Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 15 A 2604/99
Rechtsgebiete: VwGO, GO NRW


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 43 Abs. 1
GO NRW § 41
GO NRW § 42
GO NRW § 43
GO NRW § 50
GO NRW § 71
1. Den zur Wahl eines Beigeordneten berufenen Ratsmitgliedern steht das organschaftliche Recht zu, sich über den Kreis aller Bewerber um das Amt im Vorfeld der Wahl zu informieren. Dieses Recht schließt die Geheimhaltung von Bewerbern gegenüber dem Rat aus. Dies gilt auch dann, wenn zur Vorbereitung der Auswahl ein privates Personalberatungsunternehmen hinzugezogen bzw. eine Findungskommission des Rates gebildet wird.

2. Eine unter Verletzung dieses Informationsanspruches der Ratsmitglieder erfolgte Wahl eines Beigeordneten ist rechtswidrig.


Tatbestand:

Die Kläger - Mitglieder des Rates der Stadt H. - begehrten mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wahl des Beigeladenen zum Beigeordneten für den Vorstandsbereich "Personal, Organisation und Finanzen" in der besonderen Funktion des Stadtkämmerers.

Bei der Gewinnung und Auswahl der Kandidaten um das Amt waren auf Grund eines entsprechenden Ratsbeschlusses eine Findungskommission gebildet und ein privates Personalberatungsunternehmen hinzugezogen worden. Dem Rat wurde der Beigeladene zur Wahl vorgeschlagen. Eine Möglichkeit zur Information über das übrige Bewerberfeld bestand für die Ratsmitglieder nicht.

Die Kläger vertraten die Auffassung, die Wahl sei unter Verletzung ihrer Mitwirkungsbefugnisse zustande gekommen.

Die gegen das klageabweisende Urteil des VG gerichtete Berufung der Kläger hatte Erfolg.

Gründe:

Die Klage der im Verfahren verbliebenen Klägerinnen und Kläger ist zulässig.

Sie können ihr Begehren mit der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits können Streitigkeiten, die aus dem kommunalen Organisationsrecht folgen und den organschaftlichen Funktionsablauf bestimmende Befugnisse und Pflichten bestimmter Organe untereinander betreffen, Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein. Grundsätzlich der gerichtlichen Klärung zugänglich sind dabei auch Streitigkeiten über die Mitwirkungsbefugnisse einzelner Mitglieder an der Beschlussfassung des Gesamtorgans.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, OVGE 41, 118; vom 30.8.1985 - 15 A 706/82 -, NVwZ 1986, 851; vom 10.9.1982 - 15 A 1223/80 -, OVGE 36, 154; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.2.1992 - 1 S 2242/91 -, VBlBW 1992, 375; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 29.8.1984 - 7 A 19/84 -, DÖV 1985, 155; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO (Stand: Januar 2001), Vorb. § 42 Abs. 1 Rn. 17 und § 43 Rn. 26.

Denn der Begriff des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist nicht auf Außenrechtsverhältnisse beschränkt, sondern umfasst ebenso die Rechtsbeziehungen innerhalb der kommunalen Vertretungskörperschaft.

Vgl. Eyermann, VwGO, 11. Auflage 2000, § 43 Rn. 14; Fehrmann, Rechtsfragen des Organstreits, NWVBl. 1989, 303 (304); Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage 2000, § 43 Rn. 11; Pietzcker, a.a.O., § 43 Rn. 26.

Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Feststellung im kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit kann dabei die Rechtswidrigkeit von Beschlüssen des Rates, insbesondere hinsichtlich einer erfolgten Wahl sein.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, a.a.O., und vom 14.10.1988 - 15 A 2126/86 -, Mitt NWStGB 1988, 394.

Eine organschaftliche Feststellungsklage setzt in diesem Fall voraus, dass der Beschluss des Rates unter Verletzung der gesetzlichen Mitwirkungsrechte des Ratsmitgliedes zustande gekommen ist. Denn das gerichtliche Verfahren dient nicht der Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit des Ratsbeschlusses, sondern dem Schutz der dem klagenden Organ oder Organteil durch das Innenrecht zugewiesenen Rechtsposition. Ob eine solche geschützte Rechtsposition im Hinblick auf die Beschlussfassung des Rates besteht und ihre Verletzung die Rechtswidrigkeit des Beschlusses zu Folge hat, ist durch Auslegung der jeweils einschlägigen Norm zu ermitteln.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31; vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, a.a.O., vom 14.10.1988 - 15 A 2126/86 -, und vom 2.2.1972 - III A 887/69 -, OVGE 27, 258 (264).

Zutreffend geht das VG in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass die Kläger sich auf das ihnen kraft ihrer organschaftlichen Stellung als Ratsmitglieder zukommende Recht auf Information über den Beschlussgegenstand - hier die Information über die übrigen Bewerber um die Position des Beigeordneten - berufen können. Hiermit machen die Kläger eine für den kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit erforderliche wehrfähige Innenrechtsposition geltend. Träger des Informationsanspruches sind auch bei fraktionszugehörigen Ratsmitgliedern die Ratsmitglieder selbst. Ebenso wie das Rederecht und das Fragerecht, vgl. hierzu: VerfGH NRW, Urteil vom 4.10.1993 - VerfGH 15/92 -, DVBl. 1994, 48 (49); Schneider, AöR 99, 629 f., steht es nicht dem Rat selbst oder einem Zusammenschluss seiner Mitglieder, sondern originär dem einzelnen Mitglied der Vertretungskörperschaft zu.

Vgl. Dieckmann/Heinrichs, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 1996, § 43 Erl. 1.2; Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage 1997, S. 98 f.

Das berechtigte Interesse der im Rat verbliebenen Kläger an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ratsbeschlusses ist nicht dadurch entfallen, dass es infolge des Ergebnisses der Kommunalwahl 1999 im Rat der Stadt zu einer umfassenden Veränderung der Mehrheitsverhältnisse gekommen ist. Ungeachtet des Umstandes, dass der Umfang innerorganschaftlicher Mitwirkungs- und Informationsrechte nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei oder Ratsfraktion abhängig ist, gehen die Kläger zutreffend davon aus, dass eine Wiederholung der angegriffenen Wahlpraxis nach einer erneuten Änderung der Mehrheitsverhältnisse nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist.

Die Klage ist auch richtigerweise gegen den Rat der Stadt gerichtet. Klagen im Organstreitverfahren sind gegen den intrapersonalen Funktionsträger zu richten, demgegenüber die mit der Organklage beanspruchte Innenrechtsposition bestehen soll.

OVG NRW, Urteil vom 26.4.1989 - 15 A 650/87 -, NWVBl. 1989, 402.

Dies ist vorliegend der Rat insgesamt als Beschluss fassendes Organ.

Die Klage ist auch begründet.

Der Beschluss des Beklagten über die Wahl des Beigeladenen zum Beigeordneten verstößt gegen das durch § 71 GO NRW vorgegebene Verfahren und verletzt die aus § 43 GO NRW abzuleitenden organschaftlichen Informations- und Mitwirkungsrechte der im Verfahren verbliebenen Kläger. Dies hat die Rechtswidrigkeit des Wahlbeschlusses zur Folge.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. 08.1996 - 15 A 32/93 -, NWVBl. 1997, 69; Kirchhof, in: Held/ Becker/Decker/Kichhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht, Stand: Dezember 2001, § 47 GO Erl. 6.2.

Allerdings ergibt sich diese Folge noch nicht allein daraus, dass lediglich ein Kandidat zur Wahl für das Amt des Beigeordneten benannt war. Gemäß § 71 Abs. 1 GO NRW werden die Beigeordneten vom Rat auf die Dauer von acht Jahren gewählt. In Rechtsprechung und Schrifttum ist vertreten worden, dass eine Wahl im gemeindeverfassungsrechtlichen Sinne nicht vorliege, wenn dem Wahlgremium eine Auswahl zwischen mehreren Bewerbern nicht möglich sei. Werde lediglich ein Bewerber vorgeschlagen, liege nur eine Abstimmung im Sinne des § 50 Abs. 1 GO NRW vor.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.9.1967 - III B 526/67 -, DÖD 1968, 54; Rauball/Pappermann/ Roters, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 3. Auflage 1981, § 35 Rn. 11; ferner: Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 4. Auflage 1989, S. 135; Gutknecht, Der Städtetag 1963, 131.

Der Senat folgt dieser älteren Auffassung nicht. § 50 Abs. 2 GO NRW setzt seinem Wortlaut nach nicht zwingend die Auswahl zwischen einer Mehrzahl von Kandidaten voraus. Denn nach Satz 2 der Vorschrift ist die Person gewählt, die mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erreicht hat. Damit ist es nicht ausgeschlossen, dass über lediglich eine Person abgestimmt wird. Kennzeichnend für eine Wahl im gemeindeverfassungsrechtlichen Sinne ist nicht die Auswahl zwischen mehreren Kandidaten, sondern das personale Element. Hiervon geht auch die neuere Rechtsprechung des Senats aus.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.11.1991 - 15 B 3521/91 -, NVwZ 1992, 286 = NWVBl. 1992, 92; Urteil vom 30.4.1993 - 15 A 402/91 -, NVwZ 1993, 1223 = NWVBl. 1993, 411; ebenso: Dieckmann/Heinrichs, a.a.O., § 50 GO Erl. 3; Rehn/Cronauge, Gemeindeordung, Stand: März 2001, § 50 GO Erl. III.; abweichend: Kirchhof, a.a.O., § 50 GO Erl. 4.2.

Der streitbefangene Beschluss ist jedoch deshalb verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil den Mitgliedern des Rates die Möglichkeit auf Einsichtnahme in die Unterlagen der Bewerber um das Amt des Beigeordneten verwehrt war. Hierdurch ist das Recht der klagenden Ratsmitglieder auf Zugang zu umfassender Information über den Abstimmungsgegenstand verletzt.

Den Klägern steht in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft das Recht zu, sich über das Ergebnis der Stellenausschreibung sowie über Werdegang und Qualifikation der Bewerber für das Amt des Beigeordneten vor der Entscheidung des Rates frei zu informieren. Dieser Informationsanspruch umfasst alle Bewerber um die ausgeschriebene Position, soweit sie nicht aus eigenem Entschluss die Bewerbung zurückgezogen haben. Dies gilt auch hinsichtlich derjenigen Bewerber, denen zuvor abgesagt worden war. Denn zu einer solchen Absage waren weder die Findungskommission noch das Personalberatungsunternehmen dem Rat gegenüber befugt.

Die sachgerechte Ausübung des Rechts der Mitglieder des Rates zur Entscheidung über den Beschlussgegenstand setzt die Möglichkeit zu umfassender Information über die Entscheidungsgrundlagen voraus. Im Falle einer Personalentscheidung gehört hierzu insbesondere die Möglichkeit zu einer eigenverantwortlichen Eignungseinschätzung des Bewerbers um die zu besetzende Position. Ob und weshalb ein vorgeschlagener Kandidat besser geeignet ist als andere, lässt sich für die allein zur Entscheidung berufenen Mitglieder nur bei Kenntnis des gesamten Bewerberfeldes beurteilen. Der Senat hat in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten zur Einflussnahme vor der Beschlussfassung wesentlich von den Bedingungen abhängig sind, unter denen die Entscheidungsträger ihre Auffassung bilden und im Vorfeld der Entscheidung einbringen können. Bedeutsam ist hierbei insbesondere, in welchem Umfang, in welcher Form und zu welchen Zeitpunkt die zur Beurteilung des Abstimmungsgegenstandes erforderlichen Sachinformationen zur Verfügung gestellt werden. Dem kommunalen Beschlussorgan obliegt die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass für seine Mitglieder vermeidbare Unterschiede in den Bedingungen ihrer Mitwirkung an der Entscheidungsfindung nicht bestehen. Dies kann äußerstenfalls die Verpflichtung nach sich ziehen, eine Angelegenheit auf Antrag zu vertagen, um einzelnen Mitgliedern die Gelegenheit zu geben, ihre Informationsdefizite zu beseitigen. Eine im Widerspruch zu einer solchen Verpflichtung vorzeitig herbeigeführte Sachentscheidung ist wegen Verletzung der Mitwirkungsbefugnisse dieser Mitglieder rechtswidrig.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 18.8.1989 - 15 A 2422/86 -, NWVBl. 1990, 124 (125 f.), und vom 23.7.1991 - 15 A 2638/88 -, NWVBl. 1992, 20.

Hieran ist auch für den streitbefangenen Beschluss über die Wahl eines Beigeordneten durch den Rat der Stadt festzuhalten:

Das Informationsrecht des einzelnen Mitgliedes der kommunalen Vertretungskörperschaft hat in der Gemeindeordnung weder im Allgemeinen noch im Hinblick auf die Wahl der Beigeordneten eine ausdrückliche Regelung erfahren. § 43 Abs. 1 GO NRW verhält sich über die Rechte der einzelnen Ratsmitglieder nur mittelbar. Hiernach üben diese ihre Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung aus; sie sind an Aufträge nicht gebunden. Das Informationsrecht des einzelnen Ratsmitgliedes wird dabei ebenso wie das Recht auf Ausübung des Mandats als selbstverständlich vorausgesetzt.

Vgl. Dieckmann/Heinrichs, a.a.O., § 43 GO Erl. 1.2; Erichsen, a.a.O., S. 98.

Zwar sind die Mitglieder des Rates ebenso wie die Gemeindevertretung insgesamt in erster Linie mit Verwaltungsaufgaben befasst. Sie sind daher nicht Parlamentarier, sondern Mitglieder des obersten Verwaltungsorgans der Gemeinde und folglich Teil der vollziehenden Gewalt.

Dieckmann/Heinrichs, a.a.O., § 43 GO Erl. 1.1; Frowein, DÖV 1976, 44; Müller, NVwZ 1994, 120.

Ihre Rechtsstellung ist aber maßgebend von dem Umstand bestimmt, dass sie - insoweit mit Mitgliedern von Landtagen und Bundestag vergleichbar - von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt (§ 42 Abs. 1 GO NRW) und mit eigenen organschaftlichen Rechten ausgestattet sind. Als Mitglieder des Gemeinderates sind sie Repräsentanten der Gemeindebevölkerung. Wie Parlamentariern steht ihnen nicht nur das Recht zu, in den Gremien, denen sie als Volksvertreter angehören, abzustimmen, sondern auch das Recht, über den Abstimmungsgegenstand zu beraten. Dieses Beratungsrecht setzt voraus, dass über den Beratungsgegenstand die notwendigen Informationen zur Verfügung stehen, wobei es den Ratsmitgliedern frei steht, ob sie von der gebotenen Informationsmöglichkeit Gebrauch machen oder nicht. Dies schließt es im Grundsatz aus, eine Frage zur Abstimmung zu stellen, zu der den Mitgliedern des Gemeinderats oder Einzelnen von ihnen keine oder unvollständige Informationen zur Verfügung standen. Das Informationsrecht des einzelnen Mitgliedes der Vertretungskörperschaft dient nicht nur einer größtmöglichen Richtigkeitsgewähr hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung, sondern auch dem Schutz etwaiger Minderheitenpositionen. Nur durch eine möglichst umfassende und unterschiedslose Informationsmöglichkeit aller Mitglieder wird eine praktikable Möglichkeit eröffnet, eigene und vom Mehrheitsvotum abweichende Vorstellungen einzubringen und eine geänderte Beschlussfassung zu erwirken.

Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29.3.2000 - 8 TZ 815/00 -, NVwZ 2001, 345.

Eine Abstimmung über eine Frage, zu der den Ratsmitgliedern keine oder nur unvollständige Informationen zur Verfügung stehen, verfehlt ihren Zweck. Gerade die Debatte vor im Wesentlichen gleichem Informationshintergrund eröffnet die Möglichkeit alternativer Sachentscheidungen und - worauf das BVerfG hinsichtlich der Rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages ausdrücklich hingewiesen hat - Möglichkeiten des Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Verfahren so nicht ergeben hätten.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.1.1986 - 2 BvE 14/83 und 2 BvE 4/84 -, BVerfGE 70, 324 (355); Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Kommentar, 1998, Art. 38 Rn. 144; ferner zum Status der Abgeordneten des Landtages: VerfGH NRW, Urteil vom 4.10.1993 - VerfGH 15/92 -, DVBl. 1994, 48 (50).

Hierbei bestimmt sich der Umfang des Informationsanspruchs nach der Art der anstehenden Entscheidung im Einzelfall. Stehen bei der Wahl eines Beigeordneten - wie vorliegend - Informationen nur zu einem Kandidaten aus einem Bewerberfeld zur Verfügung, ist dieser Informationsanspruch verletzt. Den Mitgliedern des Rates standen zur hier streitbefangenen Entscheidung lediglich ein kurzer Abriss des Bewerbungsverfahrens und ein als vertraulich bezeichneter Bericht des Personalberatungsunternehmens zur Verfügung, der sich zur Qualifikation und zum beruflichen Werdegang des Beigeladenen verhält und mit einem Kommentar des Beratungsunternehmens schließt. Informationen über die anderen Bewerber, insbesondere deren Bewerbungsunterlagen waren den Ratsmitgliedern weder im Vorfeld der Abstimmung des Rates noch am Tag der Ratssitzung zugänglich. Aus der Sicht des einzelnen Ratsmitgliedes bestand folglich nur eine Informationsmöglichkeit über einen einzigen der Bewerber, obwohl sich auf die Ausschreibung und infolge persönlicher Ansprache durch das Personalberatungsunternehmen eine Vielzahl von Personen um die Stelle beworben hatten. Die Möglichkeit, andere Personen aus dem Bewerberfeld zur Wahl vorzuschlagen, war den Mitgliedern des Rates damit von vornherein verwehrt. Die der Wahl vorausgehende Sichtung des Bewerberfeldes und die Vorbereitung der Wahl mussten sich mithin auf das Für und Wider des vorgeschlagenen Kandidaten beschränken. Diese Verfahrensweise ist mit dem Informationsrecht der Ratsmitglieder nicht zu vereinbaren. Dieses verlangt eine Möglichkeit zu vollständiger Information über den Kreis der Bewerber für die Stellung eines kommunalen Wahlbeamten auch dann, wenn Gewinnung und Auswahl der Bewerber unter Hinzuziehung eines privaten Personalberatungsunternehmens erfolgen. Die Wahl der Beigeordneten gehört gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 lit. c) GO NRW zum unübertragbaren Vorbehaltsgut des Rates. Ist hiernach die Übertragung der Entscheidung auf andere Gremien innerhalb der Verwaltung ausgeschlossen, so darf die Hinzuziehung Privater bei der Vorbereitung der Wahl, die aus personalwirtschaftlichen Überlegungen im Sinne einer Bestenauslese erwünscht sein mag, erst recht nicht zu einer Einschränkung der den Ratsmitgliedern in Zusammenhang mit dieser Wahl zukommenden Rechte führen. Dies gilt auch dann, wenn sich der vom Rat beauftragte Oberbürgermeister ausweislich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens zu strengster Verschwiegenheit bezüglich aller Daten der potenziellen Stellenanwärter verpflichtet hat. Denn die Ausgestaltung privatrechtlicher Verträge hat auch in diesem Falle den kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben zu folgen. Ebenso wie die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Private, vgl. StGH Bremen, Urteil vom 15.1.2002 - St 1/01 -, S. 18 ff. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, darf deren beratende und unterstützende Hinzuziehung nicht zu einer Beeinträchtigung demokratisch legitimierter Mitwirkungs- und Kontrollrechte führen. Jede andere Handhabung würde eine kommunalverfassungsrechtlich unzulässige Verlagerung eines Teils der Auswahlentscheidung aus dem Rat auf hierzu nicht legitimierte Organe bedeuten. Dies gilt auch dann, wenn die Hinzuziehung Privater dem Ziel dient, Personen für die zu besetzende Position zu interessieren, die sich auf die öffentliche Ausschreibung von sich aus voraussichtlich nicht beworben hätten, etwa weil sie sich aus einer bestehenden herausgehobenen Position bewerben müssten.

Ist die Ausübung dieser Rechte infolge der Hinzuziehung eines Privaten tatsächlich oder rechtlich unmöglich, führt dies zur Rechtswidrigkeit eines gleichwohl herbeigeführten Wahlbeschlusses des Rates. In einem solchen Fall besteht Anlass zu einer Verschiebung der Ratsentscheidung bis zu einer Behebung des Mangels. Sollte Klarheit über das Bewerberfeld endgültig nicht zu erlangen sein, kann dies Anlass zu einer Wiederholung des Ausschreibungsverfahrens sein.

Die herausgehobene Bedeutung einer möglichst umfassenden Information der zur Entscheidung berufenen Personen über das Bewerberfeld wird durch die gesetzliche Verpflichtung verdeutlicht, die Stellen der Beigeordneten gemäß § 71 Abs. 2 Satz 3 GO NRW auszuschreiben. Sinn der zwingend vorgeschriebenen Ausschreibung ist es, dem Rat einen möglichst umfassenden Überblick über die Bewerber zu verschaffen und dadurch das Ziel einer objektiven Personalauslese zu fördern.

Vgl. Dieckmann/Heinrichs, a.a.O., § 71 Erl. 4; Pappermann, ZBR 1968, 297 (300); Rauball/ Pappermann/Roters, a.a.O., § 49 Rn. 9.

Dem entspricht es, den Ratsmitgliedern zu ermöglichen, sich - etwa, soweit gewünscht, durch Einsichtnahme in die eingehenden Bewerbungsunterlagen - möglichst umfassend über die in Betracht kommenden Kandidaten zu informieren. Nur so ist den Ratsmitgliedern eine am Zweck der Ausschreibung orientierte sachgerechte Auswahlentscheidung überhaupt möglich.

Die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die vom Rat zu treffende Auswahlentscheidung besteht für die Ratsmitglieder nur dann, wenn ihnen der Zugang zu allen im Ausschreibungsverfahren gewonnenen Informationen ermöglicht wird. Nur auf dieser Grundlage können Alternativvorschläge erarbeitet und kann Einfluss auf die Mehrheitsposition im Rat Einfluss genommen werden. Das setzt voraus, dass ihnen der Zugang zu allen für die Entscheidung maßgebenden Informationen möglich ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.11.2001 - 1 B 1146/01 -.

Eine Geheimhaltung von Bewerbern ist hiermit nicht vereinbar.

Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 23.2.1965 - II OVG A 65/62 -, OVGE 20, 486; Kirchhof, a.a.O., § 71 Erl. 6.3; Rauball/Pappermann/Roters, a.a.O., § 49 Rn. 9.

Der Verstoß gegen das Informationsrecht der Ratsmitglieder wurde auch nicht dadurch vermieden, dass der Findungskommission eine anonymisierte Übersicht über das Bewerberfeld vorlag. Hierdurch wurde ein Überblick über das Bewerberfeld für die einzelnen Ratsmitglieder ebenso wenig ermöglicht wie durch den Umstand, dass sich einige der Kandidaten für das Amt bei der Findungskommission persönlich vorstellten. Deshalb können die Kläger nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, den einzigen zur Abstimmung stehenden Kandidaten in der Ratssitzung abzulehnen.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des VG, diejenigen der Kläger, die an dem früheren Beschluss des Rates mitgewirkt hätten, hätten sich hierdurch ihrer Informationsrechte begeben. Es bestehen bereits Zweifel daran, ob ein derartiger bindender endgültiger Verzicht im Vorfeld der Entscheidung möglich ist. Das erkennende Gericht hat bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass die Mitgliedschaftsrechte eines Ratsmitgliedes keine subjektiv-öffentlichen Rechte sind, die dem Schutz des vom übergeordneten Interesse des Gesamtorgans zu unterscheidenden Individualinteresse des Ratsmitgliedes dienen.

OVG NRW, Urteil vom 4.4.1962 - III A 1122/61 -, OVGE 17, 261 (263 f.).

Das Ratsmitglied übt seine Befugnisse nicht um seiner selbst willen, sondern im Funktionsinteresse der Gemeinde und ihrer Organe aus.

Vgl. Müller, NVwZ 1994, 120 (122).

Es ist damit nahe liegend, nur die tatsächliche Nichtausübung des Informationsrechts, nicht aber den endgültigen Verzicht auf Mitwirkungsrechte für zulässig zu halten.

Die aufgeworfene Frage bedarf aber keiner abschießenden Klärung, weil dem früheren Beschluss des beklagten Rates ein derartiger Verzicht schon inhaltlich nicht zu entnehmen ist. Ausweislich des Wortlauts war Gegenstand der Beschlussfassung lediglich die Einsetzung einer Findungskommission und die Beauftragung des Oberbürgermeisters zur Einschaltung eines privaten Personalberatungsunternehmens im Stellenbesetzungsverfahren. Nähere Rückschlüsse auf das weitere Verfahren, insbesondere das Informationsrecht der Ratsmitglieder über die einzelnen Stellenbewerber, lässt der weit gefasste Wortlaut der Ratsentscheidung nicht zu. Die Auffassung des erstinstanzlichen Urteils wird auch nicht dadurch gestützt, dass die Findungskommission beauftragt wurde, einen oder mehrere qualifizierte Personalvorschläge zu unterbreiten, die Vorlage auch nur eines Vorschlages mithin durchaus vorgesehen war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Mitglieder des Rates für diesen Fall ihres Informationsrechts hinsichtlich der übrigen Bewerber begeben hätten. Dass mit der Beschlussfassung eine derartige Rechtsfolge verbunden gewesen sein könnte, ist auch der Erläuterung der Ratsvorlage durch die Verwaltung nicht zu entnehmen. Diese verhält sich lediglich zu der Notwendigkeit der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens und der Bildung der Findungskommission, wobei mit der Hinzuziehung eines privaten Unternehmens der Zweck verbunden gewesen sein mag, einen möglichst großen Bewerberkreis anzusprechen und die Auswahlentscheidung professionell vorzubereiten. Anhaltspunkte für eine intendierte Geheimhaltung von Bewerberdaten enthält sie nicht. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass für die Annahme des erstinstanzlichen Urteils, der Berufung auf das Recht stehe das Verbot widersprüchlichen Verhaltens entgegen, weil sich die Kläger, die an der Beschlussfassung des Rates mitgewirkt hätten, zu ihrem vorausgegangenem Verhalten in Widerspruch setzten.

Auch soweit das VG denjenigen Klägern, die sich nicht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim VG angeschlossen haben, Verwirkung ihrer Rechte entgegenhält, hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Die Verwirkung materieller wie prozessualer Rechte ist nach allgemein anerkannter Auffassung der Hauptanwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens und setzt voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

BVerfG, Beschluss vom 26.1.1972 - 2 BvR 255/67 -, BVerfGE 32, 305 (308 f.); BVerwG, Urteil vom 7.2.1974 - III C 115.71 -, BVerwGE 44, 339 (343 f.); BayVGH, Urteil vom 31.3.1993 - 20 B 92.1859 u.a.-, NVwZ-RR 1994, 241.

Ungeachtet der Frage, ob eine Verwirkung nur bei verzichtbaren Rechten möglich ist, vgl. hierzu: Ossenbühl, NVwZ 1995, 547 (549 f.), setzt das Rechtsinstitut der Verwirkung neben dem erforderlichen Zeitmoment auch ein Umstandsmoment voraus, demzufolge mit der Ausübung oder Geltendmachung des Rechts nicht mehr gerechnet zu werden brauchte. Angesichts des knappen Zeitrahmens zwischen der ersten Beschlussfassung des Rates am 29.1.1998 und der Wahl des Beigeladenen am 30.4.1998 im Allgemeinen und zwischen der erfolglosen Aufforderung zur Offenlegung der Bewerbungsunterlagen am 23.4.1998 und der streitbefangenen Wahl im Besonderen bestehen bereits erhebliche Zweifel am erforderlichen Zeitmoment. Dessen ungeachtet sind keine Umstände ersichtlich, die die Annahme stützen könnten, das Recht werde von diesen Klägern nicht mehr geltend gemacht. Im Gegenteil wurde die an den Oberbürgermeister gerichtete Aufforderung, den Ratsmitgliedern die Bewerbungsunterlagen zuzuleiten, namens der gesamten Fraktion erhoben. Diese umfasste auch die hier angesprochenen Kläger. Allein aus dem Umstand, dass sich einige der Kläger nicht an dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beteiligten, war nicht zu schließen, das Informationsrecht werde durch diese nicht mehr geltend gemacht.

Ende der Entscheidung

Zurück