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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: 14 A 4640/06
Rechtsgebiete: WoGG, VwVfG


Vorschriften:

WoGG § 29 Abs. 3 Satz 3
WoGG § 29 Abs. 4 Satz 3
VwVfG § 48
Auch nach der Erweiterung der Mitteilungspflicht in § 29 Abs. 4 Satz 3 WoGG durch das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1999 (BGBl. I S. 2671) zum 1.1.2001 ist bei einer Einnahmeerhöhung eine rückwirkende Neuberechnung des Wohngeldes auf der Grundlage des § 48 VwVfG nicht möglich (in Fortführung des Urteils des BVerwG vom 21.3. 2002 - 5 C 4/01 -, BVerwGE 116, 161).

Der am 1.1.2004 in Kraft getretene § 29 Abs. 3 Satz 3 WoGG ermöglicht eine Neuberechnung des Wohngeldes jedenfalls dann nicht, wenn die Einnahmeerhöhung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erfolgte.


Tatbestand:

Der Beklagte bewilligte der Klägerin Wohngeld für die Zeit vom 1.6.2002 bis 31.5.2003 in Höhe von 201,00 Euro monatlich. Aufgrund eines Rentenbescheides vom 8.8.2003 erhielt die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung beginnend mit dem 21.8.2002. Die Rentennachzahlung erfolgte im Oktober 2003. Mit Bescheid vom 30.1.2004 berechnete der Beklagte den Wohngeldanspruch für die Zeit vom 1.9.2002 bis 31.5.2003 neu und bewilligte ein Wohngeld in Höhe von 114,00 Euro monatlich. Mit Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom selben Tag hob der Beklagte den Wohngeldbescheid auf und forderte überzahltes Wohngeld zurück. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, nach § 29 Abs. 3 WoGG könne eine Änderung nur für den laufenden Bewilligungszeitraum vorgenommen werden. Der Widerspruch und die Klage blieben erfolglos. Die von dem Senat zugelassene Berufung hatte Erfolg.

Gründe:

Der Bescheid des Beklagten vom 30.1.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 2.3.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Der Beklagte konnte seinen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nicht auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X stützen. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Das BVerwG, dem der Senat folgt, hat in seinem Urteil vom 21.3.2002 - 5 C 4/01 -, BVerwGE 116, 161, entschieden, dass einer rückwirkenden Aufhebung der Wohngeldbewilligung auf der auch von dem Beklagten angeführten Grundlage des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X der abschließende Charakter der wohngeldrechtlichen Regelungen hierzu in §§ 29, 30 WoGG entgegensteht. Ferner hat das BVerwG festgestellt, dass eine rückwirkende Rentennachzahlung nicht zur Folge hat, dass ein Wohngeldempfänger in dem abgelaufenen Bewilligungszeitraum höhere Einnahmen gehabt hat. So fehlt es auch hier für den strittigen Zeitraum vom 1.9.2002 bis zum 31.5.2003 an einer Änderung der Verhältnisse durch die im Oktober 2003 erfolgte Rentennachzahlung.

Allerdings betrifft die genannte Entscheidung des BVerwG vom 21.3.2002 § 29 Abs. 3, 4 WoGG in der Fassung von 1993. Durch das Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1999 (BGBl. I S. 2671) ist mit Wirkung zum 1.1.2001 die Mitteilungspflicht in § 29 Abs. 4 WoGG erweitert worden. Es wurde bestimmt, dass die Sätze 1 und 2 (betreffend die Mitteilungspflichten des Wohngeldempfängers) entsprechend gelten, wenn sich die Änderungen nach den Nummern 1 und 2 auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens für drei Jahre nach Änderung der Verhältnisse. Das Bundesverwaltungsgericht brauchte in seinem Urteil vom 22.3.2002 nicht zu entscheiden, ob mit dieser Neuregelung eine Überprüfung und Neubescheidung auch für abgelaufene Bewilligungszeiträume ermöglicht werden soll oder als bereits möglich vorausgesetzt wird. Diese Frage hat das BVerwG offen gelassen.

Der Senat hält eine Neuberechnung des Wohngeldes für abgelaufene Bewilligungszeiträume im Hinblick auf den am 1.1.2001 in Kraft getretenen § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG nicht für möglich. § 29 Abs. 4 WoGG betrifft ausschließlich Mitteilungspflichten. In der Begründung zur Einfügung des § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG ist ausgeführt, dass eine Mitteilungspflicht nach der bisherigen Regelung nur für die Zeit des laufenden Wohngeldbezuges bestehe. Für den Fall, dass die angeführten Änderungen erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums einträten, aber auf diesen Bewilligungszeitraum zurückwirkten, bestehe eine (nachträgliche) Mitteilungspflicht nicht. Diese Mitteilungspflicht sollte wegen nachträglicher, auf den Bewilligungszeitraum zurückwirkender Änderungen begründet werden.

Vgl. BT-Drucks. 14/1523, S. 187.

Der Gesetzgeber ging damit wohl davon aus, auch nachträgliche Mietminderungen oder Einnahmeerhöhungen könnten für abgelaufene Bewilligungszeiträume zu einer Neuberechnung des Wohngeldes führen. Eine materielle Grundlage für eine solche Neuberechnung fand sich aber nicht im Wohngeldgesetz und wegen der vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten abschließenden Regelung dort auch nicht in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Die zuletzt genannte Bestimmung nun wegen der Einfügung des § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG doch dahin auszulegen, dass sie auf abgelaufene Bewilligungszeiträume anzuwenden ist, ist gerade auch mit Blick auf die Regelung in § 30 Abs. 5 WoGG bedenklich. Dort ist bestimmt, dass außer den dort genannten Umständen sich der Anspruch auf Wohngeld nicht ändert. Eine zusätzliche Mitteilungspflicht stellt keinen weiteren Änderungstatbestand dar. Auch wenn die Mitteilungspflicht weitgehend bedeutungslos ist, wenn sie nicht zu materiellen Änderungen führen kann, lässt ihre Einführung nicht zu, einem fest umschriebenen Katalog der zu berücksichtigenden Änderungen einen weiteren Änderungstatbestand im Wege einer Auslegung beizufügen. Der weitere Umstand, der zu einer Neuberechnung des Wohngeldes führen soll, hätte im Gesetz deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen, zumal er mit einer Belastung für den Wohngeldempfänger verbunden ist. Der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 21.3.2002 auf § 31 SGB I gilt auch hier. Der dort enthaltene Vorbehalt des Gesetzes stellt Anforderungen, was die Nomenbestimmtheit und -klarheit sowie die davon abhängige Voraussehbarkeit des staatlichen Eingriffs in Rechtspositionen des Leistungsbeziehers betrifft. Diesen Anforderungen würde eine erweiternde Auslegung der §§ 29 Abs. 3, 4, 30 WoGG und einer Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X auf den vorliegenden Fall nicht entsprechen.

Entgegen der Auffassung des VG kann der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 30.1.2004 auch nicht auf § 29 Abs. 3 S. 3 WoGG gestützt werden, der durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) mit Wirkung vom 1.1.2004 eingefügt wurde. Danach gelten die Sätze 1 und 2, die sich auf eine Verringerung der Miete oder Belastung oder eine Einnahmeerhöhung beziehen, entsprechend, wenn sich die Änderungen nach Satz 1 auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens drei Jahre vor Kenntnis des Wohngeldempfängers oder der zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder von der Änderung der Verhältnisse; der Kenntnis steht die Nichtkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit gleich. Die hier erfolgte Wohngeldbewilligung, die der Beklagte aufheben will, die Rentenbewilligung und die Rentennachzahlung lagen vor dem Inkrafttreten der Neuregelung in § 29 Abs. 3 WoGG. Damit fehlt ein sachlicher Anknüpfungspunkt dafür, die ab Januar 2004 geltende Rechtslage auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. In der Begründung zu der Neuregelung des § 29 Abs. 3 WoGG, vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 78, ist allerdings unter anderem ausgeführt, damit - durch die Neuregelung - werde klargestellt, dass etwa bei einer - die Erheblichkeitsschwelle von 15 v.H. übersteigenden - Rentennachzahlung, die im August 2003 durch Bescheid bekannt gegeben werde, aber einen Nachzahlungsanspruch ab Januar 2000 begründe, ein Eingriff in abgelaufene Bewilligungszeiträume grundsätzlich möglich, aber auf den Zeitraum ab September 2000 begrenzt sei. Es mag sein, dass es sich hierbei lediglich um ein Beispiel für die Bestimmung des Dreijahreszeitraums handelt, wobei die angeführten Daten frei gewählt sind. Wenn mit dieser Begründung auch gemeint sein sollte, Rentennachzahlungen in der Vergangenheit könnten die neu geschaffenen Rechtsfolgen auslösen, so hat diese Auffassung im Gesetz keine Grundlage gefunden. Die Neufassung des § 29 Abs. 3 WoGG trat am 1.1.2004 in Kraft, ohne dass Regelungen für Wohngeldzahlungen oder etwa Einnahmeerhöhungen in der Vergangenheit getroffen wurden. Die vom VG vertretene Meinung hätte zur Folge, dass die Klägerin die im Oktober 2003 erhaltene Rentennachzahlung ohne Kenntnis von der erst am 1.1.2004 in Kraft getretenen Rechtsänderung hätte verwenden können und sie dennoch hinsichtlich des bewilligten Wohngeldes Rückforderungsansprüchen ausgesetzt wäre. Wenn dies Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, hätte dies im Gesetz zum Ausdruck gebracht werden müssen. Auch wäre es angezeigt gewesen, die sich dann ergebende Rückwirkungsproblematik in den Blick zu nehmen.

Die Fallkonstellation, dass die Wohngeldzahlungen vor dem 1.1.2004 lagen und die Rentennachzahlungen nach Inkrafttreten der Neufassung des § 29 Abs. 3 WoGG erfolgt sind, war Gegenstand des Beschlusses des Senats vom 17.12.2007 - 14 E 1120/07 -. In diesem Beschluss hat der Senat auf den Antrag des dortigen Klägers für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt.

Ende der Entscheidung

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