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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 26.09.2002
Aktenzeichen: 16 A 2722/00
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 107
BSHG § 120 Abs. 5 Satz 2
Die Beschränkung der Sozialhilfeleistung auf das nach den Umständen unabweisbar Gebotene nach § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG tritt dann ein, wenn sich der hilfebedürftige Ausländer außerhalb des Bundeslandes aufhält, in dem ihm erstmals die räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist; die nachfolgende Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis in einem anderen Bundesland ist insoweit ohne Belang (wie Hamb. OVG, FEVS 49, 473 = DVBl. 1999, 463 = NVwZ-RR 1999, 384; OVG Berlin, FEVS 51, 77 = NVwZ-Beil. I 1999, 53; Bay. VGH, FEVS 48, 112; entgegen OVG Nds., FEVS 49, 421; Hess. VGH, FEVS 51, 190 = InfAuslR 199, 245; OVG Bbg., FEVS 52, 29).

Ist der hilfebedürftige Ausländer nach einem gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Bundesland wieder in das Bundesland umgezogen, in dem ihm (erstmals) die räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, kann der nunmehr zuständige Sozialhilfeträger keine Kostenerstattung nach § 107 BSHG vom Sozialhilfeträger des bisherigen Aufenthaltsortes beanspruchen, weil dies dem Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG widerspräche.


Tatbestand:

Die beteiligten Sozialhilfeträger stritten darüber, ob der Beklagte dem Kläger Kosten erstatten muss, die der Kläger der Familie L. im Zeitraum vom 30.7.1996 bis zum 29.7.1998 geleistet hat.

Die Familie L. reiste im Jahr 1988 aus dem Libanon in die Bundesrepublik Deutschland und bemühte sich nachfolgend ohne Erfolg um die Anerkennung als Asylberechtigte. Im Zuge einer Regelung für "Altfälle" erlangten die Familienmitglieder im Jahre 1990 ein Bleiberecht. Die ihnen nachfolgend vom Oberkreisdirektor des Landkreises N./Nds. erteilten Aufenthaltsbefugnisse waren befristet und zunächst auf das Land Niedersachsen beschränkt. Zum Zeitpunkt des erstmaligen Umzugs der Familie L. in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten im Land NRW verfügten die Familienmitglieder über vom Oberkreisdirektor des Landkreises N. zuletzt am 18.5.1995 ausgestellte und bis zum 13.11.1995 befristete räumlich beschränkte Aufenthaltsbefugnisse.

Im August 1995 zog die Familie nach H. im beklagten Kreis R., wo sie nachfolgend, wie auch zuvor im Kreis N., Hilfe zum Lebensunterhalt bezog. Einem Antrag vom 6.11.1995 entsprechend verlängerte der Stadtdirektor der Stadt H. am 14.11.1995 die Aufenthaltsbefugnisse der Familie L..

Nachdem sich der Beklagte versichert hatte, dass der Familie L. im Falle der Rückkehr in den Landkreis N. eine Wohnung zur Verfügung stehen würde, stellte er mit Bescheid vom 8.5.1996 die Gewährung von Sozialhilfe mit Wirkung vom 1.6.1996 ein und begründete das damit, dass der Familie L. gemäß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG trotz der räumlich unbeschränkten Aufenthaltsbefugnis außerhalb des Landes Niedersachsen nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe zustehe; danach könnten sie vom Beklagten lediglich noch die Übernahme ihrer Rückfahrtkosten nach Niedersachsen beanspruchen.

Am 30.7.1996 kehrte die Familie L. in den Kreis N. zurück und erhielt nachfolgend dort wiederum laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

Der klagende Landkreis N. nahm nachfolgend den Beklagten auf die Erstattung der im Zeitraum vom 30.7.1996 bis zum 29.7.1998 für die Familie L. aufgewendeten Sozialhilfekosten in Höhe von insgesamt 140.566,49 DM in Anspruch. Die Erstattungsklage blieb in zweiter Instanz erfolglos.

Gründe:

Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren des Klägers kann nur § 107 BSHG i.V.m. § 111 BSHG sein. Nach § 107 Abs. 1 BSHG ist der Sozialhilfeträger am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts nach einem Umzug des jeweiligen Hilfeempfängers dem nunmehr örtlich zuständigen Sozialhilfeträger erstattungspflichtig, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel (wiederum) der Hilfe bedarf. § 107 Abs. 2 BSHG bestimmt, dass eine Unterbrechung der sozialhilferechtlichen Leistungspflicht von zusammenhängend mindestens zwei Monaten die Erstattungspflicht entfallen lässt (Satz 1); die Erstattungspflicht beschränkt sich auf zwei Jahre seit dem Aufenthaltswechsel (Satz 2). Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Hilfe dem Bundessozialhilfegesetz entspricht.

Vorliegend sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 107 BSHG dem Wortlaut nach erfüllt. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Kostenerstattung entfällt aber gleichwohl, weil durch § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG eine Verlagerung der Sozialhilfelasten in ein anderes Land als das Land Niedersachsen gesetzlich ausgeschlossen war und dieser gesetzlichen Regelung der sozialhilferechtlichen Lastenverteilung auch im Rahmen der Erstattungspflicht gemäß § 107 BSHG Rechnung zu tragen ist.

Es ist zunächst nicht zweifelhaft, dass die Familie L., die in der Zeit von August 1995 bis Ende Juli 1996, also fast ein Jahr, in H. gelebt und bis zum 31.5.1996 auch - mit kurzen Unterbrechungen - Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hat, dort während dieser Zeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (wird ausgeführt).

Die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts der Familie L. in H. wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass H. möglicherweise sozialhilferechtlich nicht der "richtige" Aufenthaltsort war. Auch wenn in § 107 Abs. 1 BSHG dem bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort der (nach einem Umzug) "nunmehr zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe" gegenüberstellt wird, bedeutet dass nicht, dass am bisherigen Aufenthaltsort rechtmäßig Sozialhilfe bezogen worden sein müsste.

Vgl. etwa Schoch, in: BSHG, Lehr- und Praxiskommentar, 5. Aufl. (1998), § 107 Rn. 19.

Die Erstattungspflicht des Beklagten ist aber deshalb zu verneinen, weil von der Familie L. während ihres Aufenthaltes in H. gemäß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG keine bedarfsdeckenden Sozialhilfeleistungen beansprucht werden konnten und dieser Anspruchsausschluss auch erstattungsrechtlich relevant ist.

§ 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG schloss nach Auffassung des Senats einen auf mehr als nur das Unabweisbare gerichteten Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nicht nur - was unstreitig sein dürfte - bis zum 14.11.1995, dem Tag der Verlängerung der erstmals in Niedersachsen erteilten räumlich unbeschränkten Aufenthaltsbefugnis durch die Ausländerbehörde der Stadt H., sondern auch während der weiteren Aufenthaltsdauer der Familie L. in Herten bis zum 30.7.1996 aus. Denn für die Frage, ob sich Hilfesuchende "außerhalb des Landes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist", muss auf die erstmaligen Aufenthaltsbefugnisse für die Mitglieder der Familie abgestellt werden, hier also auf die in Niedersachsen ausgestellten Befugnisse; die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse in H. ist demgegenüber ohne Relevanz.

Ebenso - jedenfalls bei ununterbrochener Sozialhilfebedürftigkeit der jeweiligen ausländischen Hilfesuchenden - Hamb. OVG, Beschlüsse vom 25.4.1996 - Bs IV 152 und 153/96 -, FEVS 47, 21, und vom 16.9.1998 - 4 Bf 294/98 -, FEVS 49, 473 = DVBl. 1999, 463 = NVwZ-RR 1999, 384; OVG Berlin, Beschlüsse vom 27.8.1997 - 6 S 129.97 -, FEVS 48, 40 = NVwZ-Beil. I 1998, 4, vom 28.1.1998 - 6 S 162.97 -, FEVS 48, 454 = NVwZ-Beil. I 1998, 34, und vom 26.3.1999 - 6 SN 53.99/6 M 7.99 -, FEVS 51, 77 = NVwZ-Beil. I 1999, 53; BayVGH, Beschluss vom 8.7.1997 - 12 CE 97.1467 -, FEVS 48, 112; ferner Birk, in: BSHG, Lehr- und Praxiskommentar, 5. Aufl. (1998) § 120 Rn. 36; Decker, in: Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, BSHG, Kommentar (Loseblatt; Stand: November 2001), § 120 Rn. 90 f.; Pfohl, NVwZ 1998, 1048, 1049.

Die Gegenansicht, nach der es darauf ankommt, in welchem Bundesland die im jeweils fraglichen Leistungszeitraum gültige (verlängerte) Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, Nds.OVG, Urteil vom 28.10.1998 - 4 L 1264/98 -, und Beschluss vom 26.11.1998 - 4 L 4363/98 -, FEVS 49, 421; HessVGH, Beschluss vom 12.2.1999 - 1 TG 404/99 -, FEVS 51, 190 = InfAuslR 1999, 245 = NVwZ-Beil. I 1999, 53; OVG Bbg, Beschluss vom 7.2.2000 - 4 B 128/99 -, FEVS 52, 29; ferner Fasselt, in: Fichtner (Hrsg.), BSHG, Kommentar (1999), § 120 Rn. 15; Mergler/Zink, BSHG, Kommentar (Loseblatt; Stand: August 2000), § 120 Rn. 84b; Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Aufl. (2002), § 120 Rn. 33, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen.

Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass es keine für die fachgerichtliche Auslegung von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG bindende Entscheidung des BVerfG gibt und die vom Senat bevorzugte Auslegung dieser Vorschrift auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

So ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 9.2.2001 - 1 BvR 781/98 -, NVwZ-Beil. I 2001 S. 58 f.

Schon der Wortlaut des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, der auf "die" (und nicht "eine") Aufenthaltsbefugnis abhebt und auch keinen Zusatz wie etwa "die jeweilige" oder "die aktuelle Aufenthaltsbefugnis" enthält, lässt sich eher mit der Vorstellung in Einklang bringen, dass die erstmals erteilte (räumlich unbeschränkte) Aufenthaltsbefugnis maßgeblich sein soll. Rechtssystematische Überlegungen unterstreichen das. Die Beschränkung des ungeschmälerten Sozialhilfebezuges auf - unter anderem - das Bundesland, "in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist", ist - damals als § 120 Abs. 4 BSHG - im Rahmen des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354, 1385) als dessen Artikel 7 Nr. 2 in das Bundessozialhilfegesetz eingefügt worden. In sonstigen Vorschriften dieses Neuregelungsgesetzes - insbesondere im Ausländergesetz selbst - ist die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen, zu denen auch die Aufenthaltsbefugnisse gehören (§ 5 AuslG), begrifflich klar von deren Verlängerung unterschieden worden; das zeigt sich etwa in den §§ 12 und 13 sowie den §§ 30 Abs. 2 Nr. 1 und 34 AuslG, daneben aber auch in der Überschrift des Zweiten Abschnitts ("Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung"). Auch Vorschriften außerhalb des Ausländergesetzes, die durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts geändert worden sind, weisen teilweise diese Differenzierung auf (vgl. Artikel 6 [Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes] Nr. 1 Buchst. b aa: "im Besitz einer von der Ausländerbehörde erteilten oder verlängerten Aufenthaltsgenehmigung"). Mithin spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Gesetzgeber auch in § 120 Abs. 4 (heute: Abs. 5) Satz 2 BSHG die Worte "erteilt oder verlängert" verwendet hätte, wenn es ihm hinsichtlich des maßgeblichen Bundeslandes auf die jeweils aktuelle Aufenthaltsbefugnis angekommen wäre. Der Einwand, für die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen gälten gemäß § 13 AuslG die Vorschriften über deren (Erst-)Erteilung, die Verlängerung stelle sich mithin als "eine erneute Erteilung" dar, OVG Bbg., Beschluss vom 7.2.2000 - 4 B 128/99 -, FEVS 52, 29 (31), vermag hingegen nicht zu überzeugen. Gegen diese Sichtweise spricht entscheidend, dass das Gesetz eben trotz der (weitgehend) übereinstimmenden Gewährungsvoraussetzungen doch auf die begriffliche und gesetzestechnische Unterscheidung zwischen der Erteilung und der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis (und anderer Arten der Aufenthaltsgenehmigung) Bedacht nimmt. Es dürfte auch ausländerrechtlich unzutreffend sein, die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung mit einer (erneuten) Erteilung gleichzusetzen. Da es nämlich für die Erlangung oder Vermittlung bestimmter Aufenthaltsgenehmigungen unter anderem auf die Dauer der ununterbrochenen Innehabung des bisherigen Aufenthaltsstatus bzw. des rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ankommen kann (vgl. etwa § 6 Abs. 2, § 16 Abs. 5, § 18 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 2, § 20 Abs. 3 Satz 2, § 24 Abs. 1 Nr. 1, § 26 Abs. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 sowie § 35 AuslG, jeweils in der Fassung des Neuregelungsgesetzes vom 9.7.1990), bedeutet es einen erheblichen Unterschied, ob ein Aufenthaltstitel (rechtzeitig) verlängert oder - etwa nach dem Ablauf der Geltungsdauer ohne eine zeitlich anschließende Verlängerung - neu erteilt wird.

Vgl. dazu Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl. (1999), § 13 AuslG Rn. 3.

Noch weitergehend lässt sich sogar sagen, dass es im Falle der Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. konkret einer Aufenthaltsbefugnis eine separat zu betrachtende "aktuelle" Aufenthaltsgenehmigung bzw. - befugnis im Grunde gar nicht gibt; denn wenn das jeweilige Aufenthaltsrecht verlängert worden ist, bedeutet dies, dass die ursprünglich erteilte Aufenthaltsgenehmigung zeitlich über das zunächst verfügte Maß hinaus fortbesteht, ohne dass - mit Ausnahme der Verlängerung - etwas Neues entstanden wäre.

Auch der objektive Regelungszweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG und die Vorstellungen des Gesetzgebers sprechen dafür, die Berechtigung zum (unbeschränkten) Sozialhilfebezug an das Verbleiben in dem Bundesland zu knüpfen, in dem die erste Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist. § 120 Abs. 4 (heute: Abs. 5) Satz 2 BSHG sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bewirken, dass die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen ohne räumliche Beschränkung nicht zu einer Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Länder führt.

BT-Drs. 11/6321, S. 90 zu Art. 7.

Außerdem wird in der Begründung - ausdrücklich zwar lediglich im Zusammenhang mit der "illegalen Binnenwanderung", also mit Bezug auf § 120 Abs. 4 (heute: Abs. 5) Satz 1 BSHG, letztlich aber mit Blick auf das Problem der Binnenwanderung von Ausländern insgesamt - darauf hingewiesen, dass diese Binnenwanderung Teile des Bundesgebiets, insbesondere die Ballungszentren, unverhältnismäßig belaste und daher mit allen rechtsstaatlichen administrativen Mitteln verhindert werden müsse. In den Gesetzgebungsmaterialien wird aber nicht ausdrücklich klargestellt, ob die genannten Zwecke nur für eine begrenzte Zeit erreicht oder ob die Verlagerung von Sozialhilfelasten dauerhaft - solange überhaupt (lediglich) eine Aufenthaltsbefugnis vorliegt - unterbunden werden soll. Die umfassende Formulierung im Gesetzentwurf der Bundesregierung lässt sich aber eher mit der Absicht des Gesetzgebers vereinbaren, dass eine sozialhilferechtliche Sanktionierung der Abwanderung von Ausländern mit (ausländerrechtlich) räumlich unbeschränkter Aufenthaltsbefugnis in ein anderes Bundesland - bei fortbestehender Sozialhilfebedürftigkeit - ohne zeitliche Fixierung beabsichtigt war. Anderenfalls hätte es nahegelegen, eine einschränkende Zweckbestimmung vorzunehmen, also etwa dahingehend zu formulieren, dass "zunächst" bzw. "während der Geltung der erstmalig erteilten Aufenthaltsbefugnis" ein Fortzug über Ländergrenzen verhindert werden solle. Es wird auch nicht erkennbar, warum die vom Gesetzgeber im Grundsatz als unerwünscht bewertete Verlagerung von Sozialhilfelasten nur für einen begrenzten Zeitraum verhindert werden sollte; gerade im Hinblick auf die zugunsten der großstädtischen Ballungszentren gewünschte gerechte Lastenverteilung wäre nur wenig erreicht worden, wenn die Verlagerung von Sozialhilfekosten nur zeitlich eng begrenzt unterbunden werden könnte, zumal das Gesetz keine zeitliche Untergrenze für die Geltungsdauer einer Aufenthaltsbefugnis vorsah (vgl. § 34 Abs. 1 AuslG F.1990) und somit die Verlagerung der Sozialhilfelasten nach Maßgabe der jeweiligen ausländerbehördlichen Praxis schon nach erheblich kürzerer Zeit als dem Ablauf der in § 34 Abs. 1 AuslG F.1990 als Höchstdauer für die Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen festgesetzten Frist von zwei Jahren sanktionslos erfolgen könnte.

Im Übrigen trifft auch die Erwägung zu, dass für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren nach einem Wegzug von sozialhilfebedürftigen Inhabern einer Aufenthaltsbefugnis ohnehin eine Verlagerung der finanziellen Sozialhilfelasten wegen der nachwirkenden Erstattungspflicht des zuvor zuständigen Sozialhilfeträgers (§ 107 BSHG) in der Regel ausgeblieben sein dürfte.

OVG Berlin, Beschluss vom 26.3.1999 - 6 SN 53.99/6 M 7.99 -, FEVS 51, 77 = NVwZ-Beil. I 1999, 53.

Deshalb konnte die Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 (bzw. damals des § 120 Abs. 4 Satz 2) BSHG von vornherein nur eine ins Gewicht fallende Bedeutung erlangen, wenn die sozialhilferechtliche Zuständigkeit für über Notleistungen hinausgehende Hilfen dauerhaft an den Ort der ursprünglichen ausländerrechtlichen Zuständigkeit gebunden würde.

Nichts anderes ergibt sich schließlich aus der Gegenüberstellung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG mit § 3a des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (SpätaussWZG). Insoweit vertritt das OVG Bbg - Beschluss vom 7.2.2000 - 4 B 128/99 -, FEVS 52, 29 (31 f.) - wohl die Auffassung, dass die in der genannten Vorschrift - in der bis zum 30.12.1997 gültigen Fassung - enthaltene ausdrückliche zeitliche Begrenzung der eingeschränkten Sozialhilfegewährung im Falle eines Verlassens des zugewiesenen Wohnortes durch Spätaussiedler auf zwei Jahre auf die Auslegung von § 120 Abs. 5 BSHG ausstrahlen müsse, weil sich eine Schlechterstellung ausländischer Hilfesuchender im Vergleich zu Aussiedlern der gesetzlichen Regelung nicht hinlänglich klar entnehmen lasse. Näher dürfte aber eine entgegengesetzte Sichtweise liegen: Gerade weil in § 120 Abs. 5 BSHG anders als in § 3a SpätaussWZG keine zeitliche Begrenzung für die sozialhilferechtliche Sanktionierung eines Umzuges enthalten ist, spricht alles dafür, dass der Gesetzgeber eine solche Begrenzung auch nicht gewollt hat. Auch verfassungsrechtlich verbietet sich ein Erst-recht-Schluss von den Regelungen für Spätaussiedler auf die Regelung für ausländische Hilfeempfänger, da sich aufenthaltsbezogene Vorschriften für die zuerst genannte Gruppe auch an Art. 11 GG messen lassen müssen, was bei Regelungen für Ausländer nicht der Fall ist. Abgesehen davon ist die zeitliche Begrenzung des faktischen Umzugsverbots für sozialhilfebedürftige Spätaussiedler in nachfolgenden Fassungen des Wohnortzuweisungsgesetzes für Spätaussiedler entfallen (vgl. § 3a SpätaussWZG in den Fassungen vom 22.12.1997 - BGBl. I S. 3222 - und vom 2.6.2000 - BGBl. I S. 775 -), so dass die vom Senat für unrichtig gehaltene (einschränkende) Auslegung von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sogar zu einer - verfassungsrechtliche Bedenken auslösenden - Schlechterstellung von Spätaussiedlern im Vergleich zu Ausländern mit Aufenthaltsbefugnis führen würde.

Der Klage verhilft auch nicht zum Erfolg, dass jedenfalls im Einzelfall der Familie L. von der Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG Abstand genommen werden musste. Weder die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse durch den Beklagten noch die - abgesehen von zwei kurzen Unterbrechungen - unbeschränkte Sozialhilfegewährung während eines Zeitraums von mehr als acht Monaten führte dazu, dass die Familie L. während ihres Aufenthalts in H. im vollen Umfang ihres Bedarfs vom Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt beanspruchen konnte. Dass die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis am 14.11.1995 durch den Stadtdirektor der Stadt H. keinen Einfluss auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG hatte, ist bereits dargelegt worden. Angesichts der vom Senat für zutreffend erachteten Auslegung der genannten Vorschrift verbietet es sich auch, in der ausländerbehördlichen Legalisierung des Aufenthaltes einen Umstand zu erblicken, der - etwa unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes oder des Verbotes widersprüchlichen (Behörden-)Verhaltens (im Sinne eines venire contra factum proprium) - gleichsam am gesetzlichen Tatbestand vorbei doch zu einer Weitergewährung der Sozialhilfe führen müsste; abgesehen davon ist im Hinblick auf eine bundesländerübergreifende Wohnortverlegung das Auseinanderfallen des ausländerrechtlichen Dürfens und der sozialhilferechtlichen Sanktionierung bereits im Tatbestand des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, so wie ihn der Senat versteht, angelegt, so dass für die Annahme eines widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall kein Raum besteht.

Auch die längere Sozialhilfegewährung war nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine zeitlich unbeschränkte Fortsetzung der bedarfsdeckenden Hilfeleis- tung durch den Beklagten bzw. auf ein Absehen von der Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG zu begründen. Wenngleich bei der Familie L. durch die - offensichtlich auf einem "Übersehen" des Versagungsgrundes gemäß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG durch den Stadtdirektor der Stadt H. beruhende - Hilfegewährung jedenfalls im Laufe der Zeit die Einstellung hervorgerufen worden sein dürfte, einen Anspruch auf diese Hilfe nach Maßgabe der jeweiligen Bedürftigkeit zu haben und mit der Fortführung der Hilfe rechnen zu können, solange die Bedürftigkeit fortbesteht, reicht das für eine Zubilligung von Vertrauensschutz nicht aus. Zum einen ist § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG geltendes Recht; die Vorschrift eröffnet kein Ermessen des Sozialhilfeträgers und steht auch aus sonstigen Erwägungen nicht zur Disposition des jeweiligen Trägers der Sozialhilfe.

Hamb. OVG, Beschluss vom 30.3.1994 - Bs IV 56/94 -, FEVS 45, 209.

Zum anderen ist die Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter; es handelt sich vielmehr um eine zeitabschnittsweise - in der Regel für die Dauer eines Monats - vorgenommene Hilfegewährung, deren Voraussetzungen vom Träger der Sozialhilfe stets neu zu prüfen sind.

OVG NRW, Urteil vom 28.9.2001 - 16 A 5644/99 -, FEVS 53, 310 = ZFSH/SGB 2002, 217, mwN.

Schließlich kann nach Auffassung des Senats etwaigen Härten für den Hilfeempfänger, die aus einer unerwarteten Ablehnung oder Einstellung der Hilfe entstehen, im Rahmen des § 120 Abs. 5 BSHG angemessen und flexibel begegnet werden, ohne dass die Anwendung der Vorschrift grundsätzlich in Frage gestellt wäre; das kann insbesondere dadurch geschehen, dass unter der i.S.v. § 120 Abs. 5 BSHG "unabweisbar gebotenen" Hilfe in begründeten Fällen nicht nur die reinen Kosten für die Rückkehr an den vormaligen Aufenthaltsort, sondern für einen begrenzten weiteren Zeitraum auch bedarfsdeckende Mittel für den notwendigen Lebensunterhalt am derzeitigen Aufenthaltsort verstanden werden können.

Nds. OVG, Beschluss vom 9.1.1996 - 4 M 6156/95 -, FEVS 47, 18; ähnlich wohl - für den gleichlautenden Begriff der unabweisbar gebotenen Hilfe in § 3a SpätaussWZG - VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.1.1997 - 6 S 3007/96 -, FEVS 47, 564 (569).

Inwieweit die Familie L. während ihres Aufenthalts in H. auf der Grundlage von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG Anspruch auf Hilfen im Umfang des nach dem Umständen unabweisbar Gebotenen hatte, muss im vorliegenden Zusammenhang nicht beleuchtet werden; es reicht die Feststellung, dass der Ausschlussgrund des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG eingriff, der Beklagte mithin nicht zu dauernden bedarfsdeckenden Sozialhilfeleistungen an die Familie verpflichtet war.

Daraus folgt für den Senat, dass eine Erstattungspflicht nicht entstehen kann, wenn sich der jeweilige Hilfesuchende nach einem i.S.v. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sanktionierten Aufenthalt in das Bundesland zurückbegibt, in dem ihm die (erste) räumlich unbeschränkte Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist und wo allein er für die Dauer seiner Bedürftigkeit bedarfsdeckende Sozialhilfeleistungen erlangen kann.

Ebenso VG Stade, Urteil vom 18.11.1999 - 1 A 2087/98 -, ZfF 2001, 135.

Das ergibt sich zwingend aus dem Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, eine Verlagerung von Sozialhilfelasten von einem Bundesland in andere zu verhindern. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein Sozialhilfeträger einem mit der Absicht der Begründung eines dauerhaften Aufenthalts zugezogenen Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis die Sozialhilfe auf das unabweisbar Gebotene beschränken und diesen somit faktisch zur Rückkehr in das vormals bewohnte Bundesland zwingen könnte, er anschließend aber gleichwohl bis zu zwei Jahre die (volle) finanzielle Last der Sozialhilfegewährung weitertragen müsste. Die dem Gesetzgeber unerwünschte Verlagerung von Sozialhilfelasten ist nur dann wirksam unterbunden, wenn der Sozialhilfeträger am Zuzugsort nicht nur dem Hilfebegehren des sozialhilfebedürftigen Ausländers, sondern nach der Rückkehr des Ausländers an seinen vormaligen Wohnsitz oder jedenfalls in das zuvor bewohnte Bundesland auch einem Erstattungsbegehren des nunmehr (wieder) örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers entzogen ist.

Nach alledem kann dahinstehen, ob in Fällen der alsbaldigen Rückkehr des jeweiligen Hilfesuchenden in den Zuständigkeitsbereich des bislang verpflichteten Sozialhilfeträgers unabhängig vom Eingreifen des § 120 Abs. 5 BSHG generell von der Anwendung des § 107 BSHG abgesehen werden muss, wenn dadurch ein gegenläufiger Erstattungsanspruch - wegen des ersten Umzuges - konterkariert würde. Vorliegend hat bzw. hätte der Beklagte jedenfalls dem Grunde nach bis zum Monat August 1997 einen Anspruch auf Erstattung seiner Sozialhilfeaufwendungen gegen den Kläger als dem vormals örtlich zuständigen Sozialhilfeträger gehabt. Es ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar und kann daher Anlass für eine einschränkende Auslegung des § 107 BSHG sein, wenn allein die Rückkehr des jeweiligen Hilfeempfängers - unabhängig von der Länge des zwischenzeitlichen Wohnortwechsels - zu einer bis zu zweijährigen Erstattungspflicht und zudem zu einem Verlust des eigenen Erstattungsanspruchs des zwischendurch zuständig gewesenen Trägers der Sozialhilfe führen würde.

Ende der Entscheidung

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