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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.10.2007
Aktenzeichen: 15 B 1517/07
Rechtsgebiete: GO NRW, VwGO, StrWG NRW


Vorschriften:

GO NRW § 37 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2
StrWG NRW § 4 Abs. 2 Satz 3
1. Der Beschluss zur Umbenennung einer Straße ist ein adressatloser sachbezogener Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung.

2. Die Straßenbenennung erfolgt ausschließlich im öffentlichen Interesse.

3. Bei einer Straßenumbenennung sind die für die Anlieger dadurch ausgelösten nachteiligen Folgen in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Die Anlieger verfügen insoweit über eine die Klagebefugnis begründende eigene Rechtsposition (Fortentwicklung der Rechtsprechung).

4. Die Zuständigkeit einer Bezirksvertretung zur Straßenumbenennung bemisst sich nach der objektiven Bedeutung dieser Angelegenheit im Hinblick auf die Stadt.


Tatbestand:

Die Antragsgegnerin, eine Bezirksvertretung einer kreisfreien Stadt, hatte beschlossen, den nach der bundesweit bekannten Persönlichkeit A. benannten A.-Weg in Z.-Weg umzubenennen. Die Antragstellerin, eine von A. gegründete, am A.-Weg gelegene Einrichtung, erhob Widerspruch, den die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurückwies. Mit den Antrag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen den Umbenennungsbeschluss erhobenen Klage wiederherzustellen. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Der Antrag ist nicht etwa bereits deshalb abzulehnen, weil eine Klage gegen eine Straßenumbenennung von vorneherein keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO entfaltete. Allerdings setzt der Eintritt der aufschiebenden Wirkung voraus, dass sich der Rechtsbehelf überhaupt gegen einen Verwaltungsakt richtet, denn nur bei solchen ist die Vollziehbarkeit, die durch das Institut der aufschiebenden Wirkung beseitigt werden könnte und um deren Wiederherstellung es hier geht, denkbar. Der Umbenennungsbeschluss ist ein adressatloser sachbezogener Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.1.1987 - 15 A 563/84 -, NJW 1987, 2695, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage eintreten kann.

Aus dem Sinn und Zweck des Instituts der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt ergibt sich als weitere Voraussetzung für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung, dass der Rechtsbehelfsführer geltend machen kann, dass der Verwaltungsakt ihn in eigenen Rechten verletzt. Denn die aufschiebende Wirkung soll nur die Schaffung irreparabeler Tatsachen verhindern, die sich aus der sofortigen Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ergeben können; dadurch soll die Möglichkeit offen gehalten werden, dass dem Rechtsschutzsuchenden durch die beantragte Aufhebung des Verwaltungsakts wirksamer Rechtsschutz zuteil wird. Kommt aber die Gewährung von Rechtsschutz nicht in Betracht, weil der Rechtsschutzsuchende als Nichtadressat des Verwaltungsakts nicht geltend machen kann, durch ihn in eigenen Rechten verletzt zu sein, besteht auch für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung kein hinreichender Anlass.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1992 - 7 C 24.92 -, NJW 1993, 1610 (1611); a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.12.1974 - II W 51/74 -, AS 14, 176 (185 f.).

Die Klagebefugnis ergibt sich hier nicht daraus, dass durch die Straßenumbenennung ein Eingriff in Grundrechte, insbesondere in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit, vorläge, denn durch den sachbezogenen Verwaltungsakt werden keine Ge- oder Verbote ausgesprochen.

Vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 13.8.1996 - VerfGH 29/96 -, JR 1997, 370; OVG NRW, Beschluss vom 21.10.1996 - 23 A 7075/95 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 15.1.1987 - 15 A 563/84 -, NJW 1987, 2695 (2696); OVG Berlin, Beschluss vom 1.2.1994 - 1 S 118/93 -, LKV 1994, 298; a.A. Schl.-H. OVG, Urteil vom 25. Oktober 1991 - 4 L 56/91 -, Juris, Rn. 28 f. Allerdings ergibt sich die Klagebefugnis aus dem einfachen Recht. Maßstab für den subjektive Rechte begründenden Charakter einer Norm ist, ob sie allein dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist oder jedenfalls auch dem Schutz individueller Interessen von in einer qualifizierten und individualisierten Weise Betroffenen dient, was durch Auslegung zu ermitteln ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.7.1987 - 4 C 56.83 -, BVerwGE 78, 40 (41 ff.); Urteil vom 19.9.1986 - 4 C 8.84 -, DVBl. 1987, 476 f.

Das Gesetz betraut die Gemeinden mit der in ihr Ermessen gestellten Entscheidung über die Straßenbenennung (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StrWG NRW). Dies geschieht nur im öffentlichen Interesse der ordnungsrechtlich motivierten Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit der Straße und der gemeindlichen Selbstdarstellung. Für die Umbenennung einer Straße muss aber berücksichtigt werden, dass dadurch diejenigen, die als Anlieger in einem besonderen Näheverhältnis zur Straße stehen (vgl. etwa § 14a StrWG NRW für den Anliegergebrauch) besonders betroffen werden, namentlich im Hinblick auf die ausgelösten nachteiligen Folgen tatsächlicher (Notwendigkeit der Benachrichtigung Dritter von der Anschriftenänderung, gegebenenfalls Änderung von Briefköpfen, Visitenkarten, Stempeln, Schildern) oder rechtlicher Art (vgl. § 7 Nr. 8 des Personalausweisgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Vorlage des Personalausweises, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung für die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil I). Insoweit haben die Anlieger durch die Erstbenennung einer Straße einen Status erlangt, der durch die Änderung in rechtlich relevanter Weise berührt wird und deshalb die Gemeinde verpflichtet, die sich aus der Änderung ergebenden nachteiligen Folgen für die Anlieger in die Ermessensentscheidung einzubeziehen.

So bislang nur für eine vorherige drittschützende Ermessenspraxis OVG NRW, Beschluss vom 15.1.1987 - 15 A 563/84 -, NJW 1987, 2695 f.; weitergehend BayVGH, Urteil vom 16.5.1995 - 8 B 94/2062 -, NVwZ-RR 1996, 344 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.7.1991 - 1 S 1258/90 -, NVwZ 1992, 196 (197).

Die so denkbare, aber wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht eingetretene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage ist auf den Antrag der Antragstellerin nicht wiederherzustellen. Bei einer Abwägung zwischen dem Suspensivinteresse der Antragstellerin und dem besonderen öffentlichen Vollziehungsinteresse überwiegend letzteres.

Das ergibt sich zum einen daraus, dass die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist, sodass von vornherein ein legitimes Interesse an ihrer zügigen Durchsetzung besteht. Sie ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin formell ordnungsgemäß ergangen, namentlich hat die zuständige Bezirksvertretung entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zuständigkeitsnorm selbst drittschützend ist, da wegen des Anspruchs der Antragstellerin als Anliegerin auf Einbeziehung der durch eine Umbenennung ausgelösten nachteiligen Folgen in die Ermessensentscheidung sich dieser auch darauf erstreckt, dass das zuständige Organ die Ermessensentscheidung trifft.

Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 GO NRW entscheiden die Bezirksvertretungen unter Beachtung der Belange der gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen Richtlinien in allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6.1 der hier maßgeblichen Hauptsatzung, der gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 GO NRW nähere Einzelheiten regelte, wies den Bezirksvertretungen die Benennung und Umbenennung unter anderem von Straßen, Wegen und Plätzen des Bezirks mit im Wesentlichen bezirklicher Bedeutung in Abstimmung mit dem zentralen Namensarchiv zu. Diese Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen vor. (wird ausgeführt) Damit hat der A.-Weg nur bezirkliche Bedeutung.

Unerheblich ist, ob, wie die Antragstellerin geltend macht, die Diskussion um die Umbenennung stadtbezirksübergreifende Bedeutung hat. Die Zuständigkeit der Bezirksvertretung wird durch die fehlende objektive Bedeutung einer Angelegenheit im Hinblick auf die Stadt begründet, aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Öffentlichkeit einer Entscheidung einer Bezirksvertretung in einer objektiv nicht stadtbezirksübergreifend bedeutenden Angelegenheit besondere Aufmerksamkeit schenkt. Denn dies belegt keine sachlich stadtbezirksübergreifende Bedeutung, sondern kann seine Ursache etwa darin haben, dass die Thematik publizistisch oder politisch herausgestellt worden ist. Objektiv kommt der Frage, ob eine Nebenstraße von "A.-Weg" in "Z.-Weg" unbenannt wird, keine über den Stadtbezirk reichende Bedeutung zu.

Der angefochtene Umbenennungsbeschluss ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Belastung, die die Antragstellerin durch die Umbenennung erfährt, unverhältnismäßig wäre. Die Umbenennung liegt im weiten Ermessen der Antragsgegnerin. Mit der Benennung einer Straße nach Personen will die Stadt, wie sich aus den Richtlinien des Rates für die Neu- und Umbenennung von Straßen und Plätzen ergibt, verdiente Personen würdigen. Dabei ist Voraussetzung, dass bei Personen überregionaler Bedeutung das Geschichtsbild abgeklärt ist (Nr. 3.2.4 der Richtlinien). Die Stadt will es also vermeiden, wegen eines Straßennamens in eine Diskussion um das Geschichtsbild von Personen hineingezogen zu werden. Dies ein legitimes Benennungsinteresse. Mit der hier erfolgten Umbenennung wird angesichts der öffentlichen Diskussion um A. genau dieses Interesse verfolgt.

Diesem anerkennenswerten Interesse stehen unzumutbare gegenläufige geschützte Interessen der Antragstellerin nicht entgegen. Soweit sie wegen ihrer historischen Verbundenheit mit A. ein eigenes Interesse an der Namensbeibehaltung haben sollte, spielt dies keine Rolle, da die Straßenbenennung ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt und allein die durch eine Namensumbenennung bewirkten belastenden Folgen für die Anlieger als rechtlich geschützte Interessen in die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Kostenaufwand ist demgegenüber in die Entscheidung einzustellen und auch eingestellt worden. Die Entscheidung erweist sich als ermessensfehlerfrei. Solche Umstellungskosten zählen zu den gelegentlich eintretenden Kosten des allgemeinen Geschäftsbetriebs. Der A.-Weg trägt knapp 45 Jahre diesen Namen. Nach so langer Zeit ist die Kostenbelastung einer Namensänderung zumutbar.

Soweit die Antragstellerin eine Kostenbelastung in Höhe von 150.000 Euro geltend macht, vermag dies die Rechtmäßigkeit des Umbenennungsbeschlusses nicht in Frage zu stellen. Die Antragsstellerin war und ist gehalten, von der eingeräumten längeren Anpassungszeit sachgerecht Gebrauch zu machen. Im Sinne sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung muss die Antragstellerin bemüht sein, die Umstellungsarbeiten - wenn schon nicht vollständig, so doch jedenfalls zum größten Teil - nach und nach im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes mit dem vorhandenen Personal zu erledigen. Dies rechtfertigt nicht die Aufwendung von 85.000 Euro zusätzlichen Personalkosten. Auch bei der Neubeschaffung bedruckter Materialien, die die Antragstellerin mit 70.000,00 Euro ansetzt, erweist sich das beabsichtigte Verhalten als nicht sachgerecht. Es ist durchaus zumutbar, in weitem Umfang vorhandenen Drucksachenbestand - gegebenenfalls nach Korrektur - aufzubrauchen. An unumgänglichem finanziellem Mehraufwand fallen im Wesentlichen die Neuanschaffung von Stempeln und gegebenenfalls Schildern an, der bei weitem nicht die von der Antragstellerin insgesamt geltend gemachte Höhe erreicht. Im Übrigen muss weiter berücksichtigt werden, dass großen Institution wie hier der Antragstellerin auch höhere Umstellungskosten zuzumuten sind.

Erweist sich somit, dass subjektive Rechte der Antragstellerin offensichtlich nicht verletzt sind, bedarf es nur eines geringfügigen besonderen öffentlichen Vollziehungsinteresses, das über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgeht, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Hier trägt zwar der in der Vollziehungsanordnung genannten erste Grund der Rechts- und Planungssicherheit nicht, denn diese tritt gerade erst nach Bestandskraft und damit gegebener allgemeiner Vollziehbarkeit ein, nicht aber durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Jedoch trägt das ebenfalls in der Vollziehungsanordnung genannte zweite Begründungselement, dass die als belastend empfundene öffentliche Diskussion um die Straßebenennung schnellstmöglich beendet werden soll, denn es kann davon ausgegangen werden, dass die Öffentlichkeit nach vollzogener Umbenennung das Interesse an dem Gegenstand verliert.

Ende der Entscheidung

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