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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.03.2004
Aktenzeichen: 15 B 522/04
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
1. Vertreter eines Bürgerbegehrens im Sinne des § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW können nur Bürger der Gemeinde sein, in der das Bürgerbegehren durchgeführt wird.

2. Scheidet einer von mehreren Vertretern des Bürgerbegehrens im Laufe des Verfahrens aus, wachsen dessen Vertretungsrechte den übrigen Vertretern zu.

3. Wird die Benennung der Vertreter des Bürgerbegehrens auf den Unterschriftenlisten im Laufe der Unterschriftensammlung unrichtig, kann darin nur dann ein zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens führender Verstoß gegen das Wahrheitsgebot gesehen werden, wenn der zur Unrichtigkeit der Vertreterbenennung führende Grund überhaupt geeignet ist, die Bildung des Bürgerwillens maßgeblich mitzubeeinflussen (hier verneint für den Fall eines Wegzugs aus der Gemeinde).

4. Richtet sich ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf von Gemeindevermögen, so zählen die mit dem Verkaufserlös etwa abzubauenden Kreditbelastungen der Gemeinde nicht zu den "Kosten der verlangten Maßnahme", für die das Bürgerbegehren nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW einen Kostendeckungsvorschlag enthalten muss.

5. Zum Anordnungsgrund bei einer im Wege der einstweiligen Anordnung erstrebten Sicherung oder Regelung des Anspruchs gemäß § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW, dass der Rat einer Gemeinde ein Bürgerbegehren für zulässig erklärt.

6. Ein im Wege des Verfahrens der einstweiligen Anordnung verfolgtes Sicherungs- oder Regelungsbegehren, das eine Entscheidungssperre des Rates bis zur Durchführung eines Bürgerentscheids bewirken soll, ist regelmäßig auf einen unzulässigen Inhalt gerichtet.


Tatbestand:

Die Stadt beabsichtigte, von den bislang allein gehaltenen Gesellschaftsanteilen an der Stadtwerke GmbH einen Teil zu veräußern. Dagegen wendet sich das Bürgerbegehren, von dessen beiden Vertretern einer im Laufe des Bürgerbegehrenverfahrens aus der Stadt wegzog. Der Rat stellte die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens mangels eines hinreichenden Kostendeckungsvorschlags fest. Das daraufhin von der nicht weggezogenen Vertreterin (Antragstellerin zu 1.) eingeleitete Verfahren gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes blieb erstinstanzlich wegen des weggezogenen Vertreters ohne Erfolg. Im Beschwerderechtszug, in dem der weggezogene Vertreter dem gerichtlichen Verfahren beigetreten ist (Antragsteller zu 2.), hatte der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Rat (Antragsgegner zu 1.) und den Bürgermeister (Antragsgegner zu 2.) nur hinsichtlich eines der drei verfolgten Sicherungsbegehren Erfolg.

Gründe:

Dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit den Einzelanträgen

"1. Dem Antragsgegner zu 1. wird aufgegeben, das Bürgerbegehren mit der Fragestellung "Soll die Stadt alleinige Gesellschafterin der Stadtwerke GmbH bleiben" für zulässig zu erklären.

2. Dem Antragsgegner zu 2. wird aufgegeben, unverzüglich eine Sitzung des Antragsgegners zu 1. einzuberufen, in der das Bürgerbegehren sachlich behandelt wird und für den Fall, dass der Rat dem Bürgerbegehren nicht entspricht, unverzüglich einen Bürgerentscheid mit der Fragestellung "Soll die Stadt alleinige Gesellschafterin der Stadtwerke GmbH bleiben" durchzuführen.

3. Den Antragsgegnern wird aufgegeben, einem Vertragsabschluss mit Kaufinteressenten von Gesellschaftsanteilen der Stadtwerke GmbH nur in Verbindung mit einer - für den Fall des erfolgreichen Bürgerentscheids vorbehaltenen - freien, insbesondere ohne Schadensersatzverpflichtung bestehenden Rücktrittsmöglichkeit zuzustimmen."

ist nur in Bezug auf die Antragstellerin zu 1. und den Antrag zu 1. stattzugeben. Im Übrigen verbleibt es bei der verwaltungsgerichtlichen Ablehnung des Antrags.

Der Antrag der Antragstellerin zu 1. ist zulässig. Sie ist alleine antragsbefugt. Dies ergibt sich daraus, dass sie inzwischen einzige Vertreterin des Bürgerbegehrens i.S.d. § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW ist. Der Antragsteller zu 2. ist, als er seinen Wohnsitz aufgab, als Vertreter ausgeschieden. Vertreter eines Bürgerbegehrens können nämlich nach Sinn und Zweck dieses Instituts nur Bürger der Gemeinde sein, in der das Bürgerbegehren durchgeführt wird. Das Bürgerbegehren stellt neben der repräsentativ-demokratischen Ratsentscheidung den unmittelbar-demokratischen Weg der Willensbildung einer Gemeinde durch Selbstorganisation der Bürger dar. Daraus folgt, dass die Vertreter des Bürgerbegehrens, bei denen alle Verfahrensrechte hinsichtlich des Bürgerbegehrens konzentriert sind und die ähnlich einem Verfahrensstandschafter im eigenen Namen die Interessen der das Bürgerbegehren unterzeichnenden Bürger wahrnehmen, vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.9.2001 - 15 A 2445/97 -, NWVBl. 2002, 110 (111), vom 15.2.2000 - 15 A 552/97 -, NVwZ-RR 2001, 49 (51) und vom 9.12.1997 - 15 A 974/97 -, NWVBl. 1998, 273 (274), selbst Bürger sein müssen. Es widerspräche dem Wesen des Bürgerbegehrens als Selbstorganisation der Bürger, wenn die Rechte des Bürgerbegehrens nicht ausschließlich im Wege der Selbstorganschaft, sondern (auch) von außenstehenden Dritten wahrgenommen würden. Der Antragsteller zu 2. hat durch die Aufgabe seiner Wohnung das Kommunalwahlrecht in dieser Gemeinde verloren (§ 7 des Kommunalwahlgesetzes) und ist damit nicht mehr Bürger der Gemeinde (§ 21 Abs. 2 GO NRW). Wenn von mehreren Vertretern des Bürgerbegehrens einer im Laufe des Verfahrens ausscheidet, wachsen dessen Vertretungsrechte dem oder den übrig Gebliebenen zu. § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW erlaubt zwar die Benennung von bis zu drei Vertretern, schreibt aber nicht vor, dass mehrere Vertreter oder gar die Maximalzahl an Vertretern benannt werden müssen.

In dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Antragsteller zu 2. nicht Verfahrensbeteiligter geworden, obwohl er im Beschwerdeverfahren dem Antrag der Antragstellerin zu 1. beigetreten ist. [Wird ausgeführt.] Daher ist dessen Beschwerde in vollem Umfang zu verwerfen.

Der so zulässige Antrag der Antragsstellerin zu 1. ist hinsichtlich des Antrags zu 1. begründet. Sie hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Anordnungsanspruch, um dessen Sicherung oder Regelung es geht, ist der Anspruch auf Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens durch den Rat (§ 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW). Die Antragstellerin zu 1. hat mit hoher Wahrscheinlichkeit diesen Anspruch, da das Bürgerbegehren, soweit dies im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes feststellbar ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig ist.

Entgegen der Auffassung des VG wird die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht dadurch berührt, dass der Antragsteller zu 2. als Vertreter auf den Unterschriftenlisten benannt wird, er dies aber nach dem oben Ausgeführten nicht mehr war. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 GO NRW muss ein Bürgerbegehren die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung und einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten sowie bis zu drei Vertreter benennen. Diese Angaben müssen nicht nur vorhanden, sondern grundsätzlich auch richtig sein. Speziell für die Richtigkeit der Begründung hat der Senat entschieden, dass Tatsachen, die für die Begründung tragend sind, richtig wiedergegeben sein müssen, ohne dass es auf eine Täuschungsabsicht der Initiatoren eines Bürgerbegehrens ankommt. Maßgebend für diese Inhaltskontrolle ist allein das Ziel, Verfälschungen des Bürgerwillens vorzubeugen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.4.2002 - 15 A 5594/00 -, DÖV 2002, 961 (962).

Auch die Benennung der Vertreter kann eine erhebliche Bedeutung für die Bildung des Bürgerwillens haben, denn er kann maßgeblich dadurch mitbeeinflusst werden, durch welche Personen das Bürgerbegehren vertreten wird. Vielfach wird ein Bürgerbegehren gerade deshalb unterschrieben, weil es von bestimmten Personen - und nicht von anderen - vertreten wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.2.2000 - 15 A 552/97 -, NVwZ-RR 2001, 49 (51).

Gleichwohl kann der Umstand, dass die Benennung der Vertreter des Bürgerbegehrens auf den Unterschriftenlisten im Laufe der Unterschriftensammlung unrichtig wird, nicht pauschal als ein zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens führender Verstoß gegen das Wahrheitsgebot angesehen werden. Vielmehr ist insoweit entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Unrichtigkeit der Vertreterbenennung führende Grund überhaupt geeignet ist, die Bildung des Bürgerwillens maßgeblich mitzubeeinflussen. Für den vorliegenden Fall, in dem einer der Vertreter seine Vertreterstellung während des Verfahrens durch Aufgabe seiner Wohnung in der Gemeinde verloren hat, ist dies zu verneinen. Anders als etwa die Benennung eines Vertreters, der nicht zur Übernahme dieser Aufgabe bereit ist oder der von vornherein kein Vertreter sein kann, möglicherweise auch anders als bei einer Niederlegung des Vertreteramtes, die dadurch veranlasst ist, dass sich der Vertreter nicht mehr mit dem Bürgerbegehren identifiziert, sind der Wohnungswechsel und dessen Rechtsfolge des Verlustes des Vertreteramtes ein neutraler Vorgang, der keinem verständigen Bürger hinreichenden Anlass geben kann, seine Meinung zur Fragestellung des Bürgerbegehrens zu ändern.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegner ist das Bürgerbegehren auch nicht deshalb unzulässig, weil es keinen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthielte. Ein Kostendeckungsvorschlag ist nämlich entbehrlich, weil das Gesetz ihn hier nicht fordert. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW ist ein Vorschlag "für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme" erforderlich. Die zur Entscheidung zu bringende Frage des Bürgerbegehrens bezieht sich nicht auf eine kostenauslösende Maßnahme. Gefordert wird das Unterlassen der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen. Dies löst keine Kosten im Sinne dieser Vorschrift aus.

Der Begriff der Kosten erfordert in seinem Begriffskern Aufwendungen aus Ressourcen, um mit ihrer Hilfe etwas zu erreichen. Es ist schon eine Erweiterung dieses Begriffskerns, wenn man unter Kosten auch noch Einbußen verstehen will, die (ungewollte) Folge eines Verhaltens sind, etwa in Form der Minderung vorhandener Güter (positiver Schaden) oder gar in Form der Nichtrealisierung einer Gütervermehrung (entgangener Gewinn, vgl. dazu § 252 BGB). In beiden Fällen geht es allerdings wie bei Kosten im engeren Sinne um die Verminderung des Vermögens. So verstandene Kosten hätten etwa das Unterlassen kostenmindernder Maßnahmen (z. B. Schließung einer kostenträchtigen gemeindlichen Einrichtung) oder der Verzicht auf vermögensmehrende Maßnahmen (etwa das Aufstellen von Parkscheinautomaten) zur Folge.

Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 28.10.1999 - 8 UE 3683/97 -, NVwZ-RR 2000, 451 (Unterlassen des Abrisses eines renovierungsbedürftigen Hauses); VG Köln, Urteil vom 19.11.1999 - 4 K 7263/97 -, NVwZ-RR 2000, 455, und VG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.1998 - 1 K 11351/96 -, NWVBl. 1999, 194, (jeweils Unterlassen der Parkraumbewirtschaftung durch Aufstellen von Parkscheinautomaten).

Dass die erwartete Einnahme entfällt, wenn es nicht zum Verkauf der Gesellschaftsanteile kommt, macht diesen Einnahmeausfall hier jedoch unter keinem dieser Gesichtspunkte zu Kosten der vom Bürgerbegehren verlangten Unterlassung einer Veräußerung. Selbst wenn man nämlich in Anwendung des erweiterten Kostenbegriffs auch den Fall einbezieht, dass das Unterlassen eines Verkaufs für eine Gemeinde einen Schaden in Form entgangenen Gewinns nach sich zieht, könnte daraus hier nicht die Erforderlichkeit eines Kostendeckungsvorschlags hergeleitet werden. Ein Schaden in Form entgangenen Gewinns würde voraussetzen, dass der Gemeinde für die Gesellschaftsanteile ein Kaufpreis geboten wird, der über deren Marktwert liegt. Dafür fehlt hier jeglicher Anhaltspunkt.

Jedenfalls außerhalb des Begriffs der "Kosten der verlangten Maßnahme" liegen bloße Vermögensfolgen, die daran anknüpfen, wie der im Falle eines Verkaufs zu erzielende Erlös verwendet werden soll. Dies gilt etwa, wenn der Verkaufserlös zur Kreditablösung oder zur Verminderung der Kreditaufnahme eingesetzt werden soll, diese Einnahme aber entfällt, wenn der Verkauf unterbleibt, und in der weiteren Folge dadurch ein erhöhter Kreditaufwand entsteht. Diese Kausalkette rechtfertigt es nicht, die Erhöhung des Kreditaufwands einem Bürgerbegehren zuzuordnen, das sich gegen den Verkauf wendet.

Anders aber VG Köln, Beschluss vom 26.2.2002 - 4 L 53/02 -, NWVBl. 2002, 319 (321).

Der Sinn und Zweck eines Kostendeckungsvorschlages verbietet die Einbeziehung derartiger Vermögensfolgen in den Kostenbegriff des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW. Dieser soll sicherstellen, dass die Bürger keine Maßnahmen beschließen, ohne über die Aufbringung der Mittel, die wegen der vermögensmindernden Folge der Maßnahme aufgewandt werden müssen, im Wege eines Deckungsvorschlags zu befinden. Ein die Verantwortung für die Gemeinde ernst nehmendes Bürgerbegehren darf im Interesse der Schonung des Gemeindevermögens keine Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Vermögensfolgen beschließen.

Dieser Zweck rechtfertigt es jedoch nicht, alle durch die verlangte Maßnahme äquivalent-kausal verursachten Vermögensminderungen einzubeziehen, sondern nur solche, für die nach dem Sinn und Zweck des Kostendeckungsvorschlags eine Verantwortlichkeit aus der verlangten Maßnahme abgeleitet werden kann. Es muss ein Zurechnungszusammenhang zur verlangten Maßnahme bestehen.

Vgl. zur Begrenzung eines zu ersetzenden Schadens unter dem Gesichtspunkt des Zurechnungszusammenhangs Heinrichs, in: Palandt, BGB, 63. Aufl., Vorb. vor § 249 Rn. 54 ff.

Würde man demgegenüber auf eine Begrenzung des Kostenbegriffs verzichten, würde dies dem Bürgerbegehren im Übrigen Anforderungen aufbürden, die sachlich nicht gerechtfertigt und angesichts ihrer Komplexität häufig nicht erfüllbar wären.

Der danach zu fordernde Zusammenhang zwischen dem Ausfall des Kaufpreises infolge Unterlassens der Veräußerung auf der einen Seite und der Vermögensminderung durch weiterlaufende Zinslasten oder Neubegründung von Kreditverbindlichkeiten auf der anderen Seite fehlt: Letztere sind nicht die Kosten der Unterlassung der Veräußerung, sondern die Kosten einer unabhängig von ihr getätigten oder beabsichtigten und mit ihr in keinem inneren Zusammenhang stehenden Kreditaufnahme.

Weitere Hinderungsgründe für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Gemeinde rechtlich verpflichtet wäre, die Gesellschaftsanteile zu veräußern (vgl. dazu § 90 Abs. 1 i.V.m. § 75 Abs. 2 GO NRW). In diesem Falle wäre das Bürgerbegehren wegen Verfolgung eines gesetzwidrigen Ziels (§ 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW) unzulässig. Damit besteht der Anordnungsanspruch nach den Maßstäben des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes mit hoher Sicherheit.

Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben, weil der Antragstellerin zu 1. nicht zugemutet werden kann, den genannten Anspruch nur im Wege eines Klageverfahrens durchzusetzen. Es besteht nämlich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass infolge einer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vorgenommenen Veräußerung der Gesellschaftsanteile das Bürgerbegehren endgültig unzulässig würde. Wenn die Gesellschaftsanteile planmäßig veräußert sind, geht ein Verbot dieser Veräußerung ins Leere und damit enthielte die im Rahmen des Bürgerentscheids zu erteilende Antwort auf die gestellte Frage keine Entscheidung mehr. Das Bürgerbegehren wäre gegenstandslos.

Demgegenüber bewirkt die Verpflichtung des Antragsgegners zu 1. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festzustellen, für die Stadt nur Folgendes: Die Anordnung ermöglicht die Fortsetzung einer unmittelbar-demokratische Willensbildung, schränkt jedoch die Handlungsfreiheit der Stadt in Bezug auf den Gegenstand des Bürgerbegehrens, wie zum Antrag zu 3. dargelegt werden wird, nicht ein. Sollte die Klage zur Hauptsache erfolglos bleiben, hätte dies allein zur Folge, dass der für die Durchführung des Bürgerentscheids zu erbringende Aufwand nutzlos wäre. Selbst wenn man den Fall unterstellt, dass ein Bürgerentscheid vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Verkauf untersagt, würde die Wirkung dieses Bürgerentscheids entfallen, wenn die Klage im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg hat. Auch die danach als Folge eines Bürgerentscheids denkbare Verzögerung der Veräußerung hindert angesichts der oben angesprochenen Gefahr eines endgültigen Verlustes unmittelbar-demokratischer Mitwirkungsrechte nicht, die Hauptsache beschränkt vorwegzunehmen.

Hinsichtlich des Antrags zu 2. besteht kein Anordnungsgrund. Zwar hat die Antragstellerin zu 1. nach der hier angeordneten Zulässigkeitsentscheidung des Rates gemäß § 26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW einen Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids binnen dreier Monate. Dabei handelt es sich aber um eine Höchstfrist, nicht um eine Wartefrist. Die Stadt hat nach der Zulässigkeitsentscheidung durch den Rat unverzüglich mit der Vorbereitung zur Durchführung eines Bürgerentscheids zu beginnen und darf unter Beachtung der genannten Höchstfrist nur aus sachgerechten Gründen eine bestimmte Zeit abwarten. Die Antragstellerin zu 1. hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner zu 2. sich nicht an diese Verpflichtungen halten will.

Der Antrag zu 3. hat einen unzulässigen Inhalt. Zwar bestimmt das Gericht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind. Jedoch muss sich die Entscheidung im Rahmen des zu sichernden oder regelnden Anordnungsanspruchs bewegen.

Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2003), § 123 Rn. 113; Schoch, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: September 2003), § 123 Rn. 140; Hartmann, in: Baumbach u.a., ZPO, 62. Aufl., § 938 Rn. 5; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 938 Rn. 3.

Dieser Rahmen würde überschritten, wenn den Antragsgegnern auferlegt würde, einem Vertragsabschluss nur mit einer - für den Fall des erfolgreichen Bürgerbegehrens vorbehaltenen - freien Rücktrittsklausel zuzustimmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht weder für den Rat noch für andere Organe oder Behörden eine "Entscheidungssperre", wenn parallel ein denselben Sachverhalt betreffendes Verfahren zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids betrieben wird.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.11.1998 - 15 B 2329/98 -, S. 3 des amtl. Umdrucks m.w.N. und vom 28.10.1995 - 15 B 2799/95 -, EilD StT NRW 1996, 595.

Das repräsentativ-demokratische System ist durch die Einführung des Bürgerentscheids als Element der unmittelbaren Demokratie ergänzt, nicht überlagert worden. Die beiden Entscheidungsformen sind gleichwertig, sodass ein Sicherungsanspruch zu Gunsten des Bürgerbegehrens selbst dann nicht besteht, wenn im Einzelfall eine Entscheidung des Rates dadurch einen faktischen Vorrang erhält, dass diese Entscheidung wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens zur Herbeiführung eines Bürgerentscheids schon vor dessen Abschluss in die Tat umgesetzt werden kann. Der Sinn des repräsentativ-demokratischen Systems besteht gerade darin, eine organisatorisch und zeitlich handhabbare Form demokratischer Willensbildung für mitgliederstarke Körperschaften bereitzustellen.

Eine Schranke für die Befugnis des Rates zur Entscheidung über den Gegenstand des Bürgerbegehrens könnte sich allenfalls aus dem im Staatsrecht entwickelten und auf das Verhältnis kommunaler Organe untereinander übertragbaren Grundsatz der Organtreue ergeben, der die Organe verpflichtet, sich so zu verhalten, dass die jeweils anderen Organe ihre Zuständigkeiten ordnungsgemäß wahrnehmen können, mit anderen Worten, dass bei der Ausübung von Organkompetenzen von Rechts wegen auf die Kompetenzen anderer Organe Rücksicht zu nehmen ist.

Diese Treuepflicht ist aber - soweit der Grundsatz auf das Verhältnis zwischen Gemeindeorganen im engeren Sinne und Bürgern im Rahmen eines Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids überhaupt anwendbar ist - wegen der Gleichwertigkeit von Entscheidungen des Rates einerseits und von Bürgerentscheiden andererseits nicht schon dann verletzt, wenn die Entscheidung des Rates den Bürgerentscheid erledigen würde. Anderes würde nur dann gelten, wenn der Entscheidung des Rates keine sachliche Erwägung, sondern allein die Zielsetzung zu Grunde läge, einem Bürgerentscheid zuvor zu kommen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern. Dafür ist hier nichts ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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