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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: 15 B 1744/07
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
1. Die Gemeindeorgane unterliegen den Handlungsschranken, die sich aus dem im Staatsrecht entwickelten und auf das Verhältnis der Gemeindeorgane zur Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens übertragbaren Grundsatz der Organtreue ergeben.

2. Eine Treuwidrigkeit in diesem Sinne setzt voraus, dass das Handeln eines Gemeindeorgans - sei es in der Sache selbst oder hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunkts - bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war, sondern allein dem Zweck diente, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern.

3. Die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens erfordert im Regelfall die positive Feststellung, dass die Angelegenheit noch in dem vom Bürgerbegehren verfolgten Sinne entschieden werden darf. Zum Schutz des Instituts des Bürgerbegehrens kann es bei gegen die Organtreue verstoßenden Handlungen der Gemeinde ausreichen, dass offen ist, ob das Ziel des Bürgerbegehrens noch erreicht werden kann.


Tatbestand:

Ein von den Antragstellern vertretenes Bürgerbegehren setzt sich dafür ein, dass ein städtisches Grundstück, das zur Zeit als öffentlicher Parklatz genutzt wird, nicht zum Zwecke der Bebauung an eine Versicherungsgesellschaft verkauft wird, sondern im Eigentum und Besitz der Stadt verbleibt. Die Stadt schloss am 15.10.2007 auf der Grundlage einer Dringlichkeitsentscheidung einen Grundstückskaufvertrag mit der Versicherungsgesellschaft, dessen Wirksamkeit allerdings dahingehend aufschiebend bedingt war, dass die eingeleitete Bauleitplanung bis spätestens zum 30.9.2008 abgeschlossen wird. Der antragsgegnerische Rat stellte fest, dass das Bürgerbegehren unzulässig sei. Im Beschwerderechtszug gab das OVG NRW dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung auf, unverzüglich die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festzustellen.

Gründe:

Der in der Hauptsache zu verfolgende Anordnungsanspruch darauf, dass der Antragsgegner das Bürgerbegehren nach § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW für zulässig erklärt, besteht.

Dem Bürgerbegehren standen bis zum Verkauf des Parkplatzgrundstücks keine Hinderungsgründe entgegen, insbesondere griff und greift der Ausschließungsgrund "Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen" (§ 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW) nicht ein. Nach dem Text des Bürgerbegehrens soll darüber entschieden werden, ob ein städtisches Grundstück im Eigentum der Stadt verbleiben soll. Es ist also keine Entscheidung über eine Bauleitplanung beantragt. Richtig ist allerdings, dass zur Vorbereitung einer ins Auge gefassten Erweiterung der Hauptverwaltung einer Versicherungsgesellschaft ein Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans eingeleitet worden ist, der das in Rede stehende Grundstück erfasst. Derartige Verfahren sind von einer Entscheidung durch Bürgerbegehren ausgeschlossen. Diese sind aber nicht Gegenstand des vorliegenden Bürgerbegehrens, insbesondere darf die Stadt die entsprechende Bauleitplanung weiter betreiben. Betroffen wäre die hier eingeleitete Bauleitplanung, so sie denn im beabsichtigten Sinne zum Abschluss gebracht wird, möglicherweise allein in ihrer Verwirklichung.

Es gibt keine Grundlage dafür, den Wortlaut des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW in einem weiteren Sinne auszulegen, so dass auch bereits Entscheidungen, die der Verwirklichung einer in Gang gesetzten Bauleitplanung entgegenstünden, von dem Ausschlusstatbestand erfasst wären. Dagegen sprechen bereits systematische Gründe: Der vergleichbare Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 5 Nr. 5 GO NRW betrifft Planfeststellungsverfahren, förmliche Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und bestimmte Zulassungsverfahren. Hier schließt das Gesetz nicht etwa nur Entscheidungen in diesen Verfahrensarten vom Bürgerbegehren aus, sondern "Angelegenheiten, die im Rahmen [solcher Verfahren] zu entscheiden sind". Mit dieser betont weiten Umschreibung zielt der Ausschlusstatbestand in einem umfassenden Sinne auf Sachentscheidungen, die auf das planungs- oder zulassungsbedürftige Vorhaben gerichtet sind.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.2.2002 - 15 A 1965/99 -, NWVBl. 2002, 346 (348).

Demgegenüber beschreibt die hier in Rede stehende Nr. 6 dieser Vorschrift als dem Bürgerbegehren nicht eröffnete Gegenstände nicht etwa "Angelegenheiten, die im Rahmen von Bauleitplänen zu entscheiden sind", sondern in weitaus präziserer Wortwahl "die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen". Angesichts dieser unterschiedlichen Formulierungen weiter und enger gefasster Ausnahmetatbestände vergleichbarer Art in ein und derselben Vorschrift kann nicht davon ausgegangen werden, dass Nr. 6 einen ähnlich weit gefassten Bereich wie Nr. 5 abdecken soll.

Auch Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes der Nr. 6 gebieten eine erweiternde Auslegung nicht: Die Regelung, Bauleitpläne umfassend dem Anwendungsbereich des Bürgerbegehrens zu entziehen, ist in der nahe liegenden Überlegung begründet, dass solche mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu treffende Entscheidungen eine Vielzahl öffentlicher und privater Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen haben, die sich nicht in das Schema einer Abstimmung mit "Ja" oder "Nein" pressen lassen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.2002 - 15 A 5594/00 -, NVwZ-RR 2002, 766 (767).

Darum geht es hier nicht: Es ist keine planerische Entscheidung zu treffen, ob nach den Vorstellungen der Stadt an der Stelle des in Rede stehenden Grundstücks die angedachte Bebauung bauplanungsrechtlich zulässig sein soll, sondern lediglich, ob ein durch eine solche Bauleitplanung zukünftig vielleicht ermöglichtes Vorhaben unter Einsatz des städtischen Grundstücks verwirklicht werden soll.

Dem Recht des Bürgerbegehrens in Nordrhein-Westfalen kann nicht entnommen werden, dass den Bürgern keine Entscheidung darüber zustehen soll, ob ein bauplanungsrechtlich ermöglichtes Vorhaben unter Einsatz eines städtischen Grundstücks verwirklicht wird. Das gilt schon deshalb, weil Bauleitplanung grundsätzlich Angebotsplanung ist. Darüber hinaus kann die Verwirklichung einer bauplanungsrechtlich ermöglichten Baumaßnahme von vielfältigen Einzelumständen abhängen (z.B. städtische Entscheidung über die Durchführung als eigenes Bauvorhaben, Förderung fremder Bauvorhaben durch Grundstücksveräußerung, Subventionierung, Bereitstellung von Ausgleichsflächen, zusätzliche Erschließung oder sonstige begleitende Maßnahmen). Die dem Bürgerbegehren entzogenen Gegenstände der "Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen" können nicht auf alle diese Umstände erstreckt und damit so weit verstanden werden, dass alles vom Bürgerentscheid ausgeschlossen wäre, was der Verwirklichung einer eine bestimmte Bebauung ermöglichenden Bauleitplanung entgegenstünde. Denn dann hätte der Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW den deutlich vom Gesetzeswortlaut abweichenden Inhalt "Angelegenheiten im Zusammenhang mit Bauleitplanung". Diese methodisch unzulässige Auslegung würde weiter getrieben, wenn sie sogar auf - wie es hier der Fall wäre - noch nicht beschlossene Bauleitpläne ausgedehnt würde. Damit würde der Wortsinn endgültig gesprengt, ohne dass zulässige Auslegungskriterien dies erzwängen.

§ 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW steht allerdings dann einem Bürgerbegehren entgegen, wenn dieses der Sache nach offensichtlich auf eine Bauleitplanung gerichtet ist und sich nur in das formelle Gewand einer anderen Frage kleidet. Wo die Grenze verläuft zwischen einem dem Bürgerbegehren zugänglichen Gegenstand jenseits der Bauleitplanung und einer in diesem Sinne in das Gewand einer anderen Maßnahme gekleideten unzulässigen bauplanerischen Entscheidung, ist eine Frage des Einzelfalles.

Vgl. ähnlich zum Planfeststellungsverfahren OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312 (315).

Hier geht es dem Bürgerbegehren darum, dass eine öffentliche Parkplatzfläche weiter im Eigentum der Stadt bleiben soll. Das ist ein zweifelsfrei dem Bürgerbegehren zugänglicher Gegenstand. Die Bauleitplanung ist nur insofern tangiert, als die Stadt in Vorbereitung der geplanten Freigabe des städtischen Grundstücks für die Bebauung bauplanerische Entscheidungen eingeleitet hat. Das Bürgerbegehren wendet sich der Sache nach und nicht nur vorgeschoben in der Hauptsache gegen die geplante Freigabe, während die Bauleitplanung dafür ein nur vorbereitendes Element und damit nicht der eigentliche Gegenstand des Bürgerbegehrens ist.

Vgl. zur Zulässigkeit von Bürgerbegehren, die die Veräußerung eines gemeindlichen Grundstücks zum Gegenstand haben und gegen die Verwirklichung eines bauplanungsrechtlich ermöglichten Vorhabens gerichtet sind, OVG NRW, Beschluss vom 17.7.2007 - 15 B 874/07 -, NVwZ-RR 2007, 803.

Auch trifft die Auffassung des Antragsgegners nicht zu, dass bei einem erfolgreichen Bürgerentscheid sehr wohl die Bauleitplanung berührt werde, da dann der Bebauungsplan funktionslos werde. Eine bauplanerische Festsetzung tritt erst dann wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn zudem diese Tatsache in einem Maße augenfällig geworden ist, dass ein etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetztes Vertrauen nicht mehr schutzwürdig ist. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.4.2004 - 4 C 10.03 -, NVwZ 2004, 1244 (1245), Beschlüsse vom 29.5.2001 - 4 B 33.01 -, NVwZ 2001, 1055 (1056) und vom 11.12.2000 - 4 BN 58.00 -, BRS 63 Nr. 54.

Für eine Funktionslosigkeit in diesem Sinne kann aus einem erfolgreichen Bürgerentscheid schon deshalb nichts hergeleitet werden, weil dessen Bindungswirkung auf zwei Jahre beschränkt ist (§ 26 Abs. 8 GO NRW).

Der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens kann auch nicht - wie es der Antragsgegner tut - die außerordentliche Bedeutung des geplanten Vorhabens für den Wirtschaftsstandort entgegengehalten werden. § 26 GO NRW kann nicht entnommen werden, dass Entscheidungen von derartigem Gewicht dem Bürgerentscheid entzogen sind oder dass gar nur Gegenstände von untergeordneter Bedeutung durch Bürgerentscheid geregelt werden können.

Ferner kann die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens auch nicht aus dem Vorhalt des Antragsgegners hergeleitet werden, dass sich das Bürgerbegehren nicht gegen die Bebauung auf dem Parkplatzgrundstück als solche wende, sondern den Schutz des benachbarten Friedhofs bezwecke. Dies ist ein legitimer Zweck eines Bürgerbegehrens.

Das so bis zum Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück am 15.10.2007 zulässige Bürgerbegehren ist durch den Kaufvertrag nicht unzulässig geworden. Allerdings darf Gegenstand eines Bürgerbegehrens grundsätzlich nur eine Entscheidung sein (§ 26 Abs. 1 GO NRW). Weder sind resolutionsartige Meinungskundgaben zulässig, OVG NRW, Urteil vom 23.4.2002 - 15 A 5594/00 -, NVwZ-RR 2002, 766, noch bloße Vorgaben an den Rat für eine von ihm noch zu treffende Entscheidung, OVG NRW, Urteil vom 9.12.1997 - 15 A 974/97 -, NWVBl. 1998, 273, noch dürfen Vorgaben für eine Vielzahl künftiger, in ihrer jeweils maßgeblichen Fallgestaltung nicht überschaubarer Angelegenheiten gemacht werden, OVG NRW, Beschluss vom 18.10.2007 - 15 A 2666/07 -.

Auch muss der Bürgerentscheid den Text des Bürgerbegehrens grundsätzlich uneingeschränkt übernehmen, so dass seine Fragestellung zwischenzeitlich veränderten Umständen nicht angepasst werden kann.

OVG NRW, Urteil vom 29.4.2003 -15 A 3916/02 -, NWVBl. 2003, 466.

Nach diesen Maßstäben ist ein Bürgerbegehren, das darauf gerichtet ist, dass ein Grundstück im Eigentum der Gemeinde verbleiben soll, unzulässig, sobald das Grundstück in das Eigentum eines anderen übergegangen ist. Dann ist nämlich die Entscheidung über einen Eigentumsverbleib bereits gefallen und kann auch durch Bürgerentscheid nicht mehr getroffen werden. Auch richtet sich das Bürgerbegehren dann nicht auf eine Entscheidung zum Rückerwerb, da dies von der Fragestellung nicht erfasst ist.

Ein solche Situation liegt hier gegenwärtig aber nicht vor. Das Bürgerbegehren ist auf die Entscheidung gerichtet, ob das in Rede stehende Grundstück in unbeschränktem Eigentum und unmittelbarem Besitz der Stadt verbleiben soll. Das Grundstück steht weiterhin im Eigentum und Besitz der Stadt. Eigentumsübergang und Besitzverlust sind lediglich obligatorisch vereinbart, wobei die entsprechenden Verpflichtungen aber in ihrer inneren Wirksamkeit aufgeschoben sind. Der Kaufvertrag steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Bebauungsplanentwurf für das Grundstück bis zum 30.9.2008 im wesentlichen unverändert in Kraft tritt (§ 2 des Vertrages). Darüber hinaus ist Vertragsgrundlage, dass das als Parkplatz genutzte Grundstück entwidmet wird (Vorbemerkung II.4), was noch nicht bestandskräftig geschehen ist. Somit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen, ob das Ziel des Bürgerbegehrens noch erreichbar ist.

Dennoch wäre unter gewöhnlichen Umständen das Bürgerbegehren bereits gegenwärtig als unzulässig zu bewerten, da die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens im Regelfall die positive Feststellung voraussetzt, dass die Angelegenheit noch in dem vom Bürgerbegehren verfolgten Sinne entschieden werden darf. Durch den bedingten Vertragsschluss hat die Stadt hingegen eine Situation herbeigeführt, die mit einer gewissen Automatik, nämlich Eintritt der vertraglichen Voraussetzungen, zur Verpflichtung der Eigentums- und Besitzübertragung führt. Ab diesem Zeitpunkt wäre das Bürgerbegehren auf einen Vertragsbruch ausgerichtet und würde damit ein gesetzwidriges Ziel im Sinne des § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW verfolgen. Ob der Vertrag diese volle Wirksamkeit erlangt, ist gegenwärtig offen. Unzutreffend ist allerdings die Auffassung des Antragsgegners, dass die Stadt es bereits jetzt nicht mehr in der Hand habe, den Bedingungseintritt zu verhindern: Eine Verpflichtung zur Fortführung der bislang eingeleiteten Bauleitplanung oder gar zu positivem Beschluss besteht vertraglich nicht, ja würde, wenn sie so vereinbart wäre, die Rechtmäßigkeit der Bauleitplanung in Frage stellen.

Setzt somit die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens im Regelfall die oben genannte positive Feststellung voraus, ist hier indes einer außerordentlichen Verfahrenslage Rechnung zu tragen: Der Grundstückskaufvertrag ist unter Umständen erfolgt, die es ausschließen, die dadurch eingetretenen Unsicherheiten hinsichtlich des Eigentumsverbleibs einseitig zu Lasten des Bürgerbegehrens zu berücksichtigen. Ein sachlicher Grund dafür, dass der Vertrag schon am 15.10.2007 geschlossen wurde, ist nämlich nicht ersichtlich.

Allerdings besteht nach ständiger Rechtsprechung des Senats weder für den Rat noch für andere Organe oder Behörden eine "Entscheidungssperre", wenn parallel ein denselben Sachverhalt betreffendes Verfahren zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids betrieben wird. Das repräsentativ-demokratische System ist durch die Einführung des Bürgerentscheids als Element der unmittelbaren Demokratie ergänzt, nicht überlagert worden. Die beiden Entscheidungsformen sind gleichwertig, so dass ein Sicherungsanspruch zu Gunsten des Bürgerbegehrens selbst dann nicht besteht, wenn im Einzelfall eine Entscheidung der Gemeinde dadurch einen faktischen Vorrang erhält, dass diese Entscheidung wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens zur Herbeiführung eines Bürgerentscheids schon vor dessen Abschluss in die Tat umgesetzt werden kann. Der Sinn des repräsentativ-demokratischen Systems besteht gerade darin, eine organisatorisch und zeitlich handhabbare Form demokratischer Willensbildung für mitgliederstarke Körperschaften bereitzustellen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.3.2004 - 15 B 522/04 -, NWVBl. 2004, 346 (348).

Erst durch Art. I Nr. 7 Buchst c des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 9.10.2007 (GV.NRW S. 380) ist der heutige § 26 Abs. 6 Satz 6 GO NRW mit Wirkung vom 17.10.2007 eingefügt worden, der in bewusster Abkehr von dieser Rechtsprechung, vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT Drs. 14/3979, S. 133, eine Sperrwirkung des zulässigen Bürgerbegehrens statuiert, soweit nicht rechtliche Verpflichtungen bestehen.

Als einen gegenüber einer solchen automatischen Sperrwirkung selbständigen und deshalb auch von der gesetzlichen Neuregelung unberührten Ansatz hat der Senat wiederholt auf eine Beschränkung der Handlungsmacht der Gemeinde unter Treuegesichtspunkten hingewiesen. Danach kann sich eine Schranke für die Befugnis von Gemeindeorganen zur Entscheidung über den Gegenstand des Bürgerbegehrens aus dem im Staatsrecht entwickelten und auf das Verhältnis der Gemeindeorgane zur Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens übertragbaren Grundsatz der Organtreue ergeben. Dieser verpflichtet hier die Gemeindeorgane, sich so gegenüber dem Bürgerbegehren zu verhalten, dass dieses seine gesetzlich eröffnete Entscheidungskompetenz ordnungsgemäß wahrnehmen kann, mit anderen Worten, dass bei der Ausübung der gemeindlichen Kompetenzen von Rechts wegen auf die Willensbildung der Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens Rücksicht zu nehmen ist.

Diese Treuepflicht ist allerdings wegen der Gleichwertigkeit von Entscheidungen der Gemeindeorgane einerseits und von Bürgerentscheiden andererseits nicht schon dann verletzt, wenn die Entscheidung des Gemeindeorgans dem Bürgerentscheid zuvorkommt. Ein in diesem Sinne treuwidriges Handeln eines Gemeindeorgans setzt vielmehr voraus, dass dessen Handeln - sei es in der Sache selbst oder hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunkts - bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war, sondern allein dem Zweck diente, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.3.2004 - 15 B 522/04 -, NWVBl. 2004, 346 (348).

So liegt der Fall hier: Der Antragsgegner hat den Senat trotz seiner hierzu getroffenen Aufklärungsbemühungen nicht davon überzeugen können, dass für den Abschluss des Kaufvertrags am 15.10.2007 ein sachlicher Grund jenseits des Motivs, dem Bürgerentscheid zuvorkommen zu wollen, vorlag. Auch der Senat geht als selbstverständlich davon aus, dass die Versicherungsgesellschaft an einer raschen Verwirklichung des Projekts interessiert ist und nicht monatelang auf eine Entscheidung der Stadt warten kann. Das stand aber am 15.10.2007 nicht in Rede: Wie sich aus dem aufschiebend bedingten Vertrag ergibt, ist ein Eigentums- und Besitzerwerb ohnehin - neben der erforderlichen straßenrechtlichen Entwidmung - nur für den Fall des Abschlusses der dem Vertrag zugrunde gelegten Bauleitplanung gewollt. Dafür ist sogar ein Zeitraum bis 30.9.2008 im Vertrag vorgesehen. Ein vorgezogener Beginn der Baumaßnahme selbst ist ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen nie geplant gewesen. Demzufolge ist der gewählte Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht durch eine Beschleunigung der Bebauung gerechtfertigt. Auch kann der Antragsgegner nicht überzeugend geltend machen, es habe eine eingetretene Verzögerung des Projekts aufgefangen werden sollen. Dies hätte einen unbedingten Vertragsschluss erfordert, während hier die vertraglichen Wirkungen infolge der aufschiebenden Bedingung gerade in die Zukunft geschoben worden sind. Ebenso kann der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht unter dem Gesichtspunkt einer Sicherung des Eigentums- und Besitzerwerbs gegenüber möglichen abweichenden Überlegungen der Stadt gerechtfertigt werden. Auch für diesen Zweck ist der geschlossene Vertrag ungeeignet. Er bietet dem Käufer nämlich insoweit keine Sicherheit. Der Stadt bleibt es auch jetzt bei einer Änderung ihres Verkaufswillens unbenommen, den Eintritt der Vertragswirkung durch Abbruch der eingeleiteten Bauleitplanung zu verhindern. Ein sachlicher Grund für den Vertragsschluss am 15.10.2007 liegt auch nicht darin, dass dem Vorhaben - wie der Antragsgegner vorträgt - außerordentliche Bedeutung für den Wirtschaftsstandort zukomme. Dies rechtfertigt es nicht, die Entscheidung über den Eigentumsverbleib der Bürgerschaft zu entziehen.

Vor diesem Hintergrund offenbart sich der wahre Sinn des Zeitpunktes des Vertragsschlusses am 15.10.2007. Er steht nämlich in einem augenfälligen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Stärkung des Bürgerbegehrens durch die Einführung der Sperrwirkung zugelassener Bürgerbegehren am 17.10.2007, also zwei Tage später. Zwar war zum damaligen Zeitpunkt das Bürgerbegehren nicht zugelassen. Der Antragsgegner musste jedoch in Kenntnis der eingangs dargelegten Rechtsprechung des Senats zur Reichweite des Ausschlusstatbestandes des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW, OVG NRW, Beschluss vom 17.7.2007 - 15 B 874/07 -, NVwZ-RR 2007, 803, damit rechnen, dass sich die Antragsteller alsbald nach Inkrafttreten der Neuregelung die Zulassung und damit die Sperrwirkung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erstreiten würden. Erst damit wird auch nachvollziehbar, warum der Vertragsschluss im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung zwei Tage vor der nächsten Ratssitzung und dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erfolgte. Offensichtlich wollte man vermeiden, dass die Aufnahme eines beabsichtigten Vertragsschlusses in die Tagesordnung dieser Ratssitzung die Vertreter des Bürgerbegehrens über den bevorstehenden Vertragsschluss informiert und ihnen dadurch den dargelegten Rechtsschutz eröffnet hätte.

So bleibt bei lebensnaher Betrachtung des Vorgangs als alleiniger nachvollziehbarer Grund für den Kaufvertrag am 15.10.2007 übrig, dass das einzig reale Risiko für die Verwirklichung des Vorhabens, nämlich die Sperrwirkung eines zugelassenen Bürgerbegehrens und erst recht ein erfolgreicher Bürgerentscheid, durch Schaffung vermeintlich endgültiger, eine Entscheidung über den Verbleib des Eigentums ausschließender Zustände beseitigt werden sollte. Genau dies ist kein legitimer Grund. Der Respekt vor dem - verfassungsrechtlich nicht vorgeschriebenen, aber gesetzlich begründeten - Institut des Bürgerbegehrens hätte es geboten, die Möglichkeit der Entscheidung der Bürger, ob das städtische Grundstück für die geplante Bebauung hergegeben werden soll, zu akzeptieren und für eine solche Entscheidung offensiv zu werben statt zu versuchen, sich durch überstürzte Vertragskonstruktionen dem Votum der Bürger zu entziehen. So hätte binnen kurzem und weit vor dem Endtermin zur inneren Wirksamkeit des Vertrages am 30.9.2008 verfahrensrechtlich legitimierte Klarheit geschaffen werden können.

Angesichts dieser Sachlage ist das Gericht gehindert, den Umstand, dass es offen ist, ob das Ziel des Bürgerbegehrens noch erreicht werden kann, als Grund für die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens zu werten. Damit würde es nämlich dem bislang noch nicht beendeten Versuch der Stadt, das Bürgerbegehren ins Leere laufen zu lassen, zum Erfolg verhelfen. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Institut des Bürgerbegehrens bedarf in Sonderfällen wie dem vorliegenden gerichtlichen Schutzes davor, dass eine Gemeinde die ihr eröffneten zügigen Entscheidungsmöglichkeiten sachwidrig und einseitig zu Lasten des ohnehin in der Entscheidungsfindung langwierigeren Bürgerbegehrens ausnutzt. Deshalb reicht es für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens hier aus, dass die Möglichkeit einer Entscheidung über den Eigentumsverbleib als Ziel des Bürgerbegehrens zwar nicht - wie grundsätzlich zu fordern - feststeht, aber jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.

Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Vertretern des Bürgerbegehrens kann nicht zugemutet werden, ihren Anspruch auf Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und damit auf Durchführung des Bürgerentscheids allein im Hauptsacheverfahren durchzusetzen. Durch den dargestellten weiteren Ablauf der Dinge würde das Erreichen des Bürgerbegehrensziels, nämlich der Verbleib des Eigentums und Besitzes am Grundstück bei der Stadt, immer mehr erschwert, so dass effektiver Rechtsschutz nicht mehr zu erreichen wäre. Dies rechtfertigt auch die teilweise - weil immer unter dem Vorbehalt des Erfolgs im Hauptsacheverfahren stehende - Vorwegnahme der Hauptsache.

Ende der Entscheidung

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