogeriemärkten ausgerichteten Vertriebskonzept noch keinen Versandhandel. Denn die Kooperation zwischen der Antragstellerin und der EAV macht nur bei einer Abholung der Arzneimittel in den Drogeriemärkten Sinn, weil nur in diesem Fall die EAV Transportkosten zu den einzelnen Endverbrauchern einspart, während die Antragstellerin zumindest zum Zwecke der Steigerung der Kundenfrequenz daran interessiert ist, dass ihre Märkte bei der Abholung der Arzneimittel ein weiteres Mal aufgesucht werden. Zum anderen dürfte die Möglichkeit der Lieferung an die eigene Anschrift vom Verbraucher kaum in Anspruch genommen werden ... (wird ausgeführt)

Das Vertriebskonzept dürfte zugleich gegen das Verbringungsverbot in § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG verstoßen, weil weder die Antragstellerin noch der Endverbraucher nach Nr. 1 der Vorschrift zugelassene Empfänger sind und auch kein Versand an den Endverbraucher nach Nr. 1a vorliegt. Da die zuletzt genannte Nummer durch das GKV-Modernisierungsgesetz eingefügt wurde und es sich nach der Begründung des Gesetzesentwurfes um eine Folgeänderung zu der Änderung des § 43 Abs. 1 AMG handelt, vgl. BT-Drucks. 15/1525, S. 166, kann hinsichtlich der Auslegung des Ausdrucks des - hier nicht gegebenen - "Versandes an den Endverbraucher" auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.

Zusammengefasst lässt sich den Begründungen zur Änderung der §§ 43, 73 AMG im Entwurf des GKV-Modernisierungsgesetzes sowie den in § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG und § 11a ApoG normierten Anforderungen für den Versandhandel entnehmen, dass der Gesetzgeber mit dessen Zulassung keinesfalls den Verkehr mit Arzneimitteln insgesamt liberalisieren oder aber neue Vertriebskonzepte außerhalb der Apotheken zulassen wollte. Vielmehr dürfte er in dem Bewusstsein, dass die in der Begründung des Gesetzesentwurfs ausdrücklich erwähnten Bestellungen von Arzneimitteln aus dem Ausland über das Internet ohnehin nicht verhindert werden können, den Versuch unternommen haben, selbst den grenzüberschreitenden Versandhandel weitgehenden und strengen Regelungen zu unterwerfen. Folgte man der Argumentation der Antragstellerin, dass das hier streitige Vertriebskonzept als Versandhandel im Sinne der §§ 43, 73 AMG zu qualifizieren ist, könnten die EAV und andere europäische Versandapotheken vom Grundsatz her mit jedem beliebigen Gewerbebetrieb kooperieren und dort Abholstellen für Arzneimittel einrichten. Dass dies dem Willen des Gesetzgebers bei der Zulassung des Versandhandels entspricht, kann ausgeschlossen werden.

Die Beantwortung der Frage, ob unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Prämissen möglicherweise eine andere weitergehende Auslegung der Begriffe Versand und Versandhandel geboten ist, die das hier streitige Vertriebskonzept mit umfasste, muss dagegen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. In verfassungsrechtlicher Hinsicht könnte insbesondere mit Blick auf Art. 12 GG die Frage zu stellen sein, ob angesichts des inzwischen zugelassen Versandhandels sich für andere Vertriebssysteme ein hinreichendes Gefährdungspotenzial aufzeigen lässt, das die zur Begründung der sehr weitgehenden und restriktiven Reglementierungen im Arzneimittelhandel (Apothekenmonopol) ins Feld geführten Gemeinwohlbelange des Gesundheitsschutzes und - dem eher untergeordnet - der Arzneimittelsicherheit und der Versorgungssicherheit als tragfähig und gerechtfertigt erscheinen lässt.

Vgl. hierzu allgemein BVerfG, Beschluss vom 11.2.2003 - 1 BvR 1972/00 u. 1 BvR 70/01 -, NJW 2003, 1027.

In europarechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, ob die Untersagungsverfügung trotz ihrer ausschließlichen Adressierung an die Antragstellerin wegen ihrer Auswirkungen auf die EAV möglicherweise auch im Hinblick auf die Art. 28, 30 des EG-Vertrages zu überprüfen ist, zumal unabhängig von den Motiven des Gesetzgebers bei der Zulassung des Versandhandels durch das GKV-Modernisierungsgesetz das zuvor bestehende Verbot jedenfalls im Hinblick auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ohnehin auf Grund entgegenstehender europarechtlicher Vorschriften nicht hätte aufrecht erhalten werden können.

Vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2003 - C-322/01 - (DocMorris), NJW 2004, 131; siehe auch Urteil vom 21.3.1991 - C-60/89 - (Monteil und Samanni), Slg. 1991, I 1561 (1571, Rdnr. 43 f.).

Ausgehend von einem zulässigen Vorgehen auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG erscheint die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung gleichwohl nicht völlig frei von Bedenken, ohne dass dies bei der in der vorliegenden Verfahrensart möglichen Prüfungsdichte jedoch abschließend beantwortet werden könnte und müsste. Hinzuweisen ist zum einen darauf, dass die einzelnen Regelungen der Verfügung eher Gesetzesverstöße beschreiben als konkret von der Antragstellerin vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen zu bezeichnen und sich die zur Konkretisierung heranzuziehende Begründung der Verfügung ebenfalls eher auf abstrakter Ebene bewegt. Zum anderen sind mit Blick auf die ebenfalls gegebene Verantwortlichkeit der EAV anzustellende Störerauswahlerwägungen allenfalls marginal in die Begründung der Verfügung eingeflossen.

Eine von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache losgelöste Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragsgegners aus.

Allerdings vermag sich der Senat im Rahmen der von ihm eigenständig vorzunehmenden Abwägung den vom Antragsgegner für die Anordnung der sofortigen Vollziehung dargelegten Gründen kaum anzuschließen. ... (wird ausgeführt)

Die von dem Antragsgegner ferner angeführten Grundsätze der Arzneimittelsicherheit und der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln stellen zwar wichtige Gemeinwohlbelange dar, die letztlich den Gesundheitsschutz der Bevölkerung sicherstellen sollen. Diese Belange bilden jedoch bereits die Grundlage für die weitgehenden gesetzlichen Reglementierungen im Arzneimittelbereich. Dementsprechend tangiert jeder Verstoß gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften zumindest abstrakt zugleich die dahinter stehenden Gemeinwohlbelange. Wenn dies zugleich ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse begründen würde, hätte es nahe gelegen, im Zusammenhang mit den arzneimittelrechtlichen Eingriffsermächtigungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 1. Fall VwGO Gebrauch zu machen. Da dies nicht geschehen ist, dürfte auch im Arzneimittelrecht nicht darauf verzichtet werden können, das überwiegende öffentliches Vollzugsinteresse im Einzelfall herauszuarbeiten. Zwar erscheint es gerechtfertigt, insoweit angesichts des hohen Stellenwerts der geschützten Gemeinwohlbelange nur geringe Anforderungen zu stellen. Ob insoweit allein das Verlassen des vom Gesetzgeber für den Arzneimittelbereich vorgesehenen Ordnungsrahmens - Abgabe von Arzneimitteln nur in Apotheken oder von Apotheken im Wege des Versandhandels - ausreicht, erscheint nicht eindeutig. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dem beschriebenen Ordnungsrahmen durch die Einstufung der Abgabe von Arzneimitteln außerhalb dieses Rahmens als Straftat ein besonderes Gewicht verliehen hat. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Ordnungsrahmen nicht um seiner selbst willen geschützt ist und Anhaltspunkte dafür, dass das von der Antragstellerin entwickelte Vertriebskonzept geeignet ist, die zuvor benannten Gemeinwohlbelange konkret zu beeinträchtigen, zumindest nicht offensichtlich vorliegen. Nach den bisher von dem Antragsgegner nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Antragstellerin entspricht das Vertriebskonzept weitgehend den in § 11a ApoG normierten Anforderungen für den Versandhandel. Vom Grundsatz her findet in den Drogeriemärkten nicht mehr statt als die Ausgabe von Sendungen (Paketen) mit Arzneimitteln und die Entgegennahme entsprechender Bestellungen zum Zweck der Weiterleitung an die EAV. Diese Elemente sind dem vom Gesetzgeber zugelassenen Versandhandel jedenfalls nicht wesensfremd. Auch dort kommt es - wenn auch nur in Ausnahmefällen - zu Abholungen. Dass die Abholung von Arzneimitteln in den Drogeriemärkten beispielsweise im Vergleich zur Abholung in einer Postfiliale im Hinblick auf die geschützten Gemeinwohlbelange größere Gefahren birgt, ist zumindest nicht offensichtlich. Entsprechendes gilt für die Sammlung und Weiterleitung der Arzneimittelbestellungen in den Drogeriemärkten im Verhältnis zu schriftlichen Bestellungen, die auf dem normalen Postwege befördert werden.

Ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse ergibt sich nach Auffassung des Senats aber jedenfalls daraus, dass von dem Vertriebskonzept, könnte es bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache weiter umgesetzt werden, eine (negative) Vorbildwirkung ausginge, vgl. zur Vorbildwirkung als abwägungsrelevanter Belang im Baurecht etwa BVerwG, Urteil vom 27.8.1998 - 4 C 13.97 -, NVwZ-RR 1999, 295 (296), und im breiteren Umfang zur Entstehung unzulässigen Arzneimittelhandels führte. Würde die Untersagungsverfügung nicht vollzogen, entstände nach außen der Eindruck, dass das Konzept der Antragstellerin entweder zulässig ist oder aber nicht konsequent dagegen eingeschritten wird. Dabei kann nach der bisherigen Presseberichterstattung über das Konzept (Schlagzeile in der ...-Zeitung: "...-Drogerien machen Apotheken Konkurrenz") und entsprechenden Präsentationen im Internet, in denen im wesentlichen der neue "Service" herausgestellt wurde, ausgeschlossen werden, dass auch Hintergründe des Konzepts, insbesondere die von der EAV und der Antragstellerin zur Erfüllung der Anforderungen des § 11a ApoG unternommenen Anstrengungen, publik geworden sind. Vielmehr dürfte das Konzept in seinen Außenwirkungen beschränkt darauf wahrgenommen werden, dass die Abgabe von Arzneimitteln und die Annahme entsprechender Bestellungen in Drogeriemärkten möglich ist, was - wie die oben zitierte Schlagzeile zeigt - die Schlussfolgerung herausfordert, dass der Handel mit Arzneimitteln nunmehr auch außerhalb von Apotheken zulässig ist bzw. zumindest nicht unterbunden wird. Dies könnte Nachahmer dazu veranlassen, ebenfalls eigene neue Vertriebskonzepte im Arzneimittelbereich in die Tat umzusetzen, ohne sich an den Anforderungen des § 11a ApoG zu orientieren, was mit einiger Sicherheit konkrete Gefahren für den Gesundheitsschutz und die Arzneimittelsicherheit zur Folge hätte.

Demgegenüber haben die in die Abwägung einzustellenden wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin kein überwiegendes Gewicht. ... (wird ausgeführt)

Schließlich rechtfertigt auch ein Blick auf die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit kein anderes Ergebnis. Zwar ist anerkannt, dass bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung von Maßnahmen, die einen besonders intensiven Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl darstellen, besonders zu prüfen ist, ob die Gründe für den Sofortvollzug ausreichend sind in dem Sinne, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens ausschließen, was regelmäßig die Feststellung voraussetzt, dass eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, NJW 1991, 1530, vom 13.8.2003 und 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3617 ff., und vom 12.3.2004 - 1 BvR 540/04 -, NVwZ-RR 204, 545.

Hier fehlt es jedoch bereits an einem ins Gewicht fallenden Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG. Die wohl im wesentlichen untersagten Tätigkeiten - Ausgabe von Arzneimittellieferungen, Annahme entsprechender Bestellungen - haben mit der bisherigen beruflichen Tätigkeit der Antragstellerin in Gestalt des Betriebs von Drogeriemärkten kaum etwas zu tun und zählen auch nicht zu den im Rahmen dieses Betriebs anfallenden Geschäften. Im Wesentlichen werden lediglich die räumlichen Gegebenheiten zu einem anderen weiteren Zweck genutzt. Auch wenn der Antragstellerin grundsätzlich nicht untersagt werden kann, sich in anderen Bereichen zusätzlich zu betätigen, liegt allenfalls eine den Randbereich betreffende Berufsausübungsregelung vor, an deren Rechtfertigung weniger strenge Anforderungen zu stellen sind. Entsprechendes gilt für den Vollzug dieser Regelung vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Den Vollzug rechtfertigen hier die zuvor genannten, aus der Vorbildwirkung der Tätigkeit der Antragstellerin resultierenden Gefahren für den Gesundheitsschutz und die Arzneimittelsicherheit.

Ende der Entscheidung

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