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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.06.2009
Aktenzeichen: 15 B 524/09
Rechtsgebiete: KAG NRW, VwGO


Vorschriften:

KAG NRW § 8
VwGO § 146 Abs. 4
Mit Erlass des endgültigen Beitragsbescheides beurteilt sich das Behaltendürfen einer gezahlten Vorausleistung allein nach diesem Bescheid unabhängig von seiner sofortigen Vollziehbarkeit oder seiner Fortexistenz.

Eine gezahlte Vorausleistung muss nach Ablauf der Festsetzungsfrist zurückgezahlt werden, wenn kein Beitragsbescheid binnen der Frist ergangen ist.

Für einen Erfolg der Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglicherweise relevante Gründe müssen jedenfalls bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorliegen.


Tatbestand:

Der Antragsgegner erließ für eine in Angriff genommene Straßenausbaumaßnahme gegen den Antragsteller einen bestandskräftig gewordenen Vorausleistungsbescheid, auf den dieser zahlte. Später erließ der Antragsgegner den Beitrags- und nach Anfechtung den Widerspruchsbescheid, mit denen ein die Vorausleistung unterschreitender Beitrag festgesetzt wurde. Den überschießenden Betrag erstattete der Antragsgegner dem Antragsteller. Während des Klageverfahrens gegen den Beitragsbescheid beantragte der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid anzuordnen. Dem gab das VG statt und ordnete die Rückzahlung der Vorausleistung gegen Sicherheitsleistung an, da es zur Entstehung der Beitragspflicht eine Sondersatzung für erforderlich hielt. Mit der Beschwerde machte der Antragsgegner geltend, dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Beitragsbescheid fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gezahlten und nicht erstatteten Vorausleistung der Vorausleistungsbescheid, nicht aber der streitige Beitragsbescheid sei. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erließ die Gemeinde eine Sondersatzung für die beitragsrechtliche Behandlung des Ausbaus. Die Beschwerde wies das OVG NRW zurück.

Gründe:

Das VG hat dem Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Straßenbaubeitragsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zu Recht stattgegeben. Das vom Antragsgegner dagegen ins Feld geführte Argument, ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid bestehe nicht, weil der Vorausleistungsbescheid nach wie vor Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gezahlten und noch nicht erstatteten Vorausleistung darstelle, verfängt nicht. Denn mit Erlass des endgültigen Beitragsbescheides beurteilt sich das Behaltendürfen der gezahlten Vorausleistung allein nach diesem Bescheid unabhängig von seiner sofortigen Vollziehbarkeit oder seiner Fortexistenz.

Das ergibt sich aus Folgendem: Nach § 8 Abs. 8 KAG NRW können auf die künftige Beitragsschuld angemessene Vorausleistungen verlangt werden, sobald mit der Durchführung der Maßnahme begonnen worden ist. Aus diesem Wesen der Vorausleistung, Zahlung auf künftige Beitragsschuld zu sein, folgt, dass mit Entstehen der Beitragsschuld eine Vorausleistung nicht mehr verlangt werden kann, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.11.1996 - 15 B 369/96 -, NVwZ-RR 1998, 70, ohne dass deswegen ein vor Entstehen der Beitragsschuld ergangener Vorausleistungsbescheid rechtswidrig würde, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7.12.2007 - 15 B 1837/06 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks.

Erlässt die Behörde den endgültigen Beitragsbescheid, macht sie damit deutlich, dass sie die Vorausleistungssituation für beendet hält und stellt - für den Fall bereits erfolgter Zahlung auf die Beitragsschuld - den Rechtsgrund für das weitere Behaltendürfen dieses Betrages auf den Beitragsbescheid um. Es wäre nämlich widersprüchlich, einerseits mit dem Erlass des Beitragsbescheids einen neuen und nunmehr endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Zahlung zu schaffen, gleichzeitig aber allein für den Fall, dass dieser Bescheid zu Unrecht erlassen wird, den dafür nur vorläufigen Rechtsgrund in Gestalt des Vorausleistungsbescheides aufrechterhalten zu wollen. Dies wäre der Erlass eines Beitragsbescheids unter dem Vorbehalt des Irrtums und würde wegen dieser inhaltlichen Unentschiedenheit die einem Verwaltungsakt wesenseigene Eigenschaft in Frage stellen, einen Einzelfall verbindlich zu regeln (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b KAG NRW i. V. m. § 118 Satz 1 AO; ebenso § 35 Satz 1 VwVfG NRW.

Auch vom Zweck der Vorausleistung her ist diese - hier allein im Hinblick auf das Behaltendürfen der erfolgten Zahlung beschränkte - Ablösungswirkung gerechtfertigt: Erweist sich nämlich der endgültige Beitragsbescheid - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder im Klageverfahren - als rechtswidrig, weil eine Beitragsschuld für das Grundstück gar nicht entstehen kann oder jedenfalls in der verfügten Höhe nicht entstanden ist, besteht auch keine sachliche Rechtfertigung mehr für das Behaltendürfen der nicht mehr von der Beitragsschuld gedeckten Vorausleistung kraft des Vorausleistungsbescheids. Denn eine Vorausleistung rechtfertigt sich nur, weil eine Beitragsschuld entstehen kann und ist von der Höhe her begrenzt bis zur Höhe der Beitragsschuld.

Allein in dem Sonderfall, dass die Beitragsschuld in der verfügten Höhe entgegen der Annahme der Behörde noch nicht entstanden ist, aber noch entstehen kann, besteht ein legitimes Interesse der Gemeinde, den gezahlten Betrag auch bei - vorläufiger oder endgültiger - Beseitigung der Wirkungen des Beitragsbescheides noch behalten zu dürfen. Dieses Interesse mag sie durch sofortigen Neuerlass eines Vorausleistungsbescheides in Reaktion auf die Beseitigung der Wirkungen des Beitragsbescheides befriedigen, wenn die Vorausleistungssituation in Wirklichkeit noch besteht.

Damit ergibt sich, dass - wie das VG zutreffend entschieden hat - der Beitragsbescheid mit seinem Erlass einen zuvor ergangenen Vorausleistungsbescheid als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der auf diesen gezahlten Vorausleistung endgültig ablöst.

Anderer Auffassung, aber ohne Begründung, OVG NRW, Urteil vom 26.5.1975 - III A 28/73 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks; Driehaus, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2009, § 133 Rn. 162; wie hier wohl OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 - 3 A 1725/00 -, NWVBl. 2002, 273 für das Erschließungsbeitragsrecht; BVerwG, Urteil vom 24.3.1999 - 8 C 27.97 -, BVerwGE 108, 364 (368), für das Gebührenrecht; offengelassen für das Landesrecht: BVerwG, Beschluss vom 19.12.1997 - 8 B 244.97 -, NVwZ-RR 1998, 577 (579); Thür. OVG, Beschluss vom 29.6.2001 - 4 ZEO 917/97 -, juris, Rn. 8, für das Gebührenrecht; Bay. VGH, Urteil vom 23.12.1999 - 6 B 96.2048 -, juris, Rn. 21, für das Erschließungsbeitragsrecht; Hess. VGH, Urteil vom 7.12.1978 - V OE 95/77 -, VwRspr. Bd. 30 (1979), Nr. 233, S. 970; BFH, Beschluss vom 3.7.1995 - GrS 3/93 -, BFHE 178, 11 (15), für Einkommensteuervorauszahlungen; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 21 Rn. 39; zum Sonderfall eines Vorausleistungsbescheides als Grund für das Behaltendürfen gegenüber dem Adressaten, wenn ein Beitragsbescheid an einen anderen Beitragspflichtigen ergeht, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.4.1998 - 15 A 7071/95 -, Gemhlt. 2000, 134.

Die vorstehende Rechtsauffassung steht nicht etwa in Widerspruch zu der überkommenen Rechtsprechung, dass eine Vorausleistung auch dann nicht zurückzuzahlen sei, wenn innerhalb der Verjährungsfrist kein Beitragsbescheid ergehe.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.9.1975 - IV CB 75.73 -, NJW 1976, 818, zum Erschließungsbeitragsrecht; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2009, § 8 Rn. 145; Dietzel, Die Verjährung des Beitrags nach § 8 KAG NRW, in: Birk/Kunig/Sailer, Zwischen Abgabenrecht und Verfassungsrecht (Festschrift Driehaus), S. 54.

Damit sollte keineswegs die These aufgestellt werden, der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Vorausleistung liege allein in der sachlichen Beitragspflicht auch ohne Beitragsbescheid. Denn auch nach dieser Auffassung blieb der Erlass eines Beitragsbescheids notwendig.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.9.1975 - IV CB 75.73 -, NJW 1976, 818 (819); der Vorausleistungsbescheid sollte sogar automatisch die Rechtsnatur eines Erschließungsbeitragsbescheides annehmen, wenn die Gemeinde zu erkennen gibt, dass sie den Erschließungsbeitragsbescheid nicht mehr erlassen wird, vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.8.1972 - III A 386/71 -, ZMR 1973, 187; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2009, § 8 Rn. 146, m. w. N.

Die These von der Möglichkeit des Erlasses eines Beitragsbescheids nach Ablauf der Verjährungsfrist ist nur vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der damaligen Rechtsprechung maßgebenden Reichsabgabenordnung (RAO) verständlich. Diese kannte nur eine Verjährung der Steuerschuld, die mit Ablauf des Jahres der Entstehung der Steuer durch Verwirklichung des Steuertatbestandes begann (§§ 143, 144, 145 Abs. 1 RAO und § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes vom 16.10.1934) und insbesondere durch Erlass eines Steuerbescheides unterbrochen wurde (§ 147 Abs. 1 RAO). Da die Vorausleistung auf die Beitragsschuld diese mit ihrem Entstehen tilgte und damit zu Erlöschen brachte, konnte ein Beitragsbescheid rechtmäßig in Höhe des Vorausleistungsbetrages auch noch nach Verjährungseintritt ergehen, da die Beitragsschuld nicht durch Verjährungseintritt (§ 148 RAO), sondern bereits im Zeitpunkt ihres Entstehens durch Zahlung erloschen war.

Mit der Einführung einer Festsetzungsverjährung durch die Abgabenordnung 1977 ist diese Praxis nicht mehr möglich: Der Beitrag muss festgesetzt werden (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG NRW i. V. m. § 155 Abs. 1 AO). Die Festsetzung ist nur innerhalb der Festsetzungsfrist zulässig (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG NRW i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Somit ist nach Ablauf der Festsetzungsfrist der Erlass eines Beitragsbescheids nicht mehr möglich, auch nicht durch "Annahme der Rechtsnatur eines Beitragsbescheids", und zwar unabhängig davon, dass die Beitragsschuld im Zeitpunkt ihres sachlichen Entstehens durch erfolgte Zahlung der Vorausleistung sogleich erloschen ist, nicht etwa durch Verjährung (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b KAG NRW i. V. m. § 47 AO). Da Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen der Vorausleistung weder - wie oben ausgeführt - der Vorausleistungsbescheid noch die sachliche Beitragsschuld, sondern der notwendig zu erlassende Beitragsbescheid ist, der aber nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen darf, muss entgegen der zitierten, auf der inzwischen nicht mehr gültigen Rechtslage beruhenden Rechtsprechung eine gezahlte Vorausleistung nach Ablauf der Festsetzungsfrist zurückgezahlt werden, wenn kein Beitragsbescheid binnen der Frist ergangen ist. Ergeht ein Beitragsbescheid nach Ablauf der Festsetzungsfrist, muss er auf Anfechtung hin als rechtswidrig aufgehoben und die Vorausleistung sodann zurückgezahlt werden.

Der Umstand, dass die Stadt nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eine Sondersatzung für die Abrechnung der Anlage geschaffen und damit möglicherweise den Bedenken Rechnung getragen hat, die das VG zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage veranlasst haben, kann nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Das Beschwerdegericht prüft nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe, die gemäß Satz 1 der Vorschrift binnen eines Monats nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung vorzubringen sind. Daraus ergibt sich, dass für einen Erfolg der Beschwerde möglicherweise relevante Gründe jedenfalls bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorliegen müssen.

Herrschende Auffassung bei sehr unterschiedlicher Beurteilung der Vorschrift im Einzelnen, vgl. etwa Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, § 146 Rn. 15; zu den verschiedenen Meinungen über die zu prüfenden Gründe s. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 146 R. 100 ff.

Soweit vereinzelt aus Gründen der Prozessökonomie, des effektiven Rechtsschutzes und der Waffengleichheit eine Ausnahme für nach Ablauf der Begründungsfrist eingetretene Umstände, die daher auch nicht fristgemäß geltend gemacht werden konnten, gemacht wird, vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.1.2006 - 6 S 1860/05 -, NVwZ-RR 2006, 395; letztlich offen lassend: Sächs. OVG, Beschluss vom 29.11.2006 - 5 BS 255/06 -, juris, Rn. 5; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 146 Rn. 43; Happ, in: Geiger u. a., VwGO, 12. Aufl., § 146 Rn. 29, verkennen diese Auffassungen, dass nach dem Willen des Gesetzes im Eilverfahren gerade aus prozessökonomischen Gründen der Zugriff des Beschwerdegerichts auf die erstinstanzliche Entscheidung nur beschränkt eröffnet sein soll. Das Beschwerdegericht soll sich im Interesse rascher Entscheidung über den Fortbestand der erstinstanzlichen Entscheidung nur mit binnen der Begründungsfrist vorgebrachten Gründen befassen. Damit tritt eine gewollte Präklusion anderweitiger, namentlich später entstandener Gründe ein. Für letztere existiert das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO.

Ende der Entscheidung

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