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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 14 E 1259/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 75
Die Zuziehung des Bevollmächtigten für die Durchführung des Vorverfahrens gegen einen Verwaltungsakt, der erst während des nach zulässiger Untätigkeitsklage anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergeht, ist jedenfalls dann nicht notwendig im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, wenn es bei dem streitigen Verwaltungsakt um eine Maßnahme der gebundenen Verwaltung geht, die beklagte Behörde gleichzeitig Widerspruchsbehörde ist und der Kläger bereits im Klageverfahren anwaltlich vertreten ist.
Tatbestand:

Die Kläger erhoben, da die Beklagte ihren Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler vom Juni 1996 nicht beschieden hatte, im März 1999 mit anwaltlicher Vertretung Untätigkeitsklage, mit der sie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung von Aufnahmebescheiden und Einbeziehungsbescheiden begehrten. Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte im November 2000 einen Ablehnungsbescheid, gegen den die Kläger durch ihren Prozessvertreter Widerspruch einlegten, der von der Beklagten im Oktober 2001 zurückgewiesen wurde. Den nach teilweiser Stattgabe der Klage gestellten Antrag der Kläger, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, lehnte das VG ab. Die Beschwerde der Kläger blieb erfolglos.

Gründe:

Das VG hat den Antrag der Kläger, die Zuziehung ihrer Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, zu Recht abgelehnt. Die Durchführung des Vorverfahrens war für die Kläger im vorliegenden Fall ohne Funktion und Nutzen; die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten für ein solches Verfahren kann deshalb nicht als notwendig im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bewertet werden.

Soweit, wie hier, die Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung eines Antrages nach Ablauf der dreimonatigen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO zulässig erhoben ist, bedarf es bei danach ergehender negativer Behördenentscheidung zur Fortsetzung des Klageverfahrens keines Vorverfahrens. Allerdings ist der Kläger auch nicht gehindert, gegen den ablehnenden Verwaltungsakt Widerspruch einzulegen. Macht er von dieser Möglichkeit unter Einschaltung eines Rechtsanwaltes Gebrauch, kann dessen Hinzuziehung jedoch nur ausnahmsweise als erforderlich angesehen werden.

Vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, § 162 Rdnr. 146.

Eine solche Ausnahme kommt in Betracht, wenn trotz fehlender rechtlicher Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens dieses aus der Sicht des Klägers über das bereits anhängige gerichtliche Verfahren hinaus zur Rechtsverwirklichung beitragen kann. Das aber war hier nicht der Fall.

Vorteile kann das Widerspruchsverfahren gegen den nach Klageerhebung ergangenen ablehnenden Verwaltungsakt dann für einen Kläger haben, wenn in ihm nicht nur über die Rechtsmäßigkeit der behördlichen Entscheidung, sondern, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, auch über deren Zweckmäßigkeit zu entscheiden ist. Da die mit der Untätigkeitsklage angestrebte gerichtliche Entscheidung diese Zweckmäßigkeitserwägungen nicht abdeckt, behält das Vorverfahren in einer solchen Konstellation eine eigene Rechtsschutzfunktion. Ein solcher Fall war hier jedoch nicht gegeben, weil die streitigen Verwaltungsakte ausschließlich die Anwendung zwingenden Rechts betrafen.

Auch im Bereich der gebundenen Verwaltung kann aus der maßgeblichen Sicht einer verständigen Partei zur Erweiterung des Rechtsschutzes ein während der Anhängigkeit der zulässigen Untätigkeitsklage durchgeführtes Vorverfahren sinnvoll sein, nämlich dann, wenn die beklagte Behörde und die Widerspruchbehörde nicht identisch sind. Das Widerspruchsverfahren ermöglicht dann eine rechtliche Überprüfung durch eine zusätzliche Behörde, die bei Verzicht auf die Durchführung des Widerspruchsverfahrens mit der Sache nicht befasst worden wäre. Aber auch dieser Ausnahmefall war vorliegend nicht gegeben, denn die den Verwaltungsakt erlassende und die Beklagte im gerichtlichen Verfahren vertretende Behörde war hier gleichzeitig Widerspruchsbehörde. Das Widerspruchsverfahren erweiterte deshalb den Prüfungsumfang der Verwaltung nicht gegenüber dem, was von der Verwaltung bereits für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens ohnehin zu überprüfen war.

Bei Identität von Beklagtem und Widerspruchsbehörde kommt auch dem Gesichtspunkt eines eventuellen Zeitgewinns, den das Hamb. OVG - Beschluss vom 16.11.199 - Bs VII 120/93 -, NVwZ-RR 1994, 621 - als einen Grund für die Notwendigkeit eines Vorverfahrens bei Ergehen des Verwaltungsaktes während der zulässig anhängig gemachten Untätigkeitsklage anführt, keine Bedeutung zu. Wenn der Beklagte den im gerichtlichen Verfahren vorgebrachten Argumenten des Klägers folgen will, dann ist nicht zu erkennen, weshalb dies schneller erfolgen sollte, wenn diese Argumente nicht nur in den im gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätzen, sondern zusätzlich noch in einer Widerspruchsbegründung vorgebracht werden.

Ob zu den Ausnahmefällen, in denen trotz der anhängigen Untätigkeitsklage die Durchführung eines Vorverfahrens und die dazu erfolgende Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist, auch der zählt, dass der Kläger im gerichtlichen Verfahren über seine Untätigkeitsklage nicht anwaltlich vertreten ist und sich nunmehr für das Widerspruchsverfahren gegen den nachträglich ergangenen Verwaltungsakt anwaltlicher Hilfe bedient, kann dahinstehen. Hier waren die Kläger bereits im Klageverfahren anwaltlich vertreten. Deshalb konnte die Beauftragung eines Anwalts mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens aus der Sicht der Kläger im Hinblick auf ihre rechtskundige Vertretung im Verfahren keinerlei zusätzlichen Vorteil für die Durchsetzung ihrer Rechte mit sich bringen.

Ende der Entscheidung

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