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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 15 A 1965/99
Rechtsgebiete: VwGO, KrO NRW, LAbfG, KrW-/AbfG, BImSchG


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 61
VwGO § 78
KrO NRW § 23
LAbfG § 5a
LAbfG § 7
LAbfG § 17
LAbfG § 18
KrW-/AbfG § 19
KrW-/AbfG § 29
KrW-/AbfG § 31
BImSchG § 10
1. Zur Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens durch den Kreistag.

2. Ein Bürgerbegehren, das sich auf eine Änderung des Abfallwirtschaftskonzeptes eines Kreises durch Ersetzung einer thermischen Abfallbehandlung durch eine biologisch-mechanische Abfallbehandlung richtet, ist nach § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW unzulässig.

3. Ein derartiges Bürgerbegehren ist zudem nach § 23 Abs. 5 Nr. 8 KrO NRW unzulässig, wenn es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung den Festsetzungen eines für verbindlich erklärten Abfallwirtschaftsplans widerspricht.


Tatbestand:

Der beklagte Kreistag beschloss 1993 eine Satzung über das Abfallwirtschaftskonzept des Kreises W. Zu den Zielsetzungen des Abfallwirtschaftskonzeptes gehörten unter anderem die thermische Behandlung der nicht wiederverwertbaren Restabfälle unter Nutzung der entstehenden Energie und Wärme sowie die Erstellung einer Anlage zur Restmüllverbrennung mit einer Kapazität von 234.000 t/a (MVA).

Im Jahre 1995 strengten die Kläger ein Bürgerbegehren mit der folgenden Fragestellung an:

"Soll die in der Satzung über das Abfallwirtschaftskonzept des Kreises W. ... vorgeschriebene thermische Abfallbehandlung gestrichen und zu Gunsten einer biologisch-mechanischen (BMA) geändert werden?"

Das Bürgerbegehren enthielt folgenden Kostendeckungsvorschlag:

"Eine BMA ist wesentlich preiswerter als die bereits im Bau befindliche MVA. Mit den noch ausstehenden Investitionen für den Bau der MVA lässt sich der Bau einer kompletten BMA finanzieren. Ein bedeutender Einspareffekt ergibt sich durch die weitaus geringeren Betriebskosten, besonders bei den sich abzeichnenden sinkenden Müllmengen."

Obwohl das erforderliche Unterschriftenquorum erreicht wurde, lehnte der Kreistag die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ab. Die auf Verpflichtung des Kreistages zur Feststellung der Zulässigkeit gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Klage ist zulässig.

Das Begehren ist im Wege der Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Halbsatz VwGO zu verfolgen, weil die Entscheidung des Kreistages über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durch Verwaltungsakt erfolgt. Insbesondere kommt der Feststellung des Kreistages die erforderliche Außenwirkung zu. Mit ihr stellt der Kreistag den Vertretern des Bürgerbegehrens gegenüber verbindlich und abschließend fest, ob die Voraussetzungen für die Durchführung eines Bürgerentscheids vorliegen. Die Entscheidung betrifft dabei nicht eine verteidigungsfähige Position des Innenrechts des Kreises, sondern ein subjektiv-öffentliches Recht der Kreisbürger. Diese handeln nicht organschaftlich, sondern machen eine Position des Außenrechts geltend.

Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 1997, S. 253 für das vergleichbare Bürgerbegehren auf Gemeindeebene; vgl. ferner: OVG M.V., Beschluss vom 24.7.1996 - 1 M 43/46 -, NVwZ 1997, 306 (307); Wansleben, in: Held/Becker/ Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand: Dezember 2001, § 26 GO Erl. 5.3; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, Stand: März 2001, § 26 GO Erl. VII.1.; anders: Sächs. OVG, Beschluss vom 6.2.1997 - 3 S 680/96 -, NVwZ-RR 1998, 253 (254); Fischer, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid - ein neues Element unmittelbarer Demokratie in der Kommunalverfassung von Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1995, 366 (369).

Zudem setzt das Gesetz nunmehr die Existenz eines Verwaltungsakts voraus, wenn der durch das Änderungsgesetz vom 20.3.1996 (GV NRW S. 124) eingefügte § 23 Abs. 6 Satz 2 KrO NRW bestimmt, dass die Vertreter des Bürgerbegehrens gegen die Entscheidung des Kreistages Widerspruch erheben können.

Die Kläger sind als Vertreter des Bürgerbegehrens gemäß § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig und nicht etwa die Gesamtheit aller Unterzeichner oder "das Bürgerbegehren" als solches. Denn § 23 Abs. 6 Satz 2 KrO NRW weist ihnen eine eigenständige Rechtsposition zu. Der Senat hat zu der Parallelvorschrift des § 26 Abs. 6 Satz 2 GO NRW entschieden, dass die Vertreter des Bürgerbegehrens nicht wie Vertreter im zivilrechtlichen Sinne fremde Rechte geltend machen, sondern die Interessen der Unterzeichner des Begehrens in einem materiellen Sinne vertreten.

OVG NRW, Urteil vom 9.12.1997 - 15 A 974/97 -, DVBl. 1998, 785.

Hieran ist für die sinngemäß gleichen Vorschriften der Kreisordnung NRW festzuhalten.

Die Klage richtet sich zutreffend gegen den Kreistag als Behörde, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 AG VwGO NRW. Hiernach sind Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen die Behörde zur richten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Dies ist im Fall der Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens der Kreistag. Gegenstand des mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten prozessualen Anspruchs ist der materiell-rechtliche Anspruch auf eine das Bürgerbegehren zulassende Entscheidung der Vertretungskörperschaft. Nur dieser ist die Kompetenz hierzu eingeräumt.

Vgl. zu § 40 KWahlG: OVG NRW, Urteil vom 28.11.1980 - 15 A 1660/80 -, DVBl. 1981, 874; Fehrmann, Kommunalverwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÖV 1983, 311 (312); Wansleben, in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/ Krämer/Wansleben, a.a.O., § 26 GO Erl. 5.3; anders: Ritgen, a.a.O. S. 256.

Das VG hat auch im Ergebnis zutreffend den Fortbestand eines Rechtsschutzbedürfnisses bejaht. Es ist nicht durch das Inkrafttreten der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 9.4.1998 zur Verbindlichkeitserklärung des Abfallwirtschaftsplans Teilplan Siedlungsabfälle für den Regierungsbezirk D. entfallen, welche nunmehr die Beseitigung der reaktiven Restabfälle aus dem Kreis W. in der MVA vorschreibt. Ob die Zielsetzung des Bürgerbegehrens mit diesen Bestimmungen vereinbar ist, ist ebenso eine Frage der Zulässigkeit des Begehrens und damit der Begründetheit der Klage wie die Frage, ob eine Änderung des Abfallwirtschaftskonzeptes nach Inbetriebnahme der MVA möglich bleibt.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.11.1983 - 1 S 1204/83 -, NVwZ 1985, 288.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gemäß § 23 Abs. 6 Satz 1 KrO NRW festzustellen. Die ablehnenden Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob das Begehren schon deshalb unzulässig ist, weil es eine nicht von § 23 Abs. 1 KrO NRW umfasste Fragestellung beinhaltet. Der Senat hat unter Hinweis auf den sinngleichen Wortlaut des § 26 Abs. 1 GO NRW entschieden, dass ein Bürgerbegehren zulässigerweise nur darauf gerichtet sein kann, eine Entscheidung der Bürger anstelle des Rates herbeizuführen. Ziel eines Bürgerbegehrens kann es daher nicht sein, dem Rat lediglich Vorgaben für eine von ihm zu treffende Entscheidung zu machen.

OVG NRW, Urteil vom 9.12.1997 - 15 A 974/97 -, a.a.O.,

Ob das von den Klägern vertretene Bürgerbegehren dieser rechtlichen Vorgabe genügt, ist mit Blick auf die offene Fragestellung, die nicht ohne weiteres erkennen lässt, durch wen die Änderung des Abfallwirtschaftskonzeptes erfolgen soll, nicht gänzlich unzweifelhaft. Offen bleiben kann auch die in der zitierten Entscheidung des Senats angesprochene Frage, ob die Fortschreibung des Abfallwirtschaftskonzeptes durch Herauslösen einzelner unselbstständiger Teile im Sinne bloßer Teilentscheidungen einem Bürgerentscheid zugeführt werden darf.

Ebenso bedarf es keiner Klärung der Frage, ob das Bürgerbegehren gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 KrO NRW verfristet ist, weil es sich der Sache nach gegen den Kreistagsbeschluss vom 14.12.1993 richtet, vgl. hierzu: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.6.1990 - 1 S 657/90 -, VBlBW 1990, 460 (461), oder ob dem Ansatz der Kläger zu folgen ist, dass es als initiierendes Begehren keiner Frist unterliegt. Ebenso kann offen bleiben, ob der im Bürgerbegehren enthaltene Kostendeckungsvorschlag den gesetzlichen Vorgaben genügt und ob die Umstellung auf eine biologisch-mechanische Abfallbehandlung den abfallrechtlichen Anforderungen zu genügen vermag.

Denn dem Bürgerbegehren steht die Vorschrift des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW entgegen. Hiernach sind Bürgerbegehren über Angelegenheiten unzulässig, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen, wasserrechtlichen oder vergleichbaren Zulassungsverfahrens zu entscheiden sind. Die Entscheidung über die Ersetzung der thermischen zu Gunsten einer biologisch-mechanischen Abfallbehandlung im Abfallwirtschaftskonzept des Kreises betrifft eine solche Angelegenheit. Der Senat folgt insoweit der Begründung der angegriffenen erstinstanzlichen Entscheidung und nimmt ergänzend hierauf Bezug. Das VG geht zutreffend davon aus, dass die Errichtung und der Betrieb ortsfester Abfallbeseitigungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen zur Beseitigung sowie die wesentliche Änderung solcher Anlagen dem Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG - unterliegen. Dies folgt nach der Änderung des Abfallgesetzes durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22.4.1993 (BGBl. I S. 466) nunmehr aus § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG vom 27.9.1994 (BGBl. III/FNA 2129-27-2), das am 6.10.1996 in Kraft getreten ist.

Vgl. hierzu: Schink, Kontrollerlaubnis im Abfallrecht, DÖV 1993, 725; Gaßner/Schmidt, Die Neuregelung der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, NVwZ 1993, 946.

Auf der Grundlage der zuvor geltenden Gesetzeslage ergibt sich nichts Abweichendes. Denn nach § 7 Abs. 1 AbfG vom 27.8.1986 (BGBl. I S. 1410, 1412) unterlagen Errichtung und Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen dem abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren.

Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2. Auflage 1998, Rdnr. 1786 ff.

Dieses wird vom Negativkatalog des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW gleichfalls erfasst.

Das Bürgerbegehren ist nicht deshalb zulässig, weil es sich seiner Formulierung nach nicht unmittelbar auf die Entscheidung über die Errichtung einer der in § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG genannten Anlagen bezieht, sondern die Umformulierung des Abfallwirtschaftskonzeptes des Kreises anstrebt. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, das Begehren betreffe eine politische Vorfrage, die von der Entscheidung über die Angelegenheit im Sinne des Negativkataloges des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW zu trennen sei. Eine solche Trennung zwischen einer politischen Initiativentscheidung und der eigentlichen Sachentscheidung entspräche schon nicht dem Ziel des von den Klägern vertretenen Bürgerbegehrens. Dieses strebt erklärtermaßen die Abkehr von der Müllverbrennung zu Gunsten einer biologisch-mechanischen Abfallbehandlung an, was nur im Wege eines förmlichen Verwaltungsverfahrens zu erreichen ist.

Allerdings gibt der Wortlaut des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW Raum zur Interpretation. Die Formulierung ("Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens ... zu entscheiden sind.") schließt die Deutung nicht von vornherein aus, hiervon werde die Fortschreibung des Abfallwirtschaftskonzeptes des Kreises nicht erfasst, weil diese als solche nicht in einem der dort genannten Verfahren zu treffen sei. Indes ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff der "Angelegenheiten" eine betont weite Umschreibung gewählt hat, die nicht auf das konkrete Vorhaben abzielt, das Gegenstand eines der aufgeführten Verfahren ist, sondern in einem umfassenderen Sinne Sachentscheidungen einschließt, die auf das planungs- oder zulassungsbedürftige Vorhaben gerichtet sind. Auch knüpft die Formulierung an diesen Begriff und nicht an das Planungs- oder Genehmigungsverfahren an. Ist die mit dem Bürgerbegehren intendierte Angelegenheit nur im Rahmen der genannten Verfahren zu verwirklichen, ist ein hierauf gerichtetes Bürgerbegehren unzulässig.

Vgl. Ritgen, a.a.O., S. 198 ff. unter Hinweis auf die Regelung des § 17a Abs. 2 Nr. 7 RhPf GO: Hiernach ist ein Bürgerentscheid unzulässig über Vorhaben, für deren Zulassung ein entsprechendes Verfahren notwendig ist; ders., Zu den thematischen Grenzen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, NVwZ 2000, 129 (134).

Sinn und Zielsetzung des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW sprechen letztlich entscheidend gegen die von den Klägern vertretene Rechtsauffassung: Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats allerdings noch nicht allein aus der Begründung zum Gesetzentwurf. Hierin ist ausgeführt, dass nicht alle denkbaren Fragen einer Abstimmung durch die Bürger zugänglich sein könnten. Förmliche Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung gehörten nicht zum Anwendungsbereich von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, weil die einschlägigen Gesetze bereits die Mitwirkung der Bürger in einem formalisierten Verfahren vorsähen. Dies gelte insbesondere für die wegen ihrer besonderen Bedeutung beispielhaft aufgeführten Planfeststellungsverfahren.

LT-Drs. 11/4983, Seite 8.

Diese Begründung ist für die Bestimmung der Reichweite des Negativkatalogs des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW wenig aussagekräftig, weil die Bürgerbeteiligung im Wege des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheides auf der einen und diejenige in einem planungs- oder zulassungsrechtlichen Verfahren auf der anderen Seite unterschiedlich ausgestaltet sind und unterschiedlichen Zielen dienen. Während die Einführung plebiszitärer Elemente in die Kommunalverfassung die eigene Entscheidung grundsätzlich aller Bürger über kommunale Angelegenheiten zum Inhalt hat, beschränkt sich die Beteiligung der Planbetroffenen im Planfeststellungsverfahren auf die Beteiligung an der planerischen Abwägung. Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren fehlt es darüber hinaus an dem Erfordernis planerischer Abwägung. Die Beteiligung beschränkt sich hier auf die Möglichkeit vorhabenbezogener Einwendungen nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG.

Vgl. Stüer, a.a.O., Rdnr. 1788.

Allerdings ist die gesetzgeberische Überlegung naheliegend, Entscheidungen, die in einem förmlichen Verwaltungsverfahren zu treffen sind, vom Einflussbereich der plebiszitären Entscheidung auszunehmen, weil diese die Berücksichtigung und Abwägung einer Vielzahl öffentlicher und privater Interessen erfordern, die sich nicht in das Schema einer Abstimmung mit "Ja" oder "Nein" pressen lassen.

v. Danwitz, Plebiszitäre Elemente in der staatlichen Willensbildung, DÖV 1992, 601 (606); Ritgen, a.a.O., S. 200 f. (zu Planungsentscheidungen).

Das VG weist zutreffend darauf hin, dass die Zulassung technischer Großvorhaben und die hiermit in Zusammenhang stehenden Sachfragen wegen ihrer Komplexität und besonderen Schwierigkeit in Fachgesetzen und technischen Verfahrensregelungen normiert und regelmäßig nur mit spezifischem technischen Sachverstand zu beurteilen sind. Es ist daher das gesetzgeberische Ziel nachvollziehbar, Entscheidungen über derartige Großprojekte insgesamt vom Anwendungsbereich des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheides auszunehmen.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 25.11.1997 - 7 A 12417/96 -, NVwZ 1998, 425 (426); OVG M.V., Beschluss vom 24.7.1996 - 1 M 43/96 -, a.a.O., (308); Hofmann, Erfolgsquote von Bürgerbegehren, VR 2001, 51 (53).

Im Gegensatz zu der von den Klägern vertretenen Auffassung lässt sich ein Argument für eine einschränkende Auslegung des § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW nicht daraus gewinnen, dass das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren keinen Raum für planerische Erwägungen oder Bedürfnisprüfungen gibt. Es ist rechtlich nicht vorgegeben, dass solche Erwägungen zwingend dem unmittelbaren Willen der Bürgerschaft überantwortet sein müssten. Es besteht insbesondere kein Vorrang der Entscheidung eines Bürgerbegehrens vor derjenigen des demokratischen Repräsentativorgangs.

Vgl. Schmitt-Glaeser, Grenzen des Plebiszits auf kommunaler Ebene, DÖV 1998, 824.

Es ist dem Gesetzgeber daher grundsätzlich unbenommen, Umfang und Art der Bürgerbeteiligung zu regeln und bestimmte Sachbereiche anderen Verfahrensregelungen vorzubehalten.

Gegen die Rechtsauffassung der Kläger spricht auch der Sinn kommunaler Abfallplanung. Der Senat hat in anderem Zusammenhang betont, dass die gemäß § 5a LAbfG vom 21.6.1988 (GV NRW S. 250) von den Kreisen aufzustellenden Abfallwirtschaftskonzepte ein eigenständiges Planungsinstrument der entsorgungspflichtigen Körperschaften darstellen. Dieses erlangt rechtliche Bedeutung nicht nur durch die sich hieraus ergebende Selbstbindung der entsorgungspflichtigen Körperschaft, sondern vor allem dadurch, dass seine Festsetzungen bei der überörtlichen Abfallentsorgungsplanung - nunmehr über die Beteiligung der Kreise im Aufstellungsverfahren nach § 17 Abs. 1 Satz 2 LAbfG - bei der überörtlichen Planung Berücksichtigung finden. Hierdurch wird, wie der Senat ausgeführt hat, dem sogenannten Gegenstromprinzip Rechnung getragen, das bei überörtlichen Plänen mit Raumbezug, wie sie die Abfallentsorgungspläne darstellen, gebietet, einerseits eine Ordnung des Gesamtraumes zu entwerfen und dabei andererseits die Gegebenheiten und Erfordernisse der Einzelräume und damit der entsorgungspflichtigen Körperschaften zu berücksichtigen.

OVG NRW, Beschlüsse vom 3.4.1995 - 15 B 947/95 -, NWVBl. 1995, 304 (305) und vom 16.3.1995 - 15 B 2839/93 -, NWVBl. 1995, 300 (301).

Die Abfallwirtschaftskonzepte der Kreise bestimmen damit hinsichtlich der Art der Entsorgung und der Standortfrage das Ergebnis der überörtlichen Planung ebenso mit wie das späterer Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren. Sie gehen damit in ihrer rechtlichen und tatsächlichen Wirkung über die bloße Förderung eines bestimmten Projekts durch die politischen Gremien im Sinne eines Konzeptbeschlusses deutlich hinaus.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 15.12.1998 - 7 A 12091/98 -, NVwZ-RR 1999, 598 (599); OVG M.V., Beschluss vom 24.7.1996 - 1 M 43/96 -, a.a.O., (308).

§ 29 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG verdeutlicht dies durch die Vorgabe, dass bei der Bedarfsermittlung der überörtlichen Abfallwirtschaftsplanung die Abfallwirtschaftskonzepte auszuwerten sind. Für verbindlich erklärte Abfallwirtschaftspläne stellen wiederum im Anlagengenehmigungsverfahren nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG beachtliche öffentlich-rechtliche Vorschriften dar.

Erbguth, Aspekte der Abfallwirtschaftsplanung und ihre Auswirkungen auf die Zulassung von Abfallanlagen, UPR 1997, 60 (66).

Das Zusammenspiel unterschiedlicher Planungs- und Genehmigungsebenen im Hinblick auf dieselbe Angelegenheit rechtfertigt es, ein Bürgerbegehren gegen ein einzelnes Element dieses gestuften Verfahrens dann nicht zuzulassen, wenn - wie vorliegend - die Angelegenheit selbst in einem der in § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW genannten Verfahren zu entscheiden ist. Denn gerade auf eine zwingende Bindung des Kreises im Hinblick auf bereits getroffene oder zukünftige Entscheidungen kommt es dem Bürgerbegehren an. Die Begründung des Bürgerbegehrens lässt unzweideutig erkennen, dass einerseits eine MVA verhindert und andererseits eine BMA verwirklicht werden soll. Beide Vorhaben sind nur im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Verfahrens zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht maßgebend darauf ankommen, dass sich das Begehren formal nicht gegen die MVA selbst, sondern gegen deren planerischen Voraussetzungen richtet.

Zwar mag einzuräumen sein, dass durch § 23 Abs. 5 Nr. 5 KrO NRW der Anwendungsbereich und die Möglichkeiten des Bürgerbegehrens erheblich eingeschränkt werden. Denn gerade die im Rahmen eines der dort genannten Verwaltungsverfahren zu entscheidenden Angelegenheiten auf kommunaler Ebene sind in besonderer Weise konfliktträchtig und geeignet, Emotionen für oder gegen eine bestimmte Lösung hervorzurufen. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, bestimmte Sachbereiche von der plebiszitären Mitwirkung auszunehmen und die Entscheidung der kommunalen Repräsentativorgane insoweit als vorrangig anzusehen. Gerade im Bereich raumrelevanter Planungen wie der Abfallplanung sind die kommunalen Vertretungskörperschaften dazu aufgerufen, gegenläufige Interessen abzuwägen. Diesem Ziel sind Initiativen, die ausschließlich ein Anliegen verfolgen, nicht von vornherein verpflichtet.

Hofmann, a.a.O., 51 (53).

Zudem gilt es, widerstreitende Sachentscheidungen zwischen dem Bürgerbegehren auf der einen und dem förmlichen Verwaltungsverfahren auf der anderen Seite zu vermeiden. Die Kläger gehen selbst davon aus, dass die Grundsatzentscheidung für oder gegen ein Projekt im Gegensatz zu einem Planungs- oder Genehmigungsverfahren grundsätzlich keinen spezifischen Sachverstand erfordere. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass sich ein durch ein erfolgreiches Bürgerbegehren angestoßenes Projekt im nachträglichen Verwaltungsverfahren als unzulässig oder undurchführbar erweist. Solchermaßen divergierenden Ergebnisse liefen dem gesetzgeberischen Ziel, mit der Bürgerbeteiligung das kommunalpolitische Interesse der Bürger zu stärken und die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen zu stärken, gerade zuwider.

Ritgen, a.a.O., 1997, S. 205.

Das Bürgerbegehren ist zudem gemäß § 23 Abs. 5 Nr. 8 KrO NRW unzulässig, weil es ein gesetzwidriges Ziel verfolgt. Denn gemäß § 5a Abs. 1 Satz 2 LAbfG sind die Festlegungen eines Abfallwirtschaftsplans bei der Aufstellung kommunaler Abfallwirtschaftskonzepte zu beachten. Der - im Übrigen sogar auf Grund der Ermächtigung des § 29 Abs. 4 und 8 KrW-/AbfG i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 LAbfG mit Ordnungsbehördlicher Verordnung vom 9.4.1998 für verbindlich erklärte - Abfallwirtschaftsplan Teilplan Siedlungsabfälle für den Regierungsbezirk D. schreibt zur Vorbehandlung unvorbehandelter Siedlungsabfälle die Nutzung der im Regierungsbezirk D. vorhandenen Müllverbrennungsanlagen ab dem 1.2.2000 zwingend vor. Für den Bereich des Kreises W. geht der Plan von der Nutzung der MVA ab deren Inbetriebnahme aus und bestimmt, dass der Kreis W. seine thermisch zu behandelnden Restabfälle (weiterhin) in der genannten MVA entsorgt (Nrn. 1.2.4.4, 4.3.1.15 und 6.3.3 des Plans).

Bei dieser Sachlage besteht kein Raum für die Festschreibung einer biologisch-mechanischen Restabfallbehandlung im Abfallwirtschaftskonzept des Kreises. § 5a Abs. 1 Satz 2 LAbfG lässt schon seinem Wortlaut nach nur die Interpretation im Sinne eines strikten Gesetzesbefehls zu. Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung, dass die Festlegungen des Abfallwirtschaftsplans "zu beachten" sind, deutlich gemacht, dass der überörtlichen Planung vor örtlichen Konzepten - nicht zuletzt um der Effizienz überörtlicher raumbezogener Planung willen - der Vorrang zukommt.

Zur Bedeutung überörtlicher Abfallplanung s. OVG NRW, Beschluss vom 16.3.1995 - 15 B 2839/93 -, a.a.O., (302).

Denkbare Bestrebungen mit dem Ziel geänderter Entsorgungskonzepte sind damit auf die überörtliche Ebene verwiesen. Dort kommt den betroffenen Städten, Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden bei Aufstellung und Änderung der Abfallwirtschaftspläne das in § 17 Abs. 1 Satz 2 LAbfG eingeräumte Beteiligungsrecht zu. Die Möglichkeit widersprechender eigener Planung besteht hingegen nicht.

Die Festschreibung der thermischen Abfallbehandlung im Abfallwirtschaftsplan unterliegt keinen Bedenken. Ungeachtet der Frage, ob und in welchem Umfang eine Inzidentkontrolle einzelner planerischer Festsetzungen im vorliegenden Verfahren möglich ist, gehören die Darstellung der erforderlichen Abfallbeseitigungsanlagen sowie die Ausweisung zugelassener Anlagen und geeigneter Flächen für sonstige Abfallbeseitigungsanlagen ebenso zum zulässigen Planinhalt wie die Bestimmung, welcher Anlage sich die Beseitigungspflichtigen zu bedienen haben (§ 29 Abs. 1 Sätze 2 - 4 KrW-/AbfG). Hierzu zählen auch Festsetzungen zur Entsorgungstechnik und zur Art der Anlage selbst.

Erbguth, a.a.O., (61).

Für das vorliegende Verfahren unerheblich ist es, dass der Abfallwirtschaftsplan für den Regierungsbezirk D. erst 1998 und damit zu einem Zeitpunkt in Kraft trat, in welchem die ablehnende Entscheidung des Beklagten über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bereits getroffen war. Denn bei der hier streitbefangenen Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen, es sei denn, das dem Streit zu Grunde liegende materielle Recht ordnet anderes an.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.11.1994 - 3 C 17.92 -, BVerwGE 97, 79 (81 f.), und vom 20.3.1996 - 6 C 4.95 -, BVerwGE 100, 346 (347 f.).

Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Insbesondere ist es mit Sinn und Zielsetzung eines Bürgerbegehrens nicht vereinbar, durch eine stattgebende gerichtliche Entscheidung den Weg zu einem die Entscheidung des Kreistages ersetzenden Bürgerentscheid (§ 23 Abs. 8 Satz 1 KrO NRW) zu eröffnen, wenn sich das Bürgerbegehren im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf ein gesetzwidriges Ziel richtet.



Ende der Entscheidung

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