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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.05.2002
Aktenzeichen: 15 B 238/02
Rechtsgebiete: GO NRW, GmbHG, AktG


Vorschriften:

GO NRW § 31 Abs. 2
GO NRW § 31 Abs. 3
GO NRW § 50 Abs. 3
GO NRW § 50 Abs. 4
GO NRW § 113 Abs. 1
GmbHG § 52 Abs. 1
AktG § 90 Abs. 3
AktG § 110 Abs. 1
AktG § 170 Abs. 1
AktG § 170 Abs. 3
Dem vom Rat entsandten Vertreter im Aufsichtsrat einer GmbH steht im Grundsatz keine wehrfähige Innenrechtsposition zu, kraft deren er seine Abberufung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 GO NRW verhindern kann. Eine solche Rechtsposition ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften über die Verhältniswahl bei der Besetzung der Aufsichtsratspositionen durch den Rat.
Tatbestand:

Der Antragsteller wehrte sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen seine Abberufung als vom Rat entsandtes Mitglied des Aufsichtsrates der Stadtwerke S. GmbH. Hierbei berief er sich im Wesentlichen auf eine Verletzung der Grundsätze der Verhältniswahl bei der Entscheidung des Rates über seine Abberufung.

Die Beschwerde des Antragsgegners führte zur Änderung des stattgebenden Beschlusses des VG und zur Ablehnung des Antrages.

Gründe:

Dem Antragsteller steht kein Anordnungsanspruch auf Unterlassung der Vollziehung der Abberufung zu. Ein solcher Anspruch bestünde nur dann, wenn es sich bei der geltend gemachten Rechtsposition - hier der Stellung als Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat der Stadtwerke S. GmbH - um eine durch das kommunale Innenrecht eingeräumte Zuständigkeit handelt, die dem betroffenen Organ oder Organteil als wehrfähiges subjektives Organrecht zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist durch Auslegung der jeweils einschlägigen innerorganisatorischen Norm zu ermitteln.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31, vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, OVGE 41, 118 (119 ff.), vom 10.9.1982 - 15 A 1223/80 -, OVGE 36, 154 (156 ff.), vom 19.12.1978 - XV A 1031/77 -, OVGE 35, 8 und vom 2.2.1972 - III A 887/69 -, OVGE 27, 258 (262 ff.); ferner: BVerwG, Beschluss vom 22.12.1988 - 7 B 208/87 -, NVwZ 1989, 470; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.2.1992 - 1 S 2242/91 -, NVwZ-RR 1992, 373; Schnapp, Der Streit um die Sitzungsöffentlichkeit im Kommunalrecht, VwArchiv 78 (1987), S. 407 ff.

Eine entsprechende Rechtsposition setzt voraus, dass dem einzelnen Ratsmitglied die organschaftlichen Befugnisse selbst zugeordnet sind, gegen deren Beeinträchtigung er die Unterlassung oder Beseitigung verlangen kann.

Vgl. OVG NRW, Urteil des Senats vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, a.a.O., S. 120, vom 10.9.1982 - 15 A 1223/80 -, a.a.O., S. 155 und vom 19.12.1978 - XV A 1013/77 -, a.a.O.

Denn das einzelne Ratsmitglied kann aus der bloßen Rechtswidrigkeit eines Ratsbeschlusses keine eigenen Rechte herleiten. Der Ratsbeschluss kann nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn er wegen einer Verletzung von Mitgliedschaftsrechten gerade des Ratsmitgliedes rechtswidrig ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.2.2002 - 15 A 2604/99 - (Seite 12 des amtlichen Entscheidungsabdrucks) m.w.N.; ferner: OVG NRW, Urteil vom 2.2.1972 - III A 887/69 -, a.a.O., S.264.

Eine solche subjektiv-öffentliche Rechtsposition vermittelt § 113 Abs. 1 Satz 3 GO NRW allein nicht.

Der Senat hält in diesem Zusammenhang an seiner Rechtsprechung zu der Vorgängervorschrift des § 55 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 GO NRW, wonach dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied ein eigenständiger Anspruch auf Respektierung des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs und ein körperschaftsinterner Störungsbeseitigungsanspruch gegenüber organisationsrechtswidrigen Eingriffen in seinen Status zustehen, OVG NRW, Beschluss vom 12.2.1990 - 15 B 35/90 -, NVwZ 1990, 791, jedenfalls für die hier streitbefangene Frage, ob im Falle einer gesellschaftsrechtlich bedingten Verringerung der Anzahl der gemeindlichen Aufsichtsratsmitglieder über die Abberufung und Neubesetzung im Wege der Verhältniswahl nach § 50 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 GO NRW oder durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden ist, nicht fest:

Gemäß § 113 Abs. 1 GO NRW haben die Vertreter der Gemeinde - soweit nicht gesetzlich Anderes bestimmt ist - in Beiräten, Ausschüssen, Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsräten oder entsprechenden Organen von juristischen Personen oder Personenvereinigungen, an denen die Gemeinde beteiligt ist, die Interessen der Gemeinde zu verfolgen. Sie sind an Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden. Die vom Rat bestellten Vertreter haben ihr Amt auf Beschluss des Rates jederzeit niederzulegen. Soweit dem Vertreter der Gemeinde als Aufsichtsratsmitglied Rechte eingeräumt sind, dienen diese allein der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen gesellschaftsrechtlichen Aufgabe. So stehen dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied einer GmbH - vorbehaltlich anderer gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen - namentlich Kontroll-, Informations- und Beratungsrechte zur Überwachung der Tätigkeit der Unternehmensleitung zu. Insbesondere hat er neben dem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme an Sitzungen und Abstimmungen das Recht, Berichte des Vorstandes an den Aufsichtsrat anzufordern (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG), die Einberufung des Aufsichtsrates zu verlangen (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 110 Abs. 1 AktG) und sich über den Jahresabschluss und den Lagebericht des Vorstandes zu informieren (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 170 Abs. 1 und 3 AktG). Diese zivilrechtlichen Rechte sind dem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrates bundesrechtlich im Interesse einer effektiven Kontrolle der Führung des Unternehmens als Teil eines Organs der Gesellschaft zugewiesen. Sie werden von ihm eigenständig und gesellschaftsrechtlich weisungsfrei wahrgenommen.

Vgl. BGH, Urteil vom 25.3.1991 - II ZR 188/89 -, BGHZ 114, 127 (130).

Hiervon zu unterscheiden ist die Rechtsstellung des Aufsichtsratsmitgliedes im Innenverhältnis zu dem bestellenden Gemeindeorgan. Insoweit nimmt der vom Rat bestellte Vertreter seine Aufgaben im Aufsichtsrat im öffentlichen Interesse der Gemeinde war. Er ist landesrechtlich an deren Interessen gebunden. Seine Rechtsstellung ist hinsichtlich ihrer Begründung, ihrer inhaltlichen Reichweite und ihrer Beendigung vollständig vom Rat abhängig.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.9.1995 - 15 B 1840/95 - (Seite 2 des amtlichen Entscheidungsabdrucks); ferner: Schwintowski, Gesellschaftsrechtliche Bindungen für entsandte Aufsichtsratsmitglieder in öffentlichen Unternehmen, NJW 1995, 1316 (1317 ff.); Meier/Wieseler, Ausgewählte Problembereiche bei kommunal beherrschten Unternehmen in privatrechtlicher Organisationsform, GemHlt 1993, 174 (177); Püttner, Die Vertretung der Gemeinden in wirtschaftlichen Unternehmen, DVBl. 1986, 748 (750).

Danach vermittelt § 113 Abs. 1 Satz 3 GO NRW als solcher keine wehrfähige Innenrechtsposition des in den Aufsichtsrat entsandten Ratsmitgliedes auf Verhinderung seiner Abberufung.

Eine solche Rechtsposition ist auch nicht aus den Vorschriften über das Wahlverfahren hinsichtlich der vom Rat berufenen Aufsichtsratsmitglieder herzuleiten. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 GO NRW ist in dem Fall, dass zwei oder mehr Mitglieder des Aufsichtsrates zu bestellen sind, entweder ein einheitlicher Wahlvorschlag der Ratsmitglieder herbeizuführen oder - wenn ein solcher nicht zustande kommt - nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem Wahlgang abzustimmen, wobei die Wahlstellen auf die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates nach der Reihenfolge der Höchstzahlen zu verteilen sind, die sich durch Teilung der auf die Wahlvorschläge entfallenden Stimmenzahlen durch 1, 2, 3 usw. ergeben. Mit der Entscheidung für das dŽHondtsche Höchstzahlverfahren bei der Entscheidung über die Bestellung kommunaler Aufsichtsratsmitglieder verfolgt der Gesetzgeber erkennbar das Ziel, die Ratsminderheit zu schützen. Eine starke Fraktion oder Gruppe des Rates soll nicht in der Lage sein, durch Mehrheitsbeschluss kleinere Fraktionen oder Gruppen von der Mitwirkung in den Ausschüssen auszuschließen.

Vgl. Kirchhof, in: Held/Becker/Decker/Krämer/ Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand: Dezember 2001, § 50 GO Erl. 6.3.; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Stand: März 2001, § 50 Erl. IV.1.

Die Vorschriften über das Wahlverfahren dienen damit der Sicherstellung der Willensbildung innerhalb des Rates und dem Interesse seiner Fraktionen und Gruppen. Die Verhältnisse in den zu besetzenden Gremien sollen die Mehrheitsverhältnisse im Rat annähernd abbilden. Dieses Ziel verfolgt auch die vom Antragsteller herangezogene Bestimmung des § 50 Abs. 3 Satz 5 GO NRW. Hiernach ist bei einem Ausscheiden eines Ausschussmitgliedes der Nachfolger auf Vorschlag der Fraktion oder Gruppe zu wählen, der das ausgeschiedene Mitglied bei seiner Wahl angehörte. Ungeachtet der Frage, ob diese Regelung auf die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern Anwendung finden kann, dient sie ebenso wie die übrigen Vorschriften über das Wahlverfahren in § 50 Abs. 3 GO NRW nicht dem Interesse der entsandten Person, sondern dem Funktionsinteresse der Vertretungskörperschaft und ihrer Gruppierungen. Hieran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Antragsteller als Ratsmitglied nicht gehindert ist, an einer nach § 50 Abs. 3 GO NRW zu treffenden Abberufungsentscheidung selbst mitzuwirken (§ 31 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 GO NRW). Denn diese betrifft den Antragsteller nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rates, sondern als Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat. Insoweit kommt ihm jedoch - wie dargelegt - eine wehrfähige Rechtsposition nicht zu.

Ende der Entscheidung

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