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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.10.2002
Aktenzeichen: 15 B 1355/02
Rechtsgebiete: GO NRW, LWG, VwVfG NRW, VwVG NRW, VwGO


Vorschriften:

GO NRW § 7
GO NRW § 8
GO NRW § 9
LWG § 53 Abs. 1 Satz 1
VwVfG NRW § 37 Abs. 1
VwVG NRW § 55 Abs. 1
VwVG NRW § 63
VwGO § 80
1. Die Befugnis zum Betrieb der öffentlichen Einrichtung "Abwasserbeseitigungsanlage" umfasst die Ermächtigung, das Benutzungsverhältnis generell durch Satzung oder Sonderverordnung und im Einzelfall durch Verwaltungsakt zu regeln (Anstaltsgewalt).

2. Einzelfall einer Verfügung zur Reparatur von Anschlussleitungen zur gemeindlichen Abwasseranlage.


Tatbestand:

Die Antragsteller wandten sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Gemeinde, mit der ihnen aufgegeben wurde, die Anschlussleitung zum gemeindlichen Entwässerungskanal zu reparieren. Der Antrag hatte auch in der Beschwerdeinstanz keinen Erfolg.

Gründe:

Das VG hat den Antrag der Antragsteller,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners wiederherzustellen,

zu Recht abgelehnt. Dieser Antrag ist zwar zulässig, da der angegriffene Verwaltungsakt infolge einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbar ist. Jedoch ist der Antrag unbegründet. Der Antrag hat nicht schon aus dem formellen Grund Erfolg, dass die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderliche schriftliche Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 26.2.2002 fehlte. Allerdings ist der Verfügung eine sorgfältige Trennung zwischen der Begründung des Verfügungstenors und der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu entnehmen. Vielmehr werden beide Gesichtspunkte in knappster Form auf der S. 2 der angegriffenen Verfügung abgehandelt. Dennoch ist die Begründung noch als ausreichend anzusehen. Grundsätzlich muss die Begründung des besonderen öffentlichen Vollziehungsinteresses nach § 80 Abs. 3 VwGO über die Begründung des Verfügungstenors hinausgehen. Auch darf sie nicht formelhaft und nichtssagend sein, sondern muss auf den Einzelfall eingehen.

Vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, § 80 Rn. 45.

Hier begründet die Schadhaftigkeit der Rohrleitungen und der damit verbundene gestörte Abwasserabfluss die festgesetzte Handlungspflicht, während die durch das Austreten von Schmutzwasser in das Erdreich herbeigeführte Umweltgefahr das besondere öffentliche Vollziehungsinteresse begründet. Dies wird durch den Begründungsteil der angegriffenen Verfügung noch hinreichend deutlich.

Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Danach hat ein solcher Antrag Erfolg, wenn die angegriffene Ordnungsverfügung nach einer summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes offensichtlich rechtswidrig ist oder wenn sonst eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs andererseits kein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ergibt.

Die angegriffene Verfügung ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 7 bis 9 GO NRW, § 53 Abs. 1 Satz 1 LWG i.V.m. der Entwässerungssatzung der Gemeinde (EWS). Nach § 8 Abs. 1 GO NRW schaffen die Gemeinden innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Betreuung ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen. § 9 Satz 1 GO NRW ermöglicht für bestimmte Einrichtungen der Volksgesundheit, u.a. der Kanalisation, sogar die Statuierung eines Anschluss- und Benutzungszwangs. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LWG betreiben die Gemeinden die zur Abwasserbeseitigung notwendigen Anlagen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass zu den zulässigerweise errichteten öffentlichen Einrichtungen auch - wie hier - die öffentliche Abwasseranlage gehört. § 7 Abs. 1 Satz 1 GO NRW erlaubt den Gemeinden, ihre Angelegenheiten, also auch die öffentliche Abwasseranlage, durch Satzung zu regeln. Zwar ermächtigt diese Vorschrift nicht zum Erlass von Satzungen, die in Freiheit und Eigentum der Satzungsunterworfenen eingreifen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.3.1986 - 2 A 2750/84 -, StuGR 1986, 430 (431).

Jedoch umfasst die Befugnis, eine öffentliche Einrichtung zu betreiben, auch die Ermächtigung, das Benutzungsverhältnis generell durch Sonderverordnung oder - wie hier - durch Satzung und im Einzelfall durch Verwaltungsakt zu regeln (Anstaltsgewalt).

Zur Anstaltsgewalt vgl. BVerwG, Urteile vom 8.2.1974 - VII C 95.72 -, BVerwGE 45, 8 (10 f.), und vom 4.7.1969 - VII C 26.65 - BVerwGE 32, 299 (305); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.6.2002 - 1 S 2785/00 -, GewArch 2002, 376 (377); OVG NRW, Urteile vom 28.11.1994 - 22 A 2678/93 -, NVwZ 1995, 814 = NWVBl. 1995, 313, und Urteil vom 24.2.1975 - II A 1021/73 -, OVGE 30, 259.

Auch hier durfte der Antragsgegner in Form einer hoheitlichen Verfügung handeln. Es geht nämlich um die Konkretisierung der dem Benutzer einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung obliegenden Pflichten, hier der Pflicht zur Instandhaltung von Zuleitungen zur öffentlichen Abwasseranlage, die, ohne dass es auf eine ausdrückliche Ermächtigung ankommt, durch Verwaltungsakt verfügt werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.11.2000 - 15 A 4686/00 -, S. 2 des amtl. Umdrucks; Urteil vom 7.3.1994 - 22 A 753/92 -, NVwZ-RR 1995, 244 f.

Auch materiell erscheint die Verfügung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Allerdings stützt sie sich, wie der Überschrift "Ordnungsverfügung" zu entnehmen ist, zu Unrecht auf § 14 OBG NRW. Die Ermächtigungsgrundlage liegt nicht, wie der genannten Rechtsprechung des beschließenden Gerichts zu entnehmen ist, in den Befugnissen der Ordnungsbehörde begründet, sondern in der Anstaltsgewalt der Gemeinde als Betreiberin der öffentlichen Einrichtung. Jedoch führt dieser Irrtum nicht zur Rechtswidrigkeit der Verfügung. Im Verwaltungsakt niedergelegte Erwägungen können nur dann zur Rechtswidrigkeit führen, wenn sie einen Ermessensfehler darstellen (§ 40 VwVfG NRW). Das ist hier auszuschließen, da die angegriffene Verfügung sich - zu Recht - in der Sache auf die entwässerungsrechtliche Instandhaltungspflicht stützt und lediglich zu Unrecht zusätzlich eine formelle Ermächtigungsgrundlage in § 14 OBG NRW im Sinne einer unselbstständigen Ordnungsverfügung annimmt.

Zum Begriff der unselbstständigen und selbstständigen Ordnungsverfügung vgl. Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 410 ff.; Denninger, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl., E Rn. 33 f.

Die Antragsteller trifft entwässerungsrechtlich die Pflicht, die Anschlussleitungen instandzuhalten. Das ist allerdings der Entwässerungssatzung ausdrücklich nicht zu entnehmen. (wird ausgeführt) Jedoch bedarf es keiner ausdrücklichen satzungsrechtlichen Zuweisung der Pflicht, Anschlussleitungen zu unterhalten, an den Eigentümer. Grundsätzlich muss derjenige, der sich im eigenen (Sonder-)Interesse an den öffentlichen Abwasserkanal anschließen will oder muss, selbst (auf eigene Kosten) den Anschluss herstellen und instandhalten, wenn dieser nicht selbst Teil der öffentlichen Abwasseranlage ist. Einer diese Handlungs- und die ihr korrespondierende Kostentragungspflicht konstitutiv begründenden Übertragung auf den Anschlussnehmer bedarf es nicht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.1997 - 22 A 2742/94 -, NWVBl. 1998, 198.

Hier sind die Anschlussleitungen (Grundstücksanschlussleitungen und Hausanschlussleitungen gemäß § 2 Nr. 7 EWS) nach § 1 Abs. 3 EWS nicht Teil der öffentlichen Abwasseranlage.

Nach dieser so festzustellenden allgemeinen Unterhaltungspflicht besteht im konkreten Fall auch die Pflicht zur Vornahme der festgesetzten Instandsetzungsarbeiten. Die Anschlussleitung ist nämlich in der Weise beschädigt, dass die Grundstücksanschlussleitung nicht ordnungsgemäß in den öffentlichen Kanal mündet und die Anschlussleitung im weiteren Verlauf undicht und in der Achse verschoben ist. (wird ausgeführt)

Die Instandsetzungspflicht der Antragsteller ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Anschluss früher und möglicherweise von vornherein in der jetzt vorgefundenen Form von der Gemeinde selbst hergestellt worden ist. Maßgeblich für die Unterhaltungspflicht ist die heutige Rechtslage. Worauf die Reparaturbedürftigkeit der Anschlussleitung zurückzuführen ist, ist keine Frage nach der Person des Instandsetzungspflichtigen, sondern allenfalls eine Schadenersatzfrage, die hier keine Rolle spielt. Gleiches gilt für die angebliche Ursache der Schäden, die in einem ungeeigneten Straßenausbau liegen soll.

Der angegriffene Verwaltungsakt ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW). Danach ist erforderlich, dass zum einen der Adressat in die Lage versetzt werden muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.2.1990 - 4 C 41.87 -, BVerwGE 84, 335 (338).

Ob ein Verwaltungsakt diese hinreichende Bestimmtheit besitzt, ist durch Auslegung seines verfügenden Teils im Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen den Betroffenen bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Umständen festzustellen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.1997 - 8 C 43.95 -, BVerwGE 104, 301 (318).

Unter Anlegung dieses Maßstabes ist zwar der verfügende Teil des angegriffenen Verwaltungsaktes, der nur die Reparatur der Hausanschlussleitung aufgibt, wenig aussagekräftig. Jedoch ergibt sich der Umfang der vorzunehmenden Reparaturarbeiten aus dem Untersuchungsbericht vom 30.8.2000, der im Einzelnen die schadhaften Stellen aufzeigt und der den Antragstellern zugänglich gemacht worden ist.

Daraus ergibt sich, dass es entgegen dem Text der Verfügung, der nur von der Reparatur einer Hausanschlussleitung (vgl. zu diesem Begriff § 2 Nr. 7 Buchst. b EWS) spricht, auch um die Reparatur der Grundstücksanschlussleitung bis zum öffentlichen Kanal geht. Für die Antragsteller ist daher der Inhalt der angegriffenen Verfügung in Verbindung mit dem Untersuchungsbericht bestimmbar.

Erweist sich somit der angegriffene Verwaltungsakt als nicht offensichtlich rechtswidrig, fällt die dann anzustellende Abwägung des öffentlichen Vollziehungsinteresses gegenüber dem privaten Suspensivinteresse zu Lasten der Antragsteller aus. Während bei weiterem Zuwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides die Gefahr einer Umweltbeeinträchtigung durch in das Erdreich auslaufendes Schmutzwasser besteht, führt eine Pflicht zur Reparatur der Anschlussleitung vor Bestandskraft der Verfügung lediglich zu einer vorzeitigen finanziellen Belastung der Antragsteller, die im Falle der Aufhebung der Verfügung im Hauptsacheverfahren rückgängig gemacht werden kann.

Der Senat versteht die Antragsschrift der Antragsteller dahin, dass die ebenfalls in der angegriffenen Verfügung enthaltene Zwangsgeldandrohung nicht vom Antrag erfasst sein soll. Zwar differenziert der erstinstanzliche Antrag nicht zwischen den verschiedenen in der angegriffenen Verfügung enthaltenen Regelungen, auch ist die Zwangsgeldandrohung gemäß § 63 VwVG NRW ein nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 8 Satz 1 AG VwGO NRW sofort vollziehbarer Verwaltungsakt, sodass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig wäre. Jedoch machen die Antragsteller keinerlei Einwände vollstreckungsrechtlicher Natur gegen die Zwangsgeldandrohung geltend. Auch besteht kein erkennbares Interesse auf ihrer Seite an vorläufigem Rechtsschutz gegen die Zwangsgeldandrohung, denn wenn der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Sachtenor des Bescheides vom 26.2.2002, gegen den allein sie Einwendungen erheben, Erfolg gehabt hätte, wäre eine Festsetzung des angedrohten Zwangsgelds ohnehin nicht mehr möglich, da es dann an einer nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW vollziehbaren Grundverfügung fehlte. Jedenfalls besteht im Beschwerdeverfahren kein Anlass zu prüfen, ob ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Zwangsgeldandrohung Erfolg hat, da insoweit keine Beschwerdegründe dargelegt worden sind, die allein das Beschwerdegericht zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Ende der Entscheidung

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