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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.01.2005
Aktenzeichen: 15 B 2713/04
Rechtsgebiete: KrO NRW


Vorschriften:

KrO NRW § 40
1. Der Begriff der Fraktion erfordert eine grundsätzliche politische Übereinstimmung ihrer Mitglieder.

2. Ob dies der Fall ist, bemisst sich nach dem Statut des Zusammenschlusses und seiner tatsächlichen Anwendung sowie den Bekundungen der Mitglieder des Zusammenschlusses über die grundsätzliche politische Übereinstimmung, soweit sich diese Erklärungen als glaubhaft erweisen.


Tatbestand:

Drei Mitglieder eines Kreistags, die als Kandidaten auf den Listen der PDS, der NPD und einer Wählergruppe gewählt worden waren, schlossen sich zu einer Fraktion, der Antragstellerin, zusammen. Der Kreistag, der Antragsgegner, behandelte sie jedoch nicht als Fraktion. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, als Fraktion behandelt zu werden, hatte weder vor dem VG noch dem OVG NRW Erfolg.

Gründe:

Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) nicht zu. Dieser Anspruch in der Hauptsache ist darauf gerichtet, dass der Antragsgegner der Antragstellerin die Fraktionsrechte zugesteht, also die Rechte, die ihr zustünden, wenn sie eine Fraktion im Sinne des 40 Abs. 1 KrO NRW wäre. Dieser Status kommt ihr jedoch nicht zu.

Nach der genannten Vorschrift sind Fraktionen freiwillige Vereinigungen von Mitgliedern des Kreistages mit einer - hier mit 3 Personen erreichten - Mindestzahl. Weitere ausdrückliche Voraussetzungen stellt das Gesetz nicht auf. Sie ergeben sich jedoch aus dem Begriff der Fraktion. Dieser wird maßgeblich durch deren in § 40 Abs. 2 Satz 1 KrO NRW vorgegebene Funktion geprägt.

Vgl. ebenso § 56 Abs. 2 Satz 1 GO NRW für Fraktionen in den Gemeindevertretungen.

Danach wirken die Fraktionen bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Vertretung mit. Sie prägen die Willensbildung und Entscheidungsfindung im Plenum vor, indem sie vor der Plenardebatte und -abstimmung in interner Meinungsbildung Willensblöcke bilden, die sie im Plenum möglichst geschlossen zur Geltung bringen. Dadurch wird die Parlamentsarbeit im Plenum erleichtert, das auf die Vorarbeit der Fraktionen angewiesen ist, da eine umfassende erstmalige Meinungsbildung jedes einzelnen Vertreters im Plenum kaum geleistet werden kann.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.1.1975 - III A 551/73 -, Kottenberg/Rehn, Rechtsprechung zum kommunalen Verfassungsrecht des Landes NRW, § 30 GO NW a.F., Nr. 4, S. 27; Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., § 7 A 1 b.

Diese Funktion ist nicht nur rechtlich durch § 40 Abs. 2 Satz 1 KrO NRW zugewiesen, sondern prägt auch die politische Realität von Fraktionen in Deutschland seit der Bildung entsprechender Vereinigungen in der Frankfurter Nationalversammlung. Daher werden sowohl im allgemeinen als auch im juristischen Sprachgebrauch als Fraktionen regelmäßig nur Vereinigungen politisch gleichgesinnter Volksvertreter bezeichnet.

Vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 7, S. 525 (Stichwort: Fraktion); Bick, Die Ratsfraktion, Diss. 1989, S. 22; Rehn/Cronauge/von Lennep, GO NRW, 2. Aufl., § 56 Anm. I 3; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Rn. 420; Stober, Kommunalrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., § 5 VII 1; zu den Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag Bertrams, Fraktionsfinanzierung und Rechnungsprüfung durch den Landesrechnungshof, NWVBl. 2005, 10 (13).

Auch in der Rechtsprechung wird eine grundsätzliche politische Übereinstimmung zur möglichst gleichgerichteten und dadurch politisch wirksameren Ausübung der den einzelnen Fraktionsmitgliedern zustehenden Kompetenzen als zum Wesen der Fraktion gehörig angesehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.1992 - 7 C 20.91 -, NVwZ 1993, 375 ( 376); OVG NRW, Beschluss vom 21.11.1988 - 15 B 2380/88 -, NJW 1989, 1105 f.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2.12.1987 - 10 C 33/86 -, DVBl. 1988, 798; Urteil vom 22.1.1986 - 10 C 35/85 -, DöV 1986, 800 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 13.12.1989 - 6 TG 3175/89 -, DVBl. 1990, 830; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.1.1978 - I 1602/77 -, Kottenberg/Rehn, Rechtsprechung zum kommunalen Verfassungsrecht des Landes NRW, § 30 VII GO NW a.F., Nr. 9, S. 56.

Die Antragstellerin ist keine Fraktion, weil es am Merkmal grundsätzlicher politischer Übereinstimmung ihrer Mitglieder fehlt. Allerdings kann das Vorliegen dieses Erfordernisses nicht schon deshalb verneint werden, weil die drei der Antragstellerin angehörenden Kreistagsmitglieder auf Wahllisten von Parteien oder Wählergruppen sowohl des rechten als auch des linken Randes des politischen Spektrums gewählt wurden. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass der Wähler mit seiner Stimme für die Wahlliste einer extremen Gruppierung keine Fraktion mit Vertretern einer extremen Gruppierung vom anderen Endes des politischen Spektrums habe unterstützen wollen, sodass in der Anerkennung einer solchen Fraktion eine Verfälschung des Wählerwillens liege. Das Fraktionsbildungsrecht ist Ausfluss des freien Mandats der Mitglieder der Vertretung, die in ihrer Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung zu handeln verpflichtet sind und an Aufträge (auch des Wählers) nicht gebunden sind (§ 28 Abs. 1 KrO NRW, ebenso für die Mitglieder der Gemeindevertretungen § 43 Abs. 1 GO NRW).

Auch der Sache nach ist es kein wirklichkeitsfernes politisches Phänomen, dass zwischen Vertretern gegensätzlicher extremer politischer Anschauungen in Wirklichkeit dennoch in vielen Fragen eine grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht. In diese Richtung zielen auch die im Verfahren vorgelegten Stellungnahmen einzelner Mitglieder der Antragstellerin zu ihrem jeweiligen politischen Werdegang, etwa die Ausführungen des Kreistagsmitglieds A. zu seinem Parteiaustritt.

Allerdings besteht in Fällen politisch extrem heterogener Zusammensetzung besonderer Anlass festzustellen, ob die erforderliche grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht oder ob lediglich ein formaler Zusammenschluss zur Erlangung finanzieller Vorteile oder einer stärkeren Rechtsposition für die Verfolgung der uneinheitlichen individuellen politischen Ziele der einzelnen Mitglieder vorliegt. Die Frage, ob eine grundsätzliche politische Übereinstimmung vorhanden ist, beurteilt sich nach dem Statut des Zusammenschlusses (§ 40 Abs. 2 Satz 3 KrO NRW) und seiner tatsächlichen Anwendung sowie den Bekundungen der Mitglieder des Zusammenschlusses über die grundsätzliche politische Übereinstimmung, soweit sich diese Erklärungen als glaubhaft erweisen.

Hier ergibt sich allein schon aus dem Statut vom 1.11.2004, dass es an der erforderlichen grundsätzlichen politischen Übereinstimmung fehlt. Bereits der Name "Technische Fraktion" macht deutlich, dass kein auf inhaltlicher Übereinstimmung basierender Zusammenschluss gewollt ist, sondern ein bloß äußerer "technischer" Rahmen des Zusammenwirkens. Das wird nicht entkräftet durch den gekünstelten Erklärungsversuch der Antragstellerin, der Begriff bedeute Zusammenwirken im gleichsam unpolitischen, sachbezogenen kommunalen Bereich unbeschadet möglicherweise bestehender Gegensätze in ideologischen, weltpolitischen Fragen. Auch in der Präambel wird das Bestehen grundlegender politischer Gegensätze mit der Formulierung angedeutet, dass die Fraktionsmitglieder "mit ihrer politischen Vielfalt und Bandbreite" mitwirken. Aus § 5 des Statuts, der vorschreibt, dass alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, ergibt sich, dass keine interne Meinungsbildung der Fraktion angestrebt ist, sondern die volle politische Autonomie aller beibehalten werden soll. Der Wesenskern einer Fraktion, dass nämlich die Mitglieder auf die Ausübung eines Teils ihrer politischen Gestaltungsrechte zu Gunsten einer Bündelung durch die Fraktion verzichten, was grundsätzlich eine Willensbildung der Fraktion nach dem Mehrheitsprinzip erfordert, wird hiermit verfehlt. Dem entspricht die Regelung des § 3 des Statuts, wonach ein Fraktionszwang bei Debatten und Abstimmungen nicht existiert. Diese Regelung wäre eine Selbstverständlichkeit, wenn damit nur die Wahrung der Ausübung des freien Mandats gemeint wäre. Ihrem aus dem Gesamtzusammenhang erkennbaren Sinn nach bedeutet die Vorschrift aber darüber hinaus, dass jedwedes von der Mehrheitsmeinung der Fraktion abweichende Debatten- und Abstimmungsverhalten ein mit der Fraktionsbildung vereinbares Verhalten sein soll. Das widerspricht jedoch dem Sinn einer Fraktionsbildung. Mit dieser auf bloß äußerliche Zusammenarbeit gerichteten Zielsetzung korrespondiert § 8 Satz 2 des Statuts, wonach auf die Möglichkeit eines Ausschlusses einzelner Fraktionsmitglieder verzichtet wird. Darin spiegelt sich die politische Inhaltslosigkeit des Zusammenschlusses wider. Schließlich ergibt auch § 10 des Statuts, dass keine gemeinsame inhaltliche Arbeit gewollt ist. Nach dieser - wegen § 40 Abs. 3 Satz 1 KrO NRW rechtswidrigen - Vorschrift werden Fraktionspauschalen und alle sonstigen Einnahmen unter den Fraktionsmitgliedern zu gleichen Teilen aufgeteilt. Hier wird der eigentliche Sinn des Zusammenschlusses deutlich: Es geht nicht um die finanzielle Abdeckung der sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung der Fraktion in Verfolgung ihrer Koordinationsaufgabe, vgl. zum Zweck der Fraktions- und Gruppenfinanzierung in Abgrenzung zur Aufwandsentschädigung des einzelnen Mitglieds der Vertretung OVG NRW, Urteil vom 30.3.2004 - 15 A 2360/02 -, NVwZ-RR 2004, 674 (676); Urteil vom 18.6.2002 - 15 A 1958/01 -, NVwZ-RR 2003, 59 (60), sondern um die rechtswidrige Erhöhung der dem einzelnen Mitglied zustehenden und nur von ihm zu verwaltenden Aufwandsentschädigung.

Angesichts der Eindeutigkeit, mit der sich aus den vorgenannten Statutsbestimmungen der fraktionsfremde Charakter des Zusammenschlusses ergibt, bedarf es keiner Untersuchung der tatsächlichen Praktizierung der politischen Zusammenarbeit. Der Senat hat in Auswertung des Statuts nicht nur die erforderliche Überzeugung, dass eine grundsätzliche politische Übereinstimmung besteht, nicht gewinnen können, sondern ist sich darüber hinaus sicher, dass der Zusammenschluss allein dem fraktionsfremden Ziel dient, eine den einzelnen Mitgliedern nicht zustehende Vergrößerung der Finanzzuwendungen und Mitwirkungsrechte herbeizuführen.

Ende der Entscheidung

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