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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.08.2002
Aktenzeichen: 15 A 583/01
Rechtsgebiete: KAG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8
Ist eine auch für den Andienungsverkehr mit Lastkraftwagen freigegebene Fußgängerzone Anfang der 70er Jahre entgegen den heutigen technischen Ausbauregeln mit Platten belegt worden, deren Verhältnis Länge durch Dicke größer als 4 ist, und ist die Straße deshalb vorzeitig verschlissen (hier: 20 Jahre nach der vormaligen Herstellung), so stellt die Neuerstellung keine beitragsfähige nachmalige Herstellung im Sinne des § 8 KAG NRW dar.
Tatbestand:

Die Stadt erstellte Anfang der 70er Jahre eine Fußgängerzone in einer nach heutigen technischen Ausbauregeln ungeeigneten Weise. Als die Straße deshalb nach 20 Jahren verschlissen war, erstellte sie die Fußgängerzone neu. Das Berufungsgericht gab der Anfechtungsklage gegen den Straßenbaubeitragsbescheid mit Ausnahme des auf die Neuerstellung der Beleuchtungsanlage entfallenden Teils statt.

Gründe:

Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Teils des Bescheides kann er sich nicht auf § 8 KAG NRW stützen, weil der diesen Betrag umfassende Teil des Bescheides sich auf eine nicht beitragsfähige Ausbaumaßnahme bezieht, nämlich auf die Erstellung der Fußgängerzone mit Ausnahme des Ausbaus der Beleuchtungsanlage.

Dies gilt zum einen für das Ausbaumerkmal der nachmaligen Herstellung in Form der Erneuerung. Eine Erneuerung liegt vor, wenn eine Straße, die in Folge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit trotz ordnungsgemäßer Unterhaltung und Instandsetzung verschlissen ist, erneuert wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.8.2001 - 15 A 465/99 -, NVwZ-RR 2002, 299 (300).

Hier war die übliche Nutzungszeit im Zeitpunkt des Ausbaus im Jahre 1992 noch nicht abgelaufen. Seit dem vormaligen Ausbau 1972 waren nämlich erst 20 Jahre vergangen. Für die Dauer der üblichen Nutzungszeit einer Straße bzw. der Teileinrichtung einer Straße gibt es keine allgemein gültige Zeitspanne, vielmehr hängt sie vom vorherigen Ausbauzustand und der verkehrlichen Funktion ab.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.9.1991 - 2 A 1926/91 -, Seite 3 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 3.9.1980 - 2 A 698/79 -, OVGE 35, 66 (70); Urteil vom 21.4.1975 - II A 1112/73 -, OVGE 31, 65 (68).

Es kann dahinstehen, wo die übliche Nutzungsdauer einer in geeigneter Bauweise erstellten Fußgängerzone anzusiedeln ist.

Vgl. 26 Jahre auch für eine schwach belastete Straße: OVG NRW, Beschluss vom 21.2.1992 - 2 B 494/92 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks; 27 Jahre: OVG NRW, Beschluss vom 1.12.1997 - 15 A 1391/94 -, S. 5 des amtlichen Umdrucks.; 20 Jahre für Gehwege zu früh: Urteil vom 21.4.1975 - II A 1112/73 -, OVGE 31, 65 (69).

Für den hier in Rede stehenden vormaligen Ausbau der für den Anliegerverkehr durch Kraftfahrzeuge freigegebenen Fußgängerzone "V. Straße", die bis auf die - wie unten noch zu zeigen sein wird - ungeeignete Plattierung vom Oberbau her eine auch für den Kraftfahrzeugverkehr ausreichende Tragfähigkeit aufwies, ist jedenfalls wie für eine gewöhnliche Straße eine Lebensdauer von mindestens 25 Jahren anzusetzen.

Dass diese Lebensdauer nicht erreicht wurde, ist auf die Ungeeignetheit des vorherigen Ausbauzustands zurückzuführen. 1972 sind nämlich Betonplatten mit den Maßen 40/40/6 cm in Mörtel auf einer Betonschicht verlegt worden. Dies mag zwar ein für den Fußgängerverkehr ausreichender Ausbauzustand sein. Jedoch war die Viehofer Straße auch nach dem Ausbau 1972 als Fußgängerzone immer auch für den zeitlich beschränkten Andienungsverkehr mit Lastkraftwagen vorgesehen, sodass die Art des Ausbaus auch auf diese Form der Benutzung ausgerichtet sein musste. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und wie es auch den einschlägigen technischen Regelwerken entnommen werden kann, sollen Platten mit einem Verhältnis Länge/Dicke größer als 4 nicht für Straßen verwendet werden, die von Kraftfahrzeugen benutzt werden.

Vgl. Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Pflaster und Plattenbelägen, Ausgabe 1989, ergänzte Fassung 1994, Nr. 2.2; Velske/Mentlein/ Eymann, Straßenbautechnik, 4. Aufl., S. 217.

Hier ist das Verhältnis Länge/Dicke (40/6) 6,66, also deutlich höher. Wäre das Verhältnis von höchstens 4 eingehalten worden, hätte man bei der gegebenen Dicke der Platte von 6 cm statt 40 cm lange Platten keine Steine wählen dürfen, die länger als 24 cm waren. Demgegenüber ist entgegen der Auffassung des Beklagten der starre Oberbau (Betonschicht, Asphalttragschicht) als solcher nicht ungeeignet. Zur Vermeidung von Frostschäden wegen eingesickerten Wassers ist es lediglich erforderlich, entweder die Fugen wasserdicht zu verschließen oder eine zweite Entwässerungsebene an der Oberkante der wasserundurchlässigen Schicht vorzunehmen.

Vgl. Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Pflaster und Plattenbelägen, a.a.O., Nr. 3.1 und 3.3 sowie Nr. 2 des Anhangs 2; Velske/Mentlein/Eymann, a.a.O., S. 217 und 223.

Allerdings trifft der Einwand des Beklagten zu, die vorgenannten technischen Ausbauregeln hätten sich erst nach dem vormaligen Ausbau der Viehofer Straße im Jahre 1972 entwickelt. In der Tat verbreitete sich erst Anfang der 70er Jahre die Herstellung von plattierten Fußgängerzonen. Zuvor waren für Straßen, die dem Kraftfahrzeugverkehr dienen, nur Pflasterungen, also die Verwendung von Steinen mit einem kleineren Verhältnis Länge/Dicke von 4, vorgesehen.

Vgl. etwa das vom Beklagten eingereichte Merkblatt für den Bau von Fahrbahndecken aus Natursteinpflaster, Ausgabe 1963.

Auch die vom Beklagten eingeholten Stellungnahmen anderer Städte belegen, dass die von ihm gewählte Ausbauart Anfang der 70er Jahre weit verbreitet war. Dem Beklagten ist daher zuzugestehen, dass es sich 1972 um eine Art des Ausbaus handelte, die mangels Existenz einschlägiger technischer Regelwerke nicht als nicht fachgerecht einzustufen war. Vielmehr war sie noch unerprobt, es gab keine Langzeiterfahrung dafür.

Das führt jedoch nicht dazu, dass eine wegen der Ungeeignetheit dieser Ausbauart notwendig werdende vorzeitige Erneuerung beitragspflichtig wäre. Die Art und Weise der technischen Ausgestaltung einer Ausbaumaßnahme im Rahmen der technischen Möglichkeiten liegt im Ermessen der Gemeinde. Ein Ermessensfehler, der die Beitragsfähigkeit einer Baumaßnahme entfallen lässt, liegt erst dann vor, wenn bereits im Zeitpunkt der Beendigung der Ausbaumaßnahme die Ungeeignetheit der gewählten Ausbauart offensichtlich ist. Stellt sich eine Maßnahme erst nachträglich als ungeeignet heraus, hat dies keine Auswirkungen auf die Entstehung der Beitragspflicht. Die Gemeinde trägt aber das Risiko für die Folgen ihrer Ermessensentscheidung und hat eine etwa erforderlich werdende vorzeitige Erneuerung auf ihre Kosten ohne Beteiligung der Anlieger vorzunehmen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.6.1992 - 2 A 2580/91 -, Seite 15 f. des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 27.9.1991 - 2 A 386/90 -, Seite 14 f. des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 26.3.1991 - 2 A 2125/88 -, NWVBl. 1991, 346 (348); Urteil vom 5.7.1990 - 2 A 1483/87 -, NWVBl. 1991, 21 (22); ebenso für Mängel in der Bauausführung Urteil vom 28.8.2001 - 15 A 465/99 -, NVwZ-RR 2002, 299 (302).

Mit anderen Worten: Die Gemeinde darf sich für eine neue Ausbauart entscheiden, die mangels Erfahrung mit ihr risikobehaftet ist; sie darf also experimentieren. Die Anlieger können dies einer Beitragspflicht für einen solchen Ausbau - bis zur Grenze offensichtlicher Ungeeignetheit - nicht entgegenhalten. Verwirklicht sich jedoch dann das Risiko, können die Anlieger, denen ein Erneuerungsvorteil, also die Gewährung einer dauerhaft gesicherten Erschließung für die Anliegergrundstücke durch eine auf lange Zeit haltbare und intakte Anlage, vgl. zum Erneuerungsvorteil OVG NRW, Urteil vom 27.8.1996 - 15 A 1642/93 -, NWVBl. 1997, 78; Urteil vom 5.7.1990 - 2 A 1483/87 -, NWVBl. 1991, 21 (22); Urteil vom 4.7.1986 - 2 A 1761/85 -, OVGE 38, 272 (278), durch den vormaligen Ausbau letztlich nicht gewährt worden ist, für die vorzeitige Erneuerung nicht herangezogen werden.

Hier hat sich das Risiko vorzeitiger Erneuerung in Folge der Ungeeignetheit des Oberbaus verwirklicht. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die vom Beklagten allein angeführten Verschleißerscheinungen im ständigen Bruch der Platten lagen, also nicht etwa in einer Verformung des Oberbaus unterhalb des Plattenbelags und der Bettung. Dem entspricht es, dass nach den genannten technischen Regelwerken der Altaufbau nur hinsichtlich der Verwendung von Platten regelwidrig war. Auch die vom Beklagten eingeholten Erfahrungsberichte anderer Städte belegen, dass das Problem in der Verwendung von Platten liegt. (wird ausgeführt)

Diese Bruchanfälligkeit von Platten hat nach 20 Jahren zum vorzeitigen Verschleiß geführt.

Die Lebensdauer ist nicht deshalb kürzer anzusetzen, weil die verkehrliche Belastung unvorhergesehen in Form einer deutlichen Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts, besonders der zulässigen Achslast, gestiegen sei. Zwar ist zwischen 1965 und 1993, also bis zum hier abgerechneten Ausbau, das zulässige Gesamtgewicht und die zulässige Achslast angestiegen, aber nicht in so dramatischer Form, dass man den vormaligen Ausbau mit Platten zum damaligen Zeitpunkt noch als objektiv geeignet ansehen konnte. So ist das zulässige Gesamtgewicht für zweiachsige Einzelfahrzeuge von 16 Tonnen (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a Nr. 1 StVZO i.d.F. der Bekanntmachung vom 6.12.1960 - BGBl. I S. 897 - mit den Änderungen bis zur Verordnung vom 23.4.1965 - BGBl. I S. 344 -, StVZO 1965) auf 18 Tonnen (§ 34 Abs. 5 Nr 1 Buchst. a StVZO i.d.F. der Bekanntmachung vom 28.9.1988 - BGBl. I S. 1793 - mit den Änderungen bis zur Verordnung vom 23.6.1993 - BGBl. I S. 1024 -, StVZO 1993) und bei mehr als zweiachsigen von 22 (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a Nr. 2 StVZO 1965) auf 25 Tonnen (§ 34 Abs. 5 Nr. 2 Buchst a StVZO 1993) gestiegen, bei Sattelkraftfahrzeugen ist die vormalige Begrenzung auf 38 Tonnen (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c StVZO 1965) in verschiedenen Varianten aufdifferenziert worden, die zum Teil geringer (28 Tonnen) zum Teil höher (44 Tonnen) geworden ist (§ 34 Abs. 6 StVZO 1993). Die für die punktuelle Belastung besonders wichtige Achslast der Einzelachse ist mit 10 Tonnen gleich geblieben (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 StVZO 1965 einerseits, § 34 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a StVZO 1993 andererseits). Die Achslast der Doppelachse von früher 16 Tonnen (§ 34 Abs. 3 Nr. 2 StVZO 1965) ist ebenfalls ausdifferenziert worden für verschiedene Achsenarten zwischen 11,5 Tonnen und 19 Tonnen (§ 34 Abs. 4 Nr. 2 StVZO 1993). Damit kann also nicht von einer dramatischen Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts und der zulässigen Achslast gesprochen werden, sondern allenfalls von einer dramatischen Erhöhung der Ausnutzung der zulässigen Grenzen.

Schließlich kann der Ausbau der Fußgängerzone nicht deshalb als beitragsfähige Erneuerung angesehen werden, weil den Anliegern dadurch eine in absehbarer Zeit erforderlich werdende (an sich beitragsfähige) Erneuerung erspart bleibt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.3.1989 - 2 A 1268/85 -, NVwZ-RR 1990, 161 (163).

Der Ausbau der V. Straße ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verbesserung beitragsfähig. Eine Verbesserung liegt vor, wenn durch die Ausbaumaßnahme die Ausstattung der Anlage entsprechend ihrer bisherigen verkehrstechnischen Konzeption, hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung (Erweiterung), hinsichtlich der funktionalen Aufteilung der Gesamtfläche oder hinsichtlich der Art der Befestigung vorteilhaft verändert wird. Diese vorteilhafte Veränderung ist unter verkehrstechnischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist also, ob der Verkehr bei Zugrundelegung der bisherigen verkehrstechnischen Konzeption (Trennsystem, Mischfläche, Fußgängerstraße) auf der neu gestalteten Anlage zügiger, geordneter, unbehinderter oder reibungsloser abgewickelt werden kann als vorher.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.10.1999 - 15 A 3305/96 -, NWVBl. 2000, 144 (145).

Eine solche vorteilhafte Veränderung durch den hier abgerechneten Ausbau gegenüber dem vormaligen Ausbauzustand kann nicht festgestellt werden. (wird ausgeführt.

Allerdings ist der frühere Belag von 6 cm starken Betonplatten in 2 cm Mörtel durch einen Belag von 8 cm starkem Pflaster in einem Sandbett von 4 cm ersetzt worden. Dadurch wird die Benutzbarkeit der Anlage in der Tat verbessert, weil nunmehr die Gefahr des Bruchs des Belags mit daraus folgenden ständigen Reparaturarbeiten vermindert ist. Diese Veränderung stellt aber deswegen keine Verbesserung dar, weil sie gerade die Beseitigung des ungeeigneten Ausbauzustandes ist, der zu der vorzeitigen Erneuerung geführt hat.

Ende der Entscheidung

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