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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.03.2008
Aktenzeichen: 16 A 2399/05
Rechtsgebiete: LBliGG, GHBG, SGB X


Vorschriften:

LBliGG § 1 Abs. 1
LBliGG § 4
GHBG § 1 Abs. 1
GHBG § 7
SGB X § 45
SGB X § 48
Wenn sich während des laufenden Bezugs von Blindengeld erweist, dass die betroffene Person nicht bzw. nicht mehr blind ist, richtet sich die Einstellung der Leistungen jedenfalls dann nach den Vorschriften über die Rücknahme bzw. Aufhebung von sozialrechtlichen Dauerverwaltungsakten (§§ 45 Abs. 1 und 3 bzw. 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X), wenn der zugrundeliegende Bewilligungsbescheid im Sinne einer dauerhaften Leistungsgewährung auszulegen ist.

Zu den Voraussetzungen der §§ 45 und 48 SGB X im Blindengeldrecht, insbesondere zur Annahme eines Vorbehalts der Leistungsprüfung bzw. Leistungseinstellung bei einer Änderung der Bewilligungsvoraussetzungen.


Tatbestand:

Die 1956 geborene Klägerin, stellte am 25.9.1996 beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Blindengeld. Sie legte dazu eine augenfachärztliche Bescheinigung des Dr. T. aus I. vom 15.8.1996 vor, aus der hervorging, dass die zentrale Sehschärfe mit Gläserkorrektur für beide Augen mit 1/50 betrug. Die Möglichkeit einer Besserung des Sehvermögens wurde von Dr. T. verneint. Mit Bescheid vom 15.10.1996 gewährte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.10.1996 rückwirkend ab 1.8.1996 Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz. In dem Bescheid war ausgeführt, dass der Klägerin das Blindengeld in monatlicher Höhe von 1.046 DM zustehe. Es werde zum Ersten eines Monats im Voraus überwiesen, die laufende Zahlung zum 1.11.1996 aufgenommen. Das Blindengeld werde gezahlt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Die Zahlung sei mit Ablauf des Monats einzustellen, in dem die Voraussetzungen entfielen.

Im Rahmen einer Überprüfung des Sehvermögens der Klägerin im Jahr 2001 bescheinigte der Augenarzt Dr. M1. aus C. , dass das Sehvermögen der Klägerin mit Korrektur auf dem rechten Auge 0,08 und auf dem linken Auge 0,20 betrage. Eine Blindheit liege nicht vor. Aus der beigezogenen Schwerbehindertenakte der Klägerin beim Versorgungsamt C. ergab sich, dass im Rahmen einer von der Klägerin beim Versorgungsamt C1. gestellten Änderungsantrags eine Sehleistung von 0,3 (rechts) bzw. 0,125 (links) bescheinigt worden war. In der abschließenden gutachtlichen Stellungnahme wurde der Gesamt-GdB weiterhin mit 90% und der Einzel-GdB wegen einer Sehminderung beidseits mit 70% angegeben.

Mit Bescheid vom 27.4.2001 bestimmte der Beklagte, dass der an die Klägerin gerichtete Bewilligungsbescheid vom 15.10.1996 mit Ablauf des Monats Oktober 1997, in welchem eine Besserung des Sehvermögens eingetreten sei, seine Wirksamkeit verloren habe. Die Zahlung des Blindengeldes sei mit Ablauf des Monats Februar 2001 eingestellt worden.

Mit Bescheid vom 28.2.2002 hob der Beklagte seinen Bewilligungsbescheid vom 15.10.1996 für die Zeit vom 1.11.1997 bis zum 28.2.2001 auf und forderte von der Klägerin die Rückerstattung überzahlten Blindengeldes für die Zeit vom 1.11.1997 bis zum 28.2.2001 und wies darauf hin, dass er die Klägerin bei der Antragstellung und in dem Merkblatt zum Bewilligungsbescheid auf ihre Mitteilungspflichten hingewiesen habe, sie ihn aber gleichwohl nicht von der im Oktober 1997 eingetretenen Besserung ihres Sehvermögens in Kenntnis gesetzt habe.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin am 2.4.2004 Klage, der das VG, - abgesehen vom Zahlungsbegehren der Klägerin - stattgab. Die auf die Leistungsverpflichtung ab März 2001 beschränkte Berufung des Beklagten war erfolgreich.

Gründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Die - zulässige - Klage erweist sich als unbegründet, soweit sie über den rechtskräftigen Ausspruch des verwaltungsgerichtlichen Urteils hinaus auch auf die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 27. 4. 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. 2. 2004 abzielt.

Gegenstand der Berufung ist die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 27. 4. 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. 2. 2004. Dieser Bescheid enthält seinem Wortlaut nach eine ausdrückliche Regelung über die Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung. Der Bescheid geht davon aus, dass die Voraussetzungen für einen Blindengeldanspruch der Klägerin ab Oktober 1997 entfallen seien und der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 15. 10. 1996 mit dem Ablauf des genannten Monats "seine Wirksamkeit verloren" habe. In Zusammenschau mit dem weiteren Bescheid des Beklagten vom 28. 2. 2002, der sich auf den Bewilligungszeitraum vom 1. 11. 1997 bis zum 28. 2. 2001 bezieht, sowie mit dem beide Bescheide bestätigenden und teilweise präzisierenden Widerspruchsbescheid vom 27. 2. 2004 ergibt sich, dass der Beklagte - seinem auch nachfolgend eingenommenen Rechtsstandpunkt entsprechend - nicht von einem einheitlichen Dauerverwaltungsakt ausgegangen ist, sondern von einer Aneinanderreihung einzelner monatsweiser Bewilligungsbescheide. Denn obwohl er eingangs des Widerspruchsbescheides ausführt, die Bewilligung sei "mit Bescheid vom 15. 10. 1996" erfolgt, geht er nachfolgend weiterhin davon aus, für die Zeit ab März 2001 sei - schlicht - die Blindengeldgewährung eingestellt worden und die Klägerin habe im Zusammenhang mit der Bescheidrücknahme für den Zeitraum vom 1. 11. 1997 bis zum 28. 2. 2001 die Rechtswidrigkeit "der ergangenen Bewilligungen ab 01.11.1997" zumindest grob fahrlässig nicht gekannt. Diese Sichtweise stimmt indessen weder mit dem Wortlaut des Bewilligungsbescheides noch mit dem rechtlichen Gehalt des Anspruchs auf Blindengeld überein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 15. 10. 1996 um einen Dauerverwaltungsakt für die Zeit ab dem 1. 11. 1996 gehandelt hat und nachfolgend keine weiteren Bewilligungsbescheide für die weiteren Leistungsmonate ab Dezember 1996 ergehen mussten und auch nicht ergangen sind.

Das folgt schon aus dem Wortlaut des Bewilligungsbescheides vom 15. 10. 1996. Der Bescheid bestimmt ausdrücklich - ohne Fixierung eines Endtermins -, dass das Blindengeld "ab 01.08.1996" bewilligt werde. Weiter wird unter der Überschrift "Beginn der laufenden Zahlung" verfügt, dass das Blindengeld zum Ersten eines Monats im Voraus überwiesen und dass die Zahlung zum 1. 11. 1996 aufgenommen werde. Zur "Dauer der Blindengeldzahlung" verhält sich der Bescheid dahingehend, dass das Blindengeld gezahlt werde, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen; die Zahlung werde (erst) mit dem Ablauf des Monats eingestellt, in dem die Voraussetzungen entfielen.

Aber auch die allgemeine Rechtsnatur des Anspruchs auf Blindengeld spricht für die Annahme eines über den Monat des Bescheiderlasses hinausgehenden Dauerverwaltungsakts. Der Senat hat für das nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) vom 25. 11. 1997 (GV. NRW. S. 430, 436) gewährte Blindengeld entschieden, dass es sich dabei nicht wie bei der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. dem SGB XII um fürsorgerische Leistungen zur Abwendung konkreter Notlagen handelt. Vielmehr hat die Blindenhilfe weithin den Charakter einer Versorgungsleistung bzw. eines Nachteilsausgleichs für den von einem besonders schweren Schicksal betroffenen Personenkreis der Blinden.

Vgl. dazu eingehend OVG NRW, Urteile vom 8. 11. 2007 - 16 A 292/05 - und vom 13. 12. 2007 - 16 A 2919/03 -, beide juris, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung des OVG NRW - vgl. Urteil vom 28. Januar 1974 - VIII A 941/73 -, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 5. 7. 1974 - V ER 215.74 -; Urteil vom 18. 12. 1978 - VIII A 1349/77 -; Beschluss vom 6. 4. 1988 - 8 A 2174/87 -, sämtlich n. v. -

Diese Bewertung, die darüber hinaus vielfach auch schon für das Blindengeld nach § 67 BSHG (nunmehr § 72 SGB XII) sowie generell für die landesrechtlichen Blindenhilfebestimmungen in Betracht gezogen worden ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. 11. 1976 - V C 7.76 -, BVerwGE 51, 281 = FEVS 25, 1; ähnlich LSG Bad.-Württ., Urteil vom 21. 9. 2006 - L 7 SO 5514/05 - FEVS 58, 389; W. und H. Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Auflage, § 67 Rn. 2, trifft auch für das vormals - bis zum 31. 12. 1997 - geltende nordrhein-westfälischen Landesblindengeldgesetz (LBlGG) vom 11. 11. 1992 (GV. NRW. S. 447) zu, das hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld ähnliche Voraussetzungen und verfahrensrechtliche Ausgestaltungen vorsah wie nunmehr das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose. Danach regeln die leistungsbewilligenden Behörden bei der Blindengeldgewährung den Ausgleich einer in aller Regel dauerhaften Benachteiligung des Empfängers und sind dabei typischerweise nicht mit rasch wechselnden Bedarfslagen konfrontiert. Auch eine fortwährende Überprüfung der wirtschaftlichen Situation des blinden Leistungsempfängers ist regelmäßig nicht erforderlich, weil das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose ebenso wie die vorangegangenen Fassungen des Landesblindengeldgesetzes das Blindengeld jedenfalls im Grundsatz unabhängig vom Einkommen und Vermögen des Betroffenen gewähren. Auch soweit sich der Blindengeldanspruch deswegen vermindert, weil sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger bestritten werden (vgl. § 2 Abs. 2 LBlGG bzw. nunmehr § 2 Abs. 2 GHBG) oder soweit der Bezug von Leistungen zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 LBlGG bzw. nunmehr § 3 Abs. 1 Satz 1 GHBG) in Rede steht, handelt es sich typischerweise um langfristige bzw. dauerhafte Gegebenheiten, die keine monatsweise Überprüfung der Bewilligungsvoraussetzungen erforderlich machen. Auch im konkreten Fall der Klägerin bestand nicht von vornherein eine besondere Notwendigkeit, die Blindengeldgewährung "kleinschrittig" auszugestalten, um so auf zu erwartende Änderungen der Bedarfslage reagieren zu können. Denn aus der Stellungnahme des Landesarztes zur Blindheit vom 15. 10. 1996 ging hervor, dass eine Besserung des Sehvermögens der Klägerin nicht zu erwarten und eine spätere Überprüfungsuntersuchung entbehrlich sei.

Die Auslegung der angefochtenen Bescheide zeigt - und anders konnte dies auch die Klägerin nicht verstehen -, dass der Beklagte für die Zeit ab November 1997 nicht mehr an den im Bewilligungsbescheid vom 15. 10. 1996 getroffenen Regelungen festhalten, sondern diese teils rückwirkend, teils für die Zukunft aufheben wollte, wobei der Zeitpunkt der tatsächlichen Einstellung der Blindengeldleistung (ab Monat März 2001) die zeitliche Zäsur darstellte. Das führt im Hinblick auf den Bescheid des Beklagten vom 28. 2. 2002 zu der Auslegung, dass die - nach jetzigem Verständnis allein im Bewilligungsbescheid vom 15. 10. 1996 enthaltene - Bewilligung von Blindengeld teilweise, nämlich für den Zeitraum vom 1. 11. 1997 bis zum 28. 2. 2001, aufgehoben werden sollte. Für den im vorliegenden Berufungsverfahren allein noch streitbefangenen Zeitraum ergibt sich danach, dass mit der ausdrücklich verfügten Einstellung der Blindengeldgewährung durch den Bescheid vom 27. 4. 2001 inzidenter der Bewilligungsbescheid vom 15. 10. 1996 erst recht auch für die Zeit ab dem 1. 3. 2001 aufgehoben werden sollte.

Die Aufhebungsentscheidung erweist sich auch für die Zeit ab Monatsbeginn März 2001 als rechtmäßig.

Das gilt zunächst insoweit, als sich der angefochtene Bescheid vom 27. 4. 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. 2. 2004 auf den Bewilligungszeitraum ab Mai 2001 bezieht, also auf die Zeit nach dem Ablauf des Monats, in dem der angefochtene Ausgangsbescheid ergangen ist. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) und rechtswidrig ist, auch nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit unter den näheren Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Vorschrift gilt auch für das Recht der Leistungen nach dem Landesblindengeldgesetz und ab dem 1. 1. 1998 nach dem Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Sozialgesetzbuchs im Recht der landesrechtlichen Bestimmungen über die Blinden- und Gehörlosenhilfe folgt aus § 4 LBlGG bzw. § 7 GHBG. Dort ist jeweils bestimmt, dass im Übrigen die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs (SGB) entsprechend gelten. Diese Verweisung bezieht sich, wie sich insbesondere aus der Überschrift des 4. Teils (§§ 6 bis 8) des GHBG NRW ("Verfahrensvorschriften, Zuständigkeit") ersehen lässt, auf das Erste (Allgemeiner Teil) und Zehnte Buch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten) des Sozialgesetzbuchs, soweit darin Regelungen über das Verwaltungsverfahren getroffen sind. Durch § 4 LBlGG bzw. nachfolgend durch § 7 GHBG ist auch klargestellt, dass diejenigen Vorschriften des SGB I und X, die wie § 45 SGB X unmittelbar Sozialleistungen bzw. Verwaltungsakte über Sozialleistungen zum Gegenstand haben, im Blinden- und Gehörlosenrecht unabhängig von der Frage Anwendung finden, ob die im Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose geregelten Hilfen unter den Begriff der Sozialleistung im Sinne des Sozialgesetzbuchs fallen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. 11. 2007 - 16 A 292/05 -, a. a. O.

Bei dem - die Klägerin begünstigenden - Bewilligungsbescheid des Beklagten handelte es sich um einen von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakt iSv § 45 SGB X. Das folgt bereits aus den schwerbehindertenrechtlichen Feststellungen zum Sehvermögen der Klägerin, die für das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Blindengeld, also für das Merkmal der Blindheit nach § 1 Abs. 1 LBlGG bzw. nach § 1 Abs. 1 GHBG, bindende Wirkung haben.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. 7. 1985 - 7 C 44.83 -, BVerwGE 72, 8, und vom 27. 2. 1992 - 5 C 48.88 -, BVerwGE 90, 65 = NVwZ 1993, 586; OVG NRW, Urteile vom 8. 9. 1992 - 8 A 422/89 - und vom 8. 11. 2007 - 16 A 292/05 -, a. a. O.

Dem Bescheid des damals noch für die Klägerin zuständigen Versorgungsamts C1. vom 23. 3. 1993, der zur Zeit des Erlasses des Blindengeld bewilligenden Bescheides vom 15. 10. 1996 noch Gültigkeit hatte, ist nur zu entnehmen, dass die Klägerin seinerzeit an einer "Sehminderung, rechts ausgeprägter als links" gelitten hat. Das Merkzeichen "Bl" für blind wurde der Klägerin nicht zuerkannt. Im Übrigen ist die Klägerin ausweislich ihres Antrags vom 23. 6. 1992, ein Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz durchzuführen, damals offensichtlich selbst nicht von einer Erblindung ausgegangen, da sie lediglich das Kästchen für "wesentlich sehbehindert", nicht aber dasjenige für "blind" angekreuzt hat. Auch belegt ihre seinerzeitige Angabe gegenüber der begutachtenden Ärztin, sie könne - auf Russisch - lesen und schreiben, dass damals kein Anhaltspunkt für eine Blindheit bestanden hat.

Abgesehen davon geht auch der vom erkennenden Senat beauftragte Gutachter Prof. Dr. Dr. U. in seinem mündlich noch näher erläuterten Gutachten vom 19. 10. 2007 nach eigener Untersuchung und unter Auswertung aller vorliegenden Atteste davon aus, dass die Klägerin trotz ihrer hohen und fortschreitenden Kurzsichtigkeit nicht blind ist, dass sie des Weiteren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keiner Zeit zwischen dem Jahr 1992 und dem heutigen Zeitpunkt blind gewesen ist und dass die der Blindengeldgewährung zugrundeliegende Befunderhebung vom 15.8.1996 die damalige Sehfähigkeit der Klägerin nicht zutreffend wiedergibt. Das Gutachten des Prof. Dr. Dr. U. ist überzeugend und wird insbesondere nicht durch die von der Klägerin - eher vage - geltend gemachten methodischen Bedenken in Frage gestellt. Der Gutachter hat auf die nach der Vorlage des schriftlichen Gutachtens erhobenen Einwände der Klägerin im Einzelnen dargelegt, dass er sich an den aktuell maßgeblichen Standards für die augenärztliche Begutachtung nach der DIN 58220 bzw. der EN ISO 8596 und 8597 orientiert hat (wird ausgeführt).

Die Voraussetzungen, unter denen § 45 SGB X die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ermöglicht, sind gegeben. Der Rücknahme stehen insbesondere Erwägungen des Vertrauensschutzes (§ 45 Abs. 2 SGB X) nicht entgegen. Insoweit kann unterstellt werden, dass trotz der von Prof. Dr. Dr. U. mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommenen Aggravation am Untersuchungstag vom 15. 8. 1996 die seit ihrer Kindheit sehbehinderte, auf dem rechten Auge weitgehend erblindete und in rechtlichen Angelegenheiten unerfahrene Klägerin tatsächlich darauf vertraut hat, blindengeldberechtigt zu sein und zu bleiben. Dieses Vertrauen ist allerdings in der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung sachlich ungerechtfertigter laufender Aufwendungen nicht schutzwürdig. Dabei wirkt es sich insbesondere zulasten der Klägerin aus, dass ihr keine in der Vergangenheit zugeflossenen finanziellen Mittel wieder entzogen, sondern ihr nur weitere Leistungen versagt werden sollen. In einem derartigen Fall der Vorenthaltung weiterer laufender öffentlich-rechtlicher Mittel (nur) für die Zukunft ist in aller Regel ein schützenswertes Vertrauen des Leistungsempfängers jedenfalls dann zu verneinen, wenn der Betroffene nicht in der Erwartung des fortbestehenden Leistungsanspruchs bindende Vermögensdispositionen getroffen hat.

Vgl. BSG, Urteil vom 21. 9. 1977 - 4 RJ 113/76 -, SozVers 1978, 190; Wiesner, in: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Auflage, § 45 Rn. 17, m. w. N.

Die Klägerin hat keine Umstände geltend gemacht, die zu einer davon abweichenden Bewertung führen könnten. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass sie - etwa durch das Halten eines Führhundes - laufende blindheitsbedingte Aufwendungen hat, die sie nach der Rücknahme der Blindengeldgewährung nicht ohne Weiteres bzw. nicht sofort einstellen kann. Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, ob einer der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Gründe gegeben ist, bei deren Vorliegen sich der Begünstigte nicht auf - ansonsten schützenswertes - Vertrauen berufen kann.

Schließlich steht der Rücknahme des Bewilligungsbescheides für die Zukunft auch nicht entgegen, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich nur binnen einer bestimmten Frist nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann (§ 45 Abs. 3 SGB X). Denn vorliegend ist, anders als vom VG angenommen, nicht von der Regelfrist von zwei Jahren (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X), sondern von der noch nicht verstrichenen Zehnjahresfrist (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X) auszugehen. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn er mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. Ein solcher Vorbehalt ist dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 15.10.1996 zu entnehmen. Zur Dauer der Blindengeldzahlung ist in dem Bescheid nämlich ausgeführt, dass das Blindengeld gezahlt werde, solange die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlägen. Die Zahlung sei mit Ablauf des Monats einzustellen, in dem diese Voraussetzungen entfielen. Wenngleich dem Beklagten beim Erlass trotz der darauf hindeutenden Formulierungen nicht gegenwärtig gewesen sein dürfte, einen Dauerverwaltungsakt und nicht nur gleichsam einen Auftaktverwaltungsakt erlassen zu haben, dem gegebenenfalls stillschweigend Monat für Monat gleichartige Bewilligungsentscheidungen folgen sollten, kann angesichts des wiedergegebenen Hinweises auf die Dauer der Blindengeldzahlung nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte nicht unabhängig vom Fortbestehen der materiellen Bewilligungsvoraussetzungen an der Leistung aufgrund seines Bescheides festhalten wollte, sondern sich vorbehielt, im Falle des Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen die Blindengeldgewährung zu beenden. Ob der Beklagte - insbesondere im Hinblick auf die einschränkende Bestimmung des § 32 Abs. 1 SGB X - zur Aufnahme eines derartigen Vorbehalts in den Bewilligungsbescheid befugt war, kann dahinstehen, da der Bewilligungsbescheid vom 15. 10. 1996 mitsamt dieser Nebenbestimmung bestandskräftig geworden ist.

Vgl. zur Erstreckung der Bestandskraft auf Widerrufsvorbehalte BVerwG, Urteil vom 21. 11. 1986 - 8 C 33.84 -, NVwZ 1987, 498, und Beschluss vom 19. 5. 1994 - 1 B 104.94 -, NVwZ-RR 1994, 580 GewArch 1994, 341.

Die Frage, ob gegebenenfalls das Gebrauchmachen von Widerrufsvorbehalten - etwa nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB X - ermessenswidrig sein kann, wenn der bestandskräftige Vorbehalt offensichtlich rechtswidrig war, vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 19. 5. 1994 - 1 B 104.94 -, a. a. O., stellt sich vorliegend nicht, weil § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X lediglich auf das Vorhandensein eines Widerrufs abstellt, ein gegebenenfalls ermessenswidriges "Gebrauchmachen" von dem Vorbehalt hingegen nicht stattgefunden hat.

Abgesehen davon sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 und 3 SGB X vorliegend schon deshalb nicht heranzuziehen, weil (auch) die Voraussetzungen für die Aufhebung des Blindengeld bewilligenden Bescheids vom 15.10.1996 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben sind. Die Rücknahme von Dauerverwaltungsakten nach dieser Bestimmung ist nicht - in Abgrenzung zur Rücknahmebestimmung des § 45 SGB X für rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte - auf rechtmäßig ergangene Dauerverwaltungsakte beschränkt. Vielmehr kommt die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch dann in Betracht, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen für die zuerkannte Leistung schon im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung nicht vorgelegen haben. Der mit der Heranziehung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X verbundene Ausschluss der Schutzbestimmungen des § 45 Abs. 2 und 3 SGB X im Falle einer anzunehmenden anfänglichen Rechtswidrigkeit der (Dauer-)Leistungsbewilligung stellt dann keine unzulässige Umgehung dar, wenn die festgestellte wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen sich nicht - bei im Wesentlichen gleich gebliebenen gesundheitlichen Verhältnissen - allein mit einer "strengeren" Einschätzung der maßgebenden Leistungsvoraussetzungen erklärt, sondern tatsächlich eine Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse eingetreten ist.

Vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 7. 7. 2005 - B 3 P 8/04 R -, BSGE 95, 57.

Eine tatsächliche Verbesserung der Sehfähigkeit der Klägerin ist vorliegend aufgrund der bindenden versorgungsamtlichen Feststellungen über die Schwerbehinderung der Klägerin anzunehmen. Vor der Bewilligung des Blindengeldes im Jahr 1996 hatte das Versorgungsamt C1. für die "Sehminderung, rechts ausgeprägter als links" einen Einzel-GdB von 90% zugrunde gelegt. Deutlich davon abweichend belief sich der auf die Sehminderung bezogene Einzel-GdB im Jahr 1997/98, also nach der Blindengeldbewilligung, nur noch auf 70%; dementsprechend ist in dem Bescheid des Versorgungsamtes C1. vom 16. 1. 1998 ausgeführt, dass sich die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung "Sehminderung beidseits" gebessert hätten.

Jedenfalls im Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27. 2. 2004 hat dieser auch die nach § 45 SGB X gebotene Ermessensentscheidung getroffen. Wenngleich sich die Ermessensentscheidung des Beklagten daran orientiert, dass - was zweifelhaft ist - die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 bzw. des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X vorlägen, führt dies schon deshalb nicht zur Annahme eines Ermessensfehlers, weil unter den gegebenen Umständen alles für eine Ermessensreduzierung spricht, aufgrund derer nur die Entscheidung für die zukunftsgerichtete Aufhebung der Leistungsbewilligung rechtmäßig sein konnte. Hinzu kommt, dass die gleichfalls gegebene Aufhebungsvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohnehin keine Ermessensentscheidung vorsieht.

Nichts vom Vorstehenden Abweichendes ergibt sich, soweit der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27. 4. 2001 auch die Blindengeldbewilligung für die Zeit vom 1. 3. 2001 bis zum 30. 4. 2001 zurücknimmt. Wenngleich es sich insoweit um eine - ausgehend vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des Rücknahmebescheides - in die Vergangenheit gerichtete Rücknahme der Blindengeldgewährung bzw. um die Bestätigung einer bereits faktisch umgesetzten Rücknahme der Bewilligung handelt, führt die Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin und dem Rücknahmeinteresse des Beklagten zu keinem anderen Ergebnis als dem vorstehend für die Rücknahme ab Mai 2001 dargestellten. Denn auch für die Monate März und April 2001 ist der Klägerin das Blindengeld nicht mehr ausgezahlt worden, so dass ein Verbrauch des Blindengeldes bzw. eine Erstattungspflicht der Klägerin nicht in Betracht kommen. Dass die Klägerin, die im Übrigen bereits mit Schreiben des Beklagten vom 20. 12. 2000 von der Überprüfung ihres Blindengeldanspruchs in Kenntnis gesetzt und um die Übersendung eines augenärztlichen Bescheinigung gebeten worden ist, im Vertrauen auf die Weiterbewilligung des Blindengeldes in den Monaten März und April 2001 schützenswerte Vermögensdispositionen getroffen hat, ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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